Wie sichere ich meinen Lebensunterhalt?



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Transkript:

Wie sichere ich meinen Lebensunterhalt? Wegweiser durch den Amtsdschungel für Grundsicherung für Arbeitsuchende Sozialhilfe Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Stand: Februar 2014 Widerspruch e.v. - Sozialberatung - Bielefeld

Impressum Herausgeber Widerspruch e.v. - Sozialberatung Rolandstr.16, 33615 Bielefeld, Tel. 0521 / 13 37 05 http://www.widerspruch-sozialberatung.de widerspruchev@web.de Redaktion und Layout 5. Auflage 2014 U. Gieselmann, I. Korzinetzki, F. El Maaroufi u.a. Bezugsadresse AJZ Druck und Verlag GmbH Heeper Strasse 132, 33607 Bielefeld Tel.: 0521 / 17 72 39 / Fax: 0521 / 521 20 43 http://www.ajzverlag.de/ ajzdruck@t-online.de Bezugspreis: 11,- zzgl. Versandkosten ISBN 978-3-86039-012-2 5. überarbeitete Auflage Februar 2014

130 Wer bekommt kein ALG II? Wenn ein Mitglied einer mehrköpfigen Bedarfsgemeinschaft wegen einer mehr als sechswöchiger Ortsabwesenheit keine ALG II Leistungen bekommt, müssen vom Jobcenter die vollen Wohnkosten der restlichen Bedarfsgemeinschaft übernommen werden [BSG, Urteil vom 19.10.2010, Az. B 14 AS 50/10 R]. Sollten Sie nicht arbeitslos sein, sondern in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis stehen oder selbständig sein, dann gilt die Erreichbarkeitsanordnung für Sie nicht. Sie müssen Ihren Urlaub daher auch nicht vom Amt genehmigen lassen. Dasselbe gilt für Leistungsbezieher, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen (müssen) - also Schüler, Studenten oder Eltern, die kleine Kinder unter 3 Jahren betreuen und Personen, die Angehörige pflegen sowie erwerbsunfähige Personen, die Sozialgeld beziehen. Altersrente und Zwangsverrentung Die Rente ist ein Ersatz für den Lohn aus Erwerbstätigkeit. Sie ist eine finanzielle Absicherung für diejenigen, die wegen Alters oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können. Wenn Sie eine Rente wegen Alters beziehen [ 35 42 SGB VI], haben Sie keinen Anspruch mehr auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende, egal wie hoch Ihre Rente ausfällt und ob Sie mit 60 oder mit 66 Jahren in Rente gehen. Die Regelleistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende müssen solange an Sie bezahlt werden, bis Sie tatsächlich im Rentenbezug sind, also bis zu dem Monat, in dem die erste Rentenzahlung kommt. Dabei müssen Sie jedoch bedenken, daß die Rente erst zum Monatsende gezahlt wird, während das ALG II schon zum Monatsanfang eingestellt wird (warum, steht im Kapitel Wie wird Einkommen angerechnet? ab Seite 80). Sollte die Altersrente nicht für Ihren Lebensunterhalt ausreichen, haben Sie gegebenenfalls Anspruch auf ergänzende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XII. Für die unter 65-jährigen ist dies die Hilfe zum Lebensunterhalt (Seite 190) und für die über 65 - jährigen, die die Regelaltersgrenze erreicht haben, die Grundsicherung im Alter (Seite 177). Zwangsverrentung Grundsätzlich kann das Jobcenter von Ihnen verlangen, vorrangige Sozialleistungen zu beantragen, damit es selbst weniger - oder gar keine

Wer bekommt kein ALG II? 131 - Grundsicherung für Arbeitsuchende zahlen muß. Zu diesen vorrangigen Sozialleistungen gehört auch die vorgezogene Altersrente. Bisher waren Arbeitslose durch die sogenannte 58-ziger-Regelung davor geschützt, gegen ihren Willen eine vorgezogene Altersrente beantragen zu müssen. Sie konnten vom Amt nur in Rente geschickt werden, wenn sie die volle Rente ohne Abschläge erhalten konnten. Das galt nur für wenige Personen, denn die meisten müssen bei vorzeitiger Antragstellung erhebliche Rentenverluste in Kauf nehmen: Wer derzeit mit 63 anstatt mit 65 Jahren in Rente geht, bekommt in der Regel nur eine um 7,2 % gekürzte Rente. Mit der Rente ab 67 (die ab Jahrgang 1947 beginnt) steigen die Kürzungen schrittweise auf 14,4 %. Die 58-ziger-Regelung ist aber zum 31.12.2007 entfallen und durch eine Gesetzesänderung [ 12a SGB II] können nun ALG II - Bezieher ab dem 63. Geburtstag aufgefordert werden, einen Rentenantrag zu stellen, wenn ein Anspruch auf vorgezogene Altersrente besteht. Wenn die Betroffenen dies nicht tun, kann das Amt den Antrag bei der Rentenversicherung sogar selbst stellen. Davon betroffen sein können u.a. Frauen, Schwerbehinderte und Langzeitarbeitslose, die vor 1952 geboren wurden, sowie Personen, die eine Mindestversicherungszeit von 35 Jahren erfüllen. Sie können vom Amt zur Rentenantragstellung gezwungen werden, auch wenn sie dann nur eine geminderte Rente erhalten - und das für den Rest ihres Lebens. Damit die Folgen dieses Rentendiebstahls der Öffentlichkeit nicht gleich zu deutlich wurden, blieben (zunächst) zwei Gruppen der älteren Arbeitslosengeld II - Bezieher von der Zwangsverrentung vor ihrem 65. Geburtstag verschont: 1. Leistungsberechtigte, die vor dem 1.1.1950 geboren sind und noch unter den Bestandsschutz durch die alte 58-ziger-Regelung fallen. Dazu gehören Personen, die vor dem 1.1.2008 ALG II mit der 58-ziger- Regelung bezogen haben (oder hätten beantragen können) und weiterhin ununterbrochen beziehen [BA Hinweise zu 12a SGB II, Rz. 12a.23 ff] Der Bestandschutz wird aber zukünftig keine große Rolle mehr spielen, weil es ab April 2015, wenn die letzten der vor 1950 geborenen Personen das gesetzliche Rentenalter erreichen, keine 58-ziger mehr gibt. 2. Leistungsberechtigte, für die es unzumutbar wäre, sie in Zwangsrente zu schicken ( unbillig heißt es im Amtsdeutsch). Dafür wurde extra eine sogenannte Unbilligkeitsverordnung erlassen, in der beispielhaft folgende Fälle benannt werden, in denen eine Zwangsverrentung nicht möglich ist: wenn und solange sie zum Verlust eines Anspruchs auf Arbeitslosen-

132 Wer bekommt kein ALG II? geld I führen würde; das dürfte für ALG I - Bezieher gelten, die aufstockend ALG II bekommen wenn Leistungsberechtigte in den nächsten 6 Monaten die Altersrente ohne Kürzung in Anspruch nehmen können solange Leistungsberechtigte sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind (über 450 verdienen) oder als Selbständige ein entsprechend hohes Einkommen erzielen; dies gilt nur, wenn die Erwerbstätigkeit den überwiegenden Teil der Arbeitskraft (mindestens 15 Stunden pro Woche) in Anspruch nimmt wenn Leistungsberechtigte durch die Vorlage eines Arbeitsvertrages oder anderer ebenso verbindlicher, schriftlicher Zusagen glaubhaft machen, daß sie in in den nächsten 6 Monaten eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit oder eine entsprechende Selbständigkeit aufnehmen und nicht nur vorübergehend ausüben werden Es gibt sicherlich noch mehr Gründe, warum die Zwangsverrentung im Einzelfall unzumutbar sein kann. Nicht zumutbar dürfte die Frühverrentung beispielsweise für jemanden sein, der selbst gar nicht hilfebedürftig ist, sondern nur über die Bedarfsgemeinschaft im ALG II - Bezug ist. Unbillig dürfte es wohl auch sein, wenn die Zwangsverrentung zur Folge hätte, daß jemand zur gekürzten Rente ergänzend Sozialhilfe beantragen müßte, während eine spätere ungekürzte Rente für den Lebensunterhalt ausreichen würde. Vor allem dann, wenn wegen der Sozialhilfebedürftigkeit Vermögen aufgebraucht werden müßte, weil bei den SGB XII- Leistungen wesentlich niedrigere Vermögensfreigrenzen gelten (Seite 205), dürfte der Zwang zur Frühverrentung nicht zumutbar sein. Wenn Sie eine Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung bekommen, sollten Sie zunächst mit Ihrer Rentenversicherung klären, ob Sie überhaupt einen Anspruch auf vorgezogene Altersrente haben und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Ist dies der Fall und Sie halten die Bedingungen für unzumutbar, dann sollten Sie gegen die Aufforderung - die immer schriftlich erfolgen muß - Widerspruch einlegen (siehe Seite 270) und dem Jobcenter mitteilen, daß Sie die Aufforderung für unzumutbar halten. Eine genaue Begründung können Sie nachreichen. Auch wenn Sie sich nicht sicher sind, ob Ihre Gründe wirklich ausreichen, um eine Zwangsverrentung zu vermeiden, ist ein Widerspruch ratsam. Schließlich ist jeder Monat, um den die Verrentung hinausgezögert werden kann, bereits ein Erfolg, da sich die Höhe der Rentenabschläge nach dem Renteneintrittsalter richtet. Manche Jobcenter behaupten, ein Widerspruch gegen die Aufforderung,

Wer bekommt kein ALG II? 133 einen Rentenantrag zu stellen, sei rechtlich nicht möglich. Das Landessozialgericht NRW hat aber bezüglich der Zwangsverrentung anders entschieden [Beschluß vom 1.2.2010, Az. L 19 B 371/09 AS ER]. Wenn Sie den Rentenantrag nicht stellen, darf das Jobcenter Ihnen nicht damit drohen, die ALG II - Zahlungen wegen fehlender Mitwirkung einzustellen. Auf Seite 122 wurde beschrieben, was zu Ihren Mitwirkungspflichten gehört. Das Stellen eines Antrages bei einer anderen Behörde (also der Rentenversicherung) gehört nicht dazu. [BA, Hinweise zu 5 SGB II, Rz. 5.11]. Das Jobcenter darf auch nicht Ihre Leistungen mit der Begründung einstellen, daß Sie nicht hilfebedürftig seien, weil Sie ja Rente bekommen könnten. Dagegen hat das Bundessozialgericht mehrmals entschieden, daß Leistungsberechtigte nicht auf Einkommen, das sie nicht haben (fiktives Einkommen) verwiesen werden können [Urteil vom 21.06.2011, Az. B 4 AS 21/10 R]. Das Landessozialgericht NRW entschied im Fall einer Aufforderung zur frühzeitigen Berentung ebenso [Beschluß vom 11.04.2012, Az. L 19 AS 544 B ER]. Wenn Sie den Rentenantrag nicht stellen, hat das Jobcenter also nur eine Möglichkeit, Sie zu zwingen: Es kann den Antrag selbst stellen. Ihr Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung und stoppt das Verfahren zur Zwangsverrentung nicht. Wenn das Amt Ihren Widerspruch nicht beachtet, sondern statt dessen schreibt, der Widerspruch wäre unzulässig und Sie weiterhin auffordert, Rente zu beantragen oder Unterlagen für den Rentenantrag beizubringen, dann sollten Sie beim Sozialgericht umgehend einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung einreichen. Das Sozialgericht soll das Amt verpflichten, vorläufig keinen Rentenantrag für Sie zu stellen (siehe Seite 279). Diesen Antrag sollten Sie auch stellen, wenn Ihr Widerspruch abgelehnt wird und Sie dagegen klagen. Für diese Verfahren bei Gericht besteht keine Anwaltspflicht, aber es ist ratsam, anwaltliche Unterstützung zu suchen. Eine Eingliederungsvereinbarung mit der Verpflichtung, ab 63 Jahren eine vorgezogene Rente zu beantragen, sollten Sie nicht unterschreiben! Die unzumutbaren Nachteile der Zwangsverrentung sind ein wichtiger Grund, eine solche Eingliederungsvereinbarung abzulehnen (Seite 152). Sollten sie doch eine solche Eingliederungsvereinbarung unterschrieben haben, aber keinen Rentenantrag stellen, kann das Jobcenter eine Sanktion gegen Sie verhängen - also Ihre Leistungen kürzen (Seite 159). Dagegen können Sie sich ebenfalls mit einstweiliger Anordnung, Widerspruch und Klage wehren. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Sanktion ist dann zusätzlich zu prüfen, ob die Aufforderung zur Rentenantragstellung rechtmäßig ist.