Thomas Küpper Autonomie. «Das Kreuz mit der Kunst» systemtheoretisch betrachtet

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Transkript:

Thomas Küpper Autonomie «Das Kreuz mit der Kunst» systemtheoretisch betrachtet Thomas Küpper Autonomie Der für die Kunstdiskussion zentrale Begriff der Autonomie lässt sich mit Niklas Luhmanns Systemtheorie schärfen. Die Autonomie beruht aus dieser Sicht auf der Ausdifferenzierung der Kunst zu einem Teilsystem der modernen Gesellschaft, das eigenen Gesetzen folgt. Neben der Autonomie des Kunstsystems kann auch die des Einzelwerks in diesen sozialen Kontext eingeordnet werden sowie die historische, vor allem mit dem Namen Immanuel Kant verbundene Etablierung des Autonomiebegriffs in der Ästhetik. Entscheidend ist zunächst, wie das Verhältnis autonomer Kunst zur Gesellschaft gedacht wird: Luhmann hebt hervor, dass die Autonomie keine Herauslösung der Kunst aus sozialen Zusammenhängen bedeutet auch das Kunstsystem ist in die Gesellschaft eingebunden. In Abgrenzung zu Theodor W. Adornos Konzeption der Autonomie als einer «Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber», 1 spricht Luhmann von einer «Verselbständigung in der Gesellschaft». 2 Gerade indem Kunst ihre Regeln selbst hervorbringt, vollzieht sie eine allgemeinere Entwicklung der modernen Gesellschaft mit, in der sich mehrere solcher eigengesetzlichen Systeme herausbilden. Dergestalt teilt Kunst «das Schicksal der modernen Gesellschaft» insbesondere durch den Versuch, «als autonom gewordenes System zurechtzukommen». 3 Die Teilsysteme dieser Gesellschaft erlangen dadurch Autonomie, dass sie sich jeweils eine spezifische, an keiner anderen Stelle erfüllte Funktion zu eigen machen. Dass Kunst «sich selbst gern als funktionslos» ausgibt, ist nach Luhmann «nichts weiter als eine Geste der Abwehr gegen Vereinnahmungsansprüche anderer Funktionsbereiche» oder auch die Fortschreibung einer überkommenen Ansicht, der entsprechend die Kunst als nutzlos gilt. 4 Die hergebrachte, von Luhmann hinterfragte Vorstellung von der Zweckfreiheit der Kunst wird in der philosophischen Ästhetik aufgegriffen, zum Beispiel wenn Adorno als «gesellschaftliche Funktion» von Kunstwerken gerade «ihre Funktionslosigkeit» betrachtet. 5 Welchen Einfluss solche Denkweisen noch auf heutige kunstwissenschaftliche Diskussionen haben, zeigt sich etwa an Michael Lingners Überlegungen zu dem Thema, inwiefern Autonomie zu einem Problem für die Kunst wird: Die Autonomisierung erlaube ihr «immer nur eine negative Bestimmung auf die Gesellschaft und auf sich selbst hin», so dass fraglich werde, ob Kunst auf dieser Grundlage weiter bestehen könne. 6 Bei diesen Zweifeln setzt Lingner voraus, dass es autonomer Kunst bislang genügt habe, sich hinsichtlich ihrer sozialen Funktion «durch ihre gesellschaftliche Zwecklosigkeit zu definieren». 7 Aus systemtheoretischer Sicht aber fällt Autonomisierung nicht mit einer Befreiung aus jeglichen sozialen Funktionszusammenhängen in eins; vielmehr handelt es sich um eine Freisetzung für die Übernahme einer selbstbestimmten Funktion. Wie 11

1 Martin Kippenberger, Zuerst die Füße, 1990, Holzskulptur, 124 x 100 x 20cm, Sammlung Lothar Tirala Gerhard Plumpe und Niels Werber vor Augen führen, stellt Kunst sich im Zuge ihrer Autonomisierung auf die Funktion der Unterhaltung ein und gründet auf den Code «interessant»/«langweilig». 8 Betrachtet man Kunst entsprechend im gesellschaftlichen Funktionskontext, lässt sich ihre Autonomie im wörtlichen Sinn als Eigengesetzlichkeit auffassen, jedoch nicht als völlige Unabhängigkeit gegenüber anderen Systemen. Luhmann erklärt, «daß das Angewiesensein auf die Erfüllung anderer Funktionen durch andere Systeme Bedingung und Kennzeichen der Autonomie jedes Funktionssystems ist; daß also spezifische Unabhängigkeit auf hohen Abhängigkeiten beruht». 9 Das heißt, es beeinträchtigt die Autonomie der Kunst nicht zwangsläufig, dass für Kunstwerke etwa Geld ausgegeben wird die Zahlungen sind Kommunikationen innerhalb des Wirtschaftssystems, ohne das Kunst möglicherweise nicht auskommt. Die Gesetze der Ökonomie müssen sich jedoch nicht mit jenen der Kunst decken; beide Systeme können nebeneinander bestehen: autonom, aber nicht autark. Ebenso wenig läuft es aus systemtheoretischer Sicht der Autonomie der Kunst notwendigerweise zuwider, wenn sich Werke ihrerseits auf Außerkünstlerisches beziehen. Entscheidend ist, dass sie die Stoffe, Motive und Themen nach eigenen Maßgaben aufgreifen. Wissenschaftliche Aussagen, religiöse Bekenntnisse, politische Standpunkte ändern ihren Stellenwert, sobald sie in Kunst überführt werden: «Wahrheiten wirken in der Kunst nicht als Wahrheiten». 10 Selbst eine Stellungnahme, die im politischen System provozieren müsste, wird in der autonomen Kunst insofern neutralisiert, als in diesem Kontext Irritationen zu rein künstlerischen Zwecken erwartet werden (trotz der Versuche, mit solchen Erwartungen zu brechen und die Grenzen der Kunst zu verschieben oder aufzulösen). 11 Nicht zuletzt zeigt sich die Autonomie der Kunst auch in ihrer (Um-)Nutzung von Material, etwa wenn dessen Kostbarkeit zum Beispiel der Wert von Gold 12 kritische berichte 4.2008

Thomas Küpper Autonomie und Juwelen, der im Mittelalter noch nicht künstlerisch gleichgültig ist, unbedeutend wird. 12 Die Verselbständigung künstlerischen Umgangs mit Stoff und Material schließt ein, dass auch alltägliche Dinge, sogar Abfall und Müll, für die Kunst in Frage kommen und neu gewertet werden. 13 Wie sich die eigenen Maßstäbe der Kunst zu den Maßstäben anderer sozialer Bereiche verhalten, das heißt auf welche Weise sich Kunst polykontextural in der Gesellschaft einrichtet, lässt sich systemtheoretisch untersuchen, indem die wechselseitige Beobachtung der Funktionssysteme thematisiert wird. 14 In der philosophischen Ästhetik, die sich als Teil der Wissenschaft auf Kunst bezieht, geht der Autonomie-Begriff insbesondere auf Kant zurück: 15 Nach Kant beansprucht der Geschmack Autonomie 16 und das Genie zeichnet sich dadurch aus, «Zwangsfreiheit von Regeln so in der Kunst auszuüben, daß diese [...] selbst eine neue Regel bekommt». 17 Das Genie ist an keine bestimmte, schon bestehende und von anderen erteilte Vorschrift gebunden sonst müsste man von Heteronomie sprechen. Auch die neue Regel, die die Kunst durch das Genie erlangt, liegt nicht als «Formel abgefaßt» vor, sondern kann nur «vom Produkt abstrahiert werden». 18 Damit führt Kant die Eigengesetzlichkeit des einzelnen Kunstwerks auf das Genie zurück eine wirkungsmächtige Fremdbeschreibung künstlerischer Autonomie. 19 Luhmann seinerseits rekonstruiert die Autonomie des einzelnen Kunstwerks unter dem Stichwort «Selbstprogrammierung»: «Nur wenn man erkennt, wie es die Regeln, nach denen sich die eigene Formenwahl richtet, aus eben dieser Formenwahl entnimmt, kann man ein modernes Kunstwerk adäquat beobachten.» 20 Wendet man die Systemtheorie dazu an, den Anspruch von Kunstwerken auf Autonomie im sozialen Zusammenhang zu verorten, wird vor allem die Vielfalt unterschiedlicher Bezugssysteme zu berücksichtigen sein. Ein aktuelles Beispiel ist die Diskussion um Martin Kippenbergers Werk Zuerst die Füße anlässlich der Ausstellung Peripherer Blick und kollektiver Körper im Bozener Museion 2008. Die Holzskulptur aus dem Jahr 1990 stellt einen Frosch dar, der an ein Kreuz genagelt ist (Abb. 1). Damit wird christliche Ikonographie aufgegriffen und verkehrt: Als gekreuzigte Figur mit Lendentuch erinnert der Frosch an Jesus Christus; doch als Tier, dessen Zunge heraushängt und das einen Bierkrug hält, steht die Gestalt in einem Spannungsverhältnis zu herkömmlichen religiösen Bildgehalten. Ein Vorbild für diese Arbeit ist der in der Weimarer Republik so genannte «Christus mit der Gasmaske», die Grafik Maul halten und weiter dienen von George Grosz, der sich für sie seinerzeit vor Gericht verantworten musste. 21 Wie provozierend eine Verfremdung und Pervertierung christlicher Ikonographie noch heute ist, zeigt sich an den Reaktionen auf die Bozener Präsentation von Kippenbergers Werk: In den Massenmedien ist die Rede von «regelmäßigen Mahngebeten vor dem Museum»; Papst Benedikt XVI. habe erklärt, «der Frosch verletze die religiösen Gefühle vieler Menschen, die das Kreuz als Symbol von Gottes Liebe und der Erlösung betrachteten». 22 Das Mitglied der Südtiroler Volkspartei Franz Pahl soll aus Protest gegen das Werk sogar in den Hungerstreik getreten sein und, wie Holger Liebs bemerkt: «märtyrer-like», einen Schwächeanfall erlitten haben. 23 Die Auseinandersetzungen sind nicht nur Thema von Nachrichten und Berichten, sondern insbesondere auch von Kommentaren. Dirk Schümer schreibt: «Sei kein Frosch: Dieses Stoßgebet richtet derzeit ein katholischer Kirchenvolksteil an den Gekreuzigten [...]. Es ist ein Kreuz mit der Kunst.» 24 Das Spielerische und die Ironie die- 13

ser Worte sind dem Ernst entgegengesetzt, den die religiösen und politischen Stellungnahmen für sich beanspruchen. Vor allem aber werden die von diesen Seiten vorgebrachten Proteste dadurch zurückgewiesen, dass man sich auf die Selbstbestimmung der Kunst beruft. Ein Teilnehmer an der Debatte betont, dass Kunst «frei und autonom» sei und «sich nicht von Parteipolitik beeinflussen lassen» dürfe. 25 Wie Roland Schappert in einer Untersuchung von Kippenbergers Frosch-Skulpturen herausstellt, spielen sie ihrerseits in besonderer Weise auf die Eigengesetzlichkeit der Kunst an: Das Kreuz ist aus «kunstimmanentem Material», Leinwand-Rahmenleisten, errichtet und damit «schon von vornherein Zeichen kunstimmanenter Simulation», so dass sich «jeder konkrete außerkünstlerische Anspruch» verliert. 26 Die mit den Rahmenleisten vollzogene Selbstabgrenzung aber bewahrt die Kunst nicht davor, von anderen Systemen nach deren Kriterien beurteilt zu werden. Diesen Systemen kann, wie sich an den religiösen und politischen Stellungnahmen in dem Beispiel zeigt, die Autonomie von Kunstwerken eindornimaugesein. 14 kritische berichte 4.2008

Thomas Küpper Autonomie Anmerkungen 1 Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, hg. v. Gretel Adorno u. Rolf Tiedemann, 13. Aufl. Frankfurt am Main 1993, S. 334. 2 Niklas Luhmann, «Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst», in: Stil, hg.v. Hans-Ulrich Gumbrecht u. Karl Ludwig Pfeiffer, Frankfurt am Main 1986, S. 620 672, hier S. 622 623. Hervorhebung im Text. 3 Ebd. Vgl. Niels Werber, Literatur als System. Zur Ausdifferenzierung literarischer Kommunikation, Opladen 1992, insbes. S. 61 63. 4 Luhmann 1986 (wie Anm. 2), S. 623 624. 5 Adorno 1993 (wie Anm. 1), S. 336 337. 6 Michael Lingner, «Zur Konzeption künftiger öffentlicher Kunst. Argumente für eine Transformation ästhetischer Autonomie», in: Kunst im öffentlichen Raum. Anstöße der 80er Jahre, hg. v. Volker Plagemann, Köln 1989, S. 246 258, hier S. 255. 7 Ebd., S. 249. 8 Gerhard Plumpe, «Probleme der Theorie ästhetischer Kommunikation», in: ders., Ästhetische Kommunikation der Moderne, Bd. 2, Opladen 1993, S. 292 304; Werber 1992 (wie Anm. 3). 9 Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1995, S. 219. 10 Niklas Luhmann, «Ist Kunst codierbar?», in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 3, Opladen 1981, S. 245 266, hier S. 257 258. 11 Vgl. Peter Bürger, «Zum Problem der Autonomie der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft», in: ders., Theorie der Avantgarde, Frankfurt am Main 1974, S. 49 75; Werner Busch, «Die Autonomie der Kunst», in: Funkkolleg Kunst. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen, hg. v. dems., Bd. 1, 1. Aufl. München 1990, S. 230 256, insbes. S. 231. 12 Luhmann 1995 (wie Anm. 9), S. 132. 13 Zur Erschließung des Alltäglichen durch die Malerei vgl. ebd., S. 232 233. 14 Vgl. Sabine Kampmann, Künstler sein. Systemtheoretische Beobachtungen von Autorschaft, München 2006, insbes. S. 86 93; Beobachtungen der Literatur. Aspekte einer polykontexturalen Literaturwissenschaft, hg. v. Gerhard Plumpe u. Niels Werber, Opladen 1995. 15 Zur Begriffsgeschichte vgl. Rosemarie Pohlmann, Art. «Autonomie», in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter, Bd. 1, Basel 1971, Sp. 701 719; Friedrich Wolfzettel u. Michael Einfalt, Art. «Autonomie», in: Ästhetische Grundbegriffe, hg. v. Karlheinz Barck u.a., Bd. 1, Stuttgart/Weimar 2000, S. 431 479. 16 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft,hg.v. Gerhard Lehmann, Stuttgart 1963, S. 195 [ 32]. 17 Ebd., S. 253 [ 49]. 18 Ebd., S. 239 [ 47]. 19 Vgl. Gerhard Plumpe, Ästhetische Kommunikation der Moderne, Bd. 1. Opladen 1993, S. 47 106. 20 Luhmann 1995 (wie Anm. 9), S. 331. 21 Vgl. Roland Schappert, Martin Kippenberger. Die Organisationen des Scheiterns, Köln 1998, S. 89 96. 22 «Das Kreuz mit der Kunst. Frosch bleibt trotz Papst-Protest», Spiegel online vom 29. August 2008, http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,575239,00.html, Zugriff am 9. September 2008. 23 Holger Liebs, «Das Kreuz mit dem Kippenberger-Frosch. Hängt ihn höher», sueddeutsche.de vom 5. August 2008, http://www.sueddeutsche.de/kultur/8/304979/text/, Zugriff am 9. September 2008. 24 Dirk Schümer, «Ärger mit dem Krötenkruzifix», faz.net vom 8. Juli 2008, http://www.faz.net/s/rub5a6dab001ea2420 BAC082C25414D2760/Doc~E3578F27CA5504 533B55180B0BECADE02~ATpl~Ecommon~ Scontent.html, Zugriff am 9. September 2008. 25 Hans Peter Lercher, «Museion unter Beschuss. Der Frosch und sein Laich», in: Pustertaler Zeitung Jg. 20 Nr. 16 vom 8. August 2008, S. 52 54, hier S. 54. 26 Schappert 1998 (wie Anm. 21), S. 93. Siehe auch Gerhard Plumpes Artikel zu Rahmen in diesem Heft. 15