Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Alternativen für die Unterbringung: Gastfamilien und ehrenamtliche Vormundschaften Grenzen und Möglichkeiten 1
o Gastfamilien im System der Inpflegegaben o Vormundschaften und Pflegschaften für umf: Der Einzelvormund 2
Zunächst zwei Hinweise und eine Richtigstellung 1. Zur Wertigkeit familienanaloger Hilfen für umf 2. Einzelvormundschaften (ehrenamtlich geführte Vormundschaften) sind kein Äquivalent zu erzieherischen Hilfen (HzE) 3. Eine Annäherung an das Thema aus Sicht der Übergangsforschung: Migration bzw. Flucht als individuell zu bewältigender Übergang 3
Migration als Übergang nimmt die Vervielfachung von Zugehörigkeiten in den Blick, wenn Menschen über Ländergrenzen hinweg migrieren. Zugehörigkeit heißt, sich in Beziehung zu sozialen und kulturellen Umwelten zu setzen, und hat damit einen Identität stiftenden Charakter. (Gemende 2013: 869) 4
Menschen mit Migrationshintergrund müssen sich mit ihren Zugehörigkeiten zu Herkunfts- und Aufnahmeland, zu sich konstruierenden ethnischen Gruppen im Aufnahmeland und mit den Emotionen, die die Zugehörigkeiten in ihren Ambivalenzen und konflikthaften sozialen Dynamiken auslösen können, auseinander setzen. (Gemende 2013: 869) 5
Zugleich gilt aber auch, dass junge Geflüchtete vorrangig immer auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind. Als Jugendlichen und junge Erwachsene sind sie mit den Kernherausforderungen Qualifizierung, Verselbständigung und Selbstpositionierung [Kategorien der Übergänge; J. H.] konfrontiert, deren Bewältigung für sie aufgrund ihrer differenten Erfahrungshintergründe und Biografien mit spezifischen Anforderungen verbunden sind. `Jugend ermöglichen` trifft insofern auf besondere Voraussetzungen (15. KJB 2017: 446, 486) 6
Expliziter grundsätzlicher Unterstützungsbedarf für umf bei der Übergangsbewältigung: Wegen unzureichenden familialen Ressourcen eingeschränkte bzw. verhinderte Zugänge zu Bildung problematische Verselbstständigungsprozesse grundlegende Überforderungssituationen durch Flucht und Migration soziale Benachteiligung oder Exklusion wg. ethnischer Zugehörigkeit individuelle Beeinträchtigung (Traumatisierung) eingeschränkte Teilhabe am Sozialen als Konsequenz 7
o UmF stehen für eine Migrationsform, die gerahmt ist durch zum Teil dramatische Fluchtumstände und lebensbedrohliche Belastungsfaktoren o Flüchtende unbegleitete Flüchtlinge sind auf sich alleine gestellt und haben in der Regel kein Zugriff auf familiale Ressourcen Fazit: Die Lebenssituation von umf im Aufnahmeland wird definiert durch eine Gleichzeitigkeit von Migrationsherausforderung (z. Bsp. Integrationsleistungen), Übergangsbewältigung und vorausgehend bedrohlichen (Kindeswohl gefährdenden) Migrationsbedingungen 8
1. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umf) im Kontext von Inpflegegabe - Standards der (deutschen) Inpflegegabe - Pflegeformen für umf - Sozialpädagogische Herausforderungen für das Pflegekinderwesen 9
2. Vormundschaften (Pflegschaften) für umf - Vormundschaften vs. (Ergänzungs-) Pflegschaften - Systematik des Vormundschaftswesens - Herausforderungen und Möglichkeiten der Querschnittstätigkeit 10
In Deutschland sind bei Einreise eines umf alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz des Kindeswohls im Rahmen des staatlichen Wächteramtes auf der Grundlage des SGB VIII sicherzustellen und Alle umf unter 18 Jahren haben einen Anspruch auf Inobhutnahme als vorläufige Maßnahme der Jugendhilfe zum Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie Auf eine konkrete Kindeswohlgefährdung kommt es in diesen Fallkonstellationen nicht an. Dies ergibt sich aus dem Sachverhalt, dass der junge Mensch unbegleitet ist (vgl. BAG Landesjugendämter 2014) 11
Rekurs: Schwere Belastungen als Traumatisierung 1. Belastung durch individuelle (Bürger-) Kriegserfahrung 2. Leben als Minderheit: Soziale Ausgrenzung 3. Religiös, ethnisch oder kulturell bedingte Verfolgung 4. Verarmung der gesamten Familie 5. Binnenfamiliale Gewalt und außerfamiliale Gewalt 6. Traumatisierende Erfahrungen auf dem Fluchtweg Gewalt durch Schlepper; Ausbeutung Inhaftierung Lebensbedrohliche Wege (Bootsfahrten auf dem Mittelmeer) Und im Aufnahmeland: Belastung durch Asylverfahren und Duldung; Exklusion als Minderheit; Diskriminierung (vgl. BVkE/IKJ 2016/Institut für Traumapädagogik: 2015) 12
im Kontext von Inpflegegabe Inpflegegabe im Grundsatz Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen und seinen persönlichen Bindungen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie Kindern und Jugendlichen in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten. Für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche sind geeignete Formen der Familienpflege zu schaffen und auszubauen. ( 33 SGB VIII) 13
im Kontext von Inpflegegabe 1. Verwandtenpflege 2. Regelinpflegegabe Pflegeformen für umf 3. Westfälische Pflegefamilien (WPF) 4. Gastfamilien 14
im Kontext von Inpflegegabe Gastfamilien - Sozialpädagogische Herausforderungen Ausgangslage für die PKD: Die Fachkräfte in der Pflegekinderhilfe sind weder strukturell noch qualitativ ausreichend auf diese komplexe Herausforderung vorbereitet oder ausgestattet (vgl. Kompetenz-Zentrum Pflegekinder e. V. 2016: 5). Aufnahmebereite Pflegefamilien haben in der Regel reflektive Vorbereitungsprozesse noch nicht durchlaufen (vgl. ebda. 13) 15
im Kontext von Inpflegegabe Gastfamilien - Sozialpädagogische Herausforderungen Ausgangslage für die Qualifizierung von Familie (parallel zu pädagogischen Eignung) - Kenntnisse über Kultur, Ethnie und Religion - rechtliche Kenntnisse (Asyl- und Ausländerrecht, Kinder- und Jugendhilferecht) - Profunde Kenntnisse zu den Themen Bildung und Ausbildung - das Wissen über die Bedingungen für eine gelingende Integration 16
im Kontext von Inpflegegabe Gastfamilien - Sozialpädagogische Herausforderungen Ausgangslage für die Qualifizierung von Familie - Reflektionsfähigkeit hinsichtlich der eigenen Rolle im Familiensystem - Bereitschaft zu migrationsaffinen Fortbildungen - Ggfs. Kenntnisse über Jugendstrafrecht - Auseinandersetzung mit Rassismus und Diskriminierung - Wissen über Trauma und Traumabewältigung - Belastbarkeit bei krisenhaften Hilfeverläufen (vgl. Kompetenz-Zentrum Pflegekinder e. V. 2016: 16) 17
im Kontext von Inpflegegabe Möglichkeiten und Grenzen für Gastfamilien Schaffung von flucht- und traumasensiblen familienanalogen Lebensorten für umf Offene Hilfeform für die Kontaktgestaltung zu weiteren Verwandten des umf Kultur-, religion- und ethniesensible Erziehungshaltungen der Pflegeeltern Gute Möglichkeit der Integration von umf in Gesellschaft, Bildung und Erwerbsleben Schaffung von förderlicher Familiennormalität für den umf durch den Familienalltag 18
im Kontext von Inpflegegabe Möglichkeiten und Grenzen für Gastfamilien Massive Traumatisierung des umf Fehlende Erlaubnis der Herkunfstfamilie für das Einlassen des umf auf die Gastfamilie Integrationsunwillige umf Gewalt und Drogenkonsum Trebewillige umf Nicht ausreichende sozialpädagogische Begleitung durch einen sachkundigen Pflegekinderdienst 19
Vormundschaften (Pflegschaften) für umf Rechtliche Vertretung der umf Mit der Inobhutnahme des umf wird das örtlich zuständige Familiengericht informiert und das Ruhen der elterlichen Sorge beantragt: 1674 BGB: Ruhen der elterlichen Sorge bei tatsächlichem Hindernis (1) Die elterliche Sorge eines Elternteils ruht, wenn das Familiengericht feststellt, dass er auf längere Zeit die elterliche Sorge tatsächlich nicht ausüben kann. (2) Die elterliche Sorge lebt wieder auf, wenn das Familiengericht feststellt, dass der Grund des Ruhens nicht mehr besteht Ein geeigneter Vormund (Einzel-, Vereins-, Berufs- oder Amtsvormund) ist zu bestellen. Dieser stellt die rechtliche Vertretung des umf sicher und beantragte alle notwendigen Leistungen (bspw. HzE) und stellt die gebotenen Anträge (Asyl- und/oder Ausländerrecht) 20
Vormundschaften (Pflegschaften) für umf Vormundschaften vs. (Ergänzungs-) Pflegschaften Die Familiengerichte prüfen zunehmend, dass für die Zeit des Ruhens der elterlichen Sorge Ergänzungspflegschaften veranlasst werden und ausdrücklich nur für die evidenten Wirkungskreise Aufenthaltsbestimmungsrecht Gesundheitsfürsorge Antragstellung Hilfen zur Erziehung Schulangelegenheiten 21
Vormundschaften (Pflegschaften) für umf Systematik des Vormundschaftswesens 1. Einzelvormundschaft 2. Vereinsvormundschaft/Berufsvormund 3. Amtsvormundschaft 22
Ehrenamtliches Engagement in der Arbeit mit ( )und unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten braucht eindeutige Standards, verlässliche Ansprechpersonen und professionelle Begleitung. [ ] Mindestens für längerfristig tätige Freiwillige müssen Möglichkeiten zur Reflexion und Supervision geschaffen werden. Je nach Aufgabengebiet muss eine spezifische Qualifizierung von Ehrenamtlichen verpflichtend sein, so etwa bei Vormundschaften oder Patenschaften. (AGJ Positionspapier: 2016: 10) 23
Fazit: 1. Gastfamilien stellen mit ihrem persönlichen und sozialen Engagement für junge Flüchtlinge über mehrere Jahre hinweg auch ein erhebliches, finanziell, kommunal und individuell entlastendes Potenzial dar. Dieses gesellschaftliche Gut gilt es öffentlich wertzuschätzen, anzuerkennen, im beraterischen Kontakt zu pflegen und nach Möglichkeit zu erweitern. (Kompetenz-Zentrum Pflegekinder e. V. 2016: 5) 24
2. Die zuständigen Pflegekinderdienste benötigen die personalen Ressourcen und Strukturen, um aufnehmende Familien wie gebotenen vorzubereiten und zu begleiten. Die aufnehmenden Familien benötigen eine angemessene Ausstattung und ein am besonderen Bedarf der Zielgruppe ausgerichteten Beihilfekatalog. Die aufnehmende Familie benötigt kontinuierlich die beraterische Begleitung durch den sachkundigen PKD. 25
3. Ebenso benötigen die zuständigen Jugendämter oder beauftragte Vormundschaftvereine personelle Ressourcen und Strukturen, um Einzelvormünder zu gewinnen und wie erforderlich zu schulen. Die Einzelvormünder bedürfen der fachlichen und kontinuierlichen Begleitung durch das Jugendamt oder durch einen Vormundschaftsverein. Eine Orientierung am Betreuungsrecht (BtG) im Kontext von Querschnittarbeit könnte dabei handlungsleitend sein. 26