Wissenschaftliches Institut der AOK Pressemitteilung Berlin, 29. April 2014 HAUSANSCHRIFT Rosenthaler Str. 31 D-10178 Berlin POSTANSCHRIFT Postfach 11 02 46 D-10832 Berlin TELEFON +49 30 34646-2393 FAX +49 30 34646-2144 INTERNET www.wido.de E-MAIL wido@wido.bv.aok.de Jeder Versicherte erhält 1,5 Arzneimittel am Tag Berlin. Insgesamt 642 Millionen Arzneimittelpackungen haben die knapp 70 Millionen Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen 2013 in Deutschland von niedergelassenen Ärzten verordnet bekommen. In diesen Arzneimitteln waren 38,1 Milliarden Tagesdosen enthalten. Jeder Versicherte hat durchschnittlich 546 Tagesdosen verbraucht und somit täglich 1,5 Arzneimittel eingenommen, so eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Die von Ärzten verordneten Arzneimittelmengen steigen kontinuierlich: In den vergangenen zehn Jahren hat der Verbrauch pro Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung um nahezu die Hälfte zugenommen (+48,3 %). Dabei ist der Verbrauch an Arzneimitteln in den östlichen Bundesländern am höchsten. So werden beispielsweise an die Versicherten in Sachsen-Anhalt pro Kopf etwa 30 % mehr Arzneimittel verordnet, in Bremen hingegen sind es etwa 30 % weniger als im Bundesdurchschnitt (Abbildung 2). Dieser Effekt kann zum Teil damit erklärt werden, dass die Versicherten in den östlichen Bundesländern im Durchschnitt deutlich älter sind. Die Häufigkeit von Krankheiten steigt mit dem Alter und ist häufig auch mit einem Mehrverbrauch an Arzneimitteln verbunden. Mit Abstand am häufigsten werden insgesamt Arzneimittel zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck verordnet. Diese Mittel machen mit 18,5 Milliarden fast die Hälfte (48,4 %) aller verordneten Tagesdosen aus. Jeder Versicherte hat im letzten Jahr durchschnittlich 264 Tagesdosen dieser Wirkstoffe eingenommen (Abbildung 3). Unter den Herz-Kreislauf-Mitteln nimmt seit Jahren die Gruppe der ACE-Hemmstoffe (z. B. Ramipril) und der AT-II-Blocker (z. B. Candesartan) die führende Rolle ein und die Mengen wachsen jährlich weiter. Im Jahr 2013 wurden über acht Milliarden Tagesdosen dieser Arzneimittel an gesetzlich Versicherten verordnet (vgl. Tabelle 1). Die aktuellen Analysen des WIdO basieren auf der überarbeiteten ATC-Klassifikation mit Tagesdosen für das Jahr 2014. Experten aus Wissenschaft und Praxis können mit der Klassifikation herausfinden, welche der knapp 68.000 verschiedenen verordneten Arzneimittelpackungen mit welchen der ca. 2.500 unterschiedlichen Wirkstoffen/Wirkstoffkombinationen in welchen Mengen im Jahr 2013 verbraucht wurden. Ein Blick auf das Wirkstoffprofil des Jahres 2013 zeigt deutlich, dass die Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magen-Darm-Erkrankungen oder Diabetes den größten Anteil in der Medikation einnehmen. So vereinigen die 20 meistverordneten Wirkstoffklassen mit ihren 856 einzelnen Wirkstoffen bzw. Wirkstoffkombinationen bereits mehr als 87 % aller verordneten Tagesdosen. 21,2 % der im Jahr 2013 verordneten Tagesdosen entfielen allein auf die Bluthochdruckmittel der Wirkstoffklassen ACE-Hemmer und Sartane. Seite 1 von 6
Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) Seite 2 von 6 Hintergrund Seit 1981 analysiert das WIdO mit dem GKV-Arzneimittelindex den deutschen Arzneimittelmarkt. Ziel ist eine verbesserte Anwendungs- und Markttransparenz. Denn erst die eindeutige Zuordnung von Arzneimitteln mithilfe der ATC-Systematik und die Messung der verordneten Arzneimittelmenge mit definierten Tagesdosen (defined daily doses, DDD) ermöglicht eine tiefergehende und reproduzierbare Analyse der Verordnungsdaten. Hierfür stellt die aktuelle Klassifikation Kategorien für mehr als 7.000 Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen sowie die jeweils zugehörigen Tagesdosen (DDD) als Maßeinheit zur Messung des Verbrauchs zur Verfügung. Das umfassende Klassifikationssystem basiert auf dem international geltenden anatomischtherapeutisch-chemischen (ATC) System der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und wurde speziell an die Situation des deutschen Arzneimittelmarktes angepasst und erweitert. Seit nunmehr zwölf Jahren wird die Systematik einschließlich der vollständigen Methodik der ATC-Klassifikation und DDD-Festlegung jährlich veröffentlicht und hat sich in der Fachwelt als methodischer Goldstandard bei der Durchführung von Arzneimittelanalysen und in der Arzneimittelverbrauchsforschung etabliert, so Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Zu den Nutzern zählen beispielsweise die GKV-Arzneimittelschnellinformation (GAmSI), die Ärzten Informationen über ihr Verordnungsverhalten zur Verfügung stellt. Seit 2009 dient die Klassifikation auch zur Identifikation erkrankter Versicherter im Rahmen des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs. Darüber hinaus werden die Klassifikationen von zahlreichen Universitäten für Projekte in der Versorgungsforschung genutzt. Die Klassifikation ist außerdem seit acht Jahren Grundlage für die Arbeitsgruppe ATC/DDD. In dem Verfahren erklärt das Bundesministerium für Gesundheit diese unter Einbindung von Krankenkassen, Ärzten und Pharmaindustrie jeweils zum 1. Januar für amtlich. Die ATC-Systematik des GKV-Arzneimittelindex berücksichtigt sowohl die aktuelle internationale Systematik als auch nationale Anpassungen für Deutschland und bildet damit den gegenwärtigen Arzneimittelmarkt in Deutschland umfassend ab. Die vollständige Publikation des ATC-Index mit DDD-Angaben einschließlich der Methodik der ATC/DDD-Klassifikation ist ab sofort auf der Website des WIdO kostenfrei als Download abrufbar. Mehr Infos im Internet: http://wido.de/arz_atcddd-klassifi.html Uwe Fricke, Judith Günther, Anette Zawinell, Rana Zeidan Anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikation mit Tagesdosen für den deutschen Arzneimittelmarkt. Methodik der ATC-Klassifikation und DDD-Festlegung. ATC-Index mit DDD-Angaben. Stand April 2014 Berlin 2014 Pressekontakt Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) Tel.: 030 34646-2131 E-Mail: presse@wido.bv.aok.de
Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) Seite 3 von 6 Anstieg des Arzneimittelverbrauchs pro Versicherten um 48 % in den letzten zehn Jahren Abbildung 1: Anzahl der Tagesdosen pro gesetzlich Krankenversicherten 2004 bis 2013
Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) Seite 4 von 6 Der Arzneimittelverbrauch ist in den östlichen Bundesländern am höchsten Abbildung 2: Anzahl der Tagesdosen pro gesetzlich Krankenversicherten 2013 in den Bundesländern und für Deutschland
Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) Seite 5 von 6 Drei Viertel der Arzneimittel werden in fünf Indikationsbereichen verbraucht: Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden am häufigsten medikamentös therapiert. Abbildung 3: Anteile der 38,1 Milliarden verordneten Tagesdosen 2013 sortiert nach Erkrankungen
Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) Seite 6 von 6 Mehr als 87 % der Tagesdosen werden mit nur 20 Wirkstoffgruppen verordnet Tabelle 1: Tagesdosen der 20 verordnungsstärksten Wirkstoffgruppen 2013 mit jeweils häufigstem verordneten Präparat ATC WIRKSTOFFGRUPPE (häufiges Präparat) Zur Anwendung bei... C09 A02 C07 MITTEL MIT WIRKUNG AUF DAS RENIN- ANGIOTENSIN-SYSTEM (Rami Lich) MITTEL BEI SÄURE BEDINGTEN ERKRANKUNGEN (Pantoprazol Actavis) BETA-ADRENOZEPTOR-ANTAGONISTEN (Metohexal/Metoprololsucc.Hexal) Tagesdosen in Mrd. Anzahl der Wirkstoffe/- Wirkstoffkombinationen Herz-Kreislauf-Erkrankungen 8,1 52 Magen-Darm-Erkrankungen 3,2 34 Herz-Kreislauf-Erkrankungen 2,3 32 A10 ANTIDIABETIKA (Metformin Lich) Diabetes 2,1 33 C08 CALCIUMKANALBLOCKER (Amlodipin Dexcel) Herz-Kreislauf-Erkrankungen 2,0 18 C03 DIURETIKA (Torasemid AL) Herz-Kreislauf-Erkrankungen 1,9 22 C10 MITTEL, DIE DEN LIPIDSTOFFWECHSEL BEEINFLUSSEN (Simvastatin Aristo) Herz-Kreislauf-Erkrankungen 1,9 20 H03 SCHILDDRÜSENTHERAPIE (L-Thyroxin Henning) Schilddrüsenerkrankungen 1,7 11 N06 PSYCHOANALEPTIKA (Opipramol Stada) Psychischen Erkrankungen 1,5 48 B01 R03 ANTITHROMBOTISCHE MITTEL (Clexane) MITTEL BEI OBSTRUKTIVEN ATEMWEGSERKRANKUNGEN (Salbu Hexal) Herz-Kreislauf-Erkrankungen 1,5 40 Atemwegserkrankungen 1,3 38 M01 ANTIPHLOGISTIKA UND ANTIRHEUMATIKA (Ibuflam) Schmerzen und Entzündungen 1,1 29 G03 SEXUALHORMONE UND MODULATOREN DES GENITALSYSTEMS (Oekolp Vaginal) Wechseljahresbeschwerden und zur Verhütung 0,9 68 S01 OPHTHALMIKA (Floxal) Erkrankungen der Augen 0,7 133 N02 G04 ANALGETIKA (Novaminsulfon Lichtenstein) UROLOGIKA (Tamsulosin BASICS) Schmerzen und Entzündungen Harnwegs- und Prostatabeschwerden 0,6 50 0,6 55 N05 PSYCHOLEPTIKA (Tavor) Psychischen Erkrankungen 0,6 71 C01 HERZTHERAPIE (Nitrolingual) Herz-Kreislauf-Erkrankungen 0,5 50 A01 H02 STOMATOLOGIKA (Elmex Gelee) CORTICOSTEROIDE ZUR SYSTEMISCHEN ANWENDUNG (Prednisolon acis) Mund- und Rachenerkrankungen 0,5 37 Entzündlichen Erkrankungen 0,4 15 Summe 33,3 856,0 Anteil an Gesamt in % 87,3 35,2 Gesamt 38,1 2.432,0