Manuskript Beitrag: Nazi-Netzwerke Stille Post aus dem Knast Sendung vom 14. Mai 2013 von Anton Maegerle, Andreas Postel und Uli Stoll Anmoderation: Heute standen sie wieder vor Gericht: NSU-Mitglied Beate Zschäpe und der Mitangeklagte Ralf Wohlleben. Der soll dem rechtsradikalen Trio Beihilfe zum Mord geleistet haben. Und noch aus dem Knast heraus wirkte er auf die Nazi-Szene ein: Unterhielt eifrig Kontakte zu den braunen Kameraden draußen. Eine Art Stille Post. Er war damit nicht der einzige: Noch andere Nazis in Haft flogen mit geheimen Netzwerken kürzlich auf. Allerdings eher zufällig! Offenbar ignoriert der Staat das rechte Treiben im Land noch immer. So wie zu den mörderischen Zeiten des NSU. Ulrich Stoll über ein peinliches deutsches Armutszeugnis. Text: Ralf Wohlleben vor Gericht in München. Er soll dem Nationalsozialistischen Untergrund NSU die Waffe besorgt haben, mit der neun Menschen ermordet wurden. Monatelang saß Wohlleben im Gefängnis Tonna in Thüringen. Aus dem Gefängnis heraus konnte der gut vernetzte Neonazi unbemerkt Briefe an Gesinnungsfreunde schreiben und Briefe von draußen erhalten - trotz angeblich scharfer Postkontrolle. Nazi-Netzwerke im Strafvollzug erforscht Professor Helmut Koch seit Jahren. Er stellte fest, dass die Gefängnisleitungen davon kaum etwas mitbekommen. O-Ton Prof. Helmut Koch, Arbeitskreis kritischer Strafvollzug: Die Netzwerke funktionieren, sie funktionieren drinnen, sie funktionieren draußen. Die Kenntnisse darüber sind allerdings sehr gering, weil bislang kein Interesse daran war, sich um diese Netzwerke zu kümmern. Auch Ralf Wohlleben konnte im Gefängnis Tonna seinen Helfern unbemerkt Post übergeben.
Ein Mitgefangener schmuggelte Wohllebens Kassiber nach draußen, an Kameraden in der Nazi-Szene. Eine Nachlässigkeit der Behörden, die den NSU-Prozess gefährden könnte, meint Katharina König, Oppositionspolitikerin in Thüringen. O-Ton Katharina König, DIE LINKE, MdL Thüringen: Das Gefährliche ist natürlich, dass damit Ralf Wohlleben in die Lage versetzt wurde, zum Beispiel Informationen aus dem Gefängnis herauszugeben, welche Infos, die zum NSU noch bestehen, vernichtet werden sollen oder was die Leute auszusagen haben. Von einer Deckadresse in Gotha aus leiteten die Unterstützer Wohllebens Briefe weiter - auch an Kameraden in anderen Gefängnissen. Die Szene feiert Wohlleben, widmet ihm Musik-CDs. O-Ton: Freiheit für Wolle! Die Neonazis sammeln Geld für Wolle. So geht das monatelang. O-Ton: Solidarität! Erst dann werden die Ermittler aufmerksam, durchsuchen Wohllebens Zelle, entdecken Briefe seiner Helfer. Ein inhaftierter Neonazi schreibt an ihn: Zurzeit haben Deine Briefe ja einen richtigen Lauf...Der Adler ist gelandet, hehe. Wie konnte es der Justiz entgehen, dass der Terrorverdächtige im Gefängnis ein Netzwerk nach draußen aufbaute? O-Ton Holger Poppenhäger, SPD, Justizminister Thüringen: Natürlich müssen wir, ich will das noch mal sagen, auch den Gefangenen die Möglichkeit von Kontakten, von Schreibkontakten, von Telefonkontakten lassen. Es ist eine Gradwanderung, man muss immer aufmerksam sein in dem Bereich und es muss klar sein, dass es ein Problem geben kann. Schließlich wird Wohlleben verlegt - nach München-Stadelheim. Dort schreibt er weiter jetzt verziert er seine Briefe mit zu Hakenkreuzen umgestalteten Buchstaben. Felix Benneckenstein hat selbst erlebt, dass Nazis sich auch
hinter Gittern ungehindert austauschen können. Als Mitglied einer gewalttätigen Nazi-Kameradschaft saß er eineinhalb Jahre in München ein. O-Ton Felix Benneckenstein, Nazi-Aussteiger: Ich hatte immer das Gefühl, dass es eigentlich keinen interessiert, was Nazis im Knast machen. Also ich hatte wirklich nie das Gefühl, dass ich irgendeiner gesonderten Beobachtung unterzogen sei oder dass meine Post irgendwie gesondert kontrolliert würde. Sogar das Nazi-Blatt JVA-Report händigten die Wärter dem Häftling Benneckenstein aus. Dort heißt es: Genauso wenig wie ein Henker ein Mörder ist, genauso wenig ist ein militanter Aktivist, der für unsere Sache gezielt Menschenleben (nämlich Volksfeinde) vernichtet, in meinen Augen ein Mörder. O-Ton Felix Benneckenstein, Nazi-Aussteiger: Bei Justizbeamten habe ich es auch öfter selbst erlebt, dass die im Gegenteil sogar Sympathien für die Szene hegen. Dass sie mal eine Zeitschrift durchreichen wie zum Beispiel den JVA-Report, die sie auch ohne weiteres hätten einbehalten können. Und Schulterklopfen so nach dem Motto: Ja, wir wissen ja, dass du einer der Guten bist und so weiter und sofort. Hessen, Justizvollzugsanstalt Hünfeld. Hier saß Bernd T. ein, ein Totschläger und führender Neonazi in Hessen. T. gründete ein Netzwerk rechtsextremer Gefangener, machte das sogar im Oktober 2012 im Rocker-Magazin Biker News öffentlich mit einer Anzeige seiner AD Jail Crew. Bernd T. schreibt: Wir sind eine wilde Horde, die EINES gemeinsam haben z. Zt. der staatlichen Willkür ausgesetzt, da ALLE (noch) in Haft sitzen. Obwohl der hessische Verfassungsschutz die Bikers News auswertet, will die Justiz nichts von Bernd T.s Nazi- Kameradschaft bemerkt haben. Die Opposition wundert sich. O-Ton Ulrich Wilken, DIE LINKE, MdL Hessen: Jeder weiß, wer Bernd T. ist, sicherlich auch die Anstaltsleitung, wo er eingesessen ist, hat aber nicht die notwendige Konsequenz gezogen und zu sagen, wir haben hier einen Neonazi einsitzen, der muss besonders beobachtet werden, dessen Post müssen wir noch mal ganz
anders kontrollieren. Noch nach der Veröffentlichung der Anzeige des Knast- Netzwerkes gab sich der hessische Justizminister ahnungslos und teilte im November 2012 mit: In keiner hessischen Justizvollzugsanstalt liegen Erkenntnisse über Versuche von Neonazis und Neofaschisten vor, sich innerhalb der Justizvollzugsanstalt zu organisieren. Keine Nazi-Organisation? Bernd T. hatte nach eigenen Angaben Kontakt zu rechten Kameraden in 18 Gefängnissen. Nach seiner Zellendurchsuchung bestätigte die hessische Regierung Kontaktaufnahmen Bernd T.s zu zehn weiteren Gefängnissen auch zu den Haftanstalten, in denen die NSU- Verdächtigen Wohlleben und Zschäpe einsaßen. Das alles kann der Minister nicht mehr ignorieren. O-Ton Jörg Uwe Hahn, FDP, Justizminister Hessen: Wir müssen davon ausgehen, dass jedenfalls aus der Justizvollzuganstalt Hünfeld heraus versucht wurde, ein Netzwerk im rechtsextremen Bereich aufzubauen. Erst ein Jahr nach Gründung seines Nazi-Netzwerks wird Bernd T. endlich verlegt. Justizvollzugsanstalt Lübeck: Hier sitzt seit 1997 Kay D. ein - Neonazi und Polizistenmörder. Aus der Zelle heraus konnte D. ein Jahrzehnt lang offenbar ungehindert hetzen. Die Nazi-Postille JVA-Report druckt 2009 ein Interview mit dem angeblich gut überwachten Mörder ab. Kay D. wörtlich: Im bald kommenden offenen Rassenkrieg wird der größte Teil von den brd -Konsumzombies zu Grunde gehen. Ich hasse die ZOGs [die zionistisch okkupierten Regierungen]. Zahlreiche Texte von Kay D. kursieren in der Nazi-Szene. Wie ist so etwas möglich? Die Antwort des Justizministeriums klingt hilflos: Herr D. wurde mehrfach von Mitarbeitern der JVA Lübeck befragt, wie es zu dem Erscheinen dieser Texte gekommen ist. D. hat immer bestritten, Verfasser der Texte zu sein Es ist schwer einzuschätzen, wie glaubwürdig diese Aussage ist. O-Ton Prof. Helmut Koch, Arbeitskreis kritischer Strafvollzug: Die Justiz hat in den letzten zehn Jahren nichts gelernt. Und
das, was jetzt bei dem NSU aufgefallen ist, diese angeblich totale Unkenntnis und Schlamperei, dies ist sozusagen auch eine Charakteristik dessen, was ich in den letzten Jahren auch in den Justizbehörden in Deutschland erlebt habe. Neonazis wie Kai D. oder Ralf Wohlleben können aus der Haft heraus weiter in der braunen Szene tätig sein und die Justiz schaut zu. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.