3. Haben wir einen freien Willen?

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Kompatibilismus 3. Haben wir einen freien Willen? Eine Grundidee Freiheit ist das Gegenteil von Zwang. Aber nicht jede kausale Determiniertheit bedeutet Zwang. Teil 2 Der Mensch ist frei, wenn er keinem Zwang unterworfen ist, d.h., wenn er tun kann, was er tun will; und das ist mit Determiniertheit durchaus vereinbar. Thomas Hobbes David Hume 1711-1776 1588-1679 Denn was verstehen wir unter Freiheit in ihrer Anwendung auf Willenshandlungen? Sicherlich nicht, dass Handlungen eine so geringe Verknüpfung mit Beweggründen, Neigungen und Umständen haben, dass nicht jene mit einer gewissen Gleichförmigkeit aus diesen folgten [ ] Denn dies sind offenbare und anerkannte Tatsachen. Also können wir unter Freiheit nur verstehen: eine Macht zu handeln oder nicht zu handeln, je nach den Entschließungen des Willens; das heißt, wenn wir in Ruhe zu verharren vorziehen, so können wir es; wenn wir vorziehen, uns zu bewegen, so können wir dies auch. Diese bedingte Freiheit wird nun aber einem jedem zugestanden, der nicht ein Gefangener in Ketten ist. (Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, 112f. Hervorh. AB)

Problem Eine Bedingung, die viele als entscheidend für Freiheit ansehen, ist die CDO-Bedingung (Could-have-done-otherwise-Bedingung): Jemand ist in seinen Handlungen nur frei, wenn er hätte anders handeln können, wenn er seine Handlung auch hätte unterlassen können. Frage Wann ist diese Bedingung erfüllt? Klassische kompatibilistische Antwort Dass jemand hätte anders handeln können, besagt nicht mehr, als dass er anders gehandelt hätte, wenn er sich anders entschieden hätte. Und das ist auch möglich, wenn der Determinismus wahr ist. Chisholm Nehmen wir an, jemand erschießt einen anderen Menschen und (b) es ist wahr, dass er die Pistole nicht abgedrückt hätte, wenn er sich entschieden hätte, nicht abzudrücken. Folgt dann auch (a) dass er anders hätte handeln können, dass er das Opfer hätte nicht erschießen können? Chisholm Antwort Nicht ohne Weiteres. Denn (a) dass er das Opfer nicht hätte erschießen können, erfordert nicht nur, (b) dass er die Pistole nicht abgedrückt hätte, wenn er sich entschieden hätte, nicht abzudrücken. Es erfordert auch, (c) dass er sich anders hätte entscheiden können!

Betrachten wir die beiden Aussagen (a) X hätte das Opfer auch nicht erschießen können und (b) X hätte die Pistole nicht abgedrückt, wenn er sich entschieden hätte, nicht abzudrücken. Sind diese beiden Aussagen äquivalent? Besagen sie dasselbe? Chisholm: Nein. Denn (a) folgt aus (b) nur, wenn auch Folgendes wahr ist: (c) X hätte sich anders entscheiden können. Also reicht nicht aus. Frei können wir uns nach Reid nur nennen, wenn wir nicht nur tun können, was wir wollen, sondern wenn wir auch bestimmen können, was wir wollen. Thomas Reid 1710-1796 Freiheit setzt voraus, dass wir bestimmen können, aufgrund welcher Motive, Wünsche und Überzeugungen wir handeln. Wenn Umstände, die außerhalb unseres Einflussbereichs liegen, bestimmen, welche dieser Beweggründe handlungswirksam werden, sind wir nicht frei. reicht also nicht aus, der Handelnde muss auch über verfügen über die Fähigkeit, seinen eigenen Willen zu bestimmen. Der Fall des Drogensüchtigen Drogensüchtige können tun, was sie wollen. Sie unterliegen keinem äußeren Zwang. Trotzdem machen wir sie nicht verantwortlich. Denn Drogensüchtige sind innerlich unfrei; sie unterliegen einem inneren Zwang. Auch wenn sich der Drogensüchtige anders entscheiden möchte, wird sich sein Wunsch, Drogen zu nehmen, durchsetzen. Der Drogensüchtige ist nicht Herr seiner Wünsche. Mit einem Wort: Was ihm fehlt ist.

Eine Person ist in ihrem Handeln frei, wenn sie tun kann, was sie tun will. Eine Person ist in ihrem Wollen frei, wenn sie die Fähigkeit besitzt, ihren Willen selbst zu bestimmen zu bestimmen, welche Motive, Wünsche und Überzeugungen handlungswirksam werden. Frage Wenn bedeutet, dass man tun kann, was man tun will, was bedeutet dann? Wenn wir sagen, wir hätten etwas tun können, das wir nicht getan haben, und damit oft bloß meinen, wir würden es getan haben, wenn wir uns dazu entschieden hätten, dann meinen wir vielleicht mit der Aussage, dass wir uns dazu hätten entscheiden können, lediglich, dass wir uns so entschieden haben würden, wenn wir uns entschieden hätten, diese Entscheidung zu treffen. (Grundprobleme der Ethik, 129f.) G. E. Moore 1873-1958 nach Moore So wie wir in unseren Handlungen frei sind, wenn wir tun können, was wir tun wollen, sind wir nach Moore in unserem Willen frei, wenn wir wollen können, was wir wollen wollen.

setzt voraus, dass wir Wünsche 2. Stufe haben Wünsche, die sich auf unsere Wünsche 1. Stufe beziehen. Wünsche 1. Stufe Wünsche 1. Stufe beziehen sich direkt auf Handlungen, die wir ausführen, oder auf Dinge, die wir besitzen möchten. Ich wünsche mir ein neues Notebook. Ich wünsche mir, endlich mal wieder an der Ostsee Urlaub zu machen. Harry Frankfurt 1929- Wünsche 2. Stufe Wünsche 2. Stufe sind Wünsche, die Wünsche 1. Stufe zum Gegenstand haben. Ich wünsche mir, den Wunsch zu haben, etwas ordentlicher zu sein. Ich wünsche mir, dass mein Wunsch, Drogen zu nehmen, sich nicht gegen meine anderen Wünsche durchsetzt. Wünsche 2. Stufe Bei Wünschen 2. Stufe geht es einerseits darum, welche Wünsche 1. Stufe man haben möchte, andererseits aber auch darum, welche Wünsche 1. Stufe, die man schon hat, handlungswirksam (oder nicht handlungswirksam) werden sollen. Wünsche 2. Stufe, die zum Inhalt haben, dass bestimmte Wünsche 1. Stufe handlungswirksam (oder nicht handlungswirksam) werden sollen, nennt Frankfurt Volitionen 2 Stufe.

nach Frankfurt Der Wille einer Person ist nach Frankfurt frei, wenn bei dieser Person auf der 1. Stufe die Wünsche handlungswirksam werden, von denen sie auf der 2. Stufe möchte, dass sie handlungswirksam werden, die also ihren Volitionen 2. Stufe entsprechen. Regressproblem Müssen dann nicht auch die Wünsche oder Volitionen 2. Stufe frei sein? Und würde das nicht heißen, dass sie den Wünschen 3. Stufe entsprechen müssen, usw. usw.? Frankfurts Lösung Wünsche auf höheren Stufen sind frei, wenn ich mich vollständig mit ihnen identifiziere, if I wholeheartedly endorse them. Menschen haben in den meisten Fällen die Fähigkeit, vor dem Handeln innezuhalten und zu überlegen, was sie in der gegebenen Situation tun sollten, was moralisch gesehen das Richtige wäre oder was ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse am meisten dienen würde. John Locke 1632-1704

Da in uns sehr zahlreiche Unbehaglichkeiten vorhanden sind, [ ] so ist es, wie gesagt, natürlich, daß die stärkste und dringendste von ihnen den Willen zur nächsten Handlung bestimmt. Das geschieht denn auch meist, allerdings nicht immer. Da der Geist, wie die Erfahrung zeigt, in den meisten Fällen die Kraft besitzt, bei der Verwirklichung und Befriedigung irgendeines Wunsches innezuhalten und mit allen andern Wünschen der Reihe nach ebenso zu verfahren, so hat er auch die Freiheit, ihre Objekte zu betrachten, sie von allen Seiten zu prüfen und gegen andere abzuwägen. Hierin besteht die Freiheit, die der Mensch besitzt [ ] [W]ir [haben] die Kraft, die Verfolgung dieses oder jenes Wunsches zu unterbrechen, wie jeder täglich bei sich selbst erproben kann. Hier scheint mir die Quelle aller Freiheit zu liegen [ ] Denn während einer solchen Hemmung des Begehrens, ehe noch der Wille zum Handeln bestimmt und die (jener Bestimmung folgende) Handlung vollzogen wird, haben wir Gelegenheit, das Gute oder Üble an der Handlung, die wir vorhaben, zu prüfen, ins Auge zu fassen und zu beurteilen. Haben wir dann nach gehöriger Untersuchung unser Urteil gefällt, so haben wir unsere Pflicht erfüllt und damit alles getan, was wir in unserm Streben nach Glück tun können und müssen; und es ist kein Mangel, sondern ein Vorzug unserer Natur, wenn wir, entsprechend dem Endergebnis einer ehrlichen Prüfung, begehren, wollen und handeln. (Essay Concerning Human Understanding, Buch II, Kapitel 21, 47) Locke beruht auf der Fähigkeit, vor dem Handeln innezuhalten und zu überlegen, was man in der jeweiligen Situation tun sollte, welche Gründe für die eine oder andere Alternative sprechen. Und sie beruht auf der Fähigkeit, dem Ergebnis dieser Überlegung gemäß zu handeln. Argumente für Lockes Theorie Sie passt genau zum Fall des Drogensüchtigen. Was der Drogensüchtige beklagt, ist doch, dass er selbst dann, wenn er einsieht, dass die Drogensucht seine Gesundheit ruinieren wird, nicht anders kann, als sich für die Drogen zu entscheiden. Was dem Drogensüchtigen fehlt, ist also die Fähigkeit, so zu entscheiden, wie es aufgrund seiner eigenen Überlegungen richtig wäre. Das Ergebnis seiner Überlegungen hat keinen Einfluss auf seine Entscheidungen.

Argumente für Lockes Theorie 20 StGB: Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Also Frei ist unser Wille dann, wenn unsere Entscheidungen durch Überlegungen beeinflusst werden können Überlegungen, in denen es darum geht, was zu tun richtig wäre. Mit anderen Worten Frei ist unser Wille dann, wenn unsere Entscheidungen auf Prozessen beruhen, die für Gründe zugänglich sind. Ein Problem Kann es nicht Fälle geben, in denen Frankfurts oder Lockes Bedingungen alle erfüllt, in denen wir aber trotzdem nicht von Freiheit reden würden? Covert Nonconstraining Control Robert Kane 1938- Meistens merken wir, wenn wir in unserer Freiheit eingeschränkt sind. Wenn ich an einen Stuhl gefesselt bin oder mir jemand die Pistole auf die Brust setzt, weiß ich sehr wohl, dass ich nicht mehr frei bin in meinen Handlungen und Entscheidungen. Auch bei inneren Zwängen ist das häufig nicht anders. Der Süchtige, der Phobiker oder jemand, der zu Zwangshandlungen neigt, merkt, dass da etwas seiner Kontrolle entzogen ist. Sein Wille ist nicht sein Wille. Er fühlt sich fremdbestimmt, kann nicht so handeln oder sich entscheiden, wie er sich entscheiden möchte.

Neben diesen Fällen gefühlter oder erkannter Unfreiheit gibt es aber auch Fälle, in denen wir uns unserer Unfreiheit nicht bewusst sind. Wenn wir aufgrund eines Befehls, der uns in Hypnose gegeben wurde, plötzlich unter den Tisch krabbeln, haben wir häufig gar nicht den Eindruck, unfrei zu sein. Wir bemerken gar nicht, dass uns jemand durch eine subtile Manipulation unserer Freiheit beraubt hat. Ähnliches gilt nach einer Gehirnwäsche. Im Fall einschränkender Kontrolle wissen die Kontrollierten, dass sie gezwungen werden, etwas gegen ihren Willen zu tun. [ ] [In Fällen nichteinschränkender Kontrolle] kommen die Kontrolleure [dagegen] nicht dadurch zu ihrem Ziel, dass sie andere gegen deren Willen nötigen oder zwingen, sondern vielmehr dadurch, dass sie deren Willen manipulieren, so dass sie (willentlich) tun, was die Kontrolleure möchten. Folglich fühlen sich die Kontrollierten nicht eingeschränkt oder genötigt. Sie handeln im Einklang mit ihren eigenen Wünschen und Absichten. [ ] In den interessantesten Fällen handelt es sich bei dieser Kontrolle um verborgene nichteinschränkende Kontrolle [ ]. Hier sind sich die Kontrollierten in keiner Weise bewusst, manipuliert zu werden; vielleicht wissen sie nicht einmal von der Existenz ihrer Kontrolleure. (The Significance of Free Will, 64f.) Kanes Argument In Fällen verborgener nichteinschränkender Kontrolle würden wir nicht von Freiheit und Verantwortlichkeit reden. Fälle, in denen alle unsere Wünsche und Ziele durch natürliche Ursachen determiniert sind, ähneln Fällen verborgener nichteinschränkender Kontrolle in folgender Hinsicht: In beiden Fällen sind wir der Fähigkeit beraubt, die letzte Quelle und der Ursprung unserer eigenen Ziele und Absichten zu sein. Van Inwagen Meine Handlungen gehen letztlich auf meine Wünsche und Ziele zurück. Frei sind sie daher nur, wenn ich auch diese Wünsche und Ziele kontrollieren kann, wenn letzten Endes ich dafür verantwortlich bin, welche Wünsche und Ziele ich habe.

Ist das ein vernünftiges Prinzip? Wie hat man sich das vorzustellen, dass ich der Letzturheber aller meiner Wünsche und Ziele bin? Soll ich mir vorstellen, dass ich ohne alle Wünsche auf die Welt komme und mir dann aussuche, welche Wünsche und Ziele ich haben möchte? Das ist inkohärent. Denn wenn ich keine Wünsche habe, dann habe ich gar keinen Grund, mir überhaupt Wünsche auszusuchen und dann habe ich auch keine Kriterien, nach denen ich Wünsche aussuchen könnte. Galen Strawsons Argument Galen Strawson Um für unsere Entscheidungen verantwortlich zu sein, müssen wir die Wünsche, die diesen Entscheidungen zugrunde liegen, selbst wählen. Wählen können wir aber nur, wenn wir Prinzipien haben, nach denen wir wählen. Offenbar müssen wir dann aber auch diese Prinzipien selbst wählen. Und dafür brauchen wir wieder Prinzipien, die wir selbst wählen; usw. Um für unsere Entscheidungen verantwortlich zu sein, müssen wir also einen unendlichen Regress der Wahl von Entscheidungsprinzipien vollenden können. Und das ist unmöglich.

Offenbar gilt Wenn Freiheit voraussetzt, dass wir die Wünsche, die unseren Entscheidungen zugrunde liegen, selbst wählen, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder diese Wahl beruht auf Entscheidungsprinzipien, die selbst gewählt werden müssen, usw. usw. Oder aber eine erste Wahl wird von einem Wesen getroffen, das über keinerlei Wünsche und Entscheidungsprinzipien verfügt und dessen Wahl daher nur völlig grundlos sein kann. Offenbar sind beide Alternativen nicht akzeptabel. Mir scheint Es kann gar nicht anders sein, als dass wir schon mit einer beträchtlichen Zahl natürlicher Wünsche auf die Welt kommen den Wünschen nach Essen, Geborgenheit, Zuwendung, usw. Und es ist offenbar nicht besonders sinnvoll zu sagen, die Natur manipuliere uns dadurch oder mache uns dadurch unfrei, dass sie uns diese Wünsche mit auf den Weg gibt. Unsere Freiheit beruht vielmehr darauf, dass sich in uns im Laufe der Zeit die Fähigkeit entwickelt hat, uns unserer Wünsche bewusst zu werden und über sie nachzudenken. Mir scheint So ist ein Entscheidungsmechanismus entstanden, der sowohl für Klugheitserwägungen als auch für moralische Argumente zugänglich ist. Frei sind wir, wenn dieser Mechanismus hinreichend ausgebildet ist und unsere Entscheidungen tatsächlich auf diesem Mechanismus beruhen. Unfrei sind wir dagegen bei Entscheidungen, die auf Wünschen beruhen, die durch diesen Mechanismus nicht gezähmt werden können. Text für die nächste Woche René Descartes, Meditationen (1. Med.; 2. Med., 1-3; 3. Med, 2)