Ambulantes Operieren: Regressgefahr bei ambulanten Operationen von Vertragsärzten mit anschließender Übernachtung des Patienten in einer (Privat-)Klinik? Viele niedergelassene Chirurgen und Anästhesisten führen in ihren oder angemieteten Räumlichkeiten ambulante Operationen durch, die einen nicht unerheblichen Teil der Praxiseinnahmen darstellen. Vertragsärzte rechnen hierfür die entsprechenden Gebührenordnungspositionen (GOP) aus dem EBM ab. In vielen Fällen verfügen diese Vertragsarztpraxen über die räumliche, sachliche und personelle Ausstattung, um die ambulanten Patienten die Nacht nach dem Eingriff zur Genesung und/oder Beobachtung unterzubringen. Dies geschieht meistens in der eigenen Privatklinik, welche sich in räumlicher Nähe zu der Vertragsarztpraxis befindet und steuerlich, rechtlich und buchhaltungstechnisch von der Vertragsarztpraxis getrennt betrieben wird. Seit einiger Zeit gehen verschiedene Kassenärztliche Vereinigungen dieses Konstrukt mit Regressen an. Hintergrund ist einem BSG Urteil aus dem Jahre 2004 (6. Senat, 08.09.2004, AZ: B 6 KA R 14/03) zu entnehmen, auf welches sich die KVen berufen. Das BSG (6. Senat) entschied folgenden Fall, in dem zwei Orthopäden in Gemeinschaftspraxis ambulante Operationen durchführen. In dem Stockwerk über der Gemeinschaftspraxis befindet sich eine orthopädische Privatklinik, in der einer der Orthopäden Gesellschafter und Mehrheitseigner angesiedelt ist. Die Gemeinschaftspraxis mietet für ihre ambulanten Operationen die Räumlichkeiten der Privatklinik an. Den Patienten wird vor der Operation ein Merkblatt ausgegeben, welches auf die Möglichkeit der Übernachtung in der Privatklinik hinweist bzw. diese empfiehlt. Es wird auch darauf hingewiesen, dass keine Verträge mit Krankenkassen bestehen, so dass die Übernachtung eine Selbstzahlerleistung darstellt. Ärztliche Betreuung steht in der Privatklinik rund um die Uhr zur Verfügung. Eine Übernachtung kostete 400 DM pro Übernachtung. Das BSG ging in dieser Entscheidung davon aus, dass es sich aufgrund der Übernachtung um eine stationäre Leistung handelt, weshalb die KV keine ambulante Leistung vergüten müsse. Abgestellt wurde insofern alleine auf die abstrakte Abgrenzung zwischen stationärer und ambulanter Leistung, die das BSG wie folgt vornahm: Die Krankenhausbehandlung nach 39 Absatz Satz 1 SGB V wird vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär ( 115a) sowie ambulant ( 115b SGB V) erbracht. Versicherte haben danach einen Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus ( 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Hieraus ergibt sich auch der Grundsatz ambulant vor stationär, da die stationäre Aufnahme nach 39 Absatz 1 Satz 2 SGB V nur erforderlich ist und damit einen Anspruch
für den Patienten auslöst, wenn das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre oder ambulante Behandlung erreicht werden kann. Nach 39 Absatz 1 Satz 3 SGB V umfasst die Krankenhausbehandlung im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlung ( 28 Abs. 1 SGB V), Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung. Bei Operationen sei nach Meinung der BSG-Richter eine Abgrenzung schwierig, da diese mittlerweile sowohl ambulant, als auch stationär sowie teilstationär erbracht werden könnten. Zur tatsächlichen Abgrenzung nimmt der 6. Senat des BSG daher Bezug auf ein kurz zuvor ergangenes Urteil des 3. Senates vom 04.03.2004 (B 3 KR 4/03 R). Nach den Ausführungen des 3. Senates könne eine Definition zur Abgrenzung nur von dem Merkmal der Aufenthaltsdauer ausgehen, da weder die Durchführung einer Vollnarkose, die Inanspruchnahme eines Krankenhausbettes, die Aufnahme in das Krankenhaus oder die zeitweise Gewährung von Unterkunft und Verpflegung aussagekräftige Abgrenzungskriterien seien. Danach liege eine stationäre Behandlung vor, wenn eine physische und organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses gegeben sei, die sich zeitlich über mindestens einen Tag und eine Nacht erstrecke. Ein operativer Eingriff finde demgemäß nur ambulant i. S. des 115b SGB V statt, wenn der Patient weder die Nacht vor noch die Nacht nach dem Eingriff im Krankenhaus verbringe (B 6 KA 14/03 R RdNr. 19). Dies gelte auch bei nachträglicher Entscheidung zur Übernachtung aufgrund von Komplikationen. Der 6. Senat schließe sich diesen Ausführungen zu 115b SGB V für die generelle Abgrenzung von ambulant und stationär erbrachten Operationen an. Die Argumentation des 6. Senates aus dem Jahre 2004 ist auf den Sachverhalt der niedergelassenen Vertragsärzte nicht anwendbar, außerdem mittlerweile überholt, da die heutige sektorenübergreifende Versorgung, die sozialrechtlichen Grundsätze sowie auch berufspolitische Aspekte gänzlich außer Acht gelassen werden. Hierzu im Einzelnen: Bezugnahme zum Urteil des 3. Senates In dem nur einige Monate vorher ergangenen Urteil des 3. Senates ging es um ein zugelassenes Krankenhaus nach 108 SGB V. Dieses führte bei einem Patienten eine Behandlung zur Entfernung aller vier Weisheitszähne unter Vollnarkose durch, da es sich bei dem Patienten um einen Angstpatienten handelte. Obwohl dieser weder vor noch nach dem Eingriff die Nacht im Krankenhaus verbrachte, rechnete das Krankenhaus eine vollstationäre Leistung mit ab. Der Kostenträger verweigerte daraufhin den Teil für die stationäre Versorgung, da lediglich eine ambulante Operation stattgefunden habe. Der 3. Senat des BSG bestätigte diese Auffassung unter Darlegung einer Argumentationsstruktur zur Abgrenzung ambulanter, teilstationärer, vor- und nachstationärer und stationärer Behandlungen. Die bislang existierende Leistungsbeschreibung nach 39 Absatz 1 Satz 2 SGB V habe in der Vergangenheit ausgereicht, da ambulante Operationen in den Praxen niedergelassener Ärzte nicht möglich waren. In Krankenhäusern, welche über die räumlichen und personellen Voraussetzungen verfügt haben, seien die Patienten über Nacht geblieben. Die Sektoren der ambulanten und der stationären Versorgung waren in der Vergangenheit noch voneinander getrennt.
Die Betrachtung des BSG aus dem Jahre 2004 ist durch zahlreiche gesetzliche, wie auch gesundheitspolitische Veränderungen in den vergangenen 8 Jahren überholt und nicht mehr zu rechtfertigen. Krankenhäuser können nun allerdings aufgrund des 115b SGB V ebenfalls ambulante Leistungen erbringen. Es wurde ein Katalog erstellt, der die in der Regel ambulant zu erbringenden Leistungen aufführt. Damit könne alleine der Aufenthalt eines Patienten im Krankenhaus, ebenso wie eine Vollnarkose oder die postoperative Lagerung im Ruhebett nicht zu einer Umdeutung in eine vollstationäre Leistung führen. Der 3. Senat führte an, dass aus Erfahrungsberichten aus der Praxis bekannt sei, dass Patienten bei ambulanten Operationen in der Regel weniger als vier, allerdings auch nicht mehr als acht bis zehn Stunden in dem Krankenhaus verweilen würden. Insofern könne der Begriff der Aufnahme nach 39 SGB V durch das Kriterium der Unterkunft bestimmt werden, da bei ambulanten Operationen wie bereits ausgeführt in der Regel keine Unterkunft samt Verpflegung besteht. Diese wiederum könne sich aber nur nach der tatsächlichen Aufenthaltsdauer bestimmen. Diese Argumentationskette scheint für die Bestimmung nach 115b SGB V, also die Abgrenzung ambulant und stationär im Krankenhaus, auch geeignet, da anderenfalls eine Differenzierung für das Krankenhaus und vor allem den Kostenträger auch nach heutiger Sicht schlicht nicht möglich wäre. Allerdings ist die Übertragung auf den niedergelassenen Bereich, so wie es der 6. Senat ausgeführt hatte, nicht umsetzbar. Der 6. Senat nimmt an, es handele sich um allgemeine Ausführungen, die insofern auch weitere Ausdifferenzierung auf andere Sachverhalte anwendbar sei. Allerdings geht der 3. Senat während seiner gesamten Ausführungen von einer Abgrenzung zwischen vollstationärer, teilstationärer, vor- und nachstationärer und ambulanter Krankenhausbehandlung aus (RdNr. 27). Er definiert die ambulante Leistung auch nur für den Begriff ambulant im Sinne des 115b SGB V (RdNr. 27), also für die Krankenhausbehandlung. Der 6. Senat hingegen erklärt sich an keiner Stelle, warum er die Ausführungen gleichwohl für anwendbar hält. Die neuen sektorenübergreifenden Möglichkeiten haben die Abgrenzung diesbezüglich deutlich schwerer gemacht, führen aber auch dazu, dass Definitionen eben nicht mehr auf jeden Sachverhalt übertragbar sind bzw. die Abgrenzung dieser Begrifflichkeiten für jeden Sektor gilt. So sind die ambulanten Operationen bei Vertragsärzten möglich, eine stationäre Aufnahme hingegen nicht. Das führt dazu, dass der Vertragsarzt lediglich ambulante Operationen vornehmen kann. Ob der Patient anschließend freiwillig in einer Klinik übernachtet, bleibt dem Patienten überlassen und muss völlig losgelöst von dem Sachverhalt der ambulanten Operation betrachtet werden. Die vom 3. Senat auf eine Krankenhausbehandlung zugeschnittene Definition für ambulante Operationen kann schon deshalb nicht auf ambulante Operationen bei niedergelassenen Vertragsärzten angewandt werden, da diese nicht die Möglichkeit einer stationären Aufnahme besitzen. In dem Urteil des 6. Senates blieb entsprechend eine Vergütung der Gemeinschaftspraxis für die ambulanten Operationen gänzlich aus. Dies gelte nach den Ausführungen des Senates auch für die Übernachtung im Anschluss an die Operation aufgrund von Komplikationen. Das bedeutet für niedergelassene Vertragsärzte, das ambulante Operieren birgt grundsätzlich eine Regressgefahr, die nicht in aus der Sphäre des Operateurs stammt und die dieser auch nicht prophylaktisch umgehen könnte, da er keinen Einfluss darauf hat, ob der Patient nach der Operation eine Nacht zur Beobachtung oder aufgrund von Komplikationen in einer Klinik bleibt.
Dass einer der Operateure Gesellschafter einer solchen Klinik ist, kann dabei keine Rolle spielen, da diese Klinik rechtlich von der Vertragsarztpraxis getrennt ist und im Ergebnis das gleiche bedeutet. Diese Gefahr besteht für ein zugelassenes Krankenhaus nicht, da es entweder ambulant oder stationär abrechnen kann. Durch die Abschaffung der Trennung stationär und ambulant sind Krankenhäuser sowie auch Vertragsärzte zu Wettbewerben geworden (BSG, Urt. v. 23.03.2011 - B 6 KA 11/10 R). Dieser neu geschaffene Wettbewerb wird allerdings in unzulässiger Weise verzerrt, würde man die niedergelassenen Vertragsärzte einer solchen unkontrollierbaren Regressgefahr aussetzen. Aus diesen Gründen sind auch die Ausführungen des 3. Senates auf diesen Sachverhalt nicht anwendbar. Grundsatz ambulant vor stationär Darüber hinaus verkennt die Rechtsprechung des 6. Senates des BSG den im Sozialrecht geltenden Grundsatz ambulant vor stationär, der auch aus 39 SGB V hervorgeht. Das bedeutet, besteht eine ambulante Behandlungsalternative und ist die stationäre nicht erforderlich, dann ist immer der ambulanten Behandlung der Vorrang zu gewähren. Dieser Grundsatz ist Ausfluss des Wirtschaftlichkeitsgebotes nach 12 SGB V, da ambulante Behandlungen kostensparender sind. Lässt sich die Behandlung, hier die Operation, also auch ambulant durchführen, besteht schon kein Anspruch auf stationäre Versorgung. Dieser Grundsatz wird durch die Annahme des 6. Senates gänzlich ausgehöhlt, da dieser aus einer ambulanten Behandlung eine stationäre macht, weil sich der Patient privat und auf eigene Kosten in einer Klinik unterbringen lässt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass durch das Urteil des 6. Senats jede ambulante Operation mit Übernachtung zur Kontrolle zu einer stationären Leistung umgewidmet werden müsse, auf die Gefahr hin, dass diese Leistung nicht als stationäre Leistung anerkannt und daher auch nicht vergütet wird. Eine ambulante Operation mit der Möglichkeit der prophylaktischen Beobachtung für eine Nacht ohne die reguläre Versorgung einer stationären Leistung würde eine unzulässige Fehlbeurteilung des notwendigen Leistungsumfangs durch den Leistungserbringer darstellen mit der Folge einer Sanktion durch Streichung der Vergütung. Ein konformes Verhalten des Leistungserbringers im Sinne des veralteten Urteils des 6. Senats stellt nach heutiger Betrachtung einen unzulässigen Versuch der Umgehung des Grundsatzes ambulant vor stationär dar und untergräbt im Übrigen das vom Leistungserbringer geschuldete Wirtschaftlichkeitsgebot in der Gesamtbetrachtung der Leistung. Diese abstrakte und wenig ausdifferenzierte Ausführung führt also nicht nur zur unzulässigen Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der niedergelassenen Vertragsärzte, sondern auch zur Umgehung sozialrechtlicher Grundsätze sowie des Wirtschaftlichkeitsgebotes nach 12 SGB V. Auch das Argument, die niedergelassenen Vertragsärzte würden sich in unzulässiger Weise die Erweiterung ihrer Operationsmöglichkeiten verschaffen, indem sie die Option einer stationären Unterbringung durch eine Privatklinik bereitstellen (RdNr. 22), kann bei heutiger Betrachtung nicht mehr durchgreifen. Denn gerade der Grundsatz ambulant vor stationär führt dazu, dass die Behandlung, sofern sie ambulant möglich ist, auch ambulant erbracht werden muss. Dass die Patienten nach der Operation womöglich in einer Privatklinik übernachten, muss, wie oben bereits ausgeführt, völlig losgelöst betrachtet werden. Diese Übernachtung in einer von der Vertragsarztpraxis unabhängig agierenden Privatklinik, führt schließlich nicht
dazu, dass die Vertragsärzte eine ambulante Leistung erbringen. Sollten also Operationen durchgeführt werden, die tatsächlich nur stationär möglich wären, würde schon allein eine vertragsärztliche Abrechnung nicht möglich sein. Dass dennoch einige ambulante Operationen durch dieses Zusammenspiel eher in der Vertragsarztpraxis als in einem Krankenhaus vorgenommen werden, war auch die Zweckbestimmung der ambulantstationären Verzahnung und Sektor übergreifenden Versorgung und entspricht schlicht dem Wirtschaftlichkeitsgebot aus 12 SGB V. Die Ausführungen des 6. Senates aus 2004 sind nach all den seit dieser Zeit in Kraft getretenen Gesetzen und Neuerungen sowie der zunehmenden Veränderung und Verschmelzung der Sektoren nicht mehr ohne Differenzierung anwendbar. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass das Zusammenspiel einer Vertragsarztpraxis und einer Privatklinik im Rahmen der ambulanten Operationen eine erhebliche Kostenersparnis und damit eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit im Sinne von 12 SGB V bedeutet. Denn letztlich ist der Patient oft bereit, eine mögliche Übernachtung als Selbstzahler zu begleichen und die Inanspruchnahme von Kosten sinkt; ob diese nun direkt von den Krankenkassen oder aus dem Topf zur ambulanten vertragsärztlichen Versorgung beglichen werden, kann im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu Gunsten des Wirtschaftlichkeitsgebot und unter der Prämisse, dass die Gelder letztendlich ohnehin aus einem Gesamttopf herrühren, keinen Unterschied machen. Rechtsanwalt & Arzt Dr. Christian Link-Eichhorn Rechtsanwältin Angelika Habermehl Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Schlegel Kanzlei für Medizinrecht Prof. Schlegel Hohmann & Partner Hanauer Landstr. 328-330 60314 Frankfurt Tel: 069-43 05 96 00 kanzlei@medizinrecht.de www.gesundheitsrecht.com