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Transkript:

1 Liebe Schwestern und Brüder, es gibt Menschen, die ein sehr offenes, förmlich direktes Wort führen. Dabei scheuen sie nicht auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen und das nicht nur vor einem kleinen Zuhörerkreis. Solche Menschen haben es in der Regel schwer, auch wenn viele Zeitgenossen immer wieder betonen, wie wichtig ihnen ein klares und ehrliches Wort sei. Diese Menschen ecken oft an, weil sie nicht die Kunst der Diplomatie beherrschen, es nicht können oder wollen. Solche Typen von Menschen sind aber notwendig, um Dinge fortzuführen, um die Wahrheit nicht vollends zu verdrängen und sich an die eigenen Ansprüche erinnern zu lassen. Jeremia wird zu einem solchen Prototyp für die Propheten des Alten Bundes werden. Sein Dienst wird sich über 40 Jahre seines Lebens erstrecken und er wird ihn nicht in der Form eines religiösen Beamten ausüben, der nach dem Mund der Leute redet, sondern er wird sich mit seinem ganzen Leben dafür einsetzen den Bund zwischen Gott und seinem Volk zu erneuern, und er wird dem Volk die unbequemen Wahrheiten nicht vorenthalten. Noch bevor Jeremia geboren wird, wird er von Gott ausgewählt, weil dieser Gott so sehnsüchtig auf ihn wartet, ihn dringend benötigt um sein Volk von seinem falschen Weg abzubringen. Und Jeremia soll ( ) ausreißen und niederreißen, vernichten und einreißen, aufbauen und einpflanzen. (Jer 1,10b) Die meiste Zeit seines Lebens wird er jedoch dem Volk Drohreden halten, es unentwegt ermahnen und ihm eine düstere Zukunft verheißen müssen. Selten nur wird er Grund haben auch Gutes zu verkünden (Jer 30-31). Am Anfang des Jeremiabuches steht der Mandelbaum als Zeichen für die Wachsamkeit Gottes über sein Volk. Dieser Baum blüht vor allen anderen Gewächsen in weißen und hellroten Farben und verheißt das Ende des Winters, bevor der Mensch ahnen kann, dass die kalte Jahreszeit zu Ende geht. Und so, wie der Mandelbaum über den beginnenden Frühling wacht, so wacht auch JHWH über sein auserwähltes Volk. Und Jeremia wird diese Stimme Gottes sein. Um das Jahr 650 v. Chr. in Anatot nördlich von Jerusalem geboren, entstammt Jeremia aus einem alten Priestergeschlecht, das Vorfahren bis zu den Hohepriestern unter König David und schließlich bis zu dem ersten Priester Aaron vorweisen kann. Er selbst ist aus dem Stamm Benjamin, dem kleinsten Stamm Jakobs, der erst nach der Reichsteilung in ein Nordund Südreich dem großen Stamm Juda zugeschlagen wird. Jeremia ist nicht so sehr am Tempelkult in Jerusalem interessiert und sein Priestergeschlecht verrichtet dort wohl keinen regelmäßigen Dienst. Ihn selbst bewegt vielmehr die Exodusgeschichte, und die Befreiung des auserwählten Volkes aus dem Sklavenhaus Ägyptens ist sein prägendes theologisches The-

2 ma. Das ist auch die Grundlage für sein Geschichtsverständnis und die Interpretation der gesellschaftlichen und religiösen Zustände. Am Anfang der heute gehörten Lesung taucht ein entscheidendes Bild auf, das Jeremia zur Kernkritik am Verhalten des Volkes ausbaut. Dort heißt es: Auf! Ruf Jerusalem laut ins Ohr: So spricht der Herr: Ich denke an deine Jugendtreue, an die Liebe deiner Brautzeit, wie du mir in der Wüste gefolgt bist, im Land ohne Aussaat. (Jer 2,2) Das Volk wird als Braut Gottes bezeichnet. Und als Braut gehört das Volk nur ihrem Bräutigam, Gott, und sonst keinem anderen. Dass sich diese Braut jedoch in ihrer ganzen Untreue sonnt, und anderen Götter nachfolgt, das ist die Kernkritik des Propheten. Unter König Joschija im Jahre 627 wird Jeremia zum Propheten berufen, kaum zwanzigjährig. Er zaudert, denn, mit welcher Autorität soll er in seinem jungen Alter vor Königen und den religiösen wie auch militärischen Führern des Volkes treten? Und er ahnt, dass er ihnen nichts Gutes zu sagen hat. Gott stärkt ihn jedoch: Jeremia soll zu einem Eisenpfeiler im Glauben werden und bei allen Entgegnungen und Widerständen standhaft bleiben. (Jer 1,18f) Jeremia wird zeitlebens alleine dastehen, kaum jemand wird sich mit ihm solidarisieren, denn wer hört schon gerne Drohbotschaften? Er selbst wird ehelos bleiben, das er als ein lebendiges Zeichen verstanden wissen will: So wie er keine Nachkommen hat und damit keine Zukunft für sich, so wird auch das Volk Juda keine Zukunft mehr haben, es wird aus den Spuren der Geschichte gelöscht. Die politische Situation ist nämlich alles andere als rosig für Juda. Das assyrische Großreich hatte bereits 722 v. Chr. das Nordreich erobert und die Bewohner nach Ninive verschleppt. Nun ringt König Joschija auch im Süden um das politische Überleben. Aber, er bringt noch einmal die Kraft für religiöse und gesellschaftliche Reformen auf. Nachdem 622 v. Chr. eine Schriftrolle im Tempel aufgefunden und dem König vorgelesen wird, versucht er das religiöse Leben von allen fremden Einflüssen zu befreien, den Jahwe-Kult zu erneuern, die fremden Götterkulte zu unterbinden und auch ein neues Augenmerk auf die soziale Situation der Menschen zu lenken. Jeremia selbst ist ein intellektueller Prophet, der die politische Situation realistisch bewertet und das Machbare umzusetzen versucht, oftmals gegen die Großmachtphantasien der Regierenden. Die Reformen Joschijas werden von Jeremia gelobt, auch weil der König eingesehen hat, dass jegliche Expansionspläne zum Scheitern verurteilt sind. Er soll lieber für Recht und Gerechtigkeit im Inneren sorgen und das Volk von dort aus erneuern. Nur so könne Israel zum Vorbild für andere Völker werden in seiner Gottesfürchtigkeit und weil für die Armen gesorgt werde. Jeremia sieht darin Gottes Heil aufkommen, nicht

3 so sehr in einem Großreich Juda oder in seiner staatlichen Souveränität. Für den Propheten könne Juda selbst Vasallenstaat eines mächtigeren Herrschers sein. Das würde es nicht daran hindern nach innen hin eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern zu sein. Dafür macht sich Jeremia stark und kann durchaus den König für seine Pläne gewinnen, auch wenn er sich im Kreis des Militärs damit keine Freunde macht. Für Jeremia ist die Frage entscheidend, ob das Volk und der König aus den Fehlern der Geschichte lernen können. Gott gibt dazu noch einmal die Chance einer Umkehr. Aber, Jeremia sieht in einer Vision bereits die Gefahr aus dem Norden herankommen (Jer 1,13). Ein neuer und starker König macht sich an, das assyrische Großreich zu überrennen, und er wird sich mit Ninive nicht zufrieden geben. Die Zeit des neubabylonischen Reiches unter Nebukadnezzar bricht heran und es wird nun darauf ankommen, dass Juda klug agiert. Jeremia macht in all seinen Verkündigungen jedoch die Erfahrung, dass er das Volk zu einer Umkehr nicht zwingen kann. Er beschränkt sich deshalb auf das Beobachten und Ermahnen, auch wenn er starke Worte und Bilder dafür verwendet: Weil das Volk im Inneren religiös gleichgültig ist und nach außen hin politisch naiv, gleicht es einem falschen Schmuck, mit dem sich Gott vor den anderen Völkern nur blamieren kann. Und es kommt, wie es kommen muss: Assur wird entmachtet und König Joschija verliert sein Leben in der Begegnung mit dem ägyptischen Pharao Necho. Damit kommt die Reformbewegung des Königs zum Erliegen und ein König von Ägyptens Gnaden wird in Juda eingesetzt. Jeremia kann es nicht vermeiden nun mit den Großen des Landes aneinander zu geraten. Er kritisiert nämlich das Allerheiligste: das magische Verständnis der Menschen, das sie mit dem Tempel verbinden. Es werden glanzvolle Gottesdienste im Tempel abgehalten, aber alle diejenigen, die sich dieses Glanzes rühmen seien Diebe, Verbrecher und Mörder, so sagt es unumwunden Jeremia. Der Offenbarungsglauben des Volkes hat sich gewandelt: er ist zu einer ganz normale Religion geworden, in der man zwischen dem Gottesdienst und dem eigenen Leben unterscheidet. Hier umfasst der Gottesdienst nicht mehr das ganze Leben und prägt es auch nicht mehr. Es ist im Grunde egal, wie man lebt, was man für richtig hält oder nicht, die Hauptsache ist, dass man der religiösen Pflicht nachgekommen ist. Jeremia prophezeit das Ende und die Zerstörung des Tempels. In dieser Kritik macht sich Jeremia nicht nur die Politiker zu Feinden, sondern insbesondere die Priester, die seine Androhung als eine Gotteslästerung ansehen. Wie könne es sein, dass Gott seinen eigenen Tempel, sein eigenes Haus zerstören will? Jeremia wird der Prozess gemacht, weil man ihn eines Lügenpropheten

4 überführen will. Dieser Prozess geht unentschieden aus. Jeremia wird wohl nicht verurteilt, darf aber wohl den Tempel nicht mehr betreten. Das Jahr 605 v. Chr. wird für Jeremia ein Schicksalsjahr. Er gewinnt einen angesehenen Beamten des Königs als seinen Gehilfen hinzu. So diktiert er ihm seine bisherige 23-jährige Verkündigung, die Baruch auch sorgsam aufschreibt. Er lässt sie dem Volk vorlesen und anschließend auch dem König Jojakim, der sie jedoch verbrennen lässt. Diese Prophezeiungen sollen dadurch nicht Wirklichkeit werden. Dies kann als die erste überlieferte Bücherverbrennung der Geschichte angesehen werden. Nicht müde, wird eine zweite Rolle angefertigt um die Worte des Propheten zu erhalten auch für die Zeit, in der Jeremia nicht mehr persönlich zum Volk sprechen wird. Nebukadnezzar wird zum mächtigsten Herrscher des vorderen Orients. Jeremia warnt die Verantwortlichen vor politische und militärische Experimente, jedoch werden seine Worte ungehört bleiben. König Jojakim, der sich des Schutzes durch Ägypten sicher wähnt, kündigt das Vasallenverhältnis zu Babylon auf. Sein Sohn Jojachin muss schließlich vor der Armee Nebukadnezzars kapitulieren. Ein Großteil des Volkes wird mit dem jungen König nach Babylon verschleppt. In dieser Situation schreibt Jeremia einen richtungsweisenden Brief an die Verbannten (Jer 29,4-7). Dieser wird bestimmend werden für alle Juden in der Diaspora, fern von der väterlichen Heimat. Und seine Worte bleiben bis in unsere Gegenwart aktuell. So werden die Juden in den Gedanken Jeremias doch noch zum Segen für die Völker werden. Die Eltern sollen die Liebe zu Gott und die Erinnerung an den Glauben wachhalten. Die Thora soll nicht mehr im Tempel angebetet werden, sondern soll einen Tempel im Herzen eines jeden Menschen finden. So könne sich selbst eine Deportation zum Guten wenden, weil der Glaube mit neuem Leben gefüllt werde. Die Thora wird zum tragbaren Vaterland Israels! König Zidkija wird zum Nachfolger Jojachins, ist aber ein schwacher Herrscher und kann sich nicht durchsetzen, auch wenn er den Worten Jeremias durchaus Gehör schenkt. Jerusalem wird wieder von den Heeren Nebukadnezzar belagert. In dieser Situation verkündet Jeremia nur das politisch angemessene: Jeder, der nicht die Stadt verlässt und sich ergibt, wird in ihr umkommen. Er fordert die Bevölkerung zur Kapitulation auf. Als Staatsfeind wird er verhaftet und in eine Zisterne gesperrt. Der letzte Nachfolger König Davids ist zu schwach, um den Propheten Gottes zu schützen. Jeremia prägt mit seinem klaren Geschichtsbewusstsein und seiner politischen Vernunft seine Verkündigung. Nur mit einem klaren Verstand könne man den Willen Gottes verstehen.

5 Und deshalb machen für Jeremia nicht die Ekstase und die außergewöhnliche Gottesschau einen Propheten aus, sondern die klare Bewertung der Realität im Licht des Glaubens und der Vernunft. Am 18. Juli 586 v. Chr. wird Jerusalem erobert, der letzte König bei seiner Flucht gefangen und geblendet. Einen Monat später zerstört der Heerführer auf Befehl Nebukadnezzars Jerusalem und den Tempel. Eine letzte Chance für eine staatliche Neugründung wird den Verbliebenen des Volkes Juda in Mizpa gegeben. Jedoch knicken Intrigen diesen dünnen Strohhalm ab: der jüdische Statthalter wird von seinem General erschlagen. In Bethlehem findet die letzte Volksversammlung unter Jeremia statt. Er wirbt dafür als Vasall unter Babel zu leben, denn ein Volk, das nach der Thora lebt und ein Herz hat, das Gott erkennt, könne auch staatlich von anderen abhängig sein. Das Volk entscheidet sich anders: Es wählt wiederum den Gang in das Sklavenhaus Ägyptens, aus dem es einmal ausgezogen war. Es ist die selbstgewählte Sklaverei, die den Rest des Volkes in den Untergang führt. Und diese Geschichtsvergessenheit des Volkes und seine große Bereitschaft den Götzen anderer Völker nachzulaufen sind in den Augen Jeremias die wesentlichen Gründe für den Untergang Judas. Und das gibt das Volk dann auch unumwunden zu: Was das Wort betrifft, das du im Namen des Herrn zu uns gesprochen hast, so hören wir nicht auf dich. Vielmehr werden wir alles, was wir gelobt haben, gewissenhaft ausführen: Wir werden der Himmelskönigin Rauchopfer und Trankopfer darbringen, wie wir, unsere Väter, unsere Könige und unsere Großen in den Städten Judas und in den Straßen Jerusalems es getan haben. Damals hatten wir Brot genug; es ging uns gut und wir litten keine Not. (Jer 44,16f) Angesichts eines solchen offenen Abfalls vom Gott der Väter kapituliert Jeremia. Er verkündet am Ende angelehnt an die Offenbarung Gottes vor Mose am brennenden Dornbusch, dass der Name Gottes von diesem Volk genommen wird. Trotz allem verlässt Jeremia sein Volk nicht, sondern begleitet es mit Baruch in das ägyptische Exil. Dort wird sich das Volk mit den anderen Völkern Ägyptens assimilieren und seine Identität vollends verlieren. Jeremia stirbt kurze Zeit später in Ägypten. Baruch wird nach Babel gehen und dort dem Restvolk Judas die Worte Jeremias verkünden, um noch diese letzte Schar zu retten. Jesus wird im Matthäusevangelium (Mt 16,14) als der wiederkehrende Jeremia betitelt, als derjenige, der nun endlich sein Volk zur Rettung führt. Er ist es, der in Bethlehem geboren wird, dort, wo sich das Volk ein letztes Mal unter Jeremia sammelte um vielleicht doch noch

6 eine gute Zukunft von Gott verheißen zu bekommen. So wird Bethlehem die Nahtstelle für die erhoffte Wiederkunft des langersehnten Messias. Pfarrer Roberto Medović Hl. Dreifaltigkeit, Offenbach