Förderung von Sicherheit, Selbstständigkeit und Mobilität Prävention von Sturz und sturzbedingter Verletzung



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Transkript:

Förderung von Sicherheit, Selbstständigkeit und Mobilität Prävention von Sturz und sturzbedingter Verletzung

Inhalt Seite 3 Seite 4 Seite 6 Seite 8 Seite 9 Seite 10 Einleitung Informationen zu Stürzen und sturzbedingten Verletzungen im Alter Prävention von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen Wie lässt sich Prävention von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen umsetzen? Weitere Informationen zum Thema Referenzen zum Broschürentext Impressum Univ.-Prof. Dr. med. Dr. P.H. Andrea Icks, MBA Universität Düsseldorf Sabine Schindler-Marlow, Ärztekammer Nordrhein Redaktion: Stabsstelle Kommunikation Gesundheitsberatung Ausschuss für Prävention und Gesundheitsberatung Gestaltung: media services Herausgeber: Ärztekammer Nordrhein, 4. überarbeitete Auflage, 2014

3 Einleitung Warum Gesundheitsförderung im Alter? Die zunehmende Lebenserwartung führt seit Längerem zu einer Zunahme der Zahl älterer Bürger; die Zahl Hochbetagter steigt an. Im Jahr 2040 werden nach Bevölkerungsschätzungen 11,7 Millionen Einwohner Deutschlands zwischen 65 und 80, 4,3 Millionen über 80 Jahre sein. Die Chance auf ein weitgehend gesundes Altwerden mit aktivem selbstständigem Leben sollte so groß wie möglich sein. Das bedeutet auch eine Vermeidung von gravierenden gesundheitlichen Einschränkungen und daraus resultierender Funktionseinschränkung, Behandlungsund Pflegebedürftigkeit. Dies ist Ziel einer aktiven, präventiv ausgerichteten gesundheitlichen Versorgung, zu der Ärztinnen und Ärzte, Betreuende in Senioreneinrichtungen, Angehörige und Seniorinnen und Senioren gemeinsam einen wesentlichen Beitrag leisten können. Es gibt viele Gelegenheiten für gesundheitsförderliche Aktivitäten im häuslichen Umfeld älterer Menschen oder auch in Einrichtungen der gesundheitlichen Versorgung. Dazu zählen Präventionsmaßnahmen in Altenwohnheimen, betreuten Wohneinheiten, in Seniorenbegegnungsstätten oder auch die Gesundheitsberatung in Arztpraxis, stationärer und rehabilitativer Einrichtung. Es konnte gezeigt werden, dass in kooperativen gesundheitsförderlichen Modellen die Chance für selbstständige gesunde Lebensjahre erhöht und Pflegebedürftigkeit und stationäre Einweisungen reduziert werden können. Warum Prävention von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen? Die Vermeidung von sturzbedingten Verletzungen ist von erheblicher Bedeutung für die Gesundheit im Alter. Folge von Stürzen ist neben Verletzung und Behinderung auch die Angst, erneut zu stürzen, die das Selbstvertrauen, selbst einfache Dinge des Alltags sicher zu tun, nachhaltig beeinträchtigen kann. Insofern leistet die Prävention von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen nicht nur einen Beitrag zur Verminderung von individuellen und sozialen Belastungen, sondern vor allem zur Erhöhung von Lebensqualität, Selbstständigkeit und Mobilität. Welches Ziel verfolgt die vorliegende Broschüre? Die vorliegende Broschüre soll einen kurzen Überblick über die Hintergründe von Stürzen geben und Ansätze der Prävention und Umsetzungsmöglichkeiten aufzeigen. Sie richtet sich dabei in erster Linie an Ärztinnen und Ärzte, aber auch an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von betreuten Wohneinrichtungen für Senioren sowie an Fachkräfte aus dem Sozialwesen, also an Personen, die in der Gemeinde lebende ältere Menschen und deren Angehörige beraten oder versorgen. Dabei wird Prävention im Sinne von Gesundheitsförderung als Ansatz verstanden, der sich an der Stärkung positiver Ressourcen orientiert, als kooperative Aufgabe, die nur in Zusammenarbeit von Ärztinnen und Ärzten, Betreuenden und Pflegenden, Angehörigen und den älteren Menschen selbst wirksam werden kann.

4 Informationen zu Stürzen und sturzbedingten Verletzungen im Alter Wie häufig sind Stürze und sturzbedingte Verletzungen? Exakte Zahlen zur Häufigkeit von Stürzen fehlen, da es schwierig ist, dieses Ereignis ausreichend verlässlich zu erfassen. Mit steigendem Alter und zunehmender Morbidität steigt das Risiko zu stürzen. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Etwa 30 % der zu Hause lebenden Personen über 65 Jahre und etwa 50 % der über 80- Jährigen stürzen mindestens einmal pro Jahr. Pflegeheimbewohnerinnen und Pflegeheimbewohner haben ein besonders hohes Sturzrisiko, vermutlich stürzt mehr als die Hälfte mindestens einmal pro Jahr. Internationalen Studien zufolge verursachen 10 % 20 % der Stürze behandlungsbedürftige Verletzungen. Schätzungsweise 5 % der Stürze führen zu sturzbedingten Knochenbrüchen und etwa 1 2 % zu sturzbedingten Hüftfrakturen (Proximale Femurfrakturen, Oberschenkelhalsbrüche ). Anzahl der Personen, die mindestens einen Oberschenkelhalsbruch pro Jahr erleiden (bezogen auf 1000 Personen). 40 30 20 10 0 Frauen 29 14 16 7 3 8 2 4 1 2 65 69 70 74 75 79 80 84 85 89 >90 Alter (Jahre) Männer Pro Jahr erleiden in Deutschland rund 130.000 Personen mindestens eine Hüftfraktur. 90 % der Betroffenen sind über 60 Jahre alt (siehe auch Grafik). Analysen legen nahe, dass die Zahl der Hüftfrakturen altersbereinigt von 1995 bis 2010 konstant geblieben ist. 25 38 Welche Folgen haben Stürze und sturzbedingte Verletzungen? Die individuellen wie auch die gesellschaftlichen Folgen von Stürzen sind erheblich. Ein Drittel der Hochbetagten stirbt innerhalb eines Jahres nach stationärer Behandlung einer Hüftfraktur. Ca. 50 % der Patientinnen und Patienten erlangen ihre ursprüngliche Beweglichkeit nicht mehr zurück, und etwa 20 % der Patientinnen und Patienten werden ständig pflegebedürftig. Es wird geschätzt, dass in Deutschland durch Hüftfrakturen direkte Kosten von 2,77 Milliarden Euro pro Jahr entstehen, wobei Langzeitkosten und nichtmedizinische Kosten nicht mit eingerechnet sind. Folge von Stürzen ist neben Verletzung und Behinderung aber auch die Angst, erneut zu stürzen. Eine Übersichtsarbeit gibt an, dass die Hälfte der Seniorinnen und Senioren mit Sturzerfahrung oder gar Hüftfrakturen an Sturzangst leidet.

5 Informationen zu Stürzen und sturzbedingten Verletzungen im Alter Wie kommt es zu Stürzen und sturzbedingten Verletzungen? Eine Reihe von sturzassoziierten Merkmalen und Risikofaktoren für Stürze und sturzbedingte Verletzungen wurde in Studien oder Alltagsbeobachtungen identifiziert. Eine systematische Übersichtsarbeit nennt als belastbare Einfluss-faktoren vorausgegangene Stürze und Beeinträchtigungen von Gang und Gleichgewicht, potenzielle Probleme beim Aufstehen aus einem Stuhl, vermehrte Bettlägerigkeit in den letzten vier Wochen, Einnahme von mehr als drei Medikamenten oder von Psychopharmaka, Schlaf- und Beruhigungsmitteln sowie die ärztliche Diagnose Demenz. Die Frage, welche Faktoren tatsächlich im Sinne von Risikofaktoren ein erhöhtes Sturzrisiko bedingen und welche lediglich Risikoindikatoren sind (wie beispielsweise die Multimedikation als Indikator für erhöhte Morbidität), ist schwer zu beantworten. Risikofaktoren haben zum einen Bedeutung für die Definition von Risikogruppen bzw. die Identifikation von sturzgefährdeten Personen. Verschiedene Fachgesellschaften haben auf der Basis von sturzassoziierten Merkmalen sowie standardisierten Tests (z. B. Geh- und Zähltest, Timed-Up-and-Go-Test, siehe Textkasten) Leitfäden und Checklisten für die Ermittlung des Sturzrisikos entwickelt (Risk Assessments). Diese differieren zum Teil erheblich. Praktikabilität wie auch Sinnhaftigkeit der Instrumente sind Gegenstand der laufenden Diskussion. Die Aussagekraft der einzelnen Instrumente für einen Sturz ist zur Zeit noch unklar. Risikofaktoren sind zum anderen auch als potenzielle Ansatzpunkte für Präventionsmaßnahmen von Relevanz. Dabei sollte allerdings berücksichtigt werden, welche Interventionen sich tatsächlich als effektiv erwiesen haben. Geh- und Zähltest und Timed-Up-and-Go-Test als Bestandteil eines Risk Assessment Geh- und Zähltest Die Patientin/der Patient wird aufgefordert, eine standardisierte Gehstrecke von vier Metern so schnell wie möglich zu gehen. Die Zeit wird gemessen. Anschließend wird die Patientin/der Patient gebeten, die Strecke noch einmal so schnell zu gehen, aber diesmal während des Gehens in Dreierschritten von 100 rückwärts zu zählen. Die Zeit wird erneut gemessen. Berechnet wird anschließend die relative Veränderung der Gehgeschwindigkeit. Je mehr sich die Patientin/der Patient beim Zählen verlangsamt, desto höher ist die individuelle Sturzgefährdung. Timed-Up-and-Go-Test Beim Timed-Up-and-Go-Test wird die Patientin/der Patient aufgefordert, von einem Stuhl aufzustehen, drei Meter zu gehen, sich umzudrehen, zum Stuhl zurückzugehen und sich zu setzen. Gehhilfen können verwendet werden. Die Zeit wird gemessen. Eine Zeit von mehr als 20 Sekunden gilt als Zeichen für eine erhöhte Sturzgefährdung.

6 Prävention von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen Welche Präventionsansätze gibt es? Interventionen, die einen Sturz verhindern sollen, sind ebenso vielfältig wie die Merkmale, die in Verbindung mit einem Sturz stehen (Textkasten). Unterschieden werden kann in Maßnahmen, die individuell an der einzelnen Patientin oder dem einzelnen Patienten ansetzen (sogenannte Einzelinterventionen), und populationsbasierten Interventionen, kommunalen Programmen, die verschiedene Interventionen auf verschiedenen Ebenen umfassen und auch umgebungsbezogene Maßnahmen (zum Beispiel Gehwegveränderungen, mediale Kampagnen) einbeziehen. Einzelinterventionen umfassen singuläre Interventionen wie zum Beispiel Bewegungstraining oder eine Wohnraumanpassung, die Kombination von singulären Maßnahmen oder multifaktorielle Interventionen, in denen bei Seniorinnen und Senioren individuell Sturzrisikofaktoren erhoben werden und darauf basierend individuell angepasste Maßnahmen erfolgen. Häufig arbeiten dabei verschiedene Berufsgruppen zusammen. Im Folgenden wird kurz auf einzelne Präventionsansätze eingegangen. Einzelinterventionen: n Förderung von Kraft und Balance n Bewegungsübungen n Interventionen, die die Medikation adressieren (Erhebung und ggf. Anpassung der Medikation, Reduktion von Psychopharmaka) n Verbesserung der Sicherheit in der häuslichen Umgebung n Erhebung der Sehfähigkeit und ggf. Anpassung n Tragen von speziellem Schuhwerk n... Bewegung Förderung von Kraft und Balance In Gruppen steht nicht nur das Kraftund Balancetraining im Vordergrund, sondern auch das soziale Miteinander. Foto: ÄkNo, Susanne Legien Ausreichende Muskelkraft und ein gutes körperliches Balancegefühl sind wichtige Komponenten für das sichere Gehen und können somit helfen, Stürze zu vermeiden. Früher galt körperliche Betätigung im Alter als wenig sinnvoll oder sogar potenziell riskant. Jedoch können auch hochbetagte Menschen mit Erfolg ihre Balance und Kraft verbessern. In einer Untersuchung in Ulm konnte durch geeignete Bewegungsförderung das Sturzrisiko bei Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern um mehr als 40 % reduziert werden. Zu Hause lebende Seniorinnen und Senioren können ihr Sturzrisiko senken, auch wenn sie vorher keinen Sport betrieben haben. Kraft und Balance lassen sich durch Übungen im Alltag mit einfachen Hilfsmitteln wie Handgewichten und Gewichtsmanschetten verbessern. Wichtig ist, dass das Kraft- und Balancetraining häufig, progressiv und optimalerweise dauerhaft durchgeführt und von qualifizierten Trainerinnen und Trainern angeleitet wird.

7 Prävention von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen Die häusliche Umgebung Stolperfallen entfernen und nichts überstürzen Die weitaus meisten Unfälle ereignen sich im häuslichen Umfeld, häufig bei alltäglichen Verrichtungen. Veränderungen in der Wohnung und in der Verrichtung von alltäglichen Handlungen können zu mehr Sicherheit beitragen: Beseitigung von Stolperfallen in der Wohnung wie Wellen in Teppichen, Brücken, Leisten auf Türschwellen und losen Kabeln, Schaffen von ausreichend Platz zwischen den Möbeln, helle, nicht blendende Beleuchtung, besonders im Bereich der Treppen und auf dem Weg vom Schlafzimmer zum Bad, evtl. Nachtlampen, Anbringen von rutschfesten Badematten in Badewanne oder Dusche sowie Handgriffen im Bad, Handläufe oder Geländer an Treppen. Vermeidung von Hektik trägt zur Erhöhung der Sicherheit ebenso bei wie bedachtsames Agieren bei Arbeiten im Haushalt oder das nächtliche Tragen von rutschhemmenden Socken. Adressen der Wohnberatungsstellen finden Sie für NRW unter www.mgepa.nrw.de unter dem Suchbegriff Adressen der Wohnberatung. Sicheres Schuhwerk Wichtig sind gut sitzende Schuhe, die besonders im Fersenbereich einen guten Halt bieten. Bei Schwierigkeiten, gut sitzende Schuhe anzuziehen, kann ein verlängerter Schuhlöffel helfen. Schuhe mit Klettverschlüssen lassen sich oft leichter anziehen als geschnürte Modelle. Mit verdickter Hornhaut und Nagelproblemen lassen sich normalerweise gut passende Schuhe nur schwer anziehen. Medizinische Fußpflege kann hier eine Hilfe sein. Gehstöcke und Rollatoren sollten genutzt werden. Prüfung von Sehleistung, Vorerkrankungen und Medikamenteneinnahme Foto: ÄkNo, Susanne Legien Eine Einschränkung der Sehleistung gilt als Risikofaktor für Stürze und sturzbedingte Verletzungen. Die Überprüfung und Korrektur durch die Augenärztin/den Augenarzt wird empfohlen. Die Behandlung von Vorerkrankungen und die Überprüfung und ggf. Anpassung von sturzassoziierten Medikamenten sind hausärztliche, für jede Patientin/ jeden Patienten individuell durchzuführende Maßnahmen.

8 Prävention von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen Wie wirksam sind Interventionen? Auch wenn eine Reihe von Studien eine signifikante Reduktion der Anzahl von Stürzen zeigen konnte, ist nach vorliegenden Übersichtsarbeiten die Wirksamkeit einzelner und kombinierter Präventionsmaßnahmen noch immer unklar. In welchem Umfang Programme sturzbedingte Verletzungen, insbesondere Hüftfrakturen, vermeiden helfen, kann derzeit nicht eindeutig beurteilt werden. Es gibt allerdings gute Hinweise, dass das Training motorischer Funktionen das Sturzrisiko zu senken scheint. Zudem scheinen wohnraumbezogene Maßnahmen, wie oben beschrieben, zumindest bei Seniorinnen und Senioren mit stärkeren gesundheitlichen Einschränkungen positive Effekte zu zeigen. Für darüber hinausgehende Maßnahmen besteht aktuell weiter Forschungsbedarf. Wie lässt sich Prävention von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen umsetzen? Mögliche Orte oder Gelegenheiten, Seniorinnen und Senioren und deren Angehörige zum Thema Sturzprävention anzusprechen, sind neben der Arztpraxis Einheiten betreuten Wohnens, Seniorentreffs, Begegnungsstätten, Beratungsstellen oder auch die häusliche Umgebung. Mögliche Maßnahmen sind neben der individuellen Beratung Vorträge oder Informationsveranstaltungen für Gruppen von Senioren oder Angehörigen. Wichtig ist die vorherige Klärung, wie empfohlene Maßnahmen umgesetzt werden können, zum Beispiel wo ein qualifiziertes und nach aktuellen Standards definiertes Kraft- und Balancetraining angeboten wird. Alleinige Information ohne Aufzeigen und ggf. Initiierung von konkreten Angeboten und Ansprechpartnern ist nicht wirksam. Problematisch ist, dass ein Teil der Leistungen im Rahmen der Sturzprävention nicht regelhaft vergütet wird. Jedoch gibt es Möglichkeiten für die Ärztin/den Arzt, das Sturzrisiko im Rahmen des Hausärztlich-Geriatrischen Basisassessments zu erheben. Modelle für sturzpräventive Maßnahmen beispielsweise in Seniorenbegegnungsstätten oder in der ambulanten Pflege wurden in einigen Bundesländern initiiert. Ärztinnen und Ärzte können einen wesentlichen Beitrag zu präventiven Maßnahmen leisten, da sie regelmäßigen Kontakt zu Seniorinnen und Senioren, und ihre Empfehlungen eine hohe Bedeutung haben. Die Ärztekammer Nordrhein hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, die Prävention von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen zu unterstützen. Zu diesem Zweck werden auch Fortbildungen für Ärztinnen und Ärzte zum Thema angeboten. Dabei wird Prävention im Sinne von Gesundheitsförderung als Ansatz verstanden, der sich an der Stärkung positiver Ressourcen orientiert, als kooperative Aufgabe, die nur in Zusammenarbeit von Ärztinnen und Ärzten, Betreuenden und Pflegenden, Angehörigen und den älteren Menschen selbst wirksam werden kann. Alleinige Information ohne Auf zeigen und ggfs. Initiierung von konkreten Angeboten ist nicht wirksam.

9 Weitere Informationen zum Thema Links und Adressen Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) An der Pauluskirche 3, 50677 Köln, Fon: 0221 9318470; Fax: 0221 9318476 www.kda.de Dachverband Osteologie e. V. (DVO) DVO Büro Hellweg 92, 45276 Essen www.dv-osteologie.org Internet-Links für Professionelle www.aktivinjedemalter.de Informationen und Materialien zur Sturzprävention, zusammengestellt vom Aktiv-in-jedem-Alter-Team am Robert-Bosch-Krankenhaus, Stuttgart www.bfu.ch Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung Tipps und Unfallverhütung/Sportmotorische Testverfahren zur Einschätzung des Sturzrisikos Bundesinitiative Sturzprävention: Empfehlungspapier für das körperliche Training zur Sturzprävention bei älteren, zu Hause lebenden Menschen Download unter: http://www.dtb-online.de/portal/fileadmin/user_upload/dtb.redaktion/ Internet-PDFs/GYMWELT/AEltere/EmpfehlungspapierSturzpraevention.pdf www.profane.co Internationales Wissenschaftliches Netzwerk zur Sturzprävention http://www.safeaging.org National Resource Center on Aging and Injury, Englischsprachige Informationen zu Verletzungen älterer Menschen Online-Informationen und Broschüren für Senioren und Angehörige Auch zu Hause sicher unterwegs Hrsg.: Ärztekammer Nordrhein, 2012 www.aekno.de Bürger Gesundheitsförderung Gesundheit im Alter Länger zu Hause leben Download der Broschüre möglich unter www.bmfsfj.de Was ältere Menschen tun können, um Stürze zu vermeiden www.gesundheitsinformation.de Fit für 100 Suchfunktion mit Gruppenangeboten zum Kraft- und Balancetraining www.ff100.de Adressen der Wohnberatung in NRW: www.mgepa.nrw.de

10 Referenzen zum Broschürentext 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Balzer K, Bremer M, Schramm S, Lühmann D, Raspe H: Sturzprophylaxe bei älteren Menschen in ihrer persönlichen Wohnumgebung. Schriftenreihe Health Technology Assessment, 2012, Band 116, 1. Auflage Becker C: Ulmer Modell. 2008. http://www.aktivinjedemalter.de/cms/website. php?id=start (Abruf: 17.04.2014) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sechster Bericht zur Lage der älteren Generation, Berlin 2010 Deutsches Netz für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (Hrsg.): Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege. Schrift der Fachhochschule Osnabrück, 1. Aktualisierung 2013, www.dnqp.de Ganz DA, Bao Y, Shekelle PG et al.: Will my patient fall? Journal of the American Medical Association. 297 (2007), S. 77 86 Gillespie LD, Robertson MC, Gillespie WJ et al.: Interventions for preventing falls in older people living in the community (Review). Cochrane database of systematic reviews. Sept. 12 (2012) Nr. 9, CD007146 Icks A, Arend W, Becker C et al.: Incidence of hip fractures in Germany from 1995 to 2010. Archives of Osteoporosis. 2013; 8(1 2):140 Kruse A.: Gesund Altern. Stand der Prävention und Entwicklung ergänzender Präventionsstrategien. Schriftenreihe des BMG, Band 146, Nomos Baden Baden 2002 Leitlinien der DVO: http://www.dv-osteologie.org/uploads/leitlinie%202009/ DVO-Leitlinie%202009%20Langfassung_Druck.pdf Ohmann C et al.: A new model of comprehensive data linkage-evaluation of its application in femoral neck fracture. Zeitschrift für ärztliche Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen. 99 (2005), S. 547 554 Pientka L, Friedrich C: Die Kosten hüftgelenksnaher Frakturen in Deutschland: Eine prospektive Untersuchung. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie. 32 (1999), S. 326 332 Sherrington C, Whitney JC, Lord SR et al.: Effective exercise for the prevention of falls: a systematic review and meta-analysis. Journal of the American Geriatrics Society. 56 (2008), S. 2234 2243 Visschedijk J, Achterberg W, Van Balen R et al.: Fear of falling after hip fracture: a systematic review of measurement instruments, prevalence, interventions, and related factors. Journal of the American Geriatrics Society. 58 (2010), S. 1739 1748 Weyler E, Gandjour A: Sozio-ökonomische Bedeutung von Hüftfrakturen in Deutschland. Gesundheitswesen 69 (2007), S. 601 606

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