Welche Sozialversicherungsarten gibt es, von denen die Menschen in Problemsituationen Hilfe erwarten können? Wie hat sich unser Sozialsystem entwickelt? 1 Die Sozialversicherung 1.1 Das System der sozialen Sicherung? Passiert notiert Wunschliste Strandurlaub auf Mallorca heißes Motorrad fahren immer genügend Geld in der Tasche für die kleinen Wünsche des Lebens gesund und fit bleiben Petra, Mareike, Andreas und Sven sind gut drauf. Die Welt ist für sie in Ordnung. Es könnte zur Zeit kaum besser sein. Wie alle Menschen haben sie natürlich auch Wünsche. Ganz oben auf ihrer Wunschliste stehen folgende Punkte: Info 1 Nun weiß jeder, mit Wünschen ist das so eine Sache. Einige gehen in Erfüllung, andere zerplatzen wie Seifenblasen. Es ist sicher nicht sehr schlimm statt eines größeren ein bescheideneres Auto zu fahren. Wer aber an einer schweren Krankheit leidet und deshalb nicht mehr arbeiten kann, was wird aus dem? Im Gegensatz zu früheren Zeiten bleibt ihm ein Fall ins Bodenlose erspart. Dafür sorgt unser soziales Netz, das allerdings heutzutage nicht mehr so dicht geknüpft ist wie vor einigen Jahrzehnten. Es macht einschneidende Risiken des Lebens besser kalkulierbar. Den wichtigsten Beitrag für ein Leben in relativer Sicherheit bietet die Sozialver sicherung.! Ran an die Informationen Die soziale Sicherung im Überblick Das System der Sozialversicherung steht auf fünf Säulen: w gesetzliche Krankenversicherung w gesetzliche Rentenversicherung w Arbeitslosenversicherung w gesetzliche Unfallversicherung w gesetzliche Pflegeversicherung 96 959696
Die Sozialversicherung Themenkreis 3 Der Grundstein der deutschen Sozialversicherung, die als erste Regelung dieser Art für zahlreiche andere Staaten Vorbild wurde, wurde durch einen historischen Beschluss gelegt: Es ist die auf den Reichskanzler Otto von Bismarck zurückgehende Kaiserliche Botschaft von Wilhelm I. am 17. November 1881. Die Verelendung des Proletariats durch die Industrialisierung war der Auslöser dieser Botschaft. Seit Bismarcks Zeiten hat sich viel getan und unser Sozialstaat wurde ständig weiterentwickelt. Das System der sozialen Absicherung besteht nicht nur aus der Sozialversicherung. Das soziale Netz ist viel engmaschiger geknüpft. Es besteht noch aus zahlreichen anderen Sozialleistungen. Alle zusammen weisen die Bundesrepublik als Sozialstaat aus. Die Grundlage hierfür bildet das Grundgesetz. Grundgesetz 20: Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat. In der Sozialversicherung ist der weitaus größte Teil der deutschen Bevölkerung versichert. Untereinander verbunden sind die Versicherten durch das Prinzip der Solidarität. Das heißt z. B.: Gesunde zahlen für die Kranken und Pflegebedürftigen, die Beschäftigten für die Arbeitslosen und die Jungen für die Alten. In den letzten Jahren hat dieses schöne Bild aber Risse bekommen. Die Gelder werden zu knapp, um alle Ansprüche der Versicherten zu be zahlen. Vor allem die hohe Arbeitslosigkeit und eine immer älter werdende Bevölkerung reißen neue Löcher in die Sozialkassen. 959697 97
Eine ständig ansteigende Zahl von Pflegefällen, teurere Medikamente und aufwändige Untersuchungsmethoden verschlingen Summen, die Reformen im Sozialsystem notwendig machen. Info 2 Tipp Die Geringverdienergrenze für Auszubildende beträgt nicht 400,00, sondern 325,00. Nur bis zu diesem Betrag ist die Vergütung sozialversicherungsfrei. Die Sozialversicherungs- und Beitragspflicht Wer einem Beschäftigungsverhältnis nachgeht, ist sozialversicherungspflichtig. Sozialversicherungsfrei für den Arbeitnehmer sind geringfügige Beschäftigungen. Für diese Mini-Jobs braucht der Arbeitnehmer auch keine Steuern zu bezahlen. Die monatliche Verdienstgrenze für diese Mini- Jobs beträgt 400,00. Die Mini-Jobs können auch im Nebenjob ausgeübt werden. Sie bleiben auch dann für den Arbeitnehmer versicherungsfrei. Im Gegensatz zum Arbeitnehmer muss der Arbeitgeber bei diesen Beschäftigungsverhältnissen 30 % pauschale Abgaben abführen. Im Einzelnen sind dies: w 15 % für die Rentenversicherung w 13 % für die Krankenversicherung w 2 % Steuern für das Finanzamt Von 401,00 bis 800,00 muss der Arbeitnehmer verminderte Sozialabgaben zahlen. In diesem Einkommensbereich besteht eine Gleitzone bei der Aufteilung der Beitragssätze. Je höher das Einkommen ist, desto höher ist der Beitragssatz des Arbeitnehmers. 98 959698
Die Sozialversicherung Themenkreis 3 Ab einem bestimmten Bruttoeinkommen werden die Beiträge zur Sozialversicherung eingefroren, d. h., sie steigen nicht mehr weiter. Diese Beitragsbemessungsgrenze wird jährlich der Einkommensentwicklung an gepasst. Von der Versicherungspflicht sind Arbeiter und An - gestellte befreit, wenn ihr Einkommen die Jahresarbeitsentgeltgrenze (Versicherungspflichtgrenze) in drei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren überschritten hat. Beitragshöhe Höchstbeitrag geringfügige Beschäftigung Bruttoeinkommen Beitragsbemessungsgrenze Arbeitsvorschläge 1. Was ist das Soziale an der Sozialversicherung? 2. Welches Ereignis gilt als Geburtsstunde der Sozialversicherung? DO IT! 3. Kritische Stimmen bezeichnen das soziale Netz auch als soziale Hängematte. Was soll durch diese Bezeichnung ausgedrückt werden? 4. Wie ist die Sozialversicherungspflicht bei Mini-Jobs geregelt? 1.2 Die gesetzliche Krankenversicherung Passiert notiert? Der Winterurlaub in Gerlos war für Petra und ihren Freund bisher einfach toll verlaufen. Pulverschnee, blauer Himmel und dann mit dem Snow - board die Hänge runterheizen, das war klasse. Und abends, beim Après- Ski, da ging die Post noch mal so richtig ab. So konnte man es aushalten. Doch dann, am vorletzten Urlaubstag, passierte es: Petra kam durch eine Schneewehe von der Piste ab, rutschte den Abhang runter, überschlug sich und prallte gegen einen Baum. Das Ergebnis: komp lizierter Schienbeinbruch und schmerzhafte Prellungen im Becken bereich. Petra liegt seit 21 Wochen im Kran kenhaus und musste schon dreimal operiert werden. Bis sie ihre Ausbildung als Zahntechnikerin fortsetzen kann, werden noch mindestens zwei Monate vergehen. 959699 Wie ist die gesetzliche Krankenversicherung aufgebaut? Welche Leistungen erbringt sie? 99
! Ran an die Informationen Info 1 Versicherte Personen Neunzig Prozent aller Bürger sind heute Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung. Wie alle übrigen Sozialversicherungszweige beruht diese auf der Solidarität. Alle Versicherten bilden eine Gemeinschaft und unterstützen sich gegenseitig. Die Aufgabe der Krankenversicherung besteht darin, den Gesundheitszustand der Versicherten zu erhalten, ihn wiederherzustellen oder aber ihn zu bessern. Als Arbeitnehmer ist man automatisch versicherungspflichtig, wenn das Einkommen eine bestimmte Höchstgrenze pro Jahr nicht übersteigt. Außerdem besteht eine Versicherungspflicht für folgende Bevölkerungsgruppen: Rentner, Studenten, selbstständige Landwirte, Arbeitslose, Behinderte. Neben diesen Pflichtmitgliedern hat die gesetzliche Krankenversicherung auch freiwillige Mitglieder. Zu ihnen zählen im Wesentlichen Arbeitnehmer, die wegen ihres hohen Einkommens eigentlich nicht mehr ver sicherungspflichtig sind und bestimmte Versicherungszeiten erfüllt haben. Info 2 Finanzierung Die gesetzliche Krankenversicherung finanziert sich durch die Beiträge ihrer Mitglieder. Was Petra zahlen muss, hängt ab von dem Beitragssatz ihrer Krankenkasse und von ihrem Verdienst. Jeder Versicherte hat somit einen anderen Beitragssatz. Besser Verdienende zahlen mehr als die einkommensschwächeren Ver sicherten, und das, obwohl sie gleiche Leistungen erhalten. Dies bezeichnet man als Solidarität der Versicherten. Die Beitragssolidarität ist allerdings begrenzt. Ab 2009 werden die Beiträge im Rahmen der Gesundheitsreform staatlich festgelegt. Höher verdienende Arbeitnehmer zahlen ihren prozentualen Beitrag nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Diese wird jährlich der allgemeinen Einkommensentwicklung angepasst. Während früher Unternehmen und Arbeitgeber jeweils die Hälfte des Betrages aufzubringen hatten, zahlen die Arbeitnehmer inzwischen 0,9 % mehr an Beiträgen. Das Gleiche trifft für Rentner zu. Sie selbst und der Rentenversicherungsträger zahlen anteilmäßig Beiträge zur Krankenversicherung. Beiträge für Arbeitslose zahlt die Agentur für Arbeit. Für Wehr- und Zivildienstleistende bringt der Bund die Beiträge aus Steuermitteln auf. Eine besondere Regelung besteht für Arbeitnehmer, die Mini-Jobs ausüben. Der Arbeitgeber muss die Kassenbeiträge allein tragen, wenn das Monatseinkommen unter 400,00 liegt. Bei Auszubildenden beträgt diese Grenze 325,00. 100 9596100
Die Sozialversicherung Themenkreis 3 Das deutsche Gesundheitssystem ist viel zu teuer, es gibt zu viel Bürokratie und seine Strukturen sind unflexibel. Eine neue umfassende Reform des Gesundheitssystems soll es nun richten. Viele zweifeln an ihrem Erfolg. Die wichtigsten Regelungen der Gesundheitsreform, die teilweise bereits seit 1. April 2007 in Kraft getreten sind, sind z. B.: w Alle Einwohner ohne Absicherung im Krankheitsfall werden in die Krankenversicherung einbezogen. w Die privaten Krankenkassen müssen einen günstigen Basistarif für alle anbieten, die privat versichert sind oder privat versichert sein könnten. w Patienten, die an schweren Krankheiten wie z. B. Aids oder Krebs leiden, wird der Zugang zu ambulanten Behandlungen in Krankenhäusern erleichtert. w Wichtige Impfungen müssen künftig von den Krankenkassen bezahlt werden. w Jüngere Versicherte müssen künftig die empfohlenen Untersuchungen zur Vorsorge und Früherkennung wahrnehmen. Nur dann haben sie bei einer späteren chronischen Erkrankung einen Anspruch auf eine verminderte Belastung bei Medikamentenzuzahlungen. w Zukünftig wird geprüft, ob die Preise der Arzneimittel in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem medizinischen Nutzen stehen. w Apotheken dürfen künftig auch einzelne Tabletten an Patienten abgeben. w Unnötige Mehrfachuntersuchungen sollen durch geeignete Maßnahmen künftig vermieden werden. w Jede Krankenkasse muss künftig ihren Versicherten einen speziellen kostengünstigen Hausarzttarif anbieten. Wer ihn wählt, hat die Pflicht, bei einer Krankheit zuerst zum Hausarzt zu gehen. Als Antwort auf die Finanzkrise der gesetzlichen Krankenversicherung wurde ein Gesundheitsfond beschlossen. Tipp Kassenversicherte können ihre Kasse jederzeit mit einer Frist von zwei Kalendermonaten zum Monatsende kündigen. Der Gesetzgeber verlangt aber, dass sich der Versicherte 18 Monate an die neue Kasse bindet. Werden die Beiträge von der Kasse erhöht, hat der Versicherte ein verkürztes Sonderkündigungsrecht. Fit im Web Weitergehende Informationen zur Gesundheitsreform gibt es im Internet unter www.diegesundheitsreform.de Er soll ab 1. Januar 2009 seine Arbeit aufnehmen. Und so funktioniert er: Träger der gesetzlichen Krankenversicherung In der Bundesrepublik besteht ein gegliedertes Krankenkassensystem, weil es sieben Kassenarten mit zahlreichen Krankenkassen gibt. Die Arten im Einzelnen sind: w Allgemeine Ortskrankenkasse w Betriebskrankenkassen w See-Krankenkasse w Bundesknappschaft w Landwirtschaftliche Krankenkasse w Ersatzkrankenkassen w Innungskrankenkassen Info 3 Alle Krankenkassen unterliegen der staatlichen Aufsicht. Alle ihre Ausgaben müssen durch Beiträge finanziert werden. Die unterschiedlichen Beitragssätze werden noch bis 2009 von jeder Krankenkasse selbst festgelegt. 9596101 101
Info 4 Leistungen Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen haben Anspruch auf folgende Leistungen: Leistungen Was sie beinhalten... Förderung der Gesundheit Krankengeld Krankenbehandlung Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft Maßnahmen zur Rehabilitation Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, so z. B. Herz- und Kreislauferkrankungen, Krebsvorsorge Arbeitnehmer, die krankgeschrieben sind, erhalten 6 Wochen lang ihren Lohn weitergezahlt (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall). Danach erhalten sie von der gesetzlichen Krankenversicherung Krankengeld. Es beträgt 70 % vom Bruttolohn oder 90 % vom Nettolohn. Der jeweils niedrigere Wert dient als Berechnungsgrundlage. Dazu gehören ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln, Krankenhausbehandlung, Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln. Ab 2005 wurde der Zahnersatz aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen. Deren Mitglieder sind aber verpflichtet sich selbst zu versichern. ärztliche Betreuung und Hebammenhilfe, Versorgung mit Arznei-, Verband- und Heilmitteln, stationäre Entbindung, häusliche Pflege, Mutterschaftsgeld ambulante oder stationäre Rehabilitationskuren Arbeitsvorschläge 1. Petra kann nach ihrem Snowboard-Unfall erst nach zwei Monaten wieder arbeiten. a) Wie lange muss nun ihr Arbeitgeber ihr Gehalt weiterzahlen? b) Wie sieht ihre finanzielle Situation anschließend aus? 2. Diskutieren Sie den Aussagegehalt der nebenstehenden Karikatur. 3. Was bedeutet die Aussage: Die gesetz liche Krankenversicherung ist eine Familienversicherung? 4. Auf welche Leistungen haben die Mitglieder der gesetzlichen Krankenkasse An spruch? 5. Wie werden geringfügig Be schäftigte in der Sozialversicherung behandelt? DO IT! 102 9596102