1 Seminar: Der Sprachinstinkt Steven Pinker Seminarleiter: Gergely Pethő Titel des Referats: The Sounds Of Silence Stille Laute Referentin: Tímea Vécsei 20.03.2002 I. Wahrnehmung und Sprache Steven Pinker als Student untersuchte die auditorische Wahrnehmung. Mit Hilfe eines Computers musste er Abfolgen einander überlappender Töne synthetisieren, also künstlich herstellen und bestimmen, ob sie wie ein voller Ton oder wie zwei reine Töne klangen. Während dieser Arbeit entdeckte er eine merkwürdige Erscheinung, die später als Sinuskurvensprache allbekannt wurde. Die Versuchspersonen identifizierten das Gehörte nicht gleichermaßen. Das Gehirn kann also Geräuschen einen sprachlichen Inhalt geben,auch wenn sie nur die entfernteste Ähnlichkeit mir Sprache aufweisen. Wenn wir jemanden sprechen hören, gehen die tatsächlichen Klänge in das eine Ohr hinein und aus dem anderen wieder heraus. Was wir dabei wahrnehmen, ist Sprache. Manchmal - und das passiert bei der Sinuskurvensprache - wetteifern unser Hörsinn und unser phonetisches Verständnis um die Interpretation eines Geräusches, und unsere Wahrnehmung schaltet zwischen den beiden Interpretationsmöglichkeiten hin und her. (Eine Sinnestäuschung - McGurk-Effekt) II. Sprache ist eine einzige Illusion Sprache nehmen wir als Kette einzelner Wörter wahr. In der Tonkurve geht ein Wort nahtlos (ohne Schwierigkeiten) in das nächste über, so gibt es zwischen gesprochenen Wörtern keine kleinen Pausen. Wir phantasieren nur eine Wortgrenze. Das zeigt sich in Oronymen, d.h. in Lautketten, die man auf zweierlei Arten in Wörtern zergliedern kann: Stille Nacht, heilige Nacht, Gottes Sohn, o wie lacht Stille Nacht, heilige Nacht, Gottes Sohn, Owie lacht Gib dem Opi Opium, denn Opium bringt Opi um. Mohammed war der Gründer der Iß-Lamm-Bewegung. [Islam] They played the Bohemian Rap City. [Bohemian Rhapsody] Sogar die Lautabfolge, die wir in einem Wort hören, ist eine Illusion. Die Sprachwahrnehmung gehört zu den biologischen Wundern, die den Sprachinstinkt ausmachen. Vorteile der Nutzung von Mund und Ohr als Kommunikationskanale: - Keine gute Beleuchtung ist nötig. - Gesprochene Sprache erfordert keinen Sichtkontakt. - Sie lässt sich über weite Entfernung brüllen - oder auch flüstern. - Sie ist die schnellste Möglichkeit, Informationen mitzuteilen. Normales Sprechen 10-15 Phoneme Schnellsprecher 20-30 Phoneme Künstlich beschleunigte Sprache 40-50 Phoneme Phonemerkennung pro Sekunde
2 III. Sprachdecoder Mensch vs. Computer Kein von Menschenhand hergestelltes System kann Sprache so gut decodieren wie der Mensch. Ein Spracherkenner wäre doch von großer Bedeutung. Zur Zeit gibt es aber noch kein System, das sowohl viel Wörter als auch viele Sprecher erkennen kann. ( Auf dem neuesten Forschungsstand befindet sich möglicherweise das System DragonDictate, das auf einem PC läuft und dreißigtausend Wörter identifizieren kann.) IV. Ein diskretes kombinatorisches System Ein Mensch kennt vielleicht sechzigtausend Wörter, aber sein Mund kann nicht sechzigtausend verschiedene Laute hervorbringen. Darum hat die Sprache erneut vom Prinzip des diskreten kombinatorischen Systems Gebrauch gemacht. Sätze und Phrasen werden aus Wörtern zusammengebaut, Wörter aus Morphemen und Morpheme aus Phonemen. Die Aufteilung in unabhängige diskrete kombinatorische Systeme, von denen das eine (System) bedeutungsleere Laute zu bedeutungstragenden Morphemen zusammenfügt und die anderen (Systeme) bedeutungstragende Morpheme zu bedeutungstragenden Wörtern, Phrasen und Sätzen, ist ein grundlegendes Strukturmerkmal der menschlichen Sprachen, das der Linguist Charles Hockett Dualität der Musterbildung genannt hat. V. Bildung von Sprache Die Regeln der Sprache sind also die diskreten kombinatorischen Systeme. Um diese Strukturen(Phoneme, Morpheme, Wörter, Phrasen) von einem Kopf in den nächsten zu transportieren, müssen sie in akustische Signale umgewandelt werden. Gesprochene Sprache ist ein stetiger Atemfluss, den die Weichteile in Mund und Rachen zu einem Zischen und Brummen modellieren. Dabei müssen zwei Probleme bewältigt werden: Encodierung (verschlüsseln, kodieren) und Decodierung (entschlüsseln, verständlich machen). Demnach werden die Sprachlaute in mehreren Schritten zusammengesetzt. Ein begrenztes Phoneminventar wird ausgewählt und zur Definition von Wörtern kombiniert, und dann werden die so entstandenen Phonemketten modofiziert, damit sie einfacher zu artikulieren und zu verstehen sind, bevor sie tatsächlich ausgesprochen werden. Beim Sprechen atmen wir anders als sonst. Wir machen schnelle, kurze Atemzüge und geben die Luft gleichmäßig wieder ab, wobei die Zwischenrippenmuskeln dem elastischen Rückstoss der Lungen entgegenwirken. Die Luft verlässt die Lungen durch die Luftröhre, die in den Kehlkopf (oder Larynx) übergeht. Der Kehlkopf ist ein Ventil mit einer Öffnung (Stimmritze oder Glottis), die von den Stimmbändern bedeckt wird. Die Stimmbänder können die Glottis fest verschließen und damit den Zugang zur Lunge versperren. Es ist auch möglich, die Glottis nur zum Teil mit den Stimmbändern zu verschließen, so dass der Luftstrom ein Summen erzeugt. (ßßßß vs. ssss ) Die Häufigkeit bzw. die Frequenz, mit der die Stimmbänder geöffnet und geschlossen werden, bedingt die Tonhöhe. Wenn wir die Spannung und Stellung der Stimmbänder variieren, können wir die Frequenz und damit die Tonhöhe kontrollieren. (Singen, Summen) (Auch im Verlauf eines Satzes verändern wir die Tonhöhe, was als Intonation bezeichnet wird.) Beim Flüstern dehnen wir die Stimmbänder aus und bewirken damit, dass sich der Luftstrom unkontrolliert an den Stimmbandrändern bricht, was ein Geräusch verursacht. Ein zischendes Geräusch ist eine zackige, unregelmäßige Kurve aus einem Durcheinander sich ständig verändernder Frequenzen.
3 Die vibrierende Luft bei dem Sprechen strömt durch viele Kammern, bevor sie den Kopf verlässt: durch Rachen (oder Pharynx), den Mundbereich zwischen Zunge und Gaumen, die Öffnung zwischen den Lippen, oder durch die Nase. Jede Kammer verleiht dem hinausströmenden Laut eine andere Resonanz; Laute mit unterschiedlichen Frequenzen wiesen auch verschiedene Wellenlängen auf. Je höher der Ton, desto kürzer die Wellenlänge. VI. Sprechorgane Was wir als unterschiedliche Vokale hören, sind verschiedene Kombinationen verstärkter und gefilterter Töne, die aus dem Kehlkopf dringen. Diese Kombinationen werden durch die Bewegungen von fünf Sprechorganen im Mund erzeugt. Zunge ist das wichtigste Sprachwerkzeug. In der Zunge sind aber grundsätzlich drei Sprechwerkzeuge vereinigt: der Zungenrücken, die Zungenspitze und die Zungenwurzel (die Muskeln). Der Zungenrücken bewegt sich vor und zurück. (Besonders kann man das fühlen, wenn man mehrmals hintereinander die Vokale ö-o ausspricht.) Dieser Teil macht aber auch eine auf- und ab- Bewegung, wenn wir Wörtern wie schief und schaf aussprechen. Lautsymbolik ist eine sprachliche Kuriosität, die die Verknüpfung der Zungenposition mit dabei gebildeten Vokalen ermöglicht. Warum sagen wir Krimskrams und nicht Kramskrims? Warum heißt es Pingpong und nicht Pongping? Woher kamen Flickflack, Ticktack, Dingdong, Kingkong, piff-paff-puff, bim-bam-bum usw.? Diese sind die Fragen, die im Zusammenhang mit der Lautsymbolik gestellt werden können. Eine Art Erklärung kann das folgende sein: die Vokale mit hoher und vorderer Zungenposition stehen immer vor den Vokalen tiefer und hinterer Zungenposition. Dies scheint die logische Folge von zwei weiteren Eigentümlichkeiten zu sein. 1. Wörter mit Ich-hier-jetz-Bedeutung besitzen meistens höher und weiter vorn gebildete Vokale, als Wörter die eine Distanz vorn Ich beinhalten. z.b.: Ichdu, hier-da, dies-das 2. Wörter mit Ich-hier-jetz-Bedeutung gehen meistens den Wörtern mit tatsächlicher oder übertagender Distanz von Ich voraus. z.b.: hier und da, Vater und Sohn, die deutsch-französische Freundschaft (in Deutschland) und die französisch-deutsche Freundschaf (In Frankreich). Folgende Logik scheint dahinter zu stecken: Ich ist ein hoher vorderer Vokal, ich zuerst, deshalb hoher vorderer Vokal zuerst. Wenn die Bedeutung keine Reihenfolge bestimmt, dann kommt der Klang ins Spiel, und dann ist entscheidend, wie die Zunge die Vokale bildet. Bei einigen Vokalen werden die Lippen gerundet und bei anderen nicht. Die Wirkung des Gaumsegels-Velums können wir hören, wenn wir den Vokal in Sam und Sat in die Länge ziehen und den Schlusskonsonanten wenig hinauszögern. Die beiden Vokale werden verschieden ausgesprochen(der Vokal in Sam erhält einen nasalen Klang.) Erklärung dafür: Das Velum, das sich hinter den harten Gaumen befindet, geöffnet ist und die Luft kann somit entweder durch die Nase oder durch den Mund entweichen. Die Nase ist ein weiterer Resonanzraum, und wenn schwingende Luft durch sie hindurchfließt, wird eine weitere Menge an Frequenzen verstärkt und gefiltert. Wir erhalten einen Konsonanten, wenn die Luft bei der Strömung gehindert wird. Die Konsonanten unterscheiden sich in ihrer Obstruenz, also in dem Ausmaß, in dem sie den Luftstrom behindern. Das Wort mit dem weniger obstruenten Konsonanten im Anlaut steht immer vor dem Wort mit stärker obstruenten Konsonanten im Anlaut.
4 Ein Sprachlaut ist nicht nur eine einzige Geste eines einzelnen Organs. Vielmehr ist jeder Sprachlaut eine Kombination von Gesten, die die Sprachwelle auf ihre ganz eigene Weise formt. Ein Laut kann nasal oder nicht nasal sein, und wird vom Zungenrücken, der Zungenspitze oder der Lippen gebildet. Das gibt 6 mögliche Kombinationen: Nasal Nicht nasal Lippen m p Zungenspitze n t Zungenrücken ng k Auch die Stimmhaftigkeit lässt sich mit der Wahl des Sprechorgans kombinieren: Stimmhaft Stimmlos Lippen b p Zungenspitze d t Zungenrücken g k Demnach lassen sich die Sprechlaute in die Zeile, Spalten und Ebenen einer multidimensionalen Matrix einordnen. Zuerst wird eines der Sprechorgane als Hauptartikulator ausgewählt (Kehlkopf, weicher Gaumen, Zungenrücken, Zungenspitze, Zungenwurzel, Lippen), dann wird die Artikulationsart (Frikativ-eine artikulatorische Enge wird gebildet, Plosiv, Vokal) festgelegt. Drittens lassen sich die Konfigurationen der anderen Sprachorgane definieren: für den weichen Gaumen nasal oder nicht nasal, für den Kehlkopf stimmhaft oder stimmlos, für den Zungenwurzel gespannt oder ungespannt, für die Lippen gerundet oder ungerundet. Die verschiedenen Kombinationen ergeben im Deutschen 35 Phoneme. Das gesamte auf der Welt existierende Phoneminventar geht in die Tausende, aber sie alle sind Kombinationen der sechs Sprechorgane sowie ihrer Gestalt und Bewegungen. VII. Phonemketten Phoneme werden nicht wie eindimensionale Ketten von links nach rechts zu Wörtern angeordnet; sie werden zu bestimmten Einheiten angeordnet, diese wiederum zu größeren Einheiten usw., so dass sich ein Baum ergibt. Die Gruppe von Konsonanten (K) am Beginn einer Silbe wird Anlaut genannt, der Vokal (V) und die beliebige Anzahl Konsonanten, die darauf folgen, sind der Reim: Silbe Anlaut Reim K K V K b l a ß Die Silbenerzeugungsregeln definieren zulässige und unzulässige Wörter einer Sprache. Anlaut: Konsonant oder Konsonantengruppe; z.b.: Kleid, Pflaume, springen Reim: Vokal, dem Konsonant oder bestimmte Konsonantengruppen folgen; z.b.: Lift, Strumpf Anlaute und Reime, weil sie den Wortklang am stärksten prägen und sich daher am tiefsten im Gedächtnis eingraben, werden sie in Gedichten und Wortspielen modifiziert.
5 (Reimen, Alliteration). Silben werden wiederum im rhythmischen Gruppen zusammengefasst, die man Füße nennt: Wort Fuß-w Fuß-s Fuß-s Silbe Silbe Silbe -w -s -w Silbe-s Silbe-w Or ga ni sa tor Silben und Füße werden durch wieder andere Regeln in starke (s) und schwache (w) unterteilt, und die Verteilung der starken und schwachen Zweige gibt an, wie stark der Akzent auf der jeweiligen Silbe ist. Füße werden in Gedichten und Wortspielen gern modifiziert. (Das Versmaß (Metrum) wird durch die Art der Füße festgelegt, die in eine Zeile passen. Trochäus- stark/schwach Muster; Jambus schwach/stark Muster)