Globale Trends: Die Akteure und Wege des Islamischen Staats (Teil 1) Es gibt kaum Zweifel daran, dass der Islamische Staat auch weiterhin wie ein Stachel im Fleisch des Nahen Ostens stecken dürfte. Die Frage ist nur, wie sehr dieser Stachel die regionalen und ausländischen Mächte noch in der Jahresmitte 2017 plagen wird. Selbst im bestmöglichen Fall dürften seine heimlichen Zellen im östlichen und nördlichen Syrien sowie in den sunnitischen Gebieten des Iraks aktiv bleiben. Report von: Professor Dr. Baram Amatzia Dieser Report ist Teil der GIS-Serie über Globale Trends, die Szenarien über das Gesamtbild beschreiben will Szenarien, die die Welt in diesem Jahr und darüber hinaus formen werden. Der Islamische Staat (IS oder Daesh, wie er im Arabischen genannt wird) könnte auch noch 2017 in der Lage sein, Terror-Operationen in Europa und den Vereinigten Staaten anzustiften oder zu organisieren. Auch in den sozialen Medien wird er eine nicht zu unterschätzende Macht bleiben, selbst falls seine Strahlkraft verblassen sollte, wenn sich das Territorium seines Kalifats in Syrien und im Irak verkleinert. Andere Daesh-Zweige in Afrika, auf dem Sinai und anderswo werden wohl weiter aktiv operieren. Wie effektiv die Bewegung und ihre Ableger im kommenden Jahr sein werden, hängt von nun an weitgehend von den Entscheidungen ab, die die Regierungen des Westens, Russlands und des Nahen Ostens treffen. Je länger der Islamische Staat große Gebiete kontrolliert, desto mehr wird er islamistische Terror-Aktivitäten unterstützen. Wenn es um die Beeinflussung der Politik der Westmächte und vor allem Russlands geht, hat er sogar bereits al-qaida überholt. Dieser Einfluss wird anhalten und sich in den kommenden ein bis zwei Jahren vielleicht sogar noch intensivieren. Im bestmöglichsten Szenario wird sich das öffentliche Profil des Islamischen Staates ab Anfang nächsten Jahres abschwächen. Eine pessimistischere Prognose geht von einem Zurückdrängen des Daesh im Zeitlupentempo aus, doch selbst dann würde er unter der sunnitischen Istanbul, 12. Jan. 2016: Türkische Polizisten bewachen den Ort im Altstadtbezirk Sultanahmet, an dem ein Selbstmordattentäter 10 Deutsche tötete. Der IS soll für den Anschlag verantwortlich sein (Foto: dpa) Bevölkerung Schläferzellen zurücklassen. Zwischen den optimistischen und den pessimistischen Szenarien gibt es unzählige Zwischenvarianten. Um die in den nächsten 12 bis 18 Monaten möglichen Entwicklungen zu verstehen, ist es am besten, man beginnt mit den verschiedenen beteiligten Mächten und ihren widersprüchlichen Zielen. Die USA sind flexibel Es ist höchst unwahrscheinlich, dass US-Präsident Barack Obama und seine Amtskollegen in den NATO-Staaten bereit sein werden, umfangreiche Bodentruppen in den Nordirak und nach Syrien zu schicken. Diese Haltung dürften auch weitere Angriffe innerhalb der USA wie kürzlich in San Bernardino (Kalifornien) oder in Europa wie beim Massaker von Paris nicht verändern. SEITE 1
Die Expansion des islamischen Kalifats in Syrien und im Nordirak endete im Sommer 2015 und jetzt zieht es sich immer weiter zurück; im bestmöglichsten Szenario wird sich das öffentliche Profil des Islamischen Staates ab Anfang nächsten Jahres abschwächen (Quelle: macpixxel for GIS) Obama kann es sich nicht leisten, sein Vermächtnis als der Präsident zu gefährden, der die amerikanischen Truppen aus dem Irak und aus Afghanistan nach Hause brachte. Er könnte allenfalls ein paar tausend zusätzliche Spezialeinheiten entsenden, um die rund 3.500 US-Truppen zu verstärken, die noch im Irak sind. Washington ist in der Tat bereit, genau das zu tun, doch Bagdad dürfte kaum gewillt sein, eine solch umfangreiche Stationierung zu genehmigen. Sollte es dennoch hart auf hart kommen, könnte der Präsident diese Streitkräfte immer noch nach Kurdistan entsenden, wo man sie mit offenen Armen empfangen würde. Die USA werden auch ihre Operationen gegen den IS in Syrien verstärken. Nichts davon jedoch dürfte unmittelbare und spektakuläre Ergebnisse erzielen. Die einzige Taktik, die das erreichen könnte, bestünde darin, die lokalen sunnitischen Kräfte für sich zu gewinnen und sie zu bewaffnen, um so die notwendige Truppenstärke vor Ort aufzustellen doch dazu später mehr. Politisch wird die derzeitige US-Regierung eine angemessene Flexibilität auf der Suche nach Gemeinsamkeiten mit Russland bei der künftigen Rolle des syrischen Präsidenten Baschar al-assad an den Tag legen momentan ist das noch ein gewaltiger Zankapfel. Gemäß der Lehren, die es aus dem Irak-Krieg gelernt hat, wird Washington dazu bereit sein, die Militärkommandanten und Beamten Assads (den so genannten Staat im Staate ) als Vertreter des syrischen Diktators zu den Friedensverhandlungen zuzulassen. Während die Tage des alten Regimes gezählt sein könnten, wird man seine Fachkräfte noch brauchen, damit sie zumindest einen Teil des Grundgerüsts eines neuen Syriens bilden. Die USA werden auch bereit sein, einige der zentralen strategischen Interessen Russlands in dem Land anzuerkennen. Die europäischen NATO-Mitglieder werden sich Russland gegenüber nicht weniger zuvorkommend verhalten, sie werden Washington in jedem Fall folgen. Trotz seiner harten Rhetorik hat sogar Frankreich angedeutet, dass es weder in der Lage noch dazu bereit sei, etwas anderes als Spezialkräfte in den Nahen Osten zu schicken. Diese Haltung wird sich nicht ändern, bis der nächste US- Präsident Anfang 2017 sein Amt antritt. Sollte die Reichweite des Islamischen Staats bis dahin nicht SEITE 2
Ost-Bagdad, 12. Jan. 2016: Der Explosionsort einer Autobombe hier starben mindestens 18 Iraker, darunter 10 Polizisten. Auch hierfür übernahm der IS die Verantwortung (Foto: dpa) eingedämmt sein und der Flüchtlingsstrom unvermindert anhalten, könnte der nächste Bewohner des Weißen Hauses gezwungen sein, drastische Maßnahmen zu ergreifen. Die russischen Ziele Auch Moskau dürfte wohl kaum umfangreiche Bodentruppen nach Syrien schicken. Die öffentliche Meinung in Russland hat sich hinter eine Intervention gestellt, in den jüngsten Umfragen stieg die Unterstützung hierfür auf 60 Prozent bis 70 Prozent an. Dies dürfte wahrscheinlich so bleiben, solange es keine erhebliche Menge an russischen Opfern gibt. Doch dem einfachen Russen ist der Fall Afghanistan noch immer schmerzhaft in Erinnerung dessen ist sich Präsident Wladimir Putin zutiefst bewusst. Russland verfolgt in Syrien und im Irak zwei Ziele. Das erste im Hinblick auf die Priorität ist Syriens Zustimmung für groß angelegte russische Marine- und Luftwaffenstützpunkte an der Mittelmeerküste. Jedes neue Regime in Damaskus wird dieses entscheidende strategische Ziel anerkennen müssen. Die zweite Priorität Moskaus besteht darin, alle sunnitischen islamistischen Bewegungen in Syrien zu schwächen (der Irak wird hier als weniger wichtig angesehen). Die Anwesenheit von Dschihadisten aus dem Kaukasus in Syrien, die als geschulte Terroristen nach Hause zurückkehren könnten, ist zutiefst beunruhigend für Russland. Seltsamerweise herrscht nur eine geringe Feindseligkeit gegenüber dem Daesh vor, obwohl dieser die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai übernahm, bei dem 224 Menschen starben. Der Schwerpunkt der militärischen Operationen richtet sich gegen die syrisch gelenkte sunnitische Opposition, vor allem gegen die mit al-qaida verbundene Al-Nusra-Front. Die Russen haben weniger Grund, den Daesh zu bombardieren, denn die vornehmlich von Irakern angeführte Organisation wird nicht als unerbittlicher Gegner des Assad-Regimes angesehen. Dies legt nahe, dass Russland die Al-Nusra-Front und einige andere sunnitische islamistische Gruppen, die es für gefährlich hält, von den syrischen Friedensgesprächen ausschließen wird. Dagegen dürfte es nichts gegen die Teilnahme der Pro-Assad-Elite und der syrischen Kurden haben, zu denen Moskau enge Beziehungen unterhält. SEITE 3
Raqqa, 19. Nov. 2015: Ein Propaganda-Foto des IS zeigt maskierte Kämpfer auf einem Panzer (Foto: dpa) Präsident Putin kann es sich leisten, bezüglich der persönlichen Rolle Assads flexibel zu sein, wenn nur Russlands größere strategische Interessen anerkannt werden und man vor allem gegen die radikalen Islamisten vorgeht. Die alawitischen Vertreter in einer neuen syrischen Regierung dürften mehr als glücklich sein, wenn die russischen Streitkräfte in der Nähe bleiben. Dies deutet darauf hin, dass Russland gute Chancen hat, seine Ziele auch zu verwirklichen. Saudische Ängste Für Saudi-Arabien, das maßgeblich am Rückhalt für die sunnitische Opposition gegen das Assad-Regime beteiligt ist, dürfte es extrem schwierig wenn nicht unmöglich sein, dass der syrische Präsident eine sinnvolle Rolle beim Übergang spielt. Dies ist eine Frage des Prestiges und damit der Legitimität für das zunehmend umkämpfte Haus Saud. Nichtsdestotrotz könnten die Machthaber in Riad bereit sein, an die herrschende Klasse Syriens sinnvolle Zugeständnisse zuzulassen. Die Personalie Assad ist den Saudis ein Gräuel, doch bei allen anderen Punkten könnten sie kompromissbereit sein. Der Islamische Staat kann nicht mehr auf die verdeckte saudische Unterstützung zählen, doch die Angst vor einer schiitischen Kontrolle über Syrien wird garantieren, dass Saudi- Arabien eine harte Linie bezüglich der iranischen Präsenz in dem Land fährt. Schon der Irak ist in den Einflussbereich Teherans geraten. Die neueste regionale Krise nach der Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr al-nimr könnte Riads Standpunkt vorübergehend verhärten, doch dies spricht nicht notwendigerweise gegen eine zukünftige Flexibilität bei der Rolle Assads sofern die USA und Russland eine Einigung erzielen. In der Zwischenzeit werden die Saudis ihre Unterstützung für andere sunnitische Islamisten neben dem Islamischen Staat und möglicherweise der Al-Nusra-Front fortsetzen. Wenn die Erfahrungen der Vergangenheit hier greifen, könnten einige der 34 islamistischen Organisationen, die zu einer aktuellen, von den Saudis gesponserten Konferenz für Rebellen-Gruppen eingeladen waren, Geld, Ausrüstung und Ausbildung erwarten. Der Iran wartet ab Der Iran ist das nächste Land, das keinen Anreiz hat, eine große Anzahl von Bodentruppen (etwa eine reguläre Division oder mehr) nach Syrien oder in den Irak zu entsenden. Nach Ansicht Teherans könnte die strategische Lage im Nordwesten Syriens verbessert werden SEITE 4
etwa rund um die wichtige Kommunikations-Drehscheibe in der Idlib-Provinz herum, wo iranische Truppen eine Offensive gegen Al-Nusra durchführen, doch im Großen und Ganzen kann es mit der gegenwärtigen Situation leben. Für den Iran ist, wie für die Saudis, das Schicksal von Präsident Assad eine Frage des Prestiges. Teheran wird in der ersten Phase des Friedensprozesses sicher noch nicht mit seiner Absetzung einverstanden sein. Unter der Annahme, dass Syrien eine lose Föderation werden könnte, dürften die Iraner jede Anregung ablehnen, ihre Streitkräfte abzuziehen. Wenn die Großmächte jedoch Teheran entsprechend unter Druck setzen, könnte es sich damit begnügen, die Kommandeure der Revolutionsgarden und einige Vorzeige-Kräfte in Westsyrien zu belassen, während es den Rest seiner Truppen abzieht. Was Teheran aber niemals aufgeben wird, ist die Landbrücke zwischen dem westlichen Syrien und den Hisbollah-Basen im Libanon. Genau wie die Russen haben auch die Iraner gegenüber den alawitischen Politikern Vertrauen aufgebaut. Die Beamten des neuen Syriens werden den freien iranischen Zugang zu den westlichen Teilen des Landes und zum Libanon gewährleisten wollen. Selbst wenn die Alawiten einige Ambivalenzen gegenüber der iranischen Präsenz haben, müssen sie die Hisbollah-Anbindung als eine Art Versicherung für den Fall hinnehmen, dass auch das neue Syrien zusammenbricht. Im Irak spielen die Iraner ein langfristiges Spiel. Sie haben keine Eile, den Islamischen Staat aus dem Euphrat-Tal über Ramadi hinaus zu vertreiben, denn die Daesh-Präsenz produziert eine natürliche Allianz zwischen dem Iran und der NATO ein Bündnis, das die NATO viel kostet, den Iran aber sehr wenig. versuchen wird, Assad, ihren syrischen Verbündeten, zu stürzen. Die Türkei sitzt in den Startlöchern Bei ihrem Vorstoß, sich eine Pufferzone im Nordirak zu erkämpfen, würde die Türkei gerne eine Division entsenden, um ihre sunnitischen und kurdischen Anhänger zu unterstützen vorausgesetzt, sie kann eine entsprechende Beauftragung vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bekommen. Eine türkische Beteiligung an der Befreiung Mossuls würde kurz vor dem eigentlichen Ziel enden in Anbetracht der hohen Kosten von Straßenkämpfen. Eine Intervention brächte der Türkei wichtige geopolitische Vorteile. Erstens könnte sie Teile der türkischirakischen Grenze dichtmachen, was die grenzüberschreitenden Aktivitäten der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) eindämmen würde. Sie dürfte auch den schiitischen und iranischen Vorstoß gen Norden blockieren. Die kurdische Regionalregierung von Präsident Masud Barzani würde keinen Einspruch erheben, denn sie ist genauso besorgt über die schiitische Militär-Offensive im Nordirak (die von den iranischen Revolutionsgarden unterstützt wird) wie über den Islamischen Staat, nun, da dieser in die Defensive gedrängt wurde. Das größte Hindernis für eine türkische Unternehmung ist die Obama-Regierung, die auf Drängen der irakischen Regierung keinen solchen Schritt dulden wird. Den Behörden in Bagdad wäre es viel lieber, wenn der Nord- Irak frei von jeglicher türkischer Militärpräsenz wäre. Die türkische Zusammenarbeit mit der kurdischen Regionalregierung in Erbil wird aufgrund ihrer gemeinsamen strategischen Interessen bei der Nutzung lokaler Ölfelder und der Eindämmung der iranischen Expansion fortgesetzt werden. Besser noch, mit dem IS vor der Tür verstärkt Teheran seinen Würgegriff um die Zentralregierung in Bagdad. Die finanzielle Hauptlast des Krieges gegen den Daesh wird vom Irak geschultert, während es schiitische Milizen und Zivilisten sind, die die meisten Opfer zu beklagen haben sie haben nur wenig für den Iran übrig. Die Anwesenheit des Islamischen Staates im Irak ist eigentlich ein Gewinn für Teheran, vor allem, weil die iranischen Behörden erkennen, dass die Bewegung nicht In Syrien befindet sich die Türkei in einem direkten Konflikt mit Russland über Einflusssphären. Ankara wird die Teilnahme von Präsident Assad am Friedensprozess unter keinen Umständen akzeptieren, während Moskau zumindest demonstrieren muss, dass es einen wichtigen Verbündeten nicht unter die Räder kommen lässt. Russland interessiert sich auch für die Schaffung eines durchgehenden kurdischen cordon sanitaire entlang der syrischen Grenze zur Türkei. Die Türken können und SEITE 5
werden dies nicht zulassen, denn sie benötigen einen freien Zugang zu ihren islamistischen Verbündeten weiter südlich darunter sind auch einige Usbeken und Tschetschenen mit russischer Staatsbürgerschaft. Israel kalkuliert Was auch immer in den nächsten 18 Monaten in Syrien passiert Israel wird sich mit kaum mehr als einem kleinen Kommando oder beschränkten Bombardierungs- Operationen engagieren. Man wird humanitäre Hilfen zur Verfügung stellen, wie auch, falls erforderlich, leichte Waffen und Munition für freundlich gesinnte Milizen. Die Hauptinteressen Israels bestehen darin, zu verhindern, dass Raketen und neueste Militärtechnologie in die Hände der Hisbollah gelangt, und dass keine feindlichen Kräfte den syrischen Golan erreichen dazu gehören die Hisbollah und ihre iranischen Auftraggeber, der Islamische Staat und die Al-Nusra-Front. Um diese Ziele zu erreichen, sind die Israelis bereit, Risiken einzugehen dabei sind sie sich bewusst, dass eine Fehleinschätzung sie in einen vollwertigen Krieg mit der Hisbollah oder in einen Zermürbungskrieg mit dem Islamischen Staat oder anderen sunnitischen Gruppen verwickeln könnte. Dennoch glaubt Israel, dass die Hisbollah nicht an zwei Fronten kämpfen wird, solange der syrische Bürgerkrieg anhält. Föderation oder Aufteilung Weder Syrien noch der Irak werden in ihren früheren Zustand als stark zentralisierter Staat zurückkehren können. Doch während ein zerbrochenes Ei nicht mehr zusammengefügt werden kann, könnte man daraus vielleicht ein Omelett machen. Im optimistischsten Szenario würden beide Länder ihre eigenen Bundeshauptstädte, Parlamente, Währungen, Außenpolitiken und Streitkräfte behalten. Doch ihre Provinzen oder Zusammenschlüsse aus Provinzen und Regionen würden fortan über ein größeres Maß an Autonomie verfügen, dazu gehörten auch ihre eigenen Milizen oder Nationalgarden. Alternativ ist es möglich, dass keiner der Staaten politisch überlebt. Im Irak könnten die Kurden unter türkischer Bevormundung ihre Unabhängigkeit gewinnen, während sich die irakischen Sunniten mit den Sunniten in Syrien vereinen würden, um ein ausgedehntes Syrak zu erschaffen, allerdings besäße diese Neugründung keinen Zugang zum Meer. Dieser neue sunnitische Staat mit der Hauptstadt Mossul wäre für den Zugang zum Meer also auf seine Nachbarn angewiesen auf die Türkei, die alawitische Zone in Syrien, auf Jordanien oder Israel. Seine Ölreserven wären klein, doch er würde über erhebliche Erdgasvorkommen verfügen. Die verbliebenen Alawiten, Christen und Drusen würden in einem Mini-Syrien vereinigt werden, während die Kurden entlang der türkischen Grenze geografisch geteilt blieben, allerdings wären sie in der Lage, mit den von den Alawiten kontrollierten Regionen im Westen zu kooperieren. Bagdad würde die Hauptstadt eines von den Schiiten dominierten Rumpf-Iraks oder Schiiraks bleiben. Aus westlicher Sicht wäre das Überleben Syriens und des Iraks als föderale Staaten eine bessere Lösung, doch dieses Ziel wird kaum zu erreichen sein. Die Wurzeln des Terrors Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchlebt die islamische Welt eine existenzielle Krise. Traditionell fühlten sich die Muslime dem christlichen Westen überlegen. Diese Überzeugung wurde durch den Niedergang des Osmanischen Reiches im Jahre 1918 erschüttert. Indem sie den westlichen Systemen als Erfolgsgaranten folgten, versuchten die Türkei und die meisten arabischen Regime, ihre Unterstützerbasis in mehr oder weniger säkulare politische Bewegungen umzugestalten. Doch mit dem Scheitern des Kommunismus und des Pan-Arabismus wandten sich viele von ihnen erneut dem Islam zu. Mit ihm kehrten sie auch zu den traditionellen Ansprüchen zurück, dazu gehört auch das Gefühl der Überlegenheit. Dieses Gefühl widersprach der Realität der Hegemonie der westlichen Welt. Dadurch fühlen sich einige Muslime, als sei die Geschichte aus den Fugen geraten. Während viele noch immer vom Westen lernen wollen, wie man in die Reihen der fortschrittlichen Gesellschaften zurückkehrt, leben die islamistischen Bewegungen und ihre Anhänger im Zustand der kognitiven Dissonanz. Der Zusammenbruch des Irak nach der US-Invasion und des Kollaps Syriens nach dem Arabischen Frühling haben diese Geisteshaltung nur noch vertieft. Indem sie den SEITE 6
Westen für ihre unglückliche Realität verantwortlich machen, sind viele davon überzeugt, dass nur der bewaffnete Dschihad die Geschichte auf ihren richtigen Kurs zurückbringen kann. Die Bedrohung durch Nachahmer Dies deutet darauf hin, dass viele Muslime anfällig bleiben für die Dschihad-Aufrufe des IS in den sozialen Medien oder anderer radikaler Gruppen wie al-qaida. Je mehr Terrorakte gemeldet werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit weiterer Attacken durch Trittbrettfahrer. Obwohl sich der Daesh und al-qaida auf dem Rückzug befinden, werden sich diese Operationen fortsetzen oder sogar verstärken. Die improvisierten Angriffe islamistisch eingestellter Personen, die man in den vergangenen Monaten in Jerusalem, Tel Aviv, Be er Sheva und San Bernardino beobachten konnte, sind nahezu unmöglich zu vermeiden und man wird sie auch 2017 mit ansehen müssen. Komplexere Operationen wie die jüngsten Angriffe in Paris, geschweige denn potenzielle Bedrohungen durch chemische Waffen oder Cyber-Terrorismus, erfordern mehr Ressourcen und Koordination. Sie sollten mit dem Verschwinden des Kalifats und schrittweisen Verbesserungen im internationalen Sicherheitssystem deutlich seltener werden. Aber es ist ebenso möglich, dass, wenn der Islamische Staat als organisierte Einheit zerstört wird, Tausende seiner Mitglieder und Sympathisanten wieder in ihre Heimatländer im Nahen Osten, in Europa und den USA zurückkehren. Dies könnte sogar zu einer Zunahme der Terroranschläge führen, insbesondere in den westlichen Ländern. Doch eine echte Verringerung dieser Bedrohung ist erst zu erwarten, nachdem die islamischen Länder ihre Bildungssysteme reformieren, wodurch auch die Hass- Predigten gegen die Ungläubigen verschwinden. Ägyptens Präsident Abdel Fattah El-Sisi und Jordaniens König Abdullah II. haben vor kurzem solche Kampagnen auf den Weg gebracht, doch dies ist ein langfristiges Projekt. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchlebt die islamische Welt eine existenzielle Krise. Traditionell fühlten sich die Muslime dem christlichen Westen überlegen. Diese Überzeugung wurde durch den Niedergang des Osmanischen Reiches im Jahre 1918 erschüttert SEITE 7