B. Bildung von Gläubigergruppen mittels Anschlusspfändung

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Transkript:

1 9 Koordination mehrerer Gläubiger A. Allgemeines Die Gleichbehandlung der Gläubiger ist ein Grundanliegen des Zwangsvollstreckungsrechts. In der Generalexekution (Konkurs- und Nachlassverfahren) kann dieser Grundsatz naturgemäss relativ einfach verwirklicht werden. Wenn und soweit die Einzelzwangsvollstreckung gilt, stellt sich die schwierige und komplexe Frage, wie hier die Rechts- und die Chancengleichheit der Gläubiger gewährleistet werden können. Die vieldiskutierte Hauptfrage lautet: Reines Prinzip der Zeitpriorität (so Deutschland) versus Gruppenpfändung (wie die Schweiz) oder sogar konkursähnliches Verfahren nach französischem oder griechischem Muster, jeweils eventuell kombiniert mit der Möglichkeit für Gläubiger und/oder Schuldner, die Generalexekution auszulösen. 1 Darin erschöpft sich das Problem jedoch nicht. Wie gerade das schweizerische Recht zeigt, gibt es viele andere Institute und Bestimmungen, mit denen ebenfalls ein Beitrag zur Rechtsund Chancengleichheit der Gläubiger geleistet werden kann. Es sind dies neben dem System der Pfändungsgruppen - insbesondere: - Zeitliche Beschränkung der Lohnpfändung (hierzu ). - Verzicht des Gesetzgebers auf das sog. Pfändungspfandrecht: Die Pfändung und ebenso die Arrestlegung begründen im nachfolgenden Konkursverfahren grundsätzlich kein Vorrecht im Sinne eines Pfändungspfandrechtes. Lediglich, wenn in der Einzelzwangsvollstreckung im Zeitpunkt der Konkurseröffnung bereits die Verwertung stattgefunden hat, fällt der Erlös den Pfändungsgläubigern zu (Art. 199 SchKG). B. Bildung von Gläubigergruppen mittels Anschlusspfändung I. Vorbemerkung Das System der Pfändungsgruppen ist eine Besonderheit des SchKG s. Es ist ein Kompromiss zwischen der Einzelzwangsvollstreckung mit reiner Zeitpriorität und einer solchen, die konkursähnlichen Charakter hat. Eine weitgehend reine Einzelzwangsvollstreckung kennt etwa das deutsche Recht. Zugunsten des zuerst kommenden Gläubigers werden so viele Vermögenswerte gepfändet und verwertet, dass seine Forderung gedeckt werden kann. Später kommende Gläubiger müssen sich mit den übrig gebliebenen Vermögenswerten begnügen. In Griechenland ist die Einzelzwangsvollstreckung konkursähnlich ausgestaltet. Einer ersten Pfändung können sich alle anderen Gläubiger anschliessen, ohne zuerst ein Einleitungsverfahren durchlaufen zu müssen. 1 Vgl. hierzu die Überblicke über die verschiedenen Systeme bei FRAGISTAS CHARALAMBOS N., Das Präventionsprinzip in der Zwangsvollstreckung, Mannheim/Berlin/Leipzig 1931, S. 5 ff.; KERAMEUS KONSTANTINOS, Enforcement in the International Context, Recueil des cours, Volume 264, 1997, S. 306 ff.; SIEBERT PETER, Das Prioritätsprinzip in der Einzelzwangsvollstreckung, Diss. Göttingen 1988, S. 5 f., 172 ff.; WELBERS (Fn. Fehler! Textmarke nicht definiert.), S. 2 f.

2 Das System der Pfändungsgruppen funktioniert wie folgt: Diejenigen Gläubiger bilden eine Pfändungsgruppe, die in einer bestimmten Zeitspanne die Zwangsvollstreckung beantragt haben. Die Gläubiger einer Pfändungsgruppe werden dann - unter dem Vorbehalt des Klassensystems nach Art. 219 SchKG - gleichbehandelt. Die Pfändungsgruppen können auf zwei Arten entstehen: - Im Wege einer gewöhnlichen Anschlusspfändung nach Art. 110 SchKG und - über eine sog. privilegierte Anschlusspfändung nach Art. 111 SchKG. II. Pfändungsanschluss nach Art. 110 SchKG 1. Voraussetzungen und Frist Die einzige Voraussetzung für den Pfändungsanschluss gem. Art. 110 SchKG ist die Einhaltung der 30-tägigen Frist seit Vollzug der Pfändung. 2. Stellung der Gläubiger innerhalb Gläubigergruppe a) Gleichberechtigung der Gläubiger wie im Konkurs Die Gläubiger sind grundsätzlich gleichberechtigt; sie werden nach Maßgabe der Höhe ihrer Forderungen befriedigt. Einzelne Typen von Forderungen sind allerdings nach den konkursrechtlichen Regeln privilegiert (SchKG 219). Dabei gibt es zwei privilegierte Klassen. Fällt eine Forderung nicht unter eines dieser Privilegien, dann gilt sie als 3. Klasse Forderung. b) Individualrechte der Gläubiger Obwohl die Gl. in einer Pfändungsgruppe zusammengefasst sind, gelten sie nicht als rechtliche Einheit, die nur gemeinsam handeln kann. Jeder Gl. behält seine Eigenständigkeit und tritt in Konkurrenz zu den anderen auf. Trotz Gruppenzugehörigkeit wahrt somit jeder Gläubiger seine Rechte grundsätzlich selbständig. Das Ergebnis der Rechtswahrung wirkt jedoch grundsätzlich zugunsten von allen Gläubigern. Beschwerde nach Art. 17 ff. SchKG: Jeder Gl. kann selbständig Beschwerde erheben. Ein Erfolg wirkt sich zugunsten aller aus. Beispiel: Der Betreibungsbeamte setzt ein zu hohes Existenzminimum fest. Der Gläubiger 1 erhebt die Beschwerde nach Art. 17 ff. SchKG. Eine Herabsetzung des Existenzminimums wirkt zugunsten von allen Gläubigern einer Pfändungsgruppe. Stellung des Verwertungsbegehrens: Jeder Gläubiger kann selbständig das Verwertungsbegehrens stellen (SchKG 117 I), welches für alle Teilnehmer einer Gruppe wirkt. Widerspruchsverfahren: Jeder Gl. kann selbständig Drittansprachen bestreiten; ein Erfolg wirkt grundsätzlich zugunsten aller Gläubiger. Derjenige Gläubiger, welcher das Widerspruchsverfahren geführt hat, kann jedoch seine Forderung zuerst aus dem nunmehr in die Pfändung einbezogenen Vermögenswert bezahlt machen. Die übrigen Gläubiger erhalten nur, aber immerhin den Überschuss.

3 Beispiel: Der Gl. 1 entschliesst sich gestützt auf Art. 108 III SchKG zur Klageerhebung gegen die Ehefrau des Schuldners mit dem Begehren, es sei die sich in ihrem Gewahrsam befindliche Sache der Zwangsverwertung zuzuführen, da die Sache dem betriebenen Ehegatten gehöre. Bei Gutheissung dieser Klage wird der fragliche Vermögenswert in erster Linie zu seinen Gunsten verwertet. Den anderen Gläubigern der Gruppe kommt lediglich ein Überschuss zugute. Gegenseitige Bestreitung der Forderung der Gl. im Kollokationsverfahren (148 SchKG): Die Gläubiger haben die Möglichkeit, sich gegenseitig ihre Forderungen streitig zu machen. (siehe hierzu ). 3. Ergänzungspfändung SchKG 97 Abs. 2 verbietet es dem Betreibungsbeamten, mehr zu pfänden, als für die Befriedigung der Forderung notwendig ist. Mit dem Zutritt eines neuen Gläubigers hat das Betreibungsamt, soweit notwendig, eine Ergänzungspfändung vorzunehmen. Die ursprünglich gepfändeten Sachen reichen nämlich in der Regel bei einem Pfändungsanschluss nicht mehr aus. Die Ergänzungspfändung erfolgt von Amtes wegen. Zu beachten ist, dass die Ergänzungspfändung rechtlich gesehen nicht als selbständige Pfändung gilt, sondern bloss eine Ausdehnung (Fortsetzung) der Hauptpfändung darstellt. III. Privilegierte Anschlusspfändung 1. Allgemeines Für bestimmte Personen (insb. Ehegatten, Kindern, Mündel etc.) gilt ein durch zwei Punkte charakterisiertes Anschlussprivileg: - Die Anschlussfrist ist von 30 auf 40 Tage verlängert (Art. 111 SchKG) - die genannten Personen können die Pfändung beantragen, ohne dass sie vorerst ein Einleitungsverfahren durchführen müssen. Welches ist die ratio legis dieser Bestimmung? Bei Einführung dieser Bestimmung galt ein Zwangsvollstreckungsverbot unter Ehegatten, solange der betr. Ehegatte nicht schon von anderen Gläubigern betrieben worden war (alt Art. 173 ZGB). Das Anschlussprivileg sollte diese Benachteiligung gegenüber anderen Gläubigern aufheben. - Mit dem neuen Eherecht ist das Zwangsvollstreckungsverbot und damit diese ratio legis weggefallen. Ein heute noch aktueller Grund ist der Umstand, dass das besonders enge Verhältnis dieser Personen (Ehegatten untereinander; Kinder- Eltern, Vormund-Mündel) eine Zwangsvollstreckung untereinander aus moralischen Gründen verbietet. Die anderen Gläubiger sollen von diesen moralischen Hemmnissen nicht profitieren können. Die privilegierte Anschlusspfändung gilt für folgende Forderungen: Familienrechtliche Beziehung: Eheliche Beziehung; Beziehung Eltern/Kind (gilt für sämtliche Forderungen: BGE 61 III 87). Vormundschaftliche Beziehung: Mündel/ Vormund; Verbeiständeter/Beistand Schuldrechtliche Beziehung: Pfründnehmer/Pfründgeber (529 OR).

4 Das Privileg ist nicht abtretbar! Grundsätzlich gilt das Privileg für alle zwischen den genannten Personen bestehenden Forderungen. So braucht etwa eine Forderung unter Ehegatten nicht unbedingt familienrechtlicher Natur zu sein (vgl. BGE 61 III 87). Im Gegensatz zum Klassenprivileg nach Art. 219 SchKG kann das Privileg nach Art. 111 SchKG nicht abgetreten werden. 2. Verfahren betr. den privilegierten Pfändungsanschluss Das Verfahren des privilegierten Pfändungsanschlusses gliedert sich, ähnlich wie beim Widerspruchsverfahren, in 2 Stadien: in ein Vorverfahren und einen Anschlussprozess. Im Rahmen des Vorverfahrens soll allen Beteiligten die Gelegenheit gegeben werden, sich zum angemeldeten Anspruch zu äussern. Das Anspruchsverfahren ersetzt eigenlich das Einleitungsverfahren! Nach fristgerechter Anmeldung des Pfändungsanschlusses hat der Betreibungsbeamte dem Gläubiger und Schuldner eine 10-tägige Frist zur Bestreitung der geltendgemachten Forderung anzusetzen. Ein Gläubiger ist jedoch nur legitimiert, sofern dieser derselben Pfändungsgruppe angehört. Erfolgt die Bestreitung, muss der Gläubiger innerhalb von 20 Tagen die Anschlussklage erheben (früher sprach man von der sog. Frauengutsklage ; veraltert). Dies ist eine Verwirkungsfrist. Es gilt der Gerichtsstand des Betreibungsortes. Die Klage ist je nach Streitwert im vereinfachten oder ordentlichen Verfahren zu führen. Wichtig: Der Betreibungsbeamte muss den potentiellen Anschlussberechtigten von Amtes wegen die Pfändung mitteilen, damit sie ihre Rechte ausüben können! (Art. 111 Abs. 3 SchKG). C. Kollokationsverfahren (SchKG 146-148) Falls nicht alle Gläubiger befriedigt werden können, ist ein Kollokationsplan zu erstellen. Sein Inhalt ist: Verzeichnis der Forderungen mit Rang gemäss SchKG 219. Mit der Auflage des Kollokationsplans wird Frist für die Anfechtung durch Beschwerde oder Klage angesetzt. Beschwerde: Sie ist zu ergreifen, wenn der Gläubiger die unrichtige Behandlung der eigenen Forderung betr. Rang und/oder Höhe geltend machen will. Klage: Klage ist zu erheben, wenn ein Gläubiger die Zulassung einer Forderung (Bestand und/oder Rang) eines anderen Gläubigers bestreiten will. Für jede Pfändungsgruppe wird ein eigener Kollokationsplan erstellt, dies als Unterschied zum Konkurs, wo für sämtliche Gläubiger nur ein Kollokationsplan vorliegt. Der Kollokationsplan kann erst nach der Verwertung erstellt werden, da erst in diesem Zeitpunkt ersichtlich ist, ob der Erlös für die Befriedigung der Forderungen ausreicht oder nicht. Falls die Forderungen klar vom Verwertungserlös gedeckt sind, dann erübrigt sich ein Kollokationsplan und es wird nur ein einfacher Verteilungsplan erstellt.

5 D. Anfechtungsklage (Art. 285 ff. SchKG) IV. Allgemeines Definition: Rechtsbehelf zum Einbezug von Vermögenswerten in die Zwangsvollstreckung (Betreibung auf Pfändung und Konkurs), die der Schuldner vor der Pfändung oder vor dem Konkurs zur Benachteiligung der Gläubiger veräussert hat. Sind die Rechtshandlungen zivilrechtlich ungültig, ist der besondere Rechtsbehelf der Anfechtungsklage nicht notwendig. Die Vermögenswerte können ohnehin umfassend in die Zwangsvollstreckung einbezogen werden. Kombination der Berufung auf zivilrechtliche Ungültigkeit und Anfechtungsklage: Primär: Geltendmachung der zivilrechtlichen Ungültigkeit; Sekundär: Vorliegen eines Anfechtungstatbestandes. Das Gesetz unterscheidet drei Anfechtungstatbestände: - Die Anfechtung von Schenkungen oder ähnlichen Tatbeständen, die der Schuldner im Jahr vor der Zwangsvollstreckung vorgenommen hat (Art. 286 SchKG). - Die Anfechtung von bestimmten Rechtshandlungen, die der Schuldner im letzten Jahr vor der Konkurseröffnung vorgenommen hat, als er bereits überschuldet war (Art. 287 SchKG). Hierzu gehören u.a.: nachträgliche Begründung eines Pfandes für eine bereits bestehende Verbindlichkeit; Zahlung einer nicht verfallenen Schuld. - Schliesslich den allgemeinen Anfechtungstatbestand nach Art. 288 SchKG. Neben diesen Bestimmungen gibt es auch andere Anfechtungstatbestände: - Anfechtung der Verrechnung (Art. 214 SchKG); - Anfechtungstatbestände im Privatrecht: Art. 578 ZGB (Anfechtung der Ausschlagung der Erbschaft); Art. 678 OR (Rückerstattung von Leistungen des Verwaltungsrates oder anderer der AG nahe stehender Personen); "Durchgriff" im Gesellschaftsrecht etc. E. Technik der Anfechtungsklage V. Wann kann die Anfechtungsklage von wem geltend gemacht werden? In der Betreibung auf Pfändung kann sie von jedem Gläubiger, der einen provisorischen oder definitiven Verlustschein erhalten hat, erhoben werden (Art. 285 Abs. 2 Ziff. 1 SchKG). Nach Konkurseröffnung erfolgt die Geltendmachung durch die Konkursverwaltung oder die Abtretungsgläubiger nach Art. 260 SchKG. VI. Fristen für die Anfechtungsklagen 1. Frist: Die Schenkungsanfechtung nach Art. 286 SchKG und die Überschuldungsanfechtung nach Art. 287 SchKG können nur betreffend Rechtshandlungen geltend gemacht werden, die im letzten Jahr vor dem Vollstreckungszugriff vorgenommen worden sind. Für die allgemeine Anfechtung nach Art. 288 SchKG gilt eine Maximalfrist von 5 Jahren. 2. Frist: Zusätzlich gilt für alle Anfechtungstatbestände eine Verwirkungsfrist von 2 Jahren ab Konkurseröffnung bzw. Zustellung des Pfändungsverlustscheins (Art. 292 SchKG).

6 VII. Wirkungen einer erfolgreichen Anfechtung Die Klage richtet sich gegen den Dritten. Dieser hat alle Vermögenswerte, die er vom Schuldner erhielt, zur Verwertung abzuliefern (Art. 291 Abs. 1 SchKG). Das Rechtsgeschäft bleibt wenigstens theoretisch zivilrechtlich gültig. Im Einzelnen gilt Folgendes: - Ist der Vermögenswert vorhanden, ist dieser inklusive Früchten und Zinsen herauszugeben! - Ist der Vermögenswert bereits veräussert worden, hat der Dritte grundsätzlich Wertersatz zu leisten (wohl Zeitpunkt der Rückleistung!). - Der Dritte erhält die Gegenleistung, die er dem Schuldner gegeben hat, zurück, sofern sie noch in natura vorhanden ist. Ansonsten bleibt ihm hierfür nur noch eine entsprechende Ersatzforderung (Art. 291 Abs. 1 SchKG). - Bestand die anfechtbare Rechtshandlung in der Tilgung einer Forderung, so tritt dieselbe mit der Rückerstattung der Gegenleistung wieder in Kraft (Art. 291 Abs. 2 SchKG). Hierzu BGE 103 III 17. F. Prozessuales und praktische Bedeutung Gerichtsstand nach Art. 289 SchKG. Internationales Recht: Für die Anfechtungsklage ausserhalb eines Konkursverfahrens kommen nach überwiegender Meinung die allgemeinen Bestimmungen des LugÜ zur Anwendung. Anderes gilt demgegenüber für die Erhebung einer konkursrechtlichen Anfechtungsklage. Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht ist möglich. Gesetzesbestimmungen Bundesrecht: Art. 285 292 SchKG 285 A. Zweck Aktivlegitimation 1 Mit der Anfechtung sollen Vermögenswerte der Zwangsvollstreckung zugeführt werden, die ihr durch eine Rechtshandlung nach den Artikeln 286 288 entzogen worden sind. 2 Zur Anfechtung sind berechtigt: 1. jeder Gläubiger, der einen provisorischen oder definitiven Pfändungsverlustschein erhalten hat; 2. die Konkursverwaltung oder, nach Massgabe der Artikel 260 und 269 Absatz 3, jeder einzelne Konkursgläubiger. 286 B. Arten 1. Schenkungsanfechtung 1 Anfechtbar sind mit Ausnahme üblicher Gelegenheitsgeschenke alle Schenkungen und unentgeltlichen Verfügungen, die der Schuldner innerhalb des letzten Jahres vor der Pfändung oder Konkurseröffnung vorgenommen hat. 2 Den Schenkungen sind gleichgestellt: 1. Rechtsgeschäfte, bei denen der Schuldner eine Gegenleistung angenommen hat, die zu seiner eigenen Leistung in einem Missverhältnis steht; 2. Rechtsgeschäfte, durch die der Schuldner für sich oder für einen Dritten eine Leibrente, eine Pfrund, eine Nutzniessung oder ein Wohnrecht erworben hat. 287 2. Überschuldungsanfechtung 1 Die folgenden Rechtshandlungen sind anfechtbar, wenn der Schuldner sie innerhalb des letzten Jahres vor der Pfändung oder Konkurseröffnung vorgenommen hat und im Zeitpunkt der Vornahme bereits überschuldet war:

7 1. Bestellung von Sicherheiten für bereits bestehende Verbindlichkeiten, zu deren Sicherstellung der Schuldner nicht schon früher verpflichtet war; 2. Tilgung einer Geldschuld auf andere Weise als durch Barschaft oder durch anderweitige übliche Zahlungsmittel; 3. Zahlung einer nicht verfallenen Schuld. 2 Die Anfechtung ist indessen ausgeschlossen, wenn der Begünstigte beweist, dass er die Überschuldung des Schuldners nicht gekannt hat und auch nicht hätte kennen müssen. 3 Die Anfechtung ist insbesondere ausgeschlossen, wenn Effekten, Bucheffekten oder andere an einem repräsentativen Markt gehandelte Finanzinstrumente als Sicherheit bestellt wurden und der Schuldner sich bereits früher: 1. verpflichtet hat, die Sicherheit bei Änderungen im Wert der Sicherheit oder im Betrag der gesicherten Verbindlichkeit aufzustocken; oder 2. das Recht einräumen liess, eine Sicherheit durch eine Sicherheit gleichen Werts zu ersetzen. 288 3. Absichtsanfechtung Anfechtbar sind endlich alle Rechtshandlungen, welche der Schuldner innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Pfändung oder Konkurseröffnung in der dem andern Teile erkennbaren Absicht vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer zu begünstigen. 288a 4. Berechnung der Fristen Bei den Fristen der Artikel 286 288 werden nicht mitberechnet: 1. die Dauer eines vorausgegangenen Nachlassverfahrens; 2. die Dauer eines Konkursaufschubes nach den Artikeln 725a, 764, 817 oder 903 des Obligationenrechts; 3. bei der konkursamtlichen Liquidation einer Erbschaft die Zeit zwischen dem Todestag und der Anordnung der Liquidation; 4. die Dauer der vorausgegangenen Betreibung. 289 C. Anfechtungsklage 1. Gerichtsstand Die Anfechtungsklage ist beim Richter am Wohnsitz des Beklagten einzureichen. Hat der Beklagte keinen Wohnsitz in der Schweiz, so kann die Klage beim Richter am Ort der Pfändung oder des Konkurses eingereicht werden. 290 2. Passivlegitimation Die Anfechtungsklage richtet sich gegen die Personen, die mit dem Schuldner die anfechtbaren Rechtsgeschäfte abgeschlossen haben oder von ihm in anfechtbarer Weise begünstigt worden sind, sowie gegen ihre Erben oder andere Gesamtnachfolger und gegen bösgläubige Dritte. Die Rechte gutgläubiger Dritter werden durch die Anfechtungsklage nicht berührt. 291 D. Wirkung 1 Wer durch eine anfechtbare Rechtshandlung Vermögen des Schuldners erworben hat, ist zur Rückgabe desselben verpflichtet. Die Gegenleistung ist zu erstatten, soweit sie sich noch in den Händen des Schuldners befindet oder dieser durch sie bereichert ist. Darüber hinaus kann ein Anspruch nur als Forderung gegen den Schuldner geltend gemacht werden. 2 Bestand die anfechtbare Rechtshandlung in der Tilgung einer Forderung, so tritt dieselbe mit der Rückerstattung des Empfangenen wieder in Kraft. 3 Der gutgläubige Empfänger einer Schenkung ist nur bis zum Betrag seiner Bereicherung zur Rückerstattung verpflichtet. 292 E. Verwirkung Das Anfechtungsrecht ist verwirkt: 1. nach Ablauf von zwei Jahren seit Zustellung des Pfändungsverlustscheins (Art. 285 Abs. 2 Ziff. 1); 2. nach Ablauf von zwei Jahren seit der Konkurseröffnung (Art. 285 Abs. 2 Ziff. 2).