Landkreistag Rheinland-Pfalz Starke Landkreise Starkes Flächenland Rheinland-Pfalz Positionspapier des Landkreistages Rheinland-Pfalz vorgelegt zur 61. Hauptversammlung des Landkreistages Rheinland-Pfalz am 23./24.11.2006 in Bad Ems Deutschhausplatz 1 55116 Mainz - Postfach 29 45 55019 Mainz Telefon: 06131 / 28655-0 Telefax: 06131 / 28655-28 Internet: www.landkreistag.rlp.de E-Mail: post@landkreistag.rlp.de
Die grundlegende Modernisierung der öffentlichen Verwaltung bildet nach übereinstimmender Meinung aller maßgeblichen Parteien eine entscheidende Zukunftsaufgabe. Dieser Befund ist nicht neu, sondern wurde so bereits im Gutachten von Prof. Dr. Joachim Jens Hesse, das er im Auftrag des Bundes der Steuerzahler zur Regierungs- und Verwaltungsreform Rheinland-Pfalz erstellt hat, im September 2000 getroffen. Seitdem hat sich die Situation der öffentlichen Haushalte weiter dramatisch verschlechtert; die Folgen des globalen Wettbewerbs und der demografischen Entwicklung sind stärker in den Blickpunkt gerückt und die Verwaltung insgesamt ist noch immer in dem Umstellungsprozess gefordert, der durch den Paradigmenwechsel Anfang der 90er Jahre unter dem Stichwort Kundenorientierung begonnen wurde. Vor diesem Hintergrund verbieten sich die klassischen Antworten der Verwaltung auf neue Herausforderungen von selbst. Zusätzliches Personal und/oder die Kreation neuer öffentlicher Aufgaben sind kaum noch zu finanzieren. Neben der grundgesetzlich garantierten Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung gewinnen Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Aufgabenerfüllung - auch im Rahmen einer neu zu definierenden Bürgerfreundlichkeit - zunehmend an Gewicht. Hier sieht der Landkreistag die Notwendigkeit der Standortüberprüfung. In Rheinland-Pfalz wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe von staatlichen Behörden neu organisiert. In diesem Zusammenhang werden die Neuorganisation der staatlichen Mittelbehörden, aber auch die Agrarverwaltungsreform besonders genannt. Darüber hinaus wird seit Jahren die Frage des Standardabbaus intensiv und kontrovers diskutiert. Konkrete, insbesondere auch wirklich kassenwirksame Vorschläge liegen jedoch noch nicht auf dem Tisch. Während das Land Rheinland-Pfalz die Reorganisation staatlicher Behörden weitgehend ohne Übertragung von Aufgaben auf die kommunale Ebene vollzogen hat, wird die Frage der Funktionalreform in anderen Bundesländern stark unter dem Fokus der Kommunalisierung diskutiert und vorangetrieben. In diesem Zusammenhang ist insbesondere Baden-Württemberg zu nennen, das die Landkreise durch Übertragung neuer Aufgaben weiter gestärkt hat. Die dort derzeit vorangetriebene Lösung entspricht in den Grundzügen jahrelangen Forderungen auch des Landkreistages Rheinland-Pfalz. Die Positionen des Landkreistages für eine Verwaltungsstrukturreform in Rheinland-Pfalz werden im Einzelnen wie folgt zusammengefasst:
I. Grundsätze Ziel einer Funktionalreform muss die Herstellung der Einheit und Einräumigkeit der Verwaltung auf der Kreisstufe sein. Die Kreisverwaltung als Bündelungsbehörde in der Fläche ist durch Integration von Sonderbehörden zu stärken. Kommunale Aufgabenwahrnehmung ist im Grundsatz wirtschaftlicher als staatliche Aufgabenwahrnehmung. Alle staatlichen Aufgaben sind grundsätzlich kommunalisierbar; derjenige, der eine Aufgabe nicht kommunalisieren will, trägt die Beweislast dafür, dass eine Aufgabenwahrnehmung durch staatliche Behörden effektiver ist (Beweislastumkehr). Der Landkreistag fordert eine umfassende Aufgabenkritik als ersten Schritt zu einer Verwaltungsreform. Die Möglichkeiten der neuen Medien sind unter den Stichworten des E-Government und der E-Administration konsequent unter wirtschaftlichen und funktionalen Gesichtspunkten zu nutzen. Verwaltungsverfahren sind auf ihre Kernfunktion zurückzuführen und zu vereinfachen. Die Durchführung von Verwaltungsverfahren soll nach Möglichkeit aus einer Hand erfolgen. Sach- und Finanzverantwortung gehören ebenfalls in eine Hand. Nur die Aufgabenwahrnehmung in einer Hand gewährleistet eine hohe fachliche Kompetenz bei gleichzeitiger Wahrung von Wirtschaftlichkeit und Kundenzufriedenheit. Fehlende Verwaltungskraft kann durch Kooperation kompensiert werden; in zweiter Linie muss auch Offenheit für eine Gebietsreform gefordert werden.
II. Umsetzung in Rheinland-Pfalz 1. Die Ebene der Ortsgemeinde ist unverzichtbar, um demokratische Teilhabe erfahrbar zu machen und ehrenamtliches Engagement herauszufordern. Die Ortsgemeinden sind daher in ihrer gestalterischen Kompetenz zu stärken. 2. Der Landkreistag hält an den drei Verwaltungsebenen von Ortsgemeinden, Verbandsgemeinden und Kreisen im kreisangehörigen Raum grundsätzlich fest. Vorstellbar ist aber eine Konzentration innerhalb der Ebenen, wobei eine Zusammenlegung von Ortsgemeinden gegen den Willen der Einwohner abgelehnt wird. 3. Der Landkreistag sieht in der Abschaffung der Verbandsgemeinden eine Schwächung der Verwaltungskraft in der Fläche. 4. Die Position der Landkreise ist durch die Übertragung neuer Aufgaben, zuletzt im Rahmen der Umsetzung von Hartz IV, insgesamt gestärkt worden. Die Kreise sind die effiziente und bürgernahe Verwaltungsebene in der Fläche. Der Landkreistag widerspricht einem Verständnis von einer bürgernahen Verwaltung als einer Verwaltung um die Ecke sowohl aus Kostengründen als auch in fachlicher Hinsicht. In ihrer heutigen räumlichen Ausdehnung können die Landkreise unter gleichzeitiger Wahrung von hoher fachlicher Kompetenz und Erreichbarkeit als einzige kommunale Ebene in der Fläche Bürgernähe auch unter funktionalen und Effizienzgesichtspunkten garantieren. Der Landkreistag spricht sich daher auch gegen Gebietszuschnitte auf Kreisebene aus, die der vorhandenen Bürgernähe der Kreisverwaltungen entgegenstehen und Bürgerbeteiligung nicht mehr erfahrbar machen. 5. Nur eine wirtschaftliche Verwaltung ist eine bürgerfreundliche Verwaltung. Der Landkreistag fordert daher, dass Aufgabenübertragungen nur unter Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten erfolgen dürfen. 6. Die Landkreise fordern auch eine Stärkung ihrer gestalterischen und planerischen Kompetenz. Dies gilt beispielsweise für Fragen des Tourismus ebenso wie für Fragen der Erziehung und Bildung der Kinder. Gerade die Fragen von Erziehung, Betreuung und Bildung der Kinder und Jugendlichen machen deutlich, dass nur eine Konzentration der Aufgaben auf der Kreisebene eine effiziente Ressourcennutzung vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung nachhaltig sicherstellen kann. Die Interdependenzen bei diesem Thema von der Kindergarten- über die Schülerbeförderung bis zur Raumausnutzung bei den Schulen machen deutlich, dass auch von der Sache her eine stärkere Zusammenführung von Aufgaben auf der Kreisebene erforderlich ist. Der Landkreistag
fordert daher nachdrücklich die Schulträgerschaft für alle Schulen ab der Sekundarstufe I im kreisangehörigen Raum. Die konsequente Fortsetzung dieses Ansatzes stellt die Übernahme der kommunalen Trägerschaft von Kindertagesstätten auf Verbandsgemeindeebene dar. 7. Eine effiziente und wirtschaftliche Aufgabenwahrnehmung ist dann am ehesten zu gewährleisten, wenn ein transparenter Verwaltungsaufbau Aufgabenzuschnitte im Land möglichst einheitlich regelt. Ein transparenter und einheitlicher Verwaltungsaufbau ist nach Überzeugung des Landkreistages auch ein Beitrag zur Bürgerfreundlichkeit. Der Landkreistag fordert daher, Aufgabenzuschnitt und Aufgabenabgrenzung zwischen Kreisen und großen kreisangehörigen Städten zu überdenken. In diesem Sinne macht nach Auffassung des Landkreistages die Einkreisung kleinerer kreisfreier Städte auch nur dann Sinn, wenn sich die Aufgabenstrukturen den neuen gebietlichen Strukturen anpassen. 8. Der Landkreistag stellt fest, dass die Landkreise einen Vergleich bezüglich Wirtschaftlichkeit und Effizienz nicht zu scheuen brauchen. An einigen Aufgabenbereichen soll dies exemplarisch dargestellt werden: Bei allen Aufgaben, die eine technische Infrastruktur voraussetzen, würde eine Zuständigkeitsverlagerung auf die Verbandsgemeinden voraussetzen, dass diese technische Infrastruktur einschließlich des notwendigen Sachverstandes in allen Verbandsgemeinden geschaffen bzw. vorgehalten wird. Fixkosten zur Erstellung und Vorhaltung dieser Verwaltungsdienstleistungen würden damit entsprechend ansteigen. Hinsichtlich der variablen Kosten muss darüber hinaus gesehen werden, dass nur sehr wenige Verfahren auf der Kreisebene eine derartige Häufigkeit haben, dass auch bei einer Zersplitterung der Zuständigkeit auf die kreisangehörigen Verbandsgemeinden und verbandsfreien Gemeinden eine wirtschaftliche Auslastung gegeben wäre. Diese Feststellung gilt auch für den Fall des Zusammenschlusses im kreisangehörigen Raum. Bei der Kfz-Zulassung muss darüber hinaus berücksichtigt werden, dass auch im ländlichen Raum der Anteil der Kfz, die vom Halter selbst an- oder umgemeldet werden, rückläufig ist. Die Händlerzulassung würde bei einer zersplitterten Zuständigkeit jedoch für alle Beteiligten wesentlich unwirtschaftlicher. Bei der Abwägung muss weiter die Haltedauer von Kraftfahrzeugen berücksichtigt werden. Dies und die Kosten der technischen Infrastruktur sprechen gegen eine Verlagerung. Durch die Europäisierung des Führerscheinwesens ist ein deutlich detaillierteres System von Führerscheinklassen entstanden. Dadurch ist die Aufgabe selbst komplexer
geworden. Darüber hinaus ist der Erwerb der Fahrerlaubnis in der Regel eine einmalige Angelegenheit. Vor diesem Hintergrund überwiegt die Chance auf eine höhere Spezialisierung auf der Kreisebene das Argument der räumlichen Nähe deutlich. Auch das Staatsangehörigkeitsrecht erfordert umfangreiche Rechtskenntnisse in der Ausführung und die Zusammenarbeit mit vielen anderen Behörden. Diese Zusammenarbeit erfolgt heute bereits in einigen Fällen technikunterstützt, so dass auch hier eine Infrastruktur zu vervielfältigen wäre. Hinsichtlich der Schulträgerschaft ist darauf hinzuweisen, dass angesichts der demografischen Entwicklung der quantitative Ausbau des Schulwesens umschlägt in einen Abbau von Kapazitäten. Eine wirtschaftlich effektive Gesamtlösung zur Auslastung bestehender Ressourcen kann realistischerweise nur auf der Kreisstufe sicher gestellt werden. Angesichts des bestehenden ausdifferenzierten Schulangebotes und der Zuständigkeit für die Schülerbeförderung / ÖPNV ist gerade dies ein Beispiel dafür, dass hier nur ein Angebot aus einer Hand, eine Konzentration von Zuständigkeiten, Sinn macht. Die Frage einer Übertragung von weiteren Aufgaben der Bauaufsicht auf die Verbandsgemeindeebene muss vor dem Hintergrund einer rückläufigen Bautätigkeit insgesamt sowie einer Liberalisierung, d. h. in vielen Fällen ist eine Baugenehmigung gar nicht mehr erforderlich, gesehen werden. Darüber hinaus besagen Zahlen des Landesrechnungshofes, dass ein Mitarbeiter der Bauaufsicht in der Regel 400 Baugenehmigungen in einfach gelagerten Fällen erteilen kann. Bereits diese Zahlen machen deutlich, dass eine Auslastung von Mitarbeitern auf der Verbandsgemeindeebene insoweit nicht möglich ist. Darüber hinaus ist auch die Vorhaltung von technischem Personal (Bauingenieur / Architekt) zur Beurteilung schwieriger Sachverhalte unwirtschaftlich. Fragen der sozialen Sicherung der Bürgerinnen und Bürger außerhalb der klassischen Sozialversicherung müssen zunehmend integriert und aufeinander aufbauend geregelt werden. Dabei nehmen die Kreise eine zentrale Stellung ein, die durch die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe (Hartz IV) wesentlich gestärkt wurde. Das administrative Modell zur Umsetzung von Hartz IV macht deutlich, dass ein Auseinanderreißen von Zuständigkeiten kontraproduktiv ist und vielmehr die soziale Kompetenz der Kreise weiter gestärkt werden muss.