Niederlande Anatomie einer Reform



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Niederlande Anatomie einer Reform

Illustration: akg-images Die Niederländer haben ihr Krankenkassensystem grundlegend verändert: Seit einem Jahr gelten für alle Bürger des Landes die selben Versicherungsbedingungen. Wie sich die Reform auf die Marktstruktur und die Finanzen der Versicherten und des Staates auswirkt, analysieren Stefan Greß, Maral Manouguian und Jürgen Wasem. Privat oder gesetzlich diesen Unterschied gibt es im niederländischen Krankenversicherungssystem seit dem 1. Januar 2006 nicht mehr. Mit der jüngsten Gesundheitsreform hat unser Nachbar alle Krankenkassen privatisiert. Das Ziel der Reform ist es, durch einen regulierten Wettbewerb der Krankenversicherer in einem einheitlichen System die Wahlmöglichkeiten der Versicherten zu erhöhen sowie Qualität und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung zu steigern. In diesem Beitrag stellen wir die ersten messbaren Auswirkungen der Reform dar. Dabei legen wir den Fokus insbesondere auf die Finanzen, auf die Struktur des Krankenversicherungsmarktes und auf die Konsumentenmobilität. Verschiedene Tarife im Angebot. Alle Krankenversicherer in den Niederlanden unterliegen seit Inkrafttreten der Reform dem Kontrahierungszwang: Sie dürfen keine Versicherten abweisen. Die gesamte niederländische Bevölkerung ist versicherungspflichtig und kann zwischen allen Krankenversicherern wählen. Die Versicherer bieten verschiedene Tarife an. Wenn sich die Versicherten beispielsweise für einen Selbstbehalt entscheiden (sie tragen dabei zwischen 100 und 500 Euro ihrer jährlichen Gesundheitskosten selbst), erhalten sie einen Beitragsrabatt. Außerdem können sie zwischen Kostenerstattung und Sachleistung sowie zwischen Einzelverträgen und Gruppenverträgen wählen. Anbieter von Gruppenverträgen sind Arbeitgeber, Gewerkschaften, Sportvereine, Patientenvereinigungen und andere Zusammenschlüsse. Voraussetzung für das Angebot von Gruppenverträgen ist, dass jedes Mitglied der jeweiligen Gruppe, also beispielsweise jeder Beschäftigte eines Betriebes, auch einen anderen Krankenversicherer wählen kann. Die Versicherer dürfen die einkommensunabhängigen Beiträge für Gruppenverträge im Vergleich zu Einzelverträgen um bis zu zehn Prozent günstiger anbieten. Außerdem haben alle Versicherten die Möglichkeit, eine Zusatzversicherung abzuschließen. Obwohl die Krankenversicherer bei den Zusatzversicherungen nicht dem Kontrahierungszwang unterliegen, haben sich die Versicherer darauf verständigt, zumindest 2006 alle Antragssteller aufzunehmen. Staatlicher Zuschuss für Einkommensschwache. Die Ausgaben der Krankenversicherer werden im Durchschnitt zur Hälfte aus einem einkommensabhängigen Beitrag finanziert. Beitragspflichtig sind vor allem Einkommen aus selbstständiger und unselbstständiger Arbeit sowie Kapitaleinkünfte. Der Beitragssatz liegt derzeit einheitlich bei 6,5 Prozent bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze von 30.015 Euro. Für Arbeitnehmer wird dieser Beitrag durch den Arbeitgeber finanziert. Die andere Hälfte der Ausgaben der Krankenversicherer wird durch einen einkommensunabhängigen Beitrag (Kopfprämie) finanziert, den die Versicherten tragen. Dessen Höhe ist der zentrale Wettbewerbsparameter für die Krankenversicherer. Der einkommensunabhängige Beitrag belief sich auf durchschnittlich 1.060 Euro für das Jahr 2006. Versicherte mit niedrigem Einkommen können einen steuerfinanzierten staatlichen Zuschuss zur Kopfprämie beantragen. Das Gesundheitsministerium muss den einkommensabhängigen Beitrag jährlich an die Entwicklung der Gesundheitsausgaben so anpassen, dass es bei der im Durchschnitt je hälftigen Finanzierung über einkommensabhängige und einkommensunabhängige Beiträge bleibt. Der Krankenversicherungsschutz von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren ist beitragsfrei und steuerfinanziert. Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich erfolgt über einen Gesundheitsfonds, in den die einkommensabhängigen Beiträge und die steuerfinanzierten Zuschüsse fließen. Die Risikoadjustierung bezieht auch den einkommensunabhängigen Beitrag ein, sodass die Höhe der Kopfprämien nicht davon abhängt, wie viele kranke und gesunde Mitglieder eine Versicherung hat. Reformwirkungen auf Staatshaushalt und Arbeitgeber. Schon vor der Reform wurde der bereits erwähnte Gesundheitsfonds auch von einem steuerfinanzierten Zuschuss in Höhe von 3,6 Milliarden Euro (2005) gespeist das entspricht etwa zwölf Prozent der Gesamtausgaben. Nach Berechnung des Central Planbureau (CPB, staatliches Beratungsinstitut) ist die Wirkung der Krankenversicherungsreform auf den Staatshaushalt neutral. Die staatlichen Ausgaben für die Finanzierung des Gesundheitszuschusses und für die Beiträge für Kinder und 37

Die Reform führt zu einem Preiskampf: Die Versicherer unterbieten sich in der Höhe ihrer Prämien. Jugendlichen unter 18 Jahren belaufen sich im Jahr 2006 voraussichtlich auf den gleichen Betrag. Allerdings sind Maßnahmen zur Kompensation unerwünschter finanzieller Auswirkungen der Reform (Erhöhung der Renten, Erhöhung des Kindergelds, Senkung von Unternehmenssteuern) bei dieser Berechnung nicht berücksichtigt. Ob die staatlichen Gesundheitsausgaben in den folgenden Jahren stabil bleiben, lässt sich derzeit nicht zuverlässig vorhersagen. Wenn die einkommensunabhängigen Beiträge und damit die Zahl der Anspruchsberechtigten für den Gesundheitszuschuss steigen, könnte der Staatshaushalt deutlich stärker belastet werden. Die Auswirkungen der Reform für die Arbeitgeber sind ebenfalls insgesamt neutral. Auf der einen Seite haben die Arbeitgeber durch die Finanzierung des einkommensabhängigen Beitrags für vormals privat versicherte Beschäftigte höhere Kosten als durch die freiwilligen Zuschüsse zu den privaten Krankenversicherungsprämien vor der Reform. Auf der anderen Seite wird diese Mehrbelastung teilweise durch eine Verringerung des Beitragssatzes von 6,75 auf 6,5 Prozent aufgefangen. Außerdem wurde die Unternehmenssteuer gesenkt. Wie die Reform auf Privathaushalte wirkt. Nach Berechnungen des CPB stieg das verfügbare Einkommen der niederländischen Haushalte als Folge der Reform insgesamt um 1,5 Prozent sowohl direkt durch die Reform als auch durch die damit verbundenen Änderungen wie die Erhöhung des Kindergeldes und der Renten. Laut CPB profitieren rund 5,1 Mehr verfügbares Einkommen Alleinverdiener mit Kindern Alleinverdiener ohne Kinder Doppelverdiener mit Kindern Rentner mit niedrigem Einkommen Familien profitieren Weniger verfügbares Einkommen Doppelverdiener ohne Kinder Alleinstehende ohne Kinder mit ehemals niedrigen Prämien in der privaten Krankenversicherung Mehr Gewinner als Verlierer: Nach der Krankenversicherungsreform haben die meisten niederländischen Haushalte mehr Geld zur Verfügung. Lediglich Doppelverdiener ohne Kinder und Alleinstehende ohne Kinder, die vorher niedrige Versicherungsprämien zahlten, werden nun stärker belastet. Quelle: Greß/Manouguian/Wasem 2006 Millionen Haushalte (rund 80 Prozent) von der Reform. Für 4,2 Millionen Haushalte steigt das verfügbare Einkommen um null bis vier Prozent, 0,9 Millionen Haushalte haben sogar über vier Prozent mehr verfügbares Einkommen als vor der Reform. Die Haushalte, die durch die Reform einen Zuwachs an Einkommen verbuchen konnten, waren zu 60 Prozent pflichtversichert. Die verbleibenden 40 Prozent hatten mindestens ein Haushaltsmitglied, das privat versichert war. Für 1,1 Millionen Haushalte verringerte sich durch die Reform das verfügbare Einkommen geringfügig. Der Einfluss der Reform auf das verfügbare Einkommen hängt in großem Maße vom Haushaltstyp und dem ehemaligen Versicherungsstatus ab (siehe Tabelle Familien profitieren ). Vorher privat versicherte Alleinverdiener mit Kindern profitieren von der Reform, da Kinder bis zu 18 Jahren nach der Reform beitragsfrei versichert sind. Bei vormals gesetzlich versicherten Alleinverdienern mit Kindern ist im Durchschnitt der zusätzliche einkommensunabhängige Beitrag geringer als das angehobene Kindergeld und der Gesundheitszuschuss sie profitieren also auch. Das Gleiche gilt für Doppelverdiener mit Kindern und einem niedrigen Einkommen. Ehemals privat versicherte Doppelverdiener mit einem hohen Einkommen haben ebenfalls Vorteile von der Reform, da der einkommensunabhängige Beitrag im Durchschnitt geringer ist als die Prämie der privaten Versicherung. Rentner mit einem niedrigen Einkommen werden durch die Senkung des einkommensabhängigen Beitrags der Renten und durch den Gesundheitszuschuss entlastet. Die Kaufkraft der Doppelverdiener ohne Kinder wurde unabhängig vom ehemaligen Versicherungsstatus durch die Reform verringert, da in den meisten Fällen aufgrund des doppelten Einkommens kein Anspruch auf einen Gesundheitszuschuss besteht. Das verfügbare Einkommen von Alleinverdienern ohne Kinder, die früher niedrige Prämien in der privaten Krankenversicherung gezahlt haben, ist mit der Reform geringfügig gesunken. Versicherer eröffnen einen Preiswettbewerb. Sowohl für die Versicherten wie auch für die Regierung ist die Höhe des einkommensunabhängigen Beitrags von großer Bedeutung. Ein hoher einkommensunabhängiger Beitrag hätte nicht nur für die Bürger einen Kaufkraftverlust zur Folge, sondern würde auch mehr staatliche Ausgaben für den Gesundheitszuschuss nach sich ziehen. Berechnungen des Gesundheitsministeriums vor der Reform hatten auf Basis der hälftigen Finanzierung einen einkommensunabhängigen Beitrag von 1.106 Euro pro Jahr ergeben. Verschiedene Versicherer und Versicherungsanalysten sagten voraus, dass sich der jährliche einkommensunabhängige Beitrag zwischen 1.250 Euro und 1.300 Euro einpendeln würde (Douven und Schut, siehe Lesetipps). Diese Erwartung bestätigte sich jedoch nicht. Im Herbst 2005 brach ein Preiskampf aus, bei dem sich die Ver- 38

sicherer in der Höhe des einkommensunabhängigen Beitrags unterboten, sodass sich dieser Beitragsanteil, wie erwähnt, auf derzeit durchschnittlich 1.060 Euro pro Jahr beläuft (bei einer Spanne von 990 Euro bis 1.172 Euro). Unter Berücksichtigung der abgeschlossenen Gruppenverträge liegt der einkommensunabhängige Beitrag sogar nur bei 1.030 Euro. Das Gesundheitsministerium hätte deshalb 2006 den Gesundheitszuschuss um insgesamt rund 300 Millionen Euro verringern können, verzichtete jedoch aus politischen Gründen darauf. Derzeit halten vier Versicherungskonzerne einen Marktanteil von 80 bis 90 Prozent. Nicht alle Versicherer können ihre laufenden Ausgaben durch laufende Einnahmen finanzieren. Hätte der kostendeckende einkommensunabhängige Beitrag, wie vom Gesundheitsministerium berechnet, 1.106 Euro betragen, müssten die Krankenversicherer im Jahr 2006 rund 950 Millionen Euro aus Rücklagen finanzieren. Tatsächlich dürfte dieser Betrag aber höher sein, da die Kopfprämien ja 2006 niedriger liegen. Wie stark steigen die Prämien? Daher stellt sich nun die Frage, ob die Versicherer ihren Preiskampf im Jahr 2007 fortsetzen. Wenn sie nicht weiter auf ihre Rücklagen zurückgreifen können oder wollen, müssen sie die einkommensunabhängigen Beiträge erhöhen. Obwohl die Mobilität der Versicherten im Jahr 2007 gegenüber dem Vorjahr abnehmen dürfte (siehe unten), können sich Versicherer bei Preiserhöhungen nicht darauf verlassen, dass ihre Versicherten ihnen treu bleiben. Auch aufgrund der gesetzlichen Vorschriften wird der einkommensunabhängige Beitrag im Jahr 2007 erhöht werden müssen. Der Gesetzgeber verlangt, dass die Gesundheitsausgaben jeweils zur Hälfte durch die Kopfprämie und den einkommensabhängigen Beitrag zu finanzieren sind. Der einkommensunabhängige Beitrag liegt jedoch derzeit deutlich unter den vom Gesundheitsministerium veranschlagten 1.106 Euro. Das ist nicht nur eine Folge des Preiskampfes, sondern auch Ergebnis einer Fehlkalkulation des Gesundheitsministeriums: Es setzte den einkommensabhängigen Beitrag zu hoch an. Darum werden derzeit mehr als 50 Prozent der Gesundheitsausgaben einkommensabhängig finanziert die Kopfprämie müsste also steigen, um der gesetzlichen Vorschrift zu genügen. Zudem ist ein Anstieg der Ausgaben für Ärzte, Krankenhäuser und Arzneien zu erwarten. Die Versicherten müssen also im Jahr 2007, auch wenn der Preiskampf zwischen den Krankenversicherern andauern sollte, mit einem erhöhten einkommensunabhängigen Beitrag rechnen. Versicherungen schließen sich zusammen. Die Krankenversicherungsreform hat eine Fusionswelle ausgelöst. Schon vor der Reform kam es zu mehreren großen Fusionen von privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen. Bis zum Ende des Jahres 2006 schlossen sich weitere Unternehmen zusammen, so beispielsweise die VGZ- und die TRIAS-Gruppe sowie die Krankenversicherungen CZ und OZ. Außerdem verschmolzen acht bisher überwiegend regional tätige Krankenversicherer zur DAM-Gruppe. Alle Krankenversicherer bieten den Versicherten weiterhin ihre Leistungen und ihren Service unter dem eigenem Label an. Zusammen mit der Achmea-Gruppe haben vier Konzerne mit ihren insgesamt 22 Marken nach Angaben der niederländischen Wettbewerbsbehörde landesweit einen Marktanteil von 80 bis 90 Prozent. Die niederländische Wettbewerbsbehörde hat bisher keinen Anlass gesehen, diesen fortschreitenden Fusionsprozess zu stoppen. Nach Aussage der Behörde sind mit den vier großen Konzernen und einer Reihe von kleineren Wettbewerbern immer noch genug Konkurrenten auf dem Markt, um den Wettbewerb um die Versicherten zu fördern. Die Reform hat die Zahl der Wechsler erhöht Mobilität der Versicherten 2006 Anbieter von Gruppenverträgen Während vor der Reform jährlich nur zwei bis vier Prozent der Versicherten die Kasse wechselten, entschieden sich nach der Reform (2006) 21 Prozent für eine andere Versicherung oder einen anderen Tarif. Besonders attraktiv: die günstigen Prämien in Gruppenverträgen.Quelle: de Jong/Delnoij/Groenewegen 39

Auch chronisch Kranke sind für niederländische Versicherer eine attraktive Kundschaft. Lesetipps Dieser Beitrag beruht zu großen Teilen auf den Ergebnissen eines Forschungsprojekts, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde. Für eine ausführliche Darstellung vgl. Greß, S., Manouguian M., Wasem, J. (2006). Krankenversicherungsreform in den Niederlanden. Vorbild für einen Kompromiss zwischen Bürgerversicherung und Pauschalprämie in Deutschland? Diskussionsbeitrag Nr. 150, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen, Campus Essen. Greß, S., Groenewegen, P., Hoeppner, K. (2005). Die Reform-Mühle dreht sich wieder. G+G 2/2005, Seite 20-25 Douven, R., Schut, E. (2006). Health plan pricing behaviour and managed competition. Den Haag, CPB discussion paper No 61. de Jong, J., Groenewegen, P., Rijken, M. (2006). The Dutch health insurance reform: Consumer mobility. Vortrag bei der 14. Jahrestagung der Euopean Public Health Association am 16.11.2006 in Montreux (Schweiz) Gruppenverträge motivieren zum Wechsel. Die Krankenversicherungsreform hat die Wechselbereitschaft der Versicherten deutlich erhöht. Mehr als ein Fünftel (21 Prozent) der Versicherten hat sich nach Inkrafttreten der Reform für eine andere Versicherung entschieden, 65 Prozent sind beim gleichen Krankenversicherer im gleichen Tarif geblieben und 14 Prozent haben einen anderen Tarif beim gleichen Versicherer gewählt (siehe Abbildung Die Reform hat die Zahl der Wechsler erhöht auf Seite 39). Vor der Reform haben in den Niederlanden pro Jahr nur etwa zwei bis vier Prozent der Versicherten die Kasse gewechselt. Eine Umfrage von Judith de Jong, Peter Groenewegen und Mieke Rijken vom NIVEL-Institut in Utrecht (siehe Lesetipps) macht deutlich, dass auch viele chronisch kranke Versicherte die Krankenversicherung wechselten. Unabhängig von Bildungsniveau und Gesundheitszustand weisen Frauen anders als in Deutschland eine höhere Wechselbereitschaft auf als Männer. Außerdem zeigen jüngere Versicherte eine höhere Mobilität als ältere Versicherte. 57 Prozent der Versicherten gaben in einer anderen Umfrage des NIVEL an, wegen eines attraktiven Gruppenvertrages gewechselt zu haben. Für 39 Prozent der Versicherten war die Höhe der einkommensunabhängigen Beitragskomponente der wichtigste Wechselgrund. Unterschiede in Preis und Leistung der Zusatzversicherung waren für 18 Prozent der Befragten ausschlaggebend, einer anderen Versicherung beizutreten. Die meisten Versicherten mit einem Gruppenvertrag haben ihn über ihren Arbeitgeber abgeschlossen (78 Prozent). Weniger bedeutend sind Gruppenverträge mit Gewerkschaften (acht Prozent) oder Patientenverbänden (zwei Prozent). Nur sieben Prozent aller Versicherten bevorzugten einen Tarif mit erhöhtem Selbstbehalt. 42 Prozent aller Versicherten entschieden sich für das Sachleistungsprinzip. 24 Prozent der Befragten wählten Kostenerstattung und 15 Prozent eine Kombination aus Kostenerstattung und Sachleistung. 19 Prozent der Befragten wussten nicht, welche Art der Versicherung sie gewählt hatten. Wie bereits vor der Reform, reicht vielen Niederländern das Basispaket der Versicherungen nicht: 95 Prozent aller Versicherten haben eine Zusatzversicherung abgeschlossen die meisten für Physiotherapie und zahnärztliche Versorgung (jeweils 73 Prozent). Auch Bürger mit sehr gutem Gesundheitszustand unterzeichneten Verträge für Zusatzversicherungen. Kaum Anreize zur Risikoselektion. Der Gesetzgeber hat sich darum bemüht, finanzielle Belastungen zu vermeiden. Zumindest kurzfristig ist dies weitgehend gelungen: Die Reform belastet weder die Arbeitgeber noch den Staatshaushalt. Die große Mehrheit der privaten Haushalte profitiert sogar von der Reform. Das ist wahrscheinlich eine wesentliche Ursache dafür, dass die Reform fast reibungslos umgesetzt worden ist. Im Vorfeld der Parlamentswahlen im November 2006 spielte die Gesundheitspolitik jedenfalls keine nennenswerte Rolle. Turbulenzen gab es dagegen auf dem Krankenversicherungsmarkt: Der Preiskampf der Krankenversicherer wurde begleitet von einer beispiellosen Wechselbereitschaft der Versicherten und einer zunehmenden Marktkonzentration. Ob die Reform ihr eigentliches Ziel mehr Wirtschaftlichkeit und Qualität in der Gesundheitsversorgung erreicht, wird sich mittel- bis langfristig erweisen. Bisher haben sich die Versicherer darauf konzentriert, attraktive Preise anzubieten. Der Gesetzgeber hat ihnen aber wirksame Instrumente an die Hand gegeben, um die Versorgungsqualität zu beeinflussen. Positiv auch: Die Reform gibt wenig Anreize zur Selektion guter Risiken, also zur Bevorzugung junger, gesunder Versicherter. Im Gegenteil ist der Abschluss von Gruppenverträgen mit Patientenvereinigungen ein erster Indikator dafür, dass auch chronisch Kranke für niederländische Krankenversicherer eine attraktive Klientel sind nicht zuletzt dank eines morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs. Dr. Stefan Greß ist wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Medizin- Management der Universität Duisburg-Essen. Maral Manouguian, MSc, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Medizin-Management. Professor Dr. Jürgen Wasem ist Inhaber des Lehrstuhls für Medizin-Management der Universität Duisburg-Essen. Kontakt: Stefan.Gress@uni-due.de 40