Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen für Kooperationen öffentlicher Krankenhausträger auf dem Gebiet von Apothekendienstleistungen Vortrag anlässlich der Jahrestagung 2013 des Bundesverbands klinik- und heimversorgender Apotheker e. V. (BVKA) Frankfurt am Main, 24.04.2013 Dr. Klaus Heuvels CMS Hasche Sigle, Frankfurt am Main
Themenübersicht I. Einführung in den Sachverhalt (OLG München, Beschluss vom 21.02.2013, Verg 21/12) II. Übersicht der Rechtsbeziehungen III. Entscheidung des Gerichts IV. Praxisrelevante Problempunkte des Falles V. Der Regelungsbereich vergaberechtsfreier Ausnahmetatbestände VI. Wichtige Fristen im Falle der Nachprüfung unzulässiger Direktvergaben VII. Zusammenfassung und Ausblick VIII. Diskussion offener Fragen Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 2
I. Einführung in den Sachverhalt (OLG München, Beschluss vom 21.02.2013, Verg 21/12) - Die Antragstellerin betreibt eine Apotheke. Sie belieferte einen Klinikverbund (Auftraggeberin) über Jahrzehnte mit Arzneimitteln und nahm weitere Aufgaben i. S. d. Apothekergesetzes wahr. Die Auftraggeberin kündigte den Vertrag zum 30.06.2012. - Ohne Ausschreibung oder Beteiligung anderer Unternehmen schloss die Auftraggeberin mit einem anderen Klinikverbund als Träger einer Krankenhausapotheke (Auftragnehmerin) einen neuen Versorgungsvertrag ab. Die Auftragnehmerin rechnete die Leistungen auf Selbstkostenbasis ab und erhielt eine jährliche Pauschale von 140.000 Euro. - Die Antragstellerin rügte die fehlende öffentliche Ausschreibung. Ihr Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer wurde zurückgewiesen. Ihre anschließende Beschwerde vor dem OLG München hatte Erfolg. Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 3
II. Übersicht der Rechtsbeziehungen Freie Apotheke (Antragstellerin) Belieferung mit Arzneimitteln etc. Vertrag 1983 Juni 2012 Klinikverbund A (Auftraggeberin) Klinikverbund B als Träger einer Krankenhausapotheke (Auftragnehmerin) Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 4
III. Entscheidung des Gerichts - Der Versorgungsvertrag zwischen der Auftraggeberin und der Auftragnehmerin bedurfte einer öffentlichen Ausschreibung. - Der Vertrag ist daher unwirksam. - Die Voraussetzungen einer vergabefreien Zusammenarbeit zweier öffentlicher Auftraggeber liegen nicht vor. - Zum Schutz der Patienten darf die Auftragnehmerin bis zur vergaberechtskonformen Neuregelung ihres Beschaffungsbedarfs einen Interimsauftrag ohne Ausschreibung abschließen. Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 5
IV. Praxisrelevante Fragestellungen des Falles (1) - Der Staat hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten, den zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Bedarf an Bau-, Dienst- oder Lieferleistungen zu decken: A. Durch Einkauf dieser Leistungen am Markt und Abschluss entsprechender Verträge mit externen Dritten oder B. Durch Erbringung der Leistungen mit eigenen Mitteln und durch Nutzung eigener Ressourcen. - Wählt er Variante A Beschaffung am Markt unterliegt er den Regeln des Vergaberechts. - Wählt er Variante B Bedarfsdeckung mit eigenen Mitteln unterliegt er den Regeln des Vergaberechts nicht. Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 6
IV. Praxisrelevante Fragestellungen des Falles (2) - Der Fall betrifft die praktisch bedeutsame Frage der Grenzziehung zwischen den Varianten A und B, insbesondere den Anwendungsbereich und die Reichweite von vergaberechtsfreien Ausnahmetatbeständen. - Zwei Formen einer vergaberechtsfreien Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Stellen Das sog. "Inhouse-Geschäft" (vertikale Zusammenarbeit) Die sog. "Interkommunale Zusammenarbeit" (horizontale Zusammenarbeit). - Daneben hatte sich das Gericht mit dem Thema der Einhaltung gesetzlicher Fristen im Falle der Nachprüfung einer unzulässigen Direktvergabe (De-facto-Vergabe) auseinanderzusetzen. Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 7
V. Der Regelungsbereich vergaberechtsfreier Ausnahmetatbestände (1) - Ausnahme 1: Das "Inhouse-Geschäft" (vertikale Zusammenarbeit) - Man unterscheidet Inhouse-Geschäfte im engeren und im weiteren Sinn: a) Inhouse-Geschäft i.e.s.: Der öffentliche Auftraggeber ist selbst Leistungserbringer, es findet keine Beauftragung eines Externen statt (Bsp.: Pflege der öffentlichen Grünanlagen durch städt. Friedhofsamt). b) Inhouse-Geschäft i.w.s.: Ein Auftrag der öffentlichen Hand wird an einen externen Dritten (mit eigener Rechtspersönlichkeit) vergeben, der allerdings vom öffentlichen Auftraggeber beherrscht wird, d.h. seinem Organisationsbereich eingegliedert ist. Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 8
V. Der Regelungsbereich vergaberechtsfreier Ausnahmetatbestände (2) - Definition eines Inhouse-Verhältnisses anhand von Kriterien des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) - "Teckal-Rechtsprechung" - Eine "Inhouse-Vergabe" setzt danach voraus: Der öffentlicher Auftraggeber muss eine ähnliche Kontrolle über den Auftragnehmer ausüben wie über eine eigene Dienststelle (Kontrollkriterium), am Auftragnehmer sind private Dritte nicht beteiligt, und der Beauftragte muss seine Tätigkeit im Wesentlichen für den Auftraggeber verrichten. Andere Tätigkeiten müssen rein nebensächlich sein (Wesentlichkeitskriterium). Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 9
V. Der Regelungsbereich vergaberechtsfreier Ausnahmetatbestände (3) - Dienststellenähnliche Kontrolle setzt voraus, dass der öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit hat, ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wichtigsten operativen Entscheidungen der auftragausführenden Einrichtung auszuüben. - Im Wesentlichen wird der Beauftragte für den Auftraggeber tätig, wenn er mindestens 90% seines Umsatzes aus der Tätigkeit für den Auftraggeber generiert. Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 10
V. Der Regelungsbereich vergaberechtsfreier Ausnahmetatbestände (3) - Voraussetzungen für eine "Inhouse-Vergabe" werden im entschiedenen Fall nicht erfüllt: Auftraggeberin hat keine Überwachungs- oder Weisungskompetenzen im Verhältnis zur beauftragten Krankenhausapotheke. Dies hat nur die Auftragnehmerin. Beauftragte Krankenhausapotheke erzielt mit Apothekenlieferungen bzw.- leistungen in ganz erheblichem Umfang - ca. 80% - Umsätze mit anderen öffentlichen Krankenhausträgern und privaten Einrichtungen. Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 11
V. Der Regelungsbereich vergaberechtsfreier Ausnahmetatbestände (4) - Ausnahme 2: Die "Interkommunale Zusammenarbeit" öffentlicher Einrichtungen (horizontale Zusammenarbeit) - Verschiedene öffentliche Stellen arbeiten gemeinsam bei der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben zusammen. - Voraussetzungen nach der Rspr. des EuGH (wegweisend ist die Entscheidung in der Rechtssache "Stadtreinigung Hamburg") sind: Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 12
V. Der Regelungsbereich vergaberechtsfreier Ausnahmetatbestände (5) Der Gegenstand der Zusammenarbeit von mehreren öffentlichen Einrichtungen ist eine ihnen gemeinsam obliegende öffentliche Aufgabe. Der Vertrag muss ausschließlich zwischen öffentlichen Einrichtungen ohne Beteiligung Privater geschlossen werden. Keine Zahlungen i.s. eines Entgelts für erbrachte Leistungen. Kein privater Dienstleistungsempfänger darf besser gestellt werden als sein Wettbewerber. Die vereinbarte Zusammenarbeit darf nur durch Erfordernisse und Überlegungen bestimmt werden, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhängen. Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 13
V. Der Regelungsbereich vergaberechtsfreier Ausnahmetatbestände (6) - Auch diese Voraussetzungen liegen im entschiedenen Fall nicht vor: Es fehlt an einer ihnen gemeinsam obliegenden öffentlichen Aufgabe und an der Verfolgung von nur im öffentlichen Interesse liegenden Zielen. Apotheker sind private, auf dem freien Markt tätige und dem Wettbewerb unterworfene Unternehmer, die marktgängige Leistungen gegen Entgelt erbringen. Auftraggeberin tauscht nur ihren bisherigen privaten Vertragspartner durch einen anderen Dienstleister aus. Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 14
V. Der Regelungsbereich vergaberechtsfreier Ausnahmetatbestände (7) Klinikapotheker wird nicht zum "Mitbehandler" der Patienten der Auftraggeberin. Vereinbarte Pauschale wurde nicht ausschließlich nach dem konkreten Kostenaufwand berechnet, sondern deckt in erheblichem Umfang Fixkosten aus den sonstigen geschäftlichen Aktivitäten mit ab. Daher entgeltliche Leistungserzielung zwischen den Beteiligten. Es droht eine Verfälschung des Wettbewerbs, da die Krankenhausapotheke in erheblichem Umfang auf dem Markt tätig ist und von Dritten Aufträge akquiriert. Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 15
VI. Wichtige Fristen im Falle der Nachprüfung unzulässiger Direktvergaben - Anfechtung durch Dritte nur innerhalb von 30 Kalendertagen ab positiver Kenntnis des Verstoßes, jedoch nicht länger als 6 Monate nach Vertragsschluss ( 101 b Abs. 2 Satz 1 GWB) - Fristbeginn: Bei Kenntnis der relevanten Tatsachen und Schlussfolgerung in zumindest laienhafter Weise, dass der Auftraggeber das Vergaberecht missachtet - Achtung: Fristen sind Ausschlussfristen, deren Ablauf zum Rechtsverlust führen Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 16
VI. Zusammenfassung und Ausblick (1) - Der Versorgungsvertrag der Auftraggeberin mit der Auftragnehmerin bedurfte der öffentlichen Ausschreibung. - Der Versorgungsvertrag erfüllte zweifelsfrei nicht die Kriterien eines "Inhouse-Geschäfts" oder einer zulässigen "Interkommunalen Zusammenarbeit". - Die Unwirksamkeit eines Vertrages muss innerhalb von 30 Tagen ab Kenntnis des Verstoßes im Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden. Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 17
VI. Zusammenfassung und Ausblick (2) - Die Auftraggeberin kann sich zukünftig dazu entschließen, z. B. eine klinikeigene Apotheke zu eröffnen oder die Versorgungsleistungen europaweit auszuschreiben. - Zur Vermeidung der Gefährdung von Patienten darf die Auftraggeberin einen zeitlich eng begrenzten Interimsauftrag ohne Ausschreibung abschließen. Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 18
VII. Diskussion offener Fragen Haben Sie Fragen? Vergaberechtliche Anforderungen und Grenzen 24. April 2013 19
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