ALBERT EINSTEIN. Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie

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Transkript:

ALBERT EINSTEIN Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie

ALBERT EINSTEIN Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie 24. Auflage 123

Das Umschlagbild zeigt Albert Einstein im Alter von etwa 29 Jahren. Das Photo entstand an Einsteins Arbeitstisch im Patentamt in Bern. Abdruck aus A. Pais,,,Raffiniert ist der Herrgott.... Albert Einstein. Eine wissenschaftliche Biographie (Vieweg, Braunschweig, 1986). Das Original befindet sich im Einstein-Archiv. Unter dem gleichen Titel ursprünglich erschienen bei Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbh 24. Auflage 2009 Mit 4 Abbildungen ISBN 978-3-540-87776-9 e-isbn 978-3-540-87777-6 DOI 10.1007/978-3-540-87777-6 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 2009, 2001 Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1956 The Hebrew University of Jerusalem, Israel Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandgestaltung: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de

Vorwort Das vorliegende Büchlein soll solchen eine möglichst exakte Einsicht in die Relativitätstheorie vermitteln, die sich vom a:llgemein wissenschaftlichen, philosophischen Standpunkt für die Theorie interessieren, ohne den mathematischen Apparat l ) der theoretischen Physik zu beherrschen. Die Lektüre setzt etwa Maturitätsbildung und - trotz der Kürze des Büchleins - ziemlich viel Geduld und Willenskraft beim Leser voraus. Der Verfasser hat sich die größte Mühe gegeben, die Hauptgedanken möglichst deutlich und einfach vorzubringen, im ganzen in solcher Reihenfolge und in solchem Zusammenhange, wie sie tatsächlich entstanden sind. Im Interesse der Deutlichkeit erschien es mir unvermeidlich, mich oft zu wiederholen, ohne auf die Eleganz der Darstellung die geringste Rücksicht zu nehmen; ich hielt mich gewissenhaft an die Vorschrift des genialen Theoretikers L. BOLTZMANN, man solle die Eleganz Sache der Schneider und Schuster sein lassen. Schwierigkeiten, die in der Sache begründet liegen, glaube ich dem Leser nicht vorenthalten zu haben. Dagegen habe ich die empirischen 1) Die mathematischen Grundlagen der speziellen Relativitätstheorie findet man in den bei B.G. Teubner in der Monographiensammlung "Fortschritte der mathematischen Wissenschaften" unter dem Titel "Das Relativitätsprinzip" erschienenen Originalabhandlungen von H. A. LORENTZ, A. EINSTEIN, H. MINKOWSKI, sowie in M. LAUES ausführlichem Buche "Das Relativitätsprinzip" (Verlag Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig). Die allgemeine Relativitätstheorie nebst den zugehörigen mathematischen Hilfsmitteln der Invariantentheorie ist in der Broschüre des Verfassers "Die Grundlagen der allgemeinen Relativitätstheorie" (Joh. Ambr. Barth, 1916) behandelt; diese Broschüre setzt einige Vertrautheit mit der speziellen Relativitätstheorie voraus.

VI Vorwort physikalischen Unterlagen der Theorie absichtlich stiefmütterlich behandelt, damit es dem der Physik ferner stehenden Leser nicht ergehe wie dem Wanderer, der vor lauter Bäumen keinen Wald sieht. Möge das Büchlein manchem einige frohe Stunden der Anregung bringen! Dezember 1916. A.EINSTEIN

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Uber die spezielle Relativitätstheorie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 Physikalischer Inhalt geometrischer Sätze 1 Das Koordinatensystem..... '.................. 3 Raum und Zeit in der klassischen Mechanik 6 Das GALILEISCHE Koordinatensystem 7 Das Relativitätsprinzip (im engeren Sinne) 8 Das Additionstheorem der Geschwindigkeiten gemäß der klassischen Mechanik 10 Die scheinbare Unvereinbarkeit des Ausbreitungsgesetzes des Lichtes mit dem Relativitätsprinzip. _.... 11 Ober den Zeitbegriff in der Physik..."... 13 Die Relativität der Gleichzeitigkeit 16 Ober die Relativität des Begriffs der räumiichen Entfernung 18 Die LORENTZ-Transformation 19 Das Verhalten bewegter Stäbe und Uhren 23 Additionstheorem der G~schwindigkeiten. FIZEAUscher Versuch 25 Der heuristische Wert der Relativitätstheorie 28 Allgemeine Ergebnisse und Theorie ~........ 29 Spezielle Relativitätstheorie und Erfahrung 33 MINKOWSKls vierdimensionaler Raum 36

VIII Zweiter Teil Uber die allgemeine Relativitätstheorie Inhaltsverzeichnis 18 Spezielles und allgemeines Relativitätsprinzip 39 19 Das Gravitationsfeld 41 20 Die Gleichheit der trägen und der schweren Masse als Argument für das allgemeine Relativitätspostulat 43 21 Inwiefern sind die Grundlagen der klassischen Mechanik und der speziellen Relativitätstheorie unbefriedigend? 47 22 Einige Schlüsse aus dem allgemeinen RelativitätsprInzIp 48 23 Verhalten von Uhren und Maßstäben auf einem rotierenden Bezugskörper 51 24 Euklidisches und nicht-euklidisches Kontinuum 54 25 GAuSSsche Koordinaten 57 26 Das raum-zeitliche Kontinuum der speziellen Relativitätstheorie als euklidisches Kontinuum 60 27 Das raum-zeitliche Kontinuum der allgemeinen Relativitätstheorie ist kein euklidisches Kontinuum 61 28 Exakte Formulierung des allgemeinen Relativitätsprinzips 64 29 Die Lösung des Gravitationsproblems auf Grund des allgemeinen Relativitätsprinzips 66 Betrachtungen über die Welt als Ganzes 30 Kosmologische Schwierigkeiten der NEWTONschen Theorie 69 31 Die Möglichkeit einer endlichen und doch nicht begrenzten Welt.............................. 71 32 Die Struktur des Raumes nach der allgemeinen Relativitätstheorie 74

Inhaltsverzeichnis IX Anhang 1 Einfache Ableitung der LORENTz-Transformation 76 2 MINKOWSKIs vierdimensionale Welt 81 3 Ober die Bestätigung der allgemeinen Relativitätstheorie durch die Erfahrung 82 4 Die Struktur des Raumes im Zusammenhang mit der allgemeinen Relativitätstheorie 89 5 Relativität und Raumproblem 91 Namen- und Sachwortverzeichnis 110

Erster Teil Über die spezielle Relativitätstheorie S 1 Physikalischer Inhalt geometrischer Sätze Gewiß hast auch du, lieber Leser, als Knabe oder Mädchen mit dem stolzen Gebäude der Geometrie EUKLIDS Bekanntschaft gemacht und erinnerst dich vielleicht mit mehr Achtung als Liebe an den stolzen Bau, auf dessen hohen Treppen du von gewissenhaften Fachlehrern in ungezählten Stunden umhergejagt wurdest. Gewiß WÜrdest du kraft dieser deiner Vergangenheit jeden mit Verachtung strafen, der auch nur das abgelegenste Sätzchen dieser Wissenschaft für unwahr erklärte. Aber dies Gefühl stolzer Sicherheit verließe dich vielleicht sogleich, wenn dich einer fragte: "Was meinst du denn mit der Behauptung, daß diese Sätze wahr seien?" Bei dieser Frage wollen wir ein wenig verweilen. Die Geometrie geht aus von gewissen Grundbegriffen, wie Ebene; Punkt, Gerade, mit denen wir mehr oder minder deutliche Vorstellungen zu verbinden imstande sind, und von gewissen einfachen Sätzen (Axiomen), die wir auf Grund jener Vorstellungen als "wahr" hinzunehmen geneigt sind. Alle übrigen Sätze werden dann auf Grund einer logischen Metho"de, deren Berechtigung wir uns anzuerkennen genötigt fühlen, auf jene Axiome zurückgeführt, d. h. bewiesen. Ein Satz ist dann richtig bzw. "wahr", wenn er in der anerkannten Weise aus den Axiomen hergeleitet ist. Die Frage nach der "Wahrheit" der einzelnen geometrischen Sätze führt also zurück auf die Frage nach der "Wahrheit" der Axiome. Längst aber ist es bekannt, daß die letztere F"rage nicht nur durch die Methoden der Geometrie nicht beantwortbar, sondern überhaupt an sich ohne Sinn ist. Man kann nicht fragen, ob es wahr sei, daß durch zwei

2 Über die spezielle Relativitätstheorie Punkte nur eine Gerade hindurchgeht. Man kann nur sagen, daß die euklidische Geometrie von Gebilden handelt, die sie "Gerade" nennt, und denen sie die Eigenschaft beilegt, durch zwei ihrer Punkte eindeutig bestimmt zu sein. Der Begriff "wahr" paßt.nicht auf die Aussagen der reinen Geometrie, weil wir mit dem Worte "wahr" in letzter Linie stets die Ubereinstimmung mit einem "realen" Gegenstande zu bez'eichnen pflegen; die Geometrie aber befaßt sich nicht mit der Beziehung ihrer Begriffe zu den Gegenständen der Erfahrung, sondern nur mit dem logischen Zusammenhang dieser Begriffe untereinander. Daß wir uns trotzdem dazu hingezogen fühlen, die.sätze der Geometrie als "wahr" zu bezeichnen, erklärt sich leicht. Den geometrischen Begriffen entsprechen mehr oder weniger exakt Gegenstände in der Natur, welch letztere ohne Zweifel die alleinige Ursache für die Entstehung jener Begriffe sind. Mag die Geometrie, um ihrem Gebäude die größtmögliche logische Geschlossenheit zu geben, hiervon Abstand nehmen; die Gewohnheit, beispielsweise in einer Strecke zwei markierte Stelle n auf einem praktisch starren Körper zu sehen, steckt tiefin unseren Denkgewohnheiten. Wir sind ferner gewohnt, drei Orte als auf einer Geraden befindlich anzunehmen, wenn wir ihre scheinbaren Sehorte durch passende Wahl des Beobachtungsortes bei einäugigem Sehen zusammenfallen lassen können. Wenn wir nun, der Denkgewohnheit folgend, den Sätzen der euklidischen Geometrie den einzigen Satz zufügen, daß zwei Punkten eines praktisch starren Körpers stets die nämliche Entfernung (Strecke) entspreche, was für Lagenänderungen wir auch mit, dem Körper vornehmen mögen, so werden aus den Sätzen der euklidischen Geometrie Sätze über die mögliche relative Lagerung praktisch starrer Körper!. Die so ergänzte Geometrie ist dann als ein 1 Damit ist auch der geraden Linie ein Naturobjekt zugeordnet. Drei Punkte eines starren Körpers A, B, C liegen dann in einer Geraden, wenn bei gegebenen Punkten A und C der Punkt B so gewählt ist, daß die Summe der Entfernungen AB und BC möglichst gering wird. Diese lückenhafte Andeutung mag in diesem Zusammenhang genügen.

2 Das Koordinatensystem 3 Zweig der Physik zu behandeln. Jetzt kann mit Recht nach der "Wahrheit" so interpretierter geometrischer Sätze gefragt werden, denn es kann gefragt werden, objene Sätze zutreffen für diejenigen realen Dinge, ~elche wir den geometrischen Begriffen zugeordnet haben~ Etwas ungenau können wir also sagen, daß wir unter der "Wahrheit" eines geometrischen Satzes in diesem Sinne sein Zutreffen bei einer Konstruktion mit Zirkel und Lineal verstehen. Die Uberzeugung von der nwahrheit" der geometrischen Sätze in diesem Sinne beruht natürlich ausschließlich auf ziemlich unvollkommenen Erfahrungen. Wir werden jene Wahrheit der geometrischen Sätze zunächst voraussetzen, um dann im letzten Teil unserer Betrachtungen (bei der allgemeinen Relativitätstheorie) zu sehen, daß und inwiefern jene Wahrheit ihre Grenzen hat. 2 Das Koordinatensystem AufGrund der angedeuteten physikalischen Interpretation des Abstandes sind wir auch in der Lage, den Abstand zweier Punkte eines starren Körpers auf Grund von Messungen festzusetzen. Dazu brauchen wir eine ein für.allemal zu benutzende Strecke (Stäbchen S), welche als Einheitsmaßstab verwendet wird. Sind nun A und B zwei Punkte eines starren Körpers, so ist deren Verbindungsgerade konstruierbar nach den Ge~etzen der Geometrie; hierauf kann man auf dieser Verbindungsgeraden die Strecke S von A aus so oft abtragen, bis man nach B gelangt. Die Zahl der Wiederholungen des Abtragens ist die Maßzahl der Strecke AB. Hierauf beruht alles Messen von Längen 2 Jede räumliche Beschreibung des Ortes eines Ereignisses oder Gegenstandes beruht darauf, daß man den Punkt eines starren Körpers (Bezugskörpers) angibt, mit dem jenes Ereignis koinzidiert. 2 Dabei ist aller~ings angenommen, daß die Messung aufgehe, cl.h. eine ganze Zahl ergebe. Von dieserschwierigkeitbefreitman sich durch die Anwendung geteilter Maßstäbe, deren Einführung keine prinzipiell neue Methode verlangt.

4 Über die spezielle Relativitätstheorie Dies gilt nicht nur für die wissenschaftliche Beschreibung, sondern auch für das tägliche Leben. Analysiere ich die Ortsangabe "in Berlin, auf dem Potsdamer Platz", so bedeutet sie folgendes: Der Erdboden ist der starre Körper, auf den sich die Ortsangabe bezieht; auf ihm ist "Potsdamer Platz in Berlin" ein markierter, mit Namen versehener Punkt, mit dem das Ereignis räumlich koinzidiert 3. Diese primitive Art der Ortsangabe kennt nur Orte an der Oberfläche starrer Körper und ist an das Vorhandensein unterscheidbarer Punkte dieser Oberfläche gebunden. Sehen wir zu, wie sich der menschliche Geist von diesen beiden Beschränkungen befreit, ohne daß das Wesen der Ortsangabe eine Änderung erfährt! Schwebt beispielsweise über dem Potsdamer Platz eine Wolke, so kann.der Ort dieser, bezogen auf die Erdoberfläche, dadurch festgelegt werden, daß man auf dem Platze senkrecht eine Stange errichtet, die bis zur Wolke hinaufreicht. Die mitdem Einheitsmaßstabgemessene Länge der Stange in Verbindung mit der Angabe des Ortes, des Fußpunktes der Stange ist dann eine vollständige Ortsangabe. An diesem Beispiele sehen wir, auf welchem Wege eine Verfeinerung des Ortsbegriffes vor sich gegangen ist. a)man setzt den starren Körper, auf den sich die Ortsangabe bezieht, in solcher Weise fort, daß der zu lokalisierende Gegenstand von dem vervollständigten starren Körper erreicht wird. b) Man benutzt zur Charakterisierung des Ortes die Zahl statt benannter Merkpunkte (hierdie mit dem Maßstab gemessene Länge der Stange). c) Man spricht von der Höhe der Wolke auch dann, wenn eine Stange, welche die Wolke erreicht, gar nicht errichtet ist. In unserem Falle ermittelt man aus optischen Aufnahmen der Wolke von verschiedenen Stellen des Bodens aus unter Berücksichtigung der Ausbreitungseigenschaften des Lichtes, wie lang die Stange gemacht werden müßte, um die Wolke zu erreichen. 3 Eine weitere Untersuchung darüber, was hier "räumliche Koinzidenz" bedeutet, ist hier nicht nötig; denn dieser Begriff ist insofern klar, als im einzelnen realen Falle Meinungsverschiedenheiten darüber, ob er zutreffe oder nicht, kaum auftreten dürften.