In eigener Sache Einladung zur Demografie-Lecture des Berlin-Instituts mit dem Leiter der Pisa- Studien Prof. Dr. Andreas Schleicher weiterlesen

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Transkript:

Schillerstr. 59-10627 Berlin Tel. 030 22 32 48 45 info@berlin-institut.org www.berlin-institut.org Ausgabe 141, 18.09.2012 Der Newsletter DEMOS informiert über demografische Veränderungen und deren Auswirkungen auf Politik, Entwicklung, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Abdruck von Artikeln und Grafiken ist honorarfrei. Um die Übersendung eines Belegexemplars wird gebeten. In dieser Ausgabe Neue Wege in der Daseinsvorsorge Das Berlin-Institut hat im Auftrag der Regionalplanungsgemeinschaft Anhalt- Bitterfeld-Wittenberg Vorschläge erarbeitet, wie Nahversorgung in kleineren, peripheren Orten gestaltet und verschiedene Dienstleistungen dezentral angeboten werden können weiterlesen Zwischen Genf und Zürich wird es eng In der Schweiz prosperiert die Wirtschaft, zugewanderte Arbeitskräfte haben die Bevölkerung des Alpenlandes auf acht Millionen anwachsen lassen allmählich machen sich aber auch negative Folgen des Booms bemerkbar weiterlesen In eigener Sache Einladung zur Demografie-Lecture des Berlin-Instituts mit dem Leiter der Pisa- Studien Prof. Dr. Andreas Schleicher weiterlesen Neue Wege in der Daseinsvorsorge Das Berlin-Institut hat im Auftrag der Regionalplanungsgemeinschaft Anhalt- Bitterfeld-Wittenberg Vorschläge erarbeitet, wie Nahversorgung in kleineren, peripheren Orten gestaltet und verschiedene Dienstleistungen dezentral angeboten werden können Sachsen-Anhalt gehört zu den Vorreitern des bundesweiten demografischen Wandels. Schon seit Anfang der 1990er Jahre sinken hier die Einwohnerzahlen. Heute leben in dem Bundesland rund 19 Prozent weniger Menschen als noch kurz nach der Wiedervereinigung. Besonders stark betroffen vom Bevölkerungsrückgang ist das östliche Sachsen-Anhalt. Im Auftrag der Regionalplanungsgemeinschaft Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg hat das Berlin-Institut Vorschläge erarbeitet, wie künftig die Versorgung der Bewohner in den schrumpfenden ländlichen Räumen der Städte Dessau-Roßlau, Wittenberg, Bitterfeld-Wolfen und Köthen gesichert werden kann. Bevölkerungsentwicklung in Sachsen-Anhalt Veränderung der Einwohnerzahlen in Deutschland, Sachsen-Anhalt, Dessau-Roßlau, Wittenberg und Anhalt-Bitterfeld zwischen 2000 und 2010, 2000 = 100 Prozent

Während die Bevölkerung Deutschlands im Jahr 2010 lediglich ein halbes Prozent unter dem Wert von 2000 lag, hat Sachsen-Anhalt im gleichen Zeitraum elf Prozent seiner Einwohner verloren. In Dessau-Roßlau, Anhalt-Bitterfeld und Wittenberg fiel der Bevölkerungsrückgang mit 13 bis 15 Prozent überdurchschnittlich aus. (Datengrundlage: Statistisches Bundesamt) Alle vier betrachteten Städte leiden unter starkem Bevölkerungsrückgang, und eine Trendwende ist nicht in Sicht. Bis 2030 haben die Städte nicht nur einen weiteren Bevölkerungsschwund von 20 bis 30 Prozent zu verkraften, sie werden sich auch auf eine rasante Alterung ihrer Bevölkerungen einstellen müssen. Schon heute sind die Einwohner im Schnitt deutlich älter als die deutsche Bevölkerung. Und bis 2030 wird hier mehr als jeder dritte Einwohner älter als 64 Jahre sein. Daseinsvorsorge in Zeiten schwindender und alternder Bevölkerung Mit den rückläufigen Einwohnerzahlen sinkt die Nachfrage nach Dienstleistungen oder Gütern des täglichen Bedarfs. Wird in kleineren Orten eine gewisse Einwohnerzahl unterschritten, reicht die verbleibende Nachfrage oft nicht mehr aus, um einen Lebensmittelladen oder den öffentlichen Nahverkehr zu finanzieren. Das daraus resultierende Wegbrechen von Infrastrukturen und Angeboten hinterlässt fast immer Leerstände und Versorgungsprobleme. Betroffenen Ortsteilen fällt es zunehmend schwerer, den Verbleibenden ein attraktives Lebensumfeld mit Einkaufsmöglichkeiten, Gesundheitsversorgung, Personennahverkehr, Betreuungsangeboten für alte Menschen und Kinder, sowie Bildungs- und Kulturangeboten zu bieten. Und mit den Dienstleistungen und Angeboten verschwinden auch die sozialen Treffpunkte aus den Ortsteilen. Letztere laufen Gefahr, zu reinen Wohnstandorten ohne soziale Einbindung zu verkommen. Die betrachteten Städte werden künftig neue Wege gehen müssen, damit sich die Versorgungslage und die Attraktivität ihrer ländlichen Ortsteile nicht weiter verschlechtert. Doch mit innovativen Ansätzen lassen sich Leistungen auch in entlegenen und einwohnerarmen Ortschaften zu tragbaren Kosten anbieten. So beispielsweise ehrenamtliche Fahrdienste es

ermöglichen, zentrale Einrichtungen besser zu erreichen; moderne Telekommunikationsmittel können eingesetzt werden, um Bewohnerinnen und Bewohnern einen Zugang zu Versorgungsleistungen zu bieten; und häufig ist es möglich, dass nicht der Bürger zur Dienstleistung kommt, sondern die Dienstleistung zum Bürger, wie es etwa im Rahmen mobiler Bürgerbüros, Bibliotheken und Arztpraxen geschieht. Das mobile Bürgerbüro der Stadt Wittenberg Schrumpfende Einwohnerzahlen und zahlreiche Eingemeindungen haben in Wittenberg dazu geführt, dass die Stadt Verwaltungsleistungen immer weiter zentralisierte. Sie schloss etwa die fünf vollausgestatteten Bürgerbüros, die sie durch die eingemeindeten Ortsteile hinzugewonnen hatte. Um den Verlust für die Bewohner abzufedern, führte sie das mobile Bürgerbüro ein. Dieses fährt einmal in der Woche oder im Monat entlegene Ortsteile an und stellt den Bewohnern umfangreiche Verwaltungsdienstleistungen zur Verfügung. In dem mobilen Büro können die Anwohner etwa einen Pass beantragen, sich an-, ab- und ummelden oder Müllmarken kaufen. Das Berlin-Institut hat im Rahmen der Studie untersucht, wie effizient das mobile Bürgerbüro in den Ortsteilen arbeitet. Dazu stellte es die Art und die Zahl der erbrachten Leistungen den entstandenen Kosten gegenüber. Zudem ermittelte es mit Hilfe von Befragungen, wie das Angebot von den Bewohnern wahrgenommen wird. Ein Ergebnis der Untersuchung ist, dass viele Bewohner das mobile Bürgerbüro zwar gut bewerten, es aber relativ wenig nutzen. Um die Auslastung künftig zu erhöhen, hat das Berlin-Institut eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen erarbeitet, beispielweise wie Kooperationen mit dem Landkreis oder dem Landesverwaltungsamt das Angebot des mobilen Bürgerbüros erweitern können. Hierbei thematisiert die Studie auch, welche rechtlichen Hürden bei den verschiedenen Lösungsansätzen zu beachten sind. Zusätzlich prüfte das Berlin-Institut, ob eine Übertragung des mobilen Bürgerbüros auf Köthen, Dessau-Roßlau und Bitterfeld-Wolfen sinnvoll ist. Für die Städte Köthen und Dessau-Roßlau ist dies aufgrund ihrer Siedlungsstruktur der Fall, in Bitterfeld-Wolfen hingegen erscheint ein mobiles Bürgerbüro nicht unmittelbar erforderlich zu sein. Für die praktische Umsetzung des Bürgerbüros hat das Berlin-Institut einen Leitfaden entwickelt. Von der Scheune bis zum Wasserturm kommunale Gebäude in ländlichen Ortsteilen Infolge der Zentralisierungen haben viele kommunale Gebäude in ländlichen Ortsteilen ihre frühere Funktion verloren. Schulen wurden geschlossen, ehemalige Rathäuser stehen leer. Es stellt sich daher die Frage, wie diese Gebäude zukünftig genutzt werden können. Begehungen von insgesamt zwölf kommunalen Gebäuden in den betrachteten Ortsteilen darunter ehemalige Schulen und Rathäuser, aber auch eine Scheune und ein Wasserturm haben gezeigt, dass alle diese Gebäude inzwischen als Gemeindehäuser genutzt werden. Die Intensität der Benutzung unterschied sich zum Teil allerdings erheblich. Ein Haus, viele Funktionen

Ein Vorbild für Gemeindehäuser könnten sogenannte Coworking Spaces sein. Diese entstehen zurzeit in vielen deutschen Städten und Gemeinden. Hierbei steht unterschiedlichen Berufsgruppen Arbeitsraum zur Verfügung, der zeitlich versetzt von diesen genutzt werden kann. Wie also können Gemeindehäuser effizient genutzt werden und zu einer verbesserten Versorgung der Bewohner und Bewohnerinnen beitragen? Dies verdeutlicht das Berlin- Institut anhand eines Modells. Treibende Kraft für die Aufwertung der Gemeindehäuser sollten demnach die Bewohner selbst sein, indem sie durch gemeinschaftliches Engagement viele Leistungen und Angebote in die Ortsteile zurückholen. Neben täglichen Angeboten wie einem bürgerschaftlich betriebenen Dorfladen oder einer Café-Ecke können auch zeitlich begrenzt Leistungen angeboten werden etwa, wenn ein Arzt oder Friseur einige Stunden pro Woche ins Gemeindehaus kommt. Je mehr Aktivitäten dabei unter einem Dach gebündelt werden, desto eher werden die Gemeindehäuser zu einem täglichen Treffpunkt und können den Ortsteilen wieder einen sozialen Mittelpunkt geben. Doch wie können Städte darauf hinwirken, dass die Einwohner der Ortsteile ihr eigenes Gemeindehaus mitgestalten? Um das Engagement der Bürger in bisher wenig aktiven Ortsteilen zu fördern, könnten die Städte einen Ortsteilbetreuer einsetzen. Der Ortsteilbetreuer kann die Bewohner sowie die Ortsteilbürgermeister und Ortschaftsräte über

erfolgreiche Projekte und Konzepte anderer Regionen informieren, Kontakte zu öffentlichen und privaten Institutionen vermitteln und den Bürgern als Mentor bei der Projektarbeit zur Seite stehen. Als direkter Ansprechpartner bei der städtischen Verwaltung und als Bindeglied zwischen den Ortsteilen könnte der Ortsteilbetreuer die Angebote und Ideen unterschiedlicher Ortsteile koordinieren. Zwischen Genf und Zürich wird es eng In der Schweiz prosperiert die Wirtschaft, zugewanderte Arbeitskräfte haben die Bevölkerung des Alpenlandes auf acht Millionen anwachsen lassen allmählich machen sich aber auch negative Folgen des Booms bemerkbar Deutschland hat seit 2003 rund 700.000 Einwohner verloren. Und der Trend hält an, auch wenn die Statistiker zwischenzeitlich einen Anstieg der Bevölkerungszahl im Zehntelprozentbereich vermelden konnten. Den Prognosen des Statistischen Bundesamtes zufolge dürfte die Bevölkerung Deutschlands bis zum Jahre 2050 um zwölf Millionen schrumpfen. Die Zuwanderung vermag den Schwund bei weitem nicht auszugleichen. Ganz anders verläuft die Entwicklung im südlichen Nachbarland: Die Schweiz ist mit einer zusammengefassten Geburtenziffer von 1,54 Kindern je Frau zwar nicht viel geburtenstärker als Deutschland mit 1,39 (2010). Weil sie aber mit ihrer prosperierenden Wirtschaft anhaltend ausländische Arbeitskräfte anzieht, verzeichnet sie ein erhebliches Bevölkerungswachstum so ausgeprägt, dass sich manche Beobachter schon fragen, ob es nicht allmählich eng werden könnte zwischen Boden- und Genfer See. Diesen Sommer hat die Einwohnerzahl der Schweiz die Acht-Millionen-Grenze überschritten. Seit gut einem Jahrzehnt gewinnt das Land im Mittel jährlich etwa 56.000 Einwohner dazu. Dabei überwiegt der positive Wanderungssaldo den noch immer bestehenden Geburtenüberschuss deutlich. Wenn Deutschland relativ zu seiner Bevölkerung genau so viele Zuwanderer anziehen würde wie die Schweiz, ergäbe das eine Nettozuwanderung von mehr als 600.000 Personen pro Jahr. Das schweizerische Bundesamt für Statistik hat im Jahr 2010 Szenarien berechnet, nach denen die ständige Wohnbevölkerung bis 2050 auf knapp neun oder sogar über zehn Millionen Menschen ansteigen könnte. Anhaltendes Wachstum dank ausländischer Arbeitskräfte Veränderung der Einwohnerzahl Deutschlands (bis 1990 der Bundesrepublik und der DDR) und der Schweiz von 1960 bis 2011 in Prozent, 1960 = 100 Prozent

Während Deutschlands Bevölkerung seit den 1960er Jahren vergleichsweise wenig zunahm und seit 2003 schrumpft, verzeichnet die Schweiz durch anhaltende Zuwanderung nach wie vor starken Zuwachs. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Schweiz noch ein Auswanderungsland. Inzwischen beträgt der Anteil der Ausländer an der Bevölkerung 22,4 Prozent, das ist europaweit der höchste Wert. (Datengrundlage: Eurostat, Statistik Schweiz) Schon heute konzentrieren sich zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung auf knapp einem Drittel der gesamten Landesfläche, im so genannten Mittelland, das sich zwischen dem Höhenzug des Jura im Nordwesten und der Gebirgskette der Alpen hinzieht und die Wirtschaftszentren Genf, Basel und Zürich einschließt. Dorthin zog es Menschen im erwerbsfähigen Alter schon immer, die Bewohner der Bergtäler während der Industrialisierung, seit den 1950er Jahren die so genannten "Gastarbeiter" aus südlichen Ländern. Vor allem aber strömen seit 2002, als die Personenfreizügigkeit zwischen der EU und dem Nichtmitglied Schweiz in Kraft trat, viele gut qualifizierte Arbeitskräfte herbei, bislang vorwiegend aus den umliegenden Nachbarländern. Die Zuwanderer brauchen in der mehrsprachigen Schweiz meist keine fremde Sprache zu lernen, sie finden hier politische Stabilität und einen Arbeitsmarkt mit anhaltend hoher Nachfrage. Die Schweiz hat davon profitiert: So konnte sie die Zahl der Erwerbstätigen von 2000 bis 2010 um zehn Prozent erhöhen, mithin die Renten noch für eine Weile sichern und die Alterung der Gesellschaft hinauszögern. Sie konnte ihr Bruttoinlandprodukt in dem Zeitraum fast durchgängig steigern und sich damit bislang weitgehend aus der Krise heraushalten. Allerdings rücken jetzt auch unangenehmere Folgen dieses Wachstums ins Blickfeld: Weil Wohnraum in den Zentren knapp und teuer ist, pendeln viele Arbeitnehmer aus der Agglomeration oder ländlicheren Regionen ein. Das bringt Straßen und Schienenverkehr an die Grenzen der Belastung. Überfüllte Züge und Staus mehren sich. Durch die anhaltende Nachfrage nach Wohnraum wird das Mittelland zusehends zersiedelt, Naturund Erholungsräume schwinden. So dürfte zwischen der Stadt Genf und dem Touristenziel Montreux bis 2040 ein durchgehend bebautes "Los Angeles am Genfer See" entstehen, wie die Denkfabrik "Avenir Suisse" (Zukunft Schweiz) auf der Basis heutiger Daten errechnen ließ. Hinzu kommt die Angst mancher Einheimischer vor "Überfremdung".

"Wie soll das bloß mit zehn Millionen funktionieren?", fragte kürzlich das rechtskonservative Magazin "Die Weltwoche". Der Artikel kreiste vor allem um verschiedene Initiativen mit dem Ziel, die Einwanderung zu begrenzen. Deren Erfolg hält sich jedoch in Grenzen, weil die Schweiz die "Neue Zuwanderung" nicht einschränken kann ohne die so genannten "Bilateralen Abkommen" mit der EU insgesamt zu gefährden. Auch Avenir Suisse stellt fest, die Kosten-Nutzen-Bilanz der Neuen Zuwanderung verschlechtere sich. Für Daniel Müller- Jentsch, Projektleiter bei Avenir Suisse, ist jedoch nun die Politik gefordert, "die negativen Begleiterscheinungen durch entsprechende Reformen zu minimieren". Demnach muss es die Schweiz erstens schaffen, die Übernachfrage nach öffentlichem Verkehr zu drosseln, indem sie Subventionsgelder in den Kapazitätsausbau umleitet. Zweitens müssen griffige Gesetze her, die der weiteren Zersiedlung Einhalt gebieten. Mit anderen Worten: Das Pendeln wird teurer. Das Häuslebauen im Grünen wird unattraktiver. Und die Bewohner der Städte müssen zusammenrücken. Als dritte Maßnahme schlägt Avenir Suisse vor, "den Zuwanderungsdruck zu reduzieren". Allerdings stünden dem liberalen Staat nur sehr begrenzte Instrumente dafür zur Verfügung, die er nutzen müsse, etwa eine Beschleunigung der Asylverfahren oder die Einschränkung des Familiennachzugs. Viertens schließlich soll der Staat künftig kein aktives Standortmarketing mehr betreiben und keine zusätzlichen ausländischen Firmen durch Steuergeschenke anlocken: "Die Schweiz ist attraktiv genug, sie braucht über die guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hinaus kein zusätzliches 'Standortdoping'". Links/Literatur Avenir Suisse (2012). Die 8-, 9-, 10-Millionen-Schweiz. Zürich. Statistik Schweiz (2012). Online-Datenbank. Neuchâtel. Statistik Schweiz (2012). Acht Millionen Einwohnerinnen und Einwohner in der Schweiz. Medienmitteilung Nr. 0350-1208-00. Neuchâtel. In eigener Sache Einladung zur Demografie-Lecture des Berlin-Instituts mit dem Leiter der Pisa- Studien Prof. Dr. Andreas Schleicher In einer vernetzten und globalisierten Welt, in der Information nahezu unbegrenzt verfügbar ist, kommt es mehr denn je darauf an, Wissen einzuordnen und wertschöpfend anzuwenden. Der demografische Wandel verschärft die Notwendigkeit von Bildung noch. Ohne eine bessere Bildung der heute zu gering Qualifizierten und ohne eine Weiterbildung, die eine längere Erwerbsphase überhaupt erst ermöglicht, hat Deutschland im Wettbewerb mit den jungen, aufstrebenden Nationen der Welt wenig Chancen, seinen Wohlstand zu halten. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung lädt ein zur Demografie-Lecture mit dem Leiter der Pisa-Studien bei der OECD Prof. Dr. Andreas Schleicher Dienstag, 25. September 2012 18:30 bis 20:00 Uhr (Einlass ab 18:00 Uhr) Programm: Begrüßung Dr. Reiner Klingholz

Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung Lecture Prof. Dr. Andreas Schleicher Ein Leben lang lernen. Warum wir unser Bildungskonzept neu denken müssen Diskussion Prof. Dr. Andreas Schleicher diskutiert mit Prof. Dr. Wolfgang Lutz Gründungsdirektor, Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital (IISA, VID, WU) Moderiert von Dr. Reiner Klingholz Imbiss Veranstaltungsort: Bosch Repräsentanz Bismarckstraße 71 10627 Berlin Die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius fördert die diesjährige BI-Lecture. Aufgrund der begrenzten Anzahl an verfügbaren Plätzen bitten wir unbedingt um vorherige Anmeldung per E-Mail: veranstaltungen@berlin-institut.org Hinweis in eigener Sache: Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist eine Stiftung mit dem Zweck, Forschung zu demografischen Veränderungen zu betreiben und das öffentliche Wissen über gesellschaftliche Prozesse zu verbessern. Das unabhängige Berlin-Institut erhält für seine Arbeit keinerlei öffentliche Förderung. Spenden und Zustiftungen ermöglichen die erfolgreiche Arbeit des Instituts. Bankverbindung: Bankhaus Hallbaum BLZ 250 601 80 Konto 20 28 64 07 BLZ 250 601 80 Konto 20 28 64 07 Online spenden per Lastschriftverfahren Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an: Dr. Reiner Klingholz E-Mail: reiner.klingholz@berlin-institut.org Telefon: 030-22 32 48 45 Impressum:

Der Newsletter DEMOS wird herausgegeben vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Für die Redaktion sind Dr. Reiner Klingholz und Stephan Sievert verantwortlich. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an: Stephan Sievert E-Mail: stephan.sievert@berlin-institut.org Telefon: 030-31 10 26 98