Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt

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Transkript:

Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt An den Grossen Rat 10.5294.02 WSU/P105294 Basel, 2. März 2011 Regierungsratsbeschluss vom 1. März 2011 Motion Franziska Reinhard und Konsorten betreffend Schutz von Kinderlärm "Kinder dürfen laut sein" Der Grosse Rat hat an seiner Sitzung vom 16. Dezember 2011 die nachstehende Motion Franziska Reinhard und Konsorten dem Regierungsrat zur Stellungnahme unterbreitet: Damit sich Kinder gut entfalten und entwickeln können ist es wichtig, dass sie sich frei bewegen und herumtollen können. Dazu gehört auch, dass sie singen, tanzen, springen, lachen und herumrennen. "Kinderlärm" - ob auf Spielplätzen, in der Wohnung oder im Tagesheim - gehört zur kindlichen Entfaltung und Entwicklung und ist "sozialadäquat" und "zumutbar". Kinder, die in einem städtischen Umfeld gesund aufwachsen sollen, können das nicht geräuschlos tun. Geräusche von Kindern müssen deren Privileg sein und sollen deshalb juristisch geschützt werden. Selbst störende Geräusche von Kindern müssten demnach von Nachbarn grundsätzlich als zumutbar hingenommen werden, wenn sie der kindlichen Entfaltung und kindgerechten Entwicklungsmöglichkeiten dienen. Kinder müssten aber auch lernen, auf die Bedürfnisse ihres Umfeldes Rücksicht zu nehmen. Kinderlärm ist künftig so zu behandeln, dass er keinen Anlass zu Klagen mehr geben kann. Denn auch das Bundesgericht hat Anfang Oktober 2010 eine Beschwerde von Anwohnern einer Kindertagesstätte abgewiesen. Die Unterzeichnenden beauftragen den Regierungsrat, dem Grossen Rat die nötigen gesetzlichen Änderungen vorzuschlagen, damit künftig Kinderlärm als Geräusch gesetzlich geschützt ist. Franziska Reinhard, Tanja Soland, Brigitta Gerber, Daniel Goepfert, Esther Weber Lehner, Stephan Luethi-Brüderlin, Ruth Widmer, Dominique König-Lüdin, Doris Gysin, Christine Keller, Martina Bernasconi, Helen Schai-Zigerlig, Maria Berger-Coenen, Heidi Mück, Sabine Suter, Loretta Müller, Mustafa Atici Den Mitgliedern des Grossen Rates des Kantons Basel-Stadt zugestellt am 4. März 2011.

Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt Seite 2 Wir nehmen zu dieser Motion Stellung wie folgt: 1. Zur rechtlichen Zulässigkeit der Motion 1.1 Einführung Das Gesetz über die Geschäftsordnung des Grossen Rates vom 29. Juni 2006 (GO, SG 152.100) bestimmt in 42 Abs. 1 und 2 über die Motion Folgendes: 42. In der Form einer Motion kann jedes Mitglied des Grossen Rates oder eine ständige Kommission den Antrag stellen, es sei der Regierungsrat zu verpflichten, dem Grossen Rat eine Vorlage zur Änderung der Verfassung oder zur Änderung eines bestehenden oder zum Erlass eines neuen Gesetzes oder eines Grossratsbeschlusses zu unterbreiten. 2 Motionen können sich nicht auf den ausschliesslichen Zuständigkeitsbereich des Regierungsrates oder den an ihn delegierten Rechtssetzungsbereich beziehen. Mit der vorliegenden Motion soll der Regierungsrat verpflichtet werden, die notwendigen gesetzlichen Änderungen vorzuschlagen, damit Kinderlärm als Geräusch künftig gesetzlich geschützt ist. Den Motionärinnen und Motionären zufolge sollen von Kindern verursachte Geräusche - ob in Wohnungen, auf Spielplätzen oder in Tagesheimen sozialadäquat und zumutbar sein. Kinderlärm ist künftig so zu behandeln, dass er zu keinen Klagen berechtigt. Dabei berufen sich die Motionärinnen und Motionäre auf ein anfangs Oktober (recte: anfangs September) 2010 ergangenes Urteil des Bundesgerichts, gemäss welchem die Anwohner einer Kindertagesstätte mit ihrer Beschwerde unterlegen seien. Das Bundesgericht hatte die Klage von Anwohnern gegen die nachträglich erteilte Baubewilligung zur Umnutzung zweier ehemaliger Personalhäuser des Aargauer Kantonsspitals in einer Wohnzone zu Kindertagesstätten zu beurteilen. 1.2 Öffentlich-rechtliche Grundlagen zum Thema Lärm Aufgrund der subsidiären Generalklausel zugunsten der kantonalen Kompetenz sind die Kantone für diejenigen Aufgaben zuständig, welche die Bundesverfassung nicht dem Bund zuweist (Art. 3, 42 Abs. 1 und 43 BV). Damit kann der Kanton nicht nur bestimmen, welche Aufgaben er im Rahmen seiner Zuständigkeit erfüllt, sondern auch, wie er dies tun will (RAI- NER J. SCHWEIZER, in: EHRENZELLER et al. [Hrsg.], Kommentar zu Art. 43 BV, N 6). Gemäss Art. 74 Abs. 1 BV erlässt der Bund Vorschriften über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen. Dieser Verpflichtung ist der Bund mit dem Erlass des Umweltschutzgesetzes (USG; SR 814.01) sowie der darauf gestützten Lärmschutz-Verordnung (LSV; SR 814.41) nachgekommen. Die Kantone sind gemäss Art. 74 Abs. 2 BV sowie Art. 36 USG und Art. 45 Abs. 1 LSV grundsätzlich für den Vollzug der Umweltschutzgesetzgebung zuständig. Dennoch kommen den Kantonen nebst den Vollzugsaufgaben auch gewisse eigenständige Rechtsetzungskompetenzen zu, soweit das USG regelungsbedürftige Vorgänge nicht erfasst (vgl. B. WAGNER PFEIFER, Umweltrecht I, 2. Auflage, Zürich 2002, S. 29).

Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt Seite 3 Das Umweltschutzgesetz des Bundes bezweckt unter anderem, Menschen vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen zu schützen (Art. 1 Abs. 1 USG), worunter gemäss Art. 7 Abs. 1 USG auch Lärm zu verstehen ist. Die Lärmschutz-Verordnung soll gemäss Art. 1 Abs. 1 LSV vor schädlichem und lästigem Lärm schützen. Als Lärm gelten nicht nur künstliche oder technische, sondern auch natürliche Geräusche. Insbesondere zählen hierzu der Verhaltenslärm und der Alltagslärm, das heisst, der durch Menschen und Tiere verursachte Lärm (BGE 123 II 74 E. 3b), wie z.b. Geräusche, welche Kinder beim Spielen verursachen. Den Vorschriften des USG unterstehen alle Lärmeinwirkungen, die in direktem Zusammenhang mit der Nutzung einer Anlage stehen. Unerheblich ist, ob der Lärm innerhalb oder ausserhalb der Anlage verursacht wird. Unter den Anlagenbegriff fallen ortsfeste Einrichtungen im Sinn von Art. 7 Abs. 7 Satz 1 USG wie Bauten, Verkehrsanlagen, haustechnische Anlagen und andere nichtbewegliche Einrichtungen, die im Betrieb Aussenlärm verursachen (Art. 2 Abs. 1 LSV). Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts gelten beispielsweise auch Kinderspielplätze als ortsfeste Anlagen, welche Aussenlärm erzeugen (BGE 123 II 74). Grundsätzlich wird Lärm durch Massnahmen bei der Quelle begrenzt (Emissionsbegrenzungen; Art. 11 Abs. 1 USG), sei es durch die Festlegung von Emissionsgrenzwerten oder Bauund Ausrüstungsvorschriften (Art. 12 USG). Die Lärmemissionen ortsfester Anlagen sind in der Regel anhand der vom Bundesrat festgelegten Belastungsgrenzwerte gemäss Anhängen zur LSV zu beurteilen. Wenn Lärmbelastungsgrenzwerte nicht anwendbar sind (z.b. bei menschlichem Verhaltenslärm), muss die Behörde direkt gestützt auf Art. 15 USG objektivierte Kriterien zur Beurteilung anwenden (BGE 123 II 325). Nach Art. 15 USG müssen Störungen des Wohlbefindens durch Lärm so weit hingenommen werden, als sie nicht als erheblich zu bezeichnen sind. Bei der gestützt auf Art. 15 USG vorzunehmenden Einzelfallbeurteilung ist sowohl dem Charakter des Lärms, dem Zeitpunkt und der Häufigkeit seines Auftretens als auch der Lärmempfindlichkeit bzw. der Lärmvorbelastung einer Zone Rechnung zu tragen (siehe URS WALKER, Umweltrechtliche Beurteilung von Alltags- und Freizeitlärm, in: URP 2009, S. 82 ff.). Sind die Lärmemissionen als erheblich zu bezeichnen, sind Massnahmen nach Art. 11 USG zu ergreifen durch die Begrenzung der Emissionen, soweit es technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar ist (Abs. 2; z.b. Betriebseinschränkungen), oder durch die Verschärfung der Emissionsbeschränkungen, wenn die Einwirkung schädlich oder lästig wird (Abs. 3; z.b. Betriebsschliessung). Sobald Kinderlärm im konkreten Fall als objektiv erheblich oder gar lästig zu bezeichnen ist, muss er demzufolge nicht geduldet werden. Vielmehr besteht die bundesrechtliche Pflicht, die Emissionen der ortsfesten Anlage, von welcher der Kinderlärm ausgeht, durch die oben genannten Massnahmen einzuschränken. Eine dem USG widersprechenden Regelung auf Kantonsebene in dem Sinn, dass Kinderlärm, welcher von ortsfesten Anlagen ausgeht, als generell nicht erheblich und nicht lästig zu qualifizieren und zu dulden wäre, würde somit höherrangigem Recht zuwiderlaufen und erweist sich daher als rechtlich unzulässig. Die bereits bestehenden kantonalen Regelungen im Bereich des Lärmschutzes vollziehen denn auch lediglich Bundesrecht (vgl. 1 der Lärmschutzverordnung Basel-Stadt [SG 782.100]).

Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt Seite 4 Diese Beurteilung steht auch mit dem von den Motionärinnen und Motionären zitierten höchstrichterlichen Urteil im Einklang: Das Bundesgericht hat im betreffenden Fall die Klage der Anwohner nicht mit der Begründung abgewiesen, dass der Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeit von Kindern durch Schreien, Heulen, Kreischen, Jaulen etc. absolut höchste Priorität einzuräumen wäre. Vielmehr hat es in Erwägung gezogen, dass Wohnzonen offensichtlich auch für den Aufenthalt von Kindern bestimmt seien, sodass Kinderlärm in ihnen grundsätzlich zu dulden ist. Es hat aber auch dem Zeitpunkt und der Häufigkeit des von Kindertagesstätten ausgehenden Lärms ebenso Rechnung getragen wie deren Grösse berücksichtigt. Aufgrund der eingeschränkten Öffnungszeiten (Montag bis Freitag von 06.30 bis 19.00 h), dem Einhalten der Mittagsruhe von 12.00 bis 13.00 Uhr und dem Umstand, dass in der Regel nicht mehr als 20 Kinder dort betreut wurden, erachtete das Bundesgericht den von der Kindertagesstätte ausgehenden Lärm auch in einer Wohnzone für die Anwohner als zumutbar (Urteil des Bundesgerichts 1C-148/2010 vom 6. September 2010, E. 2.2.3). 1.3 Privatrechtliche Grundlagen zum Thema Lärm Ausserhalb und neben dem Anwendungsbereich der eben dargelegten öffentlich-rechtlichen Lärmschutzbestimmungen gilt es, die sachrelevanten privatrechtlichen Vorschriften zu beachten. Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts ist gemäss Art. 122 Abs. 1 BV Sache des Bundes. Das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB; SR 210) regelt indes nicht alle zivilrechtlichen Sachverhalte abschliessend. Es enthält verschiedene Gesetzgebungsvorbehalte zugunsten der Kantone. Kantonales Zivilrecht findet insoweit nur Raum, als ihm ein solcher vom Bundesgesetzgeber im Rahmen eines Vorbehaltes eingeräumt wird (Art. 5 Abs. 1 ZGB). Des weiteren werden die Kantone gemäss Art. 6 Abs. 1 ZGB in ihren öffentlich-rechtlichen Befugnissen durch das Bundeszivilrecht nicht beschränkt. Es besteht somit eine konkurrierende Zuständigkeit in gleichen Sachgebieten, nämlich des Bundes, soweit Zivilrecht zu setzen ist, und der Kantone im öffentlich-rechtlichen Bereich. Im Licht von Art. 122 Abs. 1 BV ist es den Kantonen nur erlaubt, öffentlich-rechtliche Bestimmungen zu erlassen, welche das Bundeszivilrecht ergänzen, nicht aber diesem widersprechen (vgl. HANS SCHMID, in: HONSELL/VOGT/GEISER [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Art. 1-456 ZGB, 3. Auflage, 2006, Rz. 3 zu Art. 6). Im Bereich der vorliegend zu beurteilenden Thematik interessiert der nachbarrechtliche Immissionsschutz gemäss Art. 684 ZGB. Nach dieser Bestimmung ist jedermann verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum des Nachbarn zu enthalten (Abs. 1). Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Rauch oder Russ, lästige Dünste, Lärm oder Erschütterung (Abs. 2). Art. 684 ZGB normiert ausdrücklich das Verbot übermässiger Immissionen, woraus sich implizit die Duldungspflicht von mässigen Einwirkungen ergibt. Ob die Einwirkung übermässig ist oder nicht, ist der Beurteilung nach gerichtlichem Ermessen offen. Erforderlich ist eine

Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt Seite 5 umfassende Prüfung aller ins Gewicht fallenden Umstände, wobei ein objektiver Massstab anzuwenden ist. Auszugehen ist grundsätzlich vom Empfinden eines normalen Durchschnittsmenschen, der sich in der gleichen Situation befindet. Die Lage und Beschaffenheit der Grundstücke sowie der Ortsgebrauch müssen bei der Beurteilung stets beachtet werden (vgl. Abs. 2). Bei der Prüfung des Ortsüblichkeit muss vor allem untersucht werden, ob eine bestimmte Immission in der betreffenden Gegend herkömmlicherweise als normal empfunden wird. Art. 684 ZGB ist grundsätzlich auch auf Sachverhalte anwendbar, in welchen Immissionen von öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch ausgehen (vgl. BGE 132 III 49). Öffentliche Sachen im Gemeingebrauch stehen allen Einwohnerinnen und Einwohnern zur Benutzung offen. Hierzu gehören Strassen, Plätze und Parks. Umfasst sind demnach Fälle, in welchen die von einer Sache im Gemeingebrauch ausgehenden Lärmimmissionen unter den genannten Voraussetzungen als übermässig qualifiziert werden. Zu denken ist hier beispielsweise an Kinder, welche sich regelmässig auf einem öffentlichen Platz aufhalten und übermässigen Lärm verursachen. Der Kanton als Grundstückseigner kann etwa verpflichtet werden, zur Eindämmung des Lärms die Benutzung eines öffentlichen Platzes einzuschränken. Dem von einer übermässigen Immission Betroffenen stehen die Klagen aus Art. 679 ZGB zu. Diese sind ausgerichtet auf Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes, auf Ersatz des dadurch bewirkten Schadens sowie auf Schutz gegen drohende Immissionen. Das ZGB enthält keinen Vorbehalt zugunsten einer kantonalen, anderslautenden Regelung. Der privatrechtliche Immissionsschutz wird durch das Bundesrecht somit abschliessend geregelt, sodass es den Kantonen verwehrt bleibt, privatrechtliche Regelungen zu erlassen, welche den Schutz nach Art. 684 ZGB ausdehnen, einschränken oder gar aufheben. Somit ist es nicht zulässig, in einer kantonalen Vorschrift den Kinderlärm vom Anwendungsbereich des Art. 684 ZGB auszunehmen. Da es den Kantonen nur erlaubt ist, öffentlich-rechtliche Bestimmungen zu erlassen, welche dem Bundeszivilrecht nicht widersprechen, ergibt sich hieraus auch, dass kantonale öffentlich-rechtliche (Polizei-)Vorschriften den Schutzbereich von Art. 684 ZGB nicht beeinträchtigen können. Sie können den privatrechtlichen Schutz höchstens in den Grenzen von Art. 684 ZGB durch einschlägige Bestimmungen öffentlichrechtlich gewährleisten (vgl. etwa 29 ff. des Übertretungsstrafrechts [SG 253.100] und die Verfügung des Polizeidepartements vom 9. November 1978 betreffend polizeiliche Vorschriften betreffend Lärmbekämpfung [SG 782.300], welche für Verursacher von übermässigem Lärm strafrechtliche Konsequenzen vorsehen). 1.4 Fazit Aus dem hiervor Gesagten erhellt, dass die Motion den zwingenden Bestimmungen des USG und des ZGB widerspricht und mithin übergeordnetes Recht verletzt. Der Kanton Basel-Stadt verfügt damit über keinen Spielraum, um auf Gesetzesebene Bestimmungen zu erlassen, welche die Anliegen der Motionärinnen und Motionäre erfüllen könnten. Die Motion erweist sich demnach als rechtlich unzulässig.

Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt Seite 6 2. Zum Inhalt der Motion Die bisher vom Bundesgericht ergangenen Urteile zum Kinderlärm haben eine Praxis gefestigt, die als kinderfreundlich zu bezeichnen ist. Im Entscheid BGE 123 II 74 hielt das Bundesgericht unter anderem fest, dass der Normalbetrieb eines Spielplatzes Garant genug ist für eine zulässige Lärmbelastung. In dem von den Motionärinnen und Motionären angeführten Bundesgerichtsentscheid wurde die Beurteilung der Vollzugsbehörden ebenfalls gestützt. Das Urteil zeigt jedoch auch, dass eine einzelfallweise Beurteilung vorzunehmen ist, und keine pauschalen Beurteilungen aufgrund der Lärmart möglich sind bzw. rechtlich festgehalten werden dürfen. Diese grundsätzlich liberale Haltung des obersten Gerichts ist auch eine Leitschnur für die Beurteilung auf kantonaler Ebene. Trotzdem muss und soll es der Bevölkerung offen stehen, sich bei einer Lärmbelästigung an die Vollzugsbehörden zu wenden. Das Recht, für eine ortsfeste Anlage eine Einzelfallbeurteilung zu erlangen, kann und darf niemandem abgesprochen werden. Dafür fehlen wie in Kapitel 1 ausgeführt die kantonalen Kompetenzen. Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass auch durch eine Umwandlung in einen Anzug den Anliegen der Motionäre nicht entsprochen werden kann. In der Form eines Anzugs können Anregungen zur Änderung der Verfassung, zu Gesetzes- oder Beschlussentwürfen oder zu Massnahmen der Verwaltung vorgelegt werden. In der vorliegenden Thematik, welche abschliessend im Bundesrecht geregelt ist, verbleibt wie bereits dargelegt überhaupt kein Raum für anderslautende, dem Bundesrecht widersprechende kantonale Bestimmungen. Der Kanton Basel-Stadt verfügt in diesem Bereich somit über keinerlei Regelungskompetenz und kann dem Anliegen der Motionärinnen und Motionäre weder durch eine Anpassung von Verfassung, Gesetzen oder Verordnungen noch durch andere Massnahmen entsprechen. Die Umwandlung in einen Anzug macht demzufolge keinen Sinn. Diese Ausführungen bedeuten indessen keineswegs, dass im Kanton Basel-Stadt Kinderlärm regelmässig unterdrückt wird. Zum einen haben die Behörden nur mit ganz vereinzelten Beschwerden von Anwohnenden zu tun; zum andern können sie die Fälle meistens "im gegenseitigen Einvernehmen" lösen. Zu Gerichtsentscheiden ist es hier noch nie gekommen. 3. Antrag Auf Grund dieser Stellungnahme beantragen wir Ihnen, die Motion Franziska Reinhard betreffend Schutz von Kinderlärm "Kinder dürfen laut sein" dem Regierungsrat nicht zu überweisen. Im Namen des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt Dr. Guy Morin Präsident Barbara Schüpbach-Guggenbühl Staatsschreiberin