Eugenik und Verfassung

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Transkript:

Prof. Dr. Bernhard Rütsche DACH-Treffen Nationale Ethikkommissionen Eugenik und Verfassung 17./18. November 2016 Wien

Übersicht 1. Eugenik: Begriff und Geschichte 2. Kollektive vs. liberale Eugenik 3. Methoden und Ziele liberaler Eugenik 4. Eugenik-Verbote im geltenden Recht 5. Zurechnung liberaler Eugenik zum Staat? 6. Zulassung von Keimbahninterventionen? 7. Legitimität des Verbots positiver Eugenik? 8. Fazit 5. Januar 2017, Seite 2

1. Eugenik: Begriff und Geschichte Begriff Etymologisch: «eu» und «genos» = «gutes Erbe» Heutiges Verständnis: Einflussnahme auf die genetische Ausstattung von Nachkommen Geschichte: Eugenik als kollektives Programm Ideengeschichte: Vervollkommnung der menschlichen Art durch Einflussnahme auf die Zeugung (Plato, Campanella) Francis Galton (1883): Eugenik = Wissenschaft von der Verbesserung der (menschlichen) Rasse Ende 19. und frühes 20. Jahrhundert: Eugenik als gesellschaftliche Reformbewegung, die sich mit Sozialdarwinismus und Rassentheorien zu einem gefährlichen ideologischen Gemisch verbindet Eugenisch motivierte Zwangssterilisationen und -kastrationen in Europa und Nordamerika (US-Supreme Court: Buck v. Bell 1927) Verbrechen des Nationalsozialismus 5. Januar 2017, Seite 3

2. Kollektive vs. liberale Eugenik Kollektive Eugenik Stärkung einer Rasse oder Nation / Verbesserung des «Genpools» der Bevölkerung Verwirklichung allgemeiner, öffentlicher Interessen Staatliches Programm unter Einsatz von Anreizen, Druck und Zwang Zentrale und gezielte Einflussnahme auf das Erbgut der Bevölkerung Liberale Eugenik Verwirklichung elterlicher Wünsche nach einem (gesunden) Kind Verwirklichung individueller, privater Interessen Selbstbestimmte elterliche Entscheidungen (reproduktive Autonomie) Dezentrale Entscheidungen mit allfälligen Nebenwirkungen auf das Erbgut der Bevölkerung 5. Januar 2017, Seite 4

3. Methoden und Ziele liberaler Eugenik Methoden Indirekte Methoden Pränataldiagnostik Schwangerschaftsabbruch Präimplantationsdiagnostik Selektion von Embryonen in vitro Auswahl von Keimzellen (Samen- und Eizellen) Auswahl von Spendern nach bestimmten Eigenschaften Direkte Methode Keimbahnintervention mittels CRISPR/Cas9 Ziele Negative Eugenik Gentechnologische Verhinderung der Übertragung von Krankheiten und Behinderungen auf die Nachkommen Positive Eugenik Gentechnologische Verbesserung von Eigenschaften der Nachkommen («Genetic Enhancement») 5. Januar 2017, Seite 5

4. Eugenik-Verbote im geltenden Recht Absolutes Verbot von Keimbahninterventionen Biomedizin-Konvention (Art. 13) Bundesverfassung (Art. 119) Keine Menschen nach Mass, da mit der Menschenwürde unvereinbar Technik könnte für Perfektionierungsbestrebungen missbraucht werden Technik ist mit hohen, unbekannten Risiken verbunden Verbot positiver Eugenik in der Fortpflanzungsmedizin Bundesverfassung (Art. 119) Fortpflanzungsmedizin darf nur angewendet werden, wenn die Unfruchtbarkeit oder die Gefahr der Übertragung einer schweren Krankheit nicht anders behoben werden kann, nicht aber um beim Kind bestimmte Eigenschaften herbeizuführen oder um Forschung zu betreiben Fortpflanzungsmedizingesetz Auswahl von Samenspendern nach rein medizinischen Gesichtspunkten, Verbot anderer Auswahlkriterien 5. Januar 2017, Seite 6

4. Eugenik-Verbote im geltenden Recht Beschränkung pränataler Diagnostik auf krankheitsbezogene Aspekte Präimplantationsdiagnostik (PID) nur zulässig, wenn Gefahr, dass sich ein Embryo mit vererbbarer Veranlagung für eine schwere Krankheit in der Gebärmutter einnistet, anders nicht abgewendet werden kann Verbot, pränatale Untersuchungen durchzuführen, die darauf abzielen Eigenschaften des Embryos oder Fötus zu ermitteln, welche dessen Gesundheit nicht direkt beeinträchtigen oder das Geschlecht des Embryos oder Fötus zu einem anderen Zweck als der Diagnose einer Krankheit festzustellen Beschränkung der Forschung auf krankheitsbezogene Aspekte Forschungsprojekte, die eine Änderung von Eigenschaften des Embryos oder des Fötus ohne Bezug zu einer Krankheit zum Ziel haben, sind unzulässig. Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen sind nur zulässig, wenn damit wesentliche Erkenntnisse im Hinblick auf die Feststellung, Behandlung oder Verhinderung schwerer Krankheiten oder über die Entwicklungsbiologie des Menschen erlangt werden sollen 5. Januar 2017, Seite 7

4. Eugenik-Verbote im geltenden Recht Zwischenfazit 1. Negative (liberale) Eugenik ist im geltenden Recht weitgehend akzeptiert Auswahl von Keimzellen, Präimplantations- und Pränataldiagnostik, Forschung mit embryonalen Stammzellen und Embryonen in vivo Aber: Absolutes Verbot von Eingriffen in das Erbgut menschlicher Keimzellen und Embryonen (Keimbahninterventionen), z.b. mittels CRISPR/Cas9 Verbot erfasst auch genetische Eingriffe zu therapeutischen Zwecken sowie krankheitsbezogene Forschung zu Keimbahninterventionen 2. Positive (liberale) Eugenik ist ausnahmslos verboten 5. Januar 2017, Seite 8

5. Zurechnung liberaler Eugenik zum Staat? Fragestellung Nimmt der Staat eine eugenische Praxis in Kauf, indem er eine solche Praxis zulässt? Sind eugenische Entscheidungen von Eltern bzw. ist eugenische Forschung folglich dem Staat zurechenbar? Ist liberale Eugenik damit im Ergebnis nicht anderes als kollektive Eugenik? Antworten Ziel einer liberalen Regulierung der Fortpflanzungsmedizin und Embryonenforschung ist die Wahrung der Autonomie (reproduktive Autonomie, Forschungsfreiheit) und nicht die Einflussnahme auf das Erbgut der Bevölkerung im allgemeinen Interesse kein Einsatz von staatlichen Anreizen, Druck und Zwang Auch wenn eine eugenische Praxis indirekt dem Staat zugerechnet wird allein daraus lassen sich keine normativen Schlüsse ziehen. Entscheidend ist vielmehr die Frage, welche Auswirkungen eine solche Praxis auf die Individuen und die Gesellschaft hat. 5. Januar 2017, Seite 9

6. Zulassung von Keimbahninterventionen? Fragestellung Sind Keimbahninterventionen wie CRISPR/Cas9 in Forschung bzw. Anwendung zuzulassen, soweit damit krankheitsbezogene bzw. therapeutische Zwecke verfolgt werden? (= negative Eugenik) Hohe rechtliche Hürden: Es bräuchte Änderung der Bundesverfassung (Art. 119) und Kündigung der Biomedizin-Konvention Gründe für teilweise Zulassung 1. Reproduktive Autonomie und Elternrechte Eltern haben ein Recht auf Zugang zu den medizinischen Methoden, die ihnen ermöglichen, ein gesundes Kind zu bekommen. 2. Recht von geborenen Kindern auf Gesundheit (Integrität) Dieses Recht wird verletzt, wenn im vorgeburtlichen Stadium der Zugang zu Therapien verweigert wird, welche eine Krankheit oder Behinderung hätten präventiv verhindern können. 3. Embryonenschutz Therapeutische Keimbahninterventionen könnten an die Stelle der PID treten und insofern die Selektion von Embryonen vermeiden. 5. Januar 2017, Seite 10

6. Zulassung von Keimbahninterventionen? 4. Kohärenz / Einheitlichkeit der Rechtsordnung Alle anderen Methoden liberaler Eugenik dürfen zu therapeutischen Zwecken verwendet werden. 5. Argumente der Missbrauchsgefahr und des Dammbruchs (Überschreitung der Grenzen zur positiven Eugenik) spielen nicht Ansonsten müssten auch die anderen Methoden der liberalen Eugenik, namentlich die PID, verboten werden. Staat hat es wie bei allen potenziell gefährlichen Technologien in der Hand, Missbräuche konsequent zu verhindern und zu sanktionieren. Und: Es wird (zunehmend) andere Staaten geben, welche Keimbahninterventionen zu therapeutischen Zwecken zulassen. 6. Unbekannten Risiken kann mit Forschung begegnet werden Subsidiarität der Forschung an menschlichen Embryonen insbesondere gegenüber Tierversuchen. Klinische Anwendung setzt hinreichende Forschung voraus. Forschungsfreiheit verlangt Zulassung entsprechender Forschung. 5. Januar 2017, Seite 11

7. Legitimität des Verbots positiver Eugenik? Fragestellung Ist das dem geltenden Recht zugrunde liegende ausnahmslose Verbot positiver (liberaler) Eugenik aus verfassungsrechtlicher und ethischer Sicht legitim? Beurteilungsmassstäbe 1. Schutz der Menschenwürde Contra: Würde als Schutz der biologischen Individualität, Unvollkommenheit, Natürlichkeit des Menschen Pro: Würde des Menschen besteht (auch) in seiner Fähigkeit zur Selbstoptimierung und Selbsttranszendenz (Mirandola) Contra: Verbot der Totalinstrumentalisierung menschlichen Lebens (Kant) Pro: Bei der Zeugung eines Menschen spielen immer fremde Zwecke mit ob ein Kind um seiner selbst willen geliebt und respektiert wird, entscheidet sich nach seiner Geburt 5. Januar 2017, Seite 12

7. Legitimität des Verbots positiver Eugenik? 2. Schutz der Freiheit Contra: «nicht gezeugt, sondern gemacht» Kind muss die «Autorschaft für das eigene Lebensschicksal mit einem anderen Autor teilen» (Habermas) Pro: Gentechnologie kann Entfaltungsmöglichkeiten der Nachkommen auch steigern (Vermeidung von Behinderungen, Stärkung Immunsystem, Verbesserung des Gedächtnisses usw.) vorteilhafte natürliche Ressourcen wahren oder fördern sogar das Recht auf eine offene Zukunft 3. Schutz von Embryonen Güterabwägung: Lassen sich verbrauchende Embryonenforschung bzw. die Selektion menschlicher Embryonen zum Zwecke der Verbesserung menschlicher Eigenschaften rechtfertigen? 4. Schutz künftiger Generationen Contra: Unabsehbare Risiken Verbreitung positiver Eugenik könnte die genetische Vielfalt der Menschheit und deren Anpassungsfähigkeit an veränderte Umweltbedingungen langfristig beeinträchtigen Pro: Chancen Gentechnologie verhilft dem Menschen zu einer besseren Resistenz gegenüber Erregern, Klimaveränderungen etc. 5. Januar 2017, Seite 13

7. Legitimität des Verbots positiver Eugenik? 5. Schutz der Gleichheit Natürliche Gleichheit der Menschen gehört zu den empirischen Grundvoraussetzungen von Demokratie und Menschenrechten (Fukuyama) Contra: Positive Eugenik stünde nur den Vermögenden zur Verfügung und könnte die Menschheit in biologisch differenzierte Klassen aufspalten Zerfall gesellschaftlicher Solidarität und Ordnung Pro: Kompensatorisches Enhancement (Beseitigung natürlicher Nachteile wie unterdurchschnittliche Intelligenz, Kleinwüchsigkeit, Neigung zu asozialem Verhalten etc.) Vision, natürliche Ungleichheiten zwischen den Menschen zu verringern Contra: Kompensatorische ist von einer leistungssteigernden Eugenik jedoch kaum abzugrenzen und schwer verallgemeinerbar Gefahr einer gentechnologischen Aufrüstungsspirale Pro: gentechnische Gesundheitsverbesserungen (Verbesserungen des Immunsystems, Blutdrucks, Verhinderung gesundheitsschädlicher Dispositionen wie Alkohol- oder Nikotinsucht) sind durchaus abgrenzbar und verallgemeinerbar 5. Januar 2017, Seite 14

7. Legitimität des Verbots positiver Eugenik? 6. Schutz der reproduktiven Autonomie Contra: Paare würden unter Druck gesetzt, für die Fortpflanzung die Gentechnologie in Anspruch zu nehmen, um komparative Vorteile zu erlangen Pro: Auch die Zulassung negativer Eugenik kann Paare unter Druck setzen Contra: Der Wunsch, kein krankes oder behindertes Kind zu bekommen, ist jedoch weit gewichtiger und verallgemeinerbarer als der Wunsch, ein genetisch verbessertes Kind zu bekommen Zulassung positiver Eugenik würde zu illegitimem Druck auf Paare führen Pro: Der Wunsch nach Gesundheitsverbesserungen ist besser verallgemeinerbar Abwägung, ob ein Zugang zu gentechnischen Gesundheitsverbesserungen die reproduktive Autonomie unter dem Strich eher fördern oder gefährden würde 5. Januar 2017, Seite 15

8. Fazit Das geltende Recht verbietet alle Formen positiver Eugenik, lässt aber negative Eugenik grundsätzlich zu, mit der Ausnahme von Keimbahninterventionen, die absolut verboten sind. Eine liberale eugenische Praxis kann indirekt durchaus dem Staat zugerechnet werden allein daraus lassen sich jedoch keine normativen Schlüsse ziehen. Es gibt gute Gründe, Keimbahninterventionen zu therapeutischen Zwecken zuzulassen. Eine klinische Anwendung von Keimbahninterventionen setzt auf jeden Fall hinreichende Forschung voraus. Das Verbot positiver Eugenik im geltenden Recht beruht im Prinzip auf guten Gründen. Allenfalls rechtfertigen liesse sich die Zulassung einer liberalen Eugenik zum Zwecke von Gesundheitsverbesserungen 5. Januar 2017, Seite 16