Zwischen Natur und Kultur: Zur Steuerbarkeit von Lernprozessen. Dr. Thomas Vogel Europa-Universität Viadrina

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Transkript:

Zwischen Natur und Kultur: Zur Steuerbarkeit von Lernprozessen Dr. Thomas Vogel Europa-Universität Viadrina vogel@euv-frankfurt-o.de

Welche Theorien über das Sprachenlernen liegen unserem Handeln als Curriculumdesigner, als Sprachlehrer oder als Sprachlernberater zugrunde?

Die Wirklichkeit der Sprachvermittlung Ich habe in diesem Kurs etwas gelernt. Ich habe Probleme mit der Grammatik. Was kann ich tun? Eigentlich lernt man Sprachen nur während eines Auslandsaufenthaltes oder in fremdsprachigen Vorlesungen. Kann Sprachlernberatung Unterricht ersetzen? Sprachenlernen ist nicht mein Ding.

Aussagen zur Lernerautonomie (Arntz/Kühn, Hrsg., 2008) Er übernimmt Verantwortung. Er handelt unabhängig. Er reflektiert kritisch und objektiv. Er leistet seinen Lernprozess eigenständig und unabhängig. Er entscheidet über Lernziele, Inhalte, Progression. Er ergreift Maßnahmen zur Fehlervermeidung. Er organisiert seine Lernwege selbst, steuert und kontrolliert.

Der Lernprozess im Konstruktivismus Diese Disziplinen (kognitive Psychologie, konstruktivistische Erkenntnistheorie, die konnektionistisch orientierte Neurowissenschaft, die Spracherwerbsforschung) haben u.a. aufgezeigt, dass Lernen ein Prozess ist, der vom Lerner eigenständig und selbstverantwortlich geleistet werden muss, um erfolgreich zu sein. (Wolf: 21)

Lernen als kognitiver Entscheidungsprozess In diesem Sinne (lebenslanges Lernen) ist Autonomie als die Fähigkeit zu verstehen, Entscheidungen zu treffen, unabhängig zu handeln und kritisch und objektiv zu reflektieren. (Esteve: 34) Kognitive Emanzipation (Esteve: 39)

Autonomie muss gelernt werden. We identified one main obstacle to the development of the students learning ability: learners lack criteria for deciding what to do, how to do it and for self-assessing work and performances (Bailly/Carette:102)

Die Rolle des Lehrers/Beraters: Der Lehrer des Lernens From an early stage it was necessary to provide self-access language learners with advisors who could help them identify learning goals, set learning agendas, select learning materials and activities, and evaluate learning outcomes. (Little: 53)

Individuelle Variation Jeder Lernende bringt andere Voraussetzungen mit und unterscheidet sich hinsichtlich seiner Lernziele, Motivation, Strategien, sowie seiner selbstreflexiven Kompetenz. Es gibt nicht den einzig richtigen Lernweg, die einzig richtigen Lernstrategien für alle. (Spänkuch: 144)

Das Konzept der Lernerautonomie ist eine Lerntheorie, die die Verantwortung für das Lernen vom Lehrer auf den Lerner überträgt. Sie basiert auf der allgemeinen Lerntheorie. Lernen wird gesehen als ein kognitiver, vom Lerner steuerbarer Prozess. Ausgangspunkt ist der ideale, erfolgreiche, selbstbestimmte Lerner.

Wie funktioniert Sprachenlernen: Bringen uns wissenschaftliche Erkenntnisse weiter? Almost every theory ever invented in any field has turned out to be wrong, at least in part, and there is no reason to expect current SLA theories will fare much better. Long 2007: 18

These 1: Sprachenlernen ist aufgrund der Komplexität des Lerngegenstandes ein Lernen sui generis. Ein rein kognitive Erklärung der Lernprozesse ist nicht ausreichend. Eine allgemeine Lerntheorie, die nur von einem bewussten, strategischen Handeln des Lerners ausgeht, muss durch die Einbeziehung sprachspezifischer Mechanismen ergänzt werden.

These 2: Sprache besteht einerseits aus vermutlich biologisch und andererseits aus kulturell determinierten Elementen. Nur die Interaktion von unterschiedlichen Erwerbsmechanismen und Lernprozessen kann den gesamten Spracherwerb erklären.

Lernwege und Erwerbsmechanismen: Fehler sind Indikatoren für Lernprozesse. Sie entstehen durch die unterschiedlichen Stadien der Lernergrammatik beim Sprachenlernen. Ähnliche Fehler sind in allen Erwerbskontexten zu finden. Die Abfolge der Stadien der Lernergrammatik ist nicht umkehrbar bzw. beeinflussbar. Mathematische Fehler sind Verstöße gegen Regeln, sie entstehen nicht durch Regeln.

Sprachverarbeitungsmechnismen Formeln und Routinen: How are you? Simplifizierung: I m go home. Übergeneralisierung: He camed yesterday. Transfer/Interferenz: My child goes not to school yet.

Unterschiedliche Erwerbstypen = unterschiedliche Lernstrategien? Erstspracherwerb Bilingualismus Frühbeginn Fremdsprachen in Schule/Hochschule Natürlicher Erwerb in mehrsprachigen Kontexten Immersion Fremdsprache vs. Zweitsprache

These 3: Lernwege sind überindividuell. Sie sind zum Teil auch erwerbstypübergreifend. Der Lernerfolg ist von psychologischen Faktoren abhängig und individuell.

Sind Lernstrategien kulturell determiniert und damit in verschiedenen Kulturen unterschiedlich?

Psychologische Faktoren: Beispiel Motivation Integrative Motivation: Sprache und Kultur Instrumentelle Motivation: Sprache und Beruf Intrinsische Motivation: Sprachenlernen als Erfolgserlebnis aus eigenem Antrieb

Der integrativ-kooperative Ansatz Der Lernweg ist durch interne (biologische?) Faktoren vorgegeben. Der Lehrer/Berater stellt den jeweiligen Stand durch eine Fehleranalyse fest. Der Lernerfolg wird durch psychologische Faktoren bestimmt und ist von der Lernumgebung abhängig. Der Lehrer/Berater analysiert diese Faktoren gemeinsam mit dem Lerner und entwickelt einen Plan. Der Lehrer/Berater gestaltet die Lernumgebung nach den Bedürfnissen der Lerner.

Bibliography Arntz, R., Kühn, B., 2008, Autonomes Fremdsprachenlernen in Hochschule und Erwachsenenbildung. Erträge des 1. Bremer Symposions zum autonomen Fremdsprachenlernen. Bochum: AKS Bardovi-Harlig, K., Dörnyei, Z., eds., 2006, Themes in SLA Research. AILA Review 19. Amsterdam/Philadelphia, Benjamins Doughty, C. & Long, M. (2003), Handbook of second language acquisition, Oxford; Blackwell Ellis, R. 1997, SLA Research and Language Teaching. Oxford, OUP Ellis, R., 1994, The Study of Second Language Acquisition. Oxford, OUP Griffiths, C., ed., 2008, Lessons from Good Language Learners. Cambridge, CUP Long, M.H., 2007, Problems in SLA. New York/London, Lawrence, Erlbaum Associates Pinker, S., 2003, Language as an adaptation to the cognitive niche. In: Christiansen, M., Kirby, S., eds., Language Evolution: States of the Art. New York, OUP. 16-37 Pinker, S., 2004, Why nature & nurture won t go away. Daedalus Fall 2004. 1-13 Spolski, B., ed., 1999, Concise Encyclopedia of Educational Linguistics.Pergamon: Oxford Vogel, Th., 2005. German and English, they re always fighting Language assimilation processes in the acquisition of German as a foreign language. In: Hufeisen, B., Fouser, R.J., eds., Introductory Readings in L3. Tübingen, Stauffenberg: 111 116 Vogel, Th., 2005, Grau teurer Freund Der Beitrag der Wissenschaften zur Kunst des Fremdsprachenlernens. In: Pürschel, H., Tinnefeld, Th., Hrsg. Moderner Fremdsprachen- Unterricht zwischen Interkulturalität und Multimedia. Reflexionen und Anregungen aus Wissenschaft und Praxis. Bochum: AKS. 152-163 Wode, H. (1981), Learning a Second Language, Tübingen, Narr. Bochum.