Schlussbericht Nr des Büros für Flugunfalluntersuchungen

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Untersuchungsbericht des Büros für Flugunfalluntersuchungen

Transkript:

Büro für Flugunfalluntersuchungen BFU Bureau d enquête sur les accidents d aviation BEAA Ufficio d inchiesta sugli infortuni aeronautici UIIA Uffizi d'investigaziun per accidents d'aviatica UIAA Aircraft accident investigation bureau AAIB Schlussbericht Nr. 1926 des Büros für Flugunfalluntersuchungen über den Schweren Vorfall (Airprox) zwischen, Tupolev 154M und Airbus 319 vom 14. Februar 2005 4 NM S/E RILAX Intersection Der Vorfall ereignete sich im deutschen Luftraum. Da die beteiligten Flugzeuge sich unter der Kontrolle der Flugsicherung Zürich befanden, wurde die Untersuchung durch die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (Deutschland) an das Büro für Flugunfalluntersuchungen (Schweiz) delegiert. Bei der Ausgestaltung dieses Berichtes kommt die Deutsche Gesetzgebung zur Anwendung. Bundeshaus Nord, CH-3003 Bern

Dieser Bericht wurde ausschliesslich zum Zwecke der Unfallverhütung erstellt. Die rechtliche Würdigung der Umstände und Ursachen von Flugunfällen und schweren Vorfällen ist nicht Sache der Flugunfalluntersuchung (Art. 24 des Luftfahrtgesetzes). Geschlechtsunabhängig wird in diesem Bericht aus Datenschutzgründen ausschliesslich die männliche Form verwendet. Ort/Datum/Zeit Luftfahrzeuge Zürich Arrival 4 NM S/E RILAX Intersection, 14. Februar 2005, 07:00 UTC Tu-154M Warszawa/Okecie (EPWA) Zürich (LSZH) A319 Köln/Bonn (EDDK) Zürich (LSZH) Besatzungen Tu-154M CMDR FO NAV (Navigator) FE (Flight Eng.) A319 CMDR FO ATS-Stelle Flugsverkehrsleiter Anflugleitstelle Zürich Anflugverkehrsleiter Ost (APE) Luftraum C Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 2 von 8

1. Sachverhalt 1.1 Flugverlauf Am Morgen des 14. Februar 2005 führte eine Tu-154M einen Leerflug von Warschau nach Zürich durch. Die Maschine flog von Nordosten über TGO EMKIL RILAX in den Luftraum der Flugsicherung Zürich ein und meldete sich erstmals um 06:52 UTC beim Sektor Nord der Bezirksleitstelle auf der Frequenz 136.150 MHz: swiss radar (Tu- 154M) good morning proceeding EMKIL descending level one seven zero. Der Flugverkehrsleiter (FVL) wies die Besatzung an, nach Erreichen von FL 170 auf dieser Höhe zu bleiben und eine Geschwindigkeit von 240 KIAS einzuhalten. Um 06:53:11 UTC nahm die Besatzung einer A319, die von Norden über SUL VOR Richtung RILAX flog, mit dem Sektor Nord Kontakt auf: swiss radar good morning (A319) is approaching level one six zero inbound Sierra Uniform Lima, speed ist two four zero. Der FVL erteilte der A319 die Bewilligung, weiter bis FL 150 zu sinken. Wenig später wurde die A319 angewiesen, den Sinkflug bis FL 130 fortzusetzen und auf die Frequenz der Anflugleitstelle zu wechseln. Ungefähr dreissig Sekunden später erteilte der FVL des Sektors Nord der Tu-154M eine Sinkbewilligung bis FL 150 und forderte auch diese Besatzung auf, mit der Anflugleitstelle Kontakt aufzunehmen. Nach der Kontaktaufnahme mit der Anflugleitstelle Ost (approach control east APE) wies der APE-FVL die A319 um 06:57:14 UTC an, Kurs 180 zu fliegen: Grüezi (A319) arrival fly heading one eight zero vectors ILS one four. Der FVL beabsichtigte gemäss seinen Aussagen, sowohl die A319 als auch die nachfolgende Tu-154M mit einem langen Anflug (long approach) unter Radarführung zum Instrumentenlandesystem (instrument landing system - ILS) der Piste 14 zu leiten. Um 06:57:59 UTC erfolgte die Kontaktaufnahme der Besatzung der Tu-154M mit dem Anflugverkehrsleiter Ost: Zurich arrival (Tu-154M) good morning äh approaching RI- LAX descending level one five zero, information India. Der APE-FVL wies die Besatzung an, ihre Maschine links auf Kurs 150 zu drehen und die Geschwindigkeit auf 210 KIAS zu reduzieren. Die Anweisung wurde korrekt bestätigt. Kurze Zeit später wurde auch die Besatzung der A319 angewiesen, ihre Geschwindigkeit auf 210 KIAS zu reduzieren. Der Kommandant der Tu-154M gab an, die ganze Besatzung hätte in dieser Phase auf dem traffic alert and collision avoidance system (TCAS) Gerät eine vor ihr in gleicher Richtung fliegende Maschine beobachtet. Diese sei nicht weit vor ihr geflogen und hätte sich leicht rechts ungefähr 2000 ft tiefer befunden. Zu diesem Flugzeug hätten sie Sichtkontakt herstellen können. Etwa 1.5 NM nordöstlich von RILAX erreichte die A319 gemäss Radaraufzeichnung FL 130 und war bereits auf Kurs 180 stabilisiert. Zur selben Zeit befand sich die Tu-154M ungefähr 0.7 NM hinter der A319, passierte FL 149 im Sinkflug und flog eine Linkskurve, um auf den vom APE-FVL angewiesenen Kurs 150 zu gelangen. Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 3 von 8

Ungefähr eine halbe Minute später, als die Besatzung das Flugzeug auf Kurs 150 stabilisiert hatte, durchflog die Tu-154M FL 140. Nach erfolgter Zuteilung des Radarkurses und der Geschwindigkeitsreduktion an die A319 und die Tu-154M wandte sich der APE-FVL, da er die beiden Maschinen vertikal gestaffelt wusste, gemäss seinen Angaben wieder den andern, voraus fliegenden Flugzeugen zu. Weiter gab er an: Ich wurde wieder auf die beiden Maschinen aufmerksam, als ich den STCA Alarm erhielt. Ich bemerkte, dass die (Tu-154M), welche bis FL 150 bewilligt war, weiter absank. Ich stoppte die (Tu-154M) unverzüglich und gab der Besatzung traffic information betreffend der (A319), welche sich auf FL 130 befand. Die Besatzung informierte mich, dass sie die (A319) sehen würden. Ich liess die (Tu- 154M) anschliessend auf FL 140 steigen. Die Besatzung der A319 sagte aus, dass sie auf ihrem TCAS-Gerät eine traffic advisory (TCAS-TA) erhalten hätte. Auf der Anzeige habe sie beobachten können, wie sich ihr die andere Maschine im Sinkflug bis auf 300 ft näherte, diesen dann stoppte und schliesslich wegdrehte. Auch habe sie Sichtkontakt herstellen können. Die Besatzung gab weiter an, sie selber habe ihren Flug normal fortgesetzt und erwähnte noch, dass die Flugverkehrsleitung zur Zeit des Vorfalles sehr beschäftigt gewesen sei. Gemäss Radaraufzeichnung durchflog die Tu-154M um 06:59:19 UTC FL 137, als die Besatzung vom APE-FVL aufgefordert wurde, den Sinkflug zu stoppen. Der FVL informierte sie, dass sie eine Sinkbewilligung bis FL 150 erhalten habe. Der Kommandant (commander CMDR) der Tu-154M sagte aus, dass die Besatzung nach der Kontaktaufnahme mit der Anflugleitstelle vom APE-FVL eine Kursanweisung von 150 und eine Sinkbewilligung bis FL 110 erhalten habe. Ein Besatzungsmitglied habe diese Anweisung wiederholt. Die Wiederholung sei gleichzeitig eine Überprüfung gewesen, dass die gesamte Besatzung die Anweisung richtig verstanden habe. Um 06:59:52 UTC wies der APE-FVL die Besatzung der Tu-154M an, wieder bis FL 140 zu steigen und um 07:01:07 UTC war die Maschine auf FL 140 stabilisiert. Gemäss Radaraufzeichnung hatten sich die beiden Flugzeuge bis auf eine vertikale Distanz von 300 ft und eine horizontale Distanz von 1.5 NM genähert. 1.2 Wetter Wetter gemäss INFONET Data der Flugsicherung: ATIS ZURICH INFO INDIA LDG RWY 14 ILS APCH, DEP RWY 28 QAM LSZH 0650Z 14.02.2005 230 DEG, 4 KT VIS 18 KM CLOUD FEW 1000 FT, SCT 3000 FT -01 C / -03 C QNH 1005 ZERO FIVE QFE THR 14 955 QFE THR 16 955 QFE THR 28 954 NOSIG Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 4 von 8

GEN DEICING PROC IN OPS TRL 75 DAY 0605 NGT 1725 QNH TICINO 0540Z: 997 HPA TROPO: 25400FT, MS53 RWY-REPORT NR. 261 0520 RWY 14 FULL LEN 30 M WIDE WET AND DEICED AND 10 % OR LESS PATCHES OF WET SNOW UP TO 2 MM BA UNREL EDGES COVERED WITH WET SNOW RWY 16 AND 28 FULL LEN 30 M WIDE WET AND DEICED AND 11 % TO 25 % PATCHES OF WET SNOW UP TO 3 MM BA UNREL EDGES COVERED WITH WET SNOW APRON AND TWY PATCHES OF ICE AND WET SNOW RWY 14 CLSD DUE TO SNOW CLEARING FROM 0430 TIL 0530 AIRMET 2. VALID BTN 0400 AND 0800 SWITZERLAND FIR LOC MOD ICE OBS AND FCST N OF ALPS AND ALPS BLW FL 100 STNR INTENSITY NO CHANGE 2. Analyse 2.1 Verkehrsabwicklung Als die beiden Flugbesatzungen mit der Bezirksleitstelle (area control centre ACC) Zürich in Kontakt traten, flogen beide Maschinen auf zusammenlaufenden Kursen Richtung RILAX, wo sie ungefähr gleichzeitig eingetroffen wären. Vor der Übergabe an die Anflugleitung wurde die Besatzung der A319 vom ACC-FVL angewiesen, bis FL 130 zu sinken. Die Besatzung der Tu-154M erhielt eine Sinkfreigabe bis FL 150, eine Flughöhe, welche die A319 bereits durchflogen hatte. In der Anflugleitung war ein hohes Verkehrsaufkommen zu bewältigen. Der APE-FVL beabsichtigte, mit der A319 und der Tu-154M einen langen Anflug durchzuführen, um eine Lücke für abflugbereite Flugzeuge zu schaffen. Er wies daher den beiden Besatzungen nach der Kontaktaufnahme einen Radarkurs zu. Als der APE-FVL um 06:59:15 UTC durch sein short term conflict alert (STCA) System über die Annäherung der beiden Maschinen gewarnt wurde, passierte die Tu-154M bereits FL 138. Der APE-FVL forderte die Besatzung der Tu-154M sofort auf, den Sinkflug zu stoppen und gab ihr eine Verkehrsinformation (traffic information) betreffend der rechts von ihr fliegenden A319. Wenig später erfolgte dann die Anweisung, wieder bis FL 140 zu steigen. Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 5 von 8

Die Tu-154M führte in der Folge den Sinkflug gemäss Radaraufzeichnung bis FL 133 fort, bevor die Maschine wieder zu steigen begann. Warum die Besatzung der Tu-154M der Meinung war, sie hätte eine Sinkanweisung bis FL 110 erhalten, muss offen bleiben. Gemäss Funkaufzeichnung hatte sie zu keiner Zeit eine Sinkbewilligung auf diese Flughöhe erhalten. Alle an die Besatzung erteilten Anweisungen wurden von dieser korrekt bestätigt. Die Verständigung auf der Frequenz war gemäss Aufzeichnung gut. Eine Verwechslung mit der Anweisung an eine andere Besatzung kann ausgeschlossen werden, da zur fraglichen Zeit keines der auf der Frequenz befindlichen Flugzeuge eine Sinkbewilligung bis FL 110 erhalten hatte. Eine mögliche Erklärung lässt sich allenfalls vom Erstaufruf der Tu-154M beim APE und dessen Antwort um 06:58:06 UTC, verbunden mit der Anweisung Hello (Tu-154M) Zurich Arrival turn left heading one five zero vectors one four speed two one zero ableiten. Diese Anweisung, in der mehrere Male die Eins vorkommt, wurde zwar von der Besatzung korrekt bestätigt. Sie könnte die Besatzung jedoch nachträglich bei der Ausführung irrtümlicherweise dazu verleitet haben, in Erinnerung der vielen Eins, auch den Sinkflug bis FL 110 fortzusetzen. Beim späteren Abflug ab Zürich konnte beobachtet werden, dass die Besatzung der Tu- 154M erneut Probleme hatte, die zugewiesene Geschwindigkeit und die bewilligte Flughöhe einzuhalten. 2.2 Besatzungsverhalten / CRM Gemäss den heutigen Kenntnissen über crew ressource management und crew cooperation werden in Mehrmanncockpits (multi crew cockpit) die Konzepte silence cockpit und closed loop angewendet. Dies bedeutet, dass unterhalb einer bestimmten Flughöhe oder ab Beginn des Sinkfluges im Cockpit nur noch Konversation geführt wird, welche im direkten Zusammenhang mit der Führung des Flugzeuges steht. Dies soll jegliche Ablenkung vermeiden. Zudem wird jede Aktion eines Besatzungsmitgliedes im Rahmen dieses closed loop Prinzipes vom anderen (oder von den anderen) Besatzungsmitgliedern überprüft. Aufgrund der Aussagen der Besatzung der Tu-154M ist nicht nachvollziehbar, was diese von diesen anerkannten Arbeitstechniken abgebracht und somit letztendlich zum Durchfliegen der freigegebenen Flughöhe geführt hat. Es kann von unzweckmässigem crew ressource management ausgegangen werden. 2.3 TCAS Die A319 befand sich im Horizontalflug auf FL 130, die Tu-154M war im Sinkflug. Zum Zeitpunkt der lateral nächsten Annäherung der beiden Flugzeuge um 06:58:52 UTC betrug der vertikale Abstand noch 1600 ft. Die A319 war zu diesem Zeitpunkt bereits auf FL 130 im Horizontalflug, die Sinkrate der Tu-154M betrug ca. 1500 ft/min. Diese Werte erfüllten die Anforderungen für die Auslösung einer traffic advisory noch nicht. Ab diesem Zeitpunkt begann der laterale Abstand zwischen den beiden Flugzeugen wieder zuzunehmen, bis etwa 06:59:04 UTC aber mit einer derart kleinen Rate, dass eine Extrapolation der Flugbahn eine Annäherung von weniger als 1,0 NM bis zum Zeitpunkt des Erreichens derselben Höhe (co-altitude) ergeben hätte. Weil sich ab 06:58:52 UTC die laterale Distanz beider Flugzeuge wieder vergrösserte, wurde eine besondere Funktion der TCAS Logik ausgelöst. Diese Funktion ist für Fälle vorgesehen, in denen die horizontale Annährungsrate sehr gering ist oder sich sogar bereits wieder vergrössert, Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 6 von 8

die Berechnung des TCAS-Rechners aber ergibt, dass zum Zeitpunkt des Erreichens der gleichen Höhe (co-altitude) eine fest definierte horizontale Distanz unterschritten wird. Sensitivity level 6: 1,0 NM for TA 0,8 NM for RA Diese fest definierte Höhe beträgt für das Höhenband von 10'000 ft - 20'000 ft (sensivity level 6), in welchem der Vorfall stattfand, 1,0 NM für die Auslösung einer TA (traffic advisory) und 0,8 NM für die Auslösung einer RA (resolution advisory). Gemäss TCAS Logik wird im entsprechenden Flughöhenband zwischen 10 000 ft und 20 000 ft (sensivity level 6) eine traffic advisory (TA) ausgegeben, wenn folgende beiden Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind: 1. wenn die Zeit bis zum Erreichen von co-altitude, d.h. bis beide Flugzeuge auf derselben Höhe sind, 45 Sekunden beträgt (TAU_TA). 2. wenn die aufgrund der aktuellen Flugwege von beiden TCAS berechnete Distanz bei Erreichen dieser co-altitude 1,0 NM oder weniger beträgt. Aufgrund der Geometrie des schweren Vorfalles wurden diese Bedingungen zu einem Zeitpunkt erfüllt, zu welchem die Tu-154M in einer Linkskurve auf heading 150 war. Kurz darauf waren die Flugwege der beiden Flugzeuge aufgrund dieser Kurve wieder auseinander laufend, was eine weitere Verschärfung des Konfliktes und die Ausgabe einer resolution advisory verhinderte. 3. Schlussfolgerungen 3.1 Befunde Beide Flugzeuge flogen nach Instrumentenflugregeln (instrument flight rules IFR) im Luftraum C und standen in ununterbrochenem Funkkontakt mit der Anflugleitung. Beim Flug der Tu-154M von Warschau nach Zürich handelte es sich um einen Leerflug. Die Besatzung war gemäss ihren Angaben vorher schon mehrmals nach Zürich geflogen. Im Zuständigkeitsbereich der Anflugleitstelle Ost herrschte ein hohes Verkehrsaufkommen. Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 7 von 8

Die Flugverkehrsleiter verfügten über die notwendigen Lizenzen zur Ausübung ihrer Tätigkeit. Der Anflugverkehrsleiter hatte zwischen den beiden Maschinen eine Mindeststaffelung von vertikal 1000 ft oder horizontal 5 NM zu gewährleisten. Beide Besatzungen hatten einen TCAS-TA Alarm erhalten und konnten Sichtkontakt zur andern Maschine herstellen. Die Tu-154M war gemäss Angaben der Flugbesatzung mit einem FMS Universal A- vionics UNS-1D und mit einem TCAS II Version 7.0 ausgerüstet. Die Besatzung der Tu-154M wurde von der Flugverkehrsleitung angewiesen, bis FL 150 zu sinken. Die Besatzung der Tu-154M führte den Sinkflug unter FL 150 fort, da sie der Meinung war, sie hätte eine Sinkbewilligung bis FL 110 erhalten. Gemäss Funkaufzeichnung war dies nicht der Fall. Der Anflugverkehrsleiter wurde vom STCA System auf die Staffelungsunterschreitung aufmerksam gemacht. Die Tu-154M sank bis FL 133 und stieg anschliessend gemäss der Anweisung des Anflugverkehrsleiters wieder bis FL 140. Gemäss Radaraufzeichnung näherten sich die beiden Maschinen bis auf eine vertikale Distanz von 300 ft und eine horizontale Distanz von 1.5 NM beziehungsweise eine vertikale Distanz von 800 ft und eine horizontale Distanz von 1 NM. 3.2 Ursache Der Vorfall ist darauf zurückzuführen, dass die Besatzung der Tu-154M die Anweisung der Flugverkehrsleitung, bis FL 150 zu sinken, nicht befolgte und den Sinkflug aus nicht bekannten Gründen weiterführte. Bern, 6. Juni 2006 Büro für Flugunfalluntersuchungen Dieser Bericht wurde ausschliesslich zum Zwecke der Unfallverhütung erstellt. Die rechtliche Würdigung der Umstände und Ursachen von Flugunfällen und schweren Vorfällen ist nicht Sache der Flugunfalluntersuchung (Art. 24 des Luftfahrtgesetzes). Geschlechtsunabhängig wird in diesem Bericht aus Datenschutzgründen ausschliesslich die männliche Form verwendet. Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 8 von 8