Die Europäische Erbrechtsverordnung Conflict Rules Rembert Süß Deutsches Notarinstitut
Bestimmung des Erbstatuts
Anknüpfung Art. 21 Abs. 1 ErbVO Gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers gesamte Rechtsnachfolge (Nachlasseinheit Auch gegenüber Drittstaaten (lex universelle) Vorbehalt 1: Offensichtlich engere Verbindung Art. 21 Abs. 2 (Ausweichlausel) Vorbehalt 2: Rechtswahl Art. 22 ErbVO
Gewöhnlicher Aufenthalt - Schlüsselbegriff - Internationale Zuständigkeit für Klagen, Art. 4 ErbVO - Objektive Bestimmung des Erbstatuts, Art. 21 ErbVO - Erbvertrag und Testament, Art. 24, 25 ErbVO - Internationale Zuständigkeit für Nachlasszeugnis, Art. 64 ErbVO
Grundlage für Auslegung Keine Definition im EU-Verordnungsrecht Da EG-Recht für die Ermittlung des Sinnes und der Bedeutung des Begriffs nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, ist auf den Kontext der Vorschriften der Verordnung und auf deren Ziel abzustellen (EuGH 22.12.2010 Mercredi)
Begriff in der ErbRVO Erwägungsgrund 23 Bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts sollte die mit der Erbsache befasste Behörde eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vornehmen und dabei alle relevanten Tatsachen berücksichtigen, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Der so bestimmte gewöhnliche Aufenthalt sollte unter Berücksichtigung der spezifischen Ziele dieser Verordnung eine besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen.
Diplomaten, Expats Gewöhnlicher Aufenthalt im Gaststaat trotz fehlender Integration? EuGH (A) Dass sich die Kinder in einem Mitgliedstaat aufhalten, in dem sie während eines kurzen Zeitraums ein Wanderleben führen, kann dagegen ein Indiz dafür sein, dass sich der gewöhnliche Aufenthalt dieser Kinder nicht in diesem Staat befindet Dauernder Aufenthalt muss nicht gewöhnlich sein Problem: gewöhnlicher Aufenthalt im Heimatstaat ohne physical presence? Erwägungsgrund 24: Wohl Entsendungsstaat
Mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt Mallorca-Rentner Grenzgänger: Niederländische Staatsangehörige erwerben aus Kostengründen ein Haus in Deutschland. Die Eltern arbeiten in den Niederlanden. Dort gehen die Kinder auch in die Schule. Geteilter Lebensmittelpunkt? Erwägungsgrund 24 S. 2: Staatsangehörigkeit, Belegenheit von Vermögen, Ursprungsstaat
Ausweichklausel Art. 21 Abs. 2 Ergibt sich ausnahmsweise aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem Staat hatte, dessen Recht nach Absatz 1 anzuwenden wäre, so ist auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht dieses anderen Staates anzuwenden. - Kurzfristig erfolgter Umzug - Umgehungsfälle - Grenzgänger
Ausweichklausel Der in England lebende Erblasser wird dement. Seine Kinder holen ihn daher nach Finnland in ein Pflegeheim, um näher bei ihm zu sein. Nach vier Jahren stirbt er. Engere Verbindung nach England (Burandt) Problem, ob die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts willensgerichtet sein muss. Wohl anders, als beim Wohnsitz. Demenz erschwert aber Integration. Daher erheblicher Zeitfaktor erforderlich, um den gewöhnlichen Aufenthalt in England zu löschen
Die Rechtswahl
Ohio-Fall Ein US-amerikanischer Ehemann aus Ohio und seine deutsche Ehefrau leben in Schwerin. Er hat Kinder aus erster Ehe. Sie wollen sich gegenseitig durch zu Erben einsetzen. Schlusserben sollen beider Kinder zu gleichen Teilen werden.
Große Rechtswahl Deutsches Recht gilt gem. Art. 21 Pflichtteilsansprüche der Kinder gem. 2303 ff. BGB Ohio-Recht: Keine Pflichtteile für erwachsene Kinder Ehemann kann also durch Wahl Ohio-Rechts Pflichtteilsbelastung der Ehefrau vermeiden
Art. 24 Abs. 1: Kleine Rechtswahl Die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen mit Ausnahme eines Erbvertrags unterliegen dem Recht, das nach dieser Verordnung auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden wäre, wenn die Person, die die Verfügung errichtet hat, zu diesem Zeitpunkt verstorben wäre. Parallel: Art. 25 Abs. 1 für Erbvertrag Beachtlichkeit der Rechtswahl Art. 22 für gemeinschaftliches Testament / Erbvertrag? Ja: Dutta; Dörner; Hohloch. Nein: Döbereiner
Erbverträge
Typen von Erbverträgen Erbvertrag nach deutschem Recht: 2291 BGB: Eine vertragsmäßige Verfügung, durch die ein Vermächtnis oder eine Auflage angeordnet sowie eine Rechtswahl getroffen ist, kann von dem Erblasser durch Testament aufgehoben werden. Zur Wirksam- keit der Aufhebung ist die Zustimmung des anderen Vertragschließenden erforderlich. Institution contractuelle nach französischem Recht Erbvertrag nach katalanischem Recht Contract to not to revoke nach englischem Recht
Einseitiger Erbvertrag Die Zulässigkeit, die materielle Wirksamkeit und die Bindungswirkungen eines Erbvertrags, einschließlich der Voraussetzungen für seine Auflösung Kaskadenanknüpfung: 1. Das Heimatrecht des Erblassers, das die Parteien des Erbvertrages für die Zulässigkeit, die materielle Wirksamkeit und die Bindungswirkungen eines Erbvertrags, einschließlich der Voraussetzungen für seine Auflösung gewählt haben, Art. 25 Abs. 3, Art. 22 ErbVO («kleine Rechtswahl») 2. Das Heimatrecht des Erblassers, das dieser am Tag des Abschlusses oder davor für seine Erbfolge gewählt hatte, Art. 25 Abs. 1, Art. 22 ErbVO («Große Rechtswahl») 3. Das Recht des Staates, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt des Abschlusses seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, Art. 25 Abs.1, Art. 21 Abs. 1 ErbVO
Form des Erbvertrags Haager Testamentsformabkommen gilt nicht für Erbverträge Art. 27 Abs. 1 ErbVO: alle «Schriftlichen Verfügungen von Todes wegen» Persönlicher Anknüpfungsfaktor nur bei verfügender Partei
Mehrseitiger Erbvertrag Objektive Anknüpfung 1. Zulässigkeit Art. 25 Abs. 2 ErbVO: kumulative Anknüpfung Wirksame Wahl des Heimatrechts für die Erbfolge vor oder bei Vertragsschluss, Art. 22 ErbVO Gewöhnlicher Aufenthalt bei Vertragsschluss, Art. 21 ErbVO 2. Materielle Wirksamkeit und die Bindungswirkungen, einschließlich der Voraussetzungen für seine Auflösung unterliegen demjenigen dieser Rechte, zu dem er die engsten Verbindung hat dépeçage zwischen Zulässigkeit und Wirkungen 3. Maßgeblich ist Zeitpunkt des Abschlusses
Mehrseitiger Erbvertrag Subjektive Anknüpfung Rechtswahl, Art. 25 Abs. 3 ErbVO: Das Heimatrecht, das eine einzige der Personen, deren Nachlass betroffen ist, gem. Art. 22 hätte wählen können Zulässigkeit, die materielle Wirksamkeit und die Bindungswirkungen eines Erbvertrags, einschließlich der Voraussetzungen für seine Auflösung (Recevabilité, validité au fond, effets contraignants, conditions de dissolution) Keine dépeçage zwischen Zulässigkeit und Wirkungen Aber Vorbehalt für die Pflichtteile (vgl. Art. 18 Abs. 4 des Vorschlags von 2009)
Mehrseitiger Erbvertrag: Form Art. 27 Abs. 1 Alternative Anknüpfungpunkte Alternativität der Bezugsperson bei personenbezogenen Anknüpfungen Alternativität von Errichtungs- und Todeszeitpunkt Form-Unnichtige Erbverträge
Dutch Double Dip Ein niederländischer Ehemann und seine deutsche Ehefrau leben in Jülich. Er hat Kinder aus erster Ehe. Sie wollen sich gegenseitig durch zu Erben einsetzen. Schlusserben sollen beider Kinder zu gleichen Teilen werden.
Dutch Double Dip Niederländisches Recht kennt keinen Erbvertrag Aber Besonderes Erbrecht des überlebenden Ehegatten Deutsches Recht kennt Erbvertrag Aber Pflichteile der Kinder aus 1. Ehe Wahl niederländischen Pflichtteilsrechts, Art. 22 Abs. 1 EUErbVO Wahl deutschen Erbvertragsstatuts, Art. 25 Abs. 3 EUErbVO
Dutch Double Dip II Fallvariante: Beide Eheleute sind niederländische Staatsangehörige: Nach Art. 25 Abs. 1, 21 Abs. 1 wäre Erbvertrag ohne Rechtswahl zulässig und bindend Wahl nl. Rechts nach Art. 22 Abs. 1 präjudiziert auch das Errichtungsstatut, Art. 25 Abs. 1 Teilrechtswahl nach Art. 25 Abs. 3 scheidet aus, da keine deutsche Staatsangehörigkeit
Dutch Double Dip II Sicher: 2-Stufenlösung: Erbvertrag ohne Rechtswahl deutsches Aufenthaltsrecht als Errichtungsstatut Anschließend Erbvertrag mit Rechtswahl 1-Stufen-Lösung mit Widerruf am Urkundsende? Einheitliches Wirksamwerden mit Unterschrift
Sonderfälle
Rechtsspaltung Eine Niederländische Staatsangehörige zieht mit ihrem Freund nach Formentera. Dort eröffnen beide eine Surf-Schule. Welches Erbrecht gilt? Art. 21 EuErbVO: gewöhnlicher Aufenthalt in Spanien Auf Formentera gilt Foralrecht
Spanisches Foralrecht Art. 36 Abs. 1 EuErbVO: Einheitliche Interlokales Privatrecht in Spanien? Anknüpfung an die vecindad civil vecindad civil gilt aber nur für spanische Staatsangehörige Lösung 1: Mangels vecindad civil gilt Gemeinspanisches Recht: Codigo Civil Lösung 2: mangels Lösung im spanischen interlokalen Privatrecht gilt Art. 36 Abs. 2 lit a EuErbVO: Gewöhnlicher Aufenthalt in Formentera
Renvoi Eine Deutsche lebt mit ihrem thailändischen Ehemann gemeinsam in Osaka, wo beide in einem Elektronikunternehmen arbeiten. Sie hat ein Mietshaus in Bonn geerbt. Dies soll zunächst auf den Ehemann übergehen, und nach dessen Tod auf die Geschwister der Ehefrau. Können beide Eheleute nach deutschem Recht verfügen?
Renvoi Art. 21 Abs. 1 verweist auf japanisches Recht Art. 36 japan. Rechtsanwendungsgesetz: Für die Erbfolge gilt das Heimatrecht Renvoi auf Recht eines Mitgliedstaates gem. Art. 34 Abs. 1 lit. a zu beachten Gem. Art. 21 japan. RAG Kollisionsrechtsverweisung Renvoi Simple oder Double Renvoi? Ziel ist der Entscheidungseinklang Literatur überwiegend für Abbruch der Verweisung im EU-Mitgliedstaat
Erbfolge nach dem thailändischen Ehemann Für Ehemann verweist Art. 21 auf japanisches Recht (Drittstaat) Weiterverweisung auf das thailändische Recht (2. Drittstaat) Thailändisches IPR verweist für Grundstück auf lex situs Art. 34 Abs. 1 lit. b EuErbVO: Weiterer Drittstaat (Thailand) nimmt die Verweisung nicht an Aber: Mittelbare Rückverweisung gem. Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO.
Weitverweisung Deutschland Japan Thailand