Vorlesung Theoriegeschichte der Ethnologie 3: Fortsetzung Durkheim & Georg Simmel Prof. Dr. Helene Basu 05. 11. 2007
Was sind soziale Tatsachen? Wirklichkeiten, die außerhalb des Individuums liegen und ihm vorgeordnet sind Äußerlichkeit & Zwang Soziale Tatsachen müssen wie Dinge behandelt werden objektive soziale Wirklichkeit folgt ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten
Arbeitsteilung = soziale Tatsache Analyse nach den Regeln der soziologischen Methode: Bestandshypothese: funktionaler Wirkungszusammenhang Entwicklungshypothese: kausaler Entstehungszusammenhang Beurteilungshypothese: ihre normalen und pathologischen Folgen
Arbeitsteilung im Sinne Durkheims Ökonomische und nicht-ökonomische Phänomene Differenzierte soziale Beziehungen Zusammenhalt / Bande der Gesellschaft Begriff der Arbeitsteilung korreliert mit Solidarität, Moral, Kollektivbewußtsein
Definition Kollektivbewußtsein "Die Gesamtheit der gemeinsamen religiösen Überzeugungen und Gefühle im Durchschnitt der Mitglieder einer bestimmten Gesellschaft bildet ein umgrenztes System, das sein eigenes Leben hat; man könnte sie das gemeinsame oder Kollektivbewußtsein nennen" (1988: 128)
Zwei Seiten der positiven Solidarität:... Man sieht Gesellschaft nicht vom gleichen Blickwinkel aus. Im ersten handelt es sich bei dem, was man mit diesen Namen (Solidarität) bezeichnet, um eine mehr oder weniger organisierte Gesamtheit von Glaubensüberzeugungen und Gefühlen, die allen Mitgliedern der Gruppe gemeinsam sind: das ist der kollektive Typ. Die Gesellschaft dagegen, der wir im zweiten Fall verpflichtet sind, ist ein System von verschiedenen und speziellen Funktionen, die bestimmte Beziehungen vereinigen. Diese beiden Gesellschaften bilden im übrigen nur eine. Es handelt sich um die zwei Gesichter ein und derselben Wirklichkeit, die aber gleichwohl verlangen, unterschieden zu werden." (1988: 181)
Arbeitsteilung und Gesellschaftstypen: Mechanische Solidarität: einfache / segmentäre Gesellschaften Organische Solidarität: moderne Industriegesellschaften Mechanische Solidarität: Prinzip der Ähnlichkeit, Individuen nicht von Gesellschaft geschieden Organische Solidarität: funktionale Differenzierung, Sonderrole der Individuen, wechselseitige Abhängigkeit Gegensätzliche Bewußtseinszustände von Individualität
Mechanische Solidarität und Individualität: "Im Bewusstsein eines jeden von uns gibt es zwei Bewusstseinszustände; den einen, den wir mit der ganzen Gruppe gemeinsam haben und der folglich nicht uns gehört, sondern der lebendigen und in uns wirkenden Gesellschaft; den anderen, der im Gegenteil dazu in uns das repräsentiert, was uns persönlich und unterscheidbar eigen ist und uns dadurch zu einem Individuum macht. Die (mechanische) Solidarität, die aus den Ähnlichkeiten entsteht, erreicht ihr Maximum, wenn das Kollektivbewusstsein unser ganzes Bewusstsein genau deckt und in allen Punkten mit ihm übereinstimmt: aber in diesem Augenblick ist unsere Individualität gleich Null. Sie kann nur entstehen, wenn die Gemeinschaft weniger Platz in uns einnimmt. (...) In dem Augenblick, in dem diese Solidarität wirkt, löst sich unsere Persönlichkeit definitionsgemäß sozusagen auf; denn dann sind wir nicht mehr wir selbst, sondern das Kollektivwesen." (Durkheim 1988: 182)
Grundbegriff Durkheims Moral mechanische/organische Solidarität soziale Tatsachen
Religion = sozialer Tatbestand Kollektive Vorstellungen / Repräsentationen besitzen soziale Funktionen drücken kollektive Wirklichkeiten aus
Religiöser Ursprung des Denkens Wissenschaft aus Religion hervorgegangen, die in ihrem einfachsten zustand selbst Wissenschaft ist Philosophische Kategorien des Urteilsvermögens (Zeit, Raum, Substanz, Qualität, Aktivität, Leiden, Verhalten usw.) bilden das Gerüst der menschlichen Intelligenz und finden sich gleichermassen in primitiven und komplexen Gesellschaften
Durkheim: "Wenn man die primitiven religiösen Glaubensüberzeugungen methodisch analysiert, begegnet man zwanglos den hauptsächlichsten dieser Kategorien. Sie sind in der Religion und aus der Religion entstanden; sie sind das Produkt des religiösen Gedankens" (Formen des religiösen Lebens, S. 28)
Sekundärliteratur zu É. Durkheim Gane, (ed.) Mike (1992). The Radical Sociology of Durkheim and Mauss. London and New York: Routledge Lester, David (ed.) (1994). Emile Durkheim. Le Suicide. 100 Years later. Philadelphia: The Charles Press, Publishers Valjavec, Friedrich (1995). Émile Durkheim. Voraussetzungen und Wirkungen. Band I: Kultursoziologische Aspekte. München: Akademischer Verlag München Pescosodido, Bernice A. (1994). 'Bringing Durkheim into the Twenty-first Century: A Network Approach to Unresoveld Issues in the Sociology of Suicide'. In: Lester, David (ed.) Emile Durkheim, Le Suicide. 100 Years Later, Pp. 264-295. Philadelphia The Charles Press, Publishers
Georg Simmel Privatdozent an Berliner Universität Kultursoziologie (1896/1995) Das Geld in der modernen Kultur, in: Schriften zur Soziologie. Eine Auswahl. Frankfurt/M: Suhrkamp
'Das Geld in der modernen Kultur' 1896 Gegensatz soziale Bindungen Mittelalter /moderne Zeit: Mensch in Gemeinschaft eingebunden Moderne: Einheit Persönlichkeit/Gemeinschaft löst sich auf Trennung von Subjekt & Objekt durch Geldwirtschaft: "Sie schiebt zwischen die Person und die bestimmt qualifizierte Sache in jedem Augenblick die völlig objektive, an sich qualitätslose Instanz des Geldes und Geldeswertes" (S. 79)