Bericht. nach 88 Abs. 2 BHO. an den Rechnungsprüfungsausschuss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages

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Transkript:

Bericht an den Rechnungsprüfungsausschuss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages nach 88 Abs. 2 BHO Steuerliche Billigkeitsmaßnahmen bei Forschungseinrichtungen Dieser Bericht des Bundesrechnungshofes ist urheberrechtlich geschützt. Er ist auf der Internetseite des Bundesrechnungshofes veröffentlicht (www.bundesrechnungshof.de). Gz.: VIII 2-2014 - 0708/2 Bonn, den 9. September 2016

2 Inhaltsverzeichnis Seite 0 Zusammenfassung 3 1 Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen 5 2 Umsatzbesteuerung der Forschungstätigkeit 5 3 Steuerliche Billigkeitsmaßnahmen 5 3.1 Persönliche und sachliche Billigkeitsgründe 5 3.2 Vorgesehene Mitwirkung des Bundesministeriums der Finanzen 6 4 Bundesrechnungshof sieht dringenden Handlungsbedarf 7 4.1 Betriebsprüfungen führen zu Mehrsteuern 7 4.2 Forschungseinrichtungen beantragen Erlass der Mehrsteuern 7 4.3 Landesfinanzbehörde bittet um Mitwirkung 8 4.4 Bundesministerium der Finanzen lehnt Mitwirkung ab 8 5 Zusammenfassende Bewertung und Empfehlung 9 5.1 Mitwirkung des Bundesministeriums der Finanzen notwendig 9 5.2 Billigkeitsgründe fehlen 10 5.3 Bundesrechnungshof fordert Klarstellung 12 6 Stellungnahme des Bundesministeriums der Finanzen 12 7 Abschließende Würdigung 13

3 0 Zusammenfassung 0.1 In Deutschland gibt es mehr als 800 öffentlich finanzierte Forschungseinrichtungen. Diese verfügen zusammen über einen Jahresetat von mehreren Mrd. Euro. Die Einrichtungen sind auch unternehmerisch tätig und unterliegen insoweit der Umsatzbesteuerung. Der Bundesrechnungshof untersuchte in den Jahren 2015 und 2016 die umsatzsteuerliche Behandlung einiger Forschungseinrichtungen. Er befasste sich dabei auch mit Billigkeitsmaßnahmen für drohende Umsatzsteuernachzahlungen (Tzn.1 und 2). 0.2 Die Finanzbehörden der Länder können Steuern niedriger festsetzen oder erlassen, wenn deren Erhebung nach Lage des Einzelfalls für den Steuerpflichtigen unbillig wäre. Bei Billigkeitsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gemeinschaftsteuern (z. B. der Umsatzsteuer) muss das Bundesministerium der Finanzen (BMF) zustimmen, wenn die Erlassbeträge pro Jahr und Steuerart 200 000 Euro überschreiten (Tz. 3). 0.3 Die Länder führten bei Forschungseinrichtungen einer Forschungsgemeinschaft bundesweit Betriebsprüfungen durch. Nach Abschluss der Prüfungen stehen umsatzsteuerliche Rückforderungsansprüche des Fiskus von rund 41 Mio. Euro im Raum. Die Forschungseinrichtungen beantragten, die festgestellten Mehrsteuern aus Gründen des Vertrauensschutzes zu erlassen (Tzn. 4.1 und 4.2). 0.4 Die oberste Finanzbehörde eines Landes legte dem BMF die Billigkeitsanträge von zwei Forschungseinrichtungen vor. Die beantragten Erlassbeträge beliefen sich auf rund 7 Mio. Euro. Das Land beabsichtigte, den Anträgen zu folgen und bat das BMF um die notwendige Zustimmung. Nach Ansicht des BMF lagen die Voraussetzungen der gesetzlich geregelten Billigkeitsmaßnahmen nicht vor. Gleichwohl hielt das BMF es für gerechtfertigt, die Mehrsteuern nicht von den Einrichtungen zurückzufordern und hielt seine Mitwirkung in diesen Fällen nicht für erforderlich (Tzn. 4.3 und 4.4). 0.5 Die beantragten Billigkeitsmaßnahmen bedürfen wegen der Höhe der Erlassbeträge der Zustimmung des BMF. Der Bundesrechnungshof hat das BMF aufgefordert, seinen Mitwirkungspflichten uneingeschränkt nachzukommen. Nur so ist sichergestellt, dass über Billigkeitsanträge sachgerecht und nach einheitlichen Grundsätzen entschieden wird (Tzn. 5.1 und 5.3).

4 0.6 Nach Auffassung des Bundesrechnungshofes liegen in den vorgelegten Fällen keine Gründe für steuerliche Billigkeitsmaßnahmen vor. Sachliche Billigkeitsgründe ergeben sich insbesondere nicht aus dem geltend gemachten Vertrauensschutz (Tz. 5.2). 0.7 Das BMF hat erneut darauf hingewiesen, dass die Entscheidung über die Anwendung der Grundsätze des Vertrauensschutzes nicht seinem Zustimmungsvorbehalt unterliege. Vertrauensschutzmaßnahmen seien außerhalb der Billigkeitsmaßnahmen zu prüfen. Die beantragten Maßnahmen bedürften daher nicht der Mitwirkung des BMF (Tz. 6). 0.8 Der Bundesrechnungshof hält die Mitwirkung des BMF an steuerlich bedeutsamen Billigkeitsmaßnahmen weiterhin für unerlässlich. Es kann seiner Verpflichtung nur gerecht werden, wenn der Zustimmungsvorbehalt alle steuerlichen Erlassmaßnahmen umfasst, die über der vorgesehenen Betragsgrenze liegen. Mit der Entscheidung, die Billigkeitsanträge den Ländern zur eigenständigen Erledigung zu überlassen, hat das BMF seine Mitwirkungspflichten verletzt. Es eröffnet den Ländern zudem die Möglichkeit, den Bund von der Beteiligung an bedeutsamen Billigkeitsmaßnahmen auszuschließen. Das könnte auch den Erlass von Gemeinschaftsteuern außerhalb des Bereichs der Forschungseinrichtungen betreffen (Tz. 7). 0.9 Der Bundesrechnungshof hält es für unverzichtbar, dass das BMF im Rahmen der Bundesaufsicht seinen Mitwirkungspflichten ausnahmslos nachkommt und die Länder auf die Einhaltung der abgabenrechtlichen Billigkeitsverfahren hinweist. Das BMF darf sich seiner Verantwortung hinsichtlich einer gleichmäßigen und einheitlichen Besteuerung nicht durch Einführung neuer Kriterien für Billigkeitsmaßnahmen entziehen (Tz. 7).

1 Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen 5 In Deutschland gibt es mehr als 800 öffentlich finanzierte Forschungseinrichtungen. Diese verfügen zusammen über einen Jahresetat von mehreren Mrd. Euro. Der größte Teil stammt aus Mitteln des Bundes und der Länder. Die staatliche Förderung stellt sicher, dass die Forschungseinrichtungen u. a. Grundlagenforschung betreiben können. Daneben werben sie Drittmittel aus externen Forschungsaufträgen ein (sog. Auftragsforschung). 2 Umsatzbesteuerung der Forschungstätigkeit Forschungstätigkeiten können sowohl nichtunternehmerisch als auch unternehmerisch ausgeübt werden. Die im Dienste der Allgemeinheit praktizierte Grundlagenforschung ohne Einnahmebezug stellt keine unternehmerische Tätigkeit dar. Demgegenüber ist die Auftragsforschung dem unternehmerischen Bereich zugeordnet. Die Abgrenzung zwischen beiden Bereichen ist in der Praxis oftmals schwierig. Der Umfang der unternehmerischen Tätigkeit hat zudem unmittelbare Auswirkung auf die Höhe des Vorsteuerabzugs. Einem Unternehmer steht der vollständige Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen grundsätzlich nur dann zu, wenn die Eingangsumsätze für das Unternehmen verwendet werden. Vorsteuern auf Eingangsleistungen, die teilweise den unternehmerischen Bereich der Forschungseinrichtung betreffen, sind nur anteilig abzugsfähig. Der Bundesrechnungshof untersuchte in den Jahren 2015 und 2016 die umsatzsteuerliche Behandlung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen. Er befasste sich in diesem Zusammenhang auch mit Billigkeitsmaßnahmen für drohende Umsatzsteuernachzahlungen dieser Einrichtungen. 3 Steuerliche Billigkeitsmaßnahmen 3.1 Persönliche und sachliche Billigkeitsgründe Steuern können niedriger festgesetzt werden und Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn die Erhebung nach Lage des Einzelfalls für den Steuerpflichtigen unbillig wäre. Die Abgabenordnung (AO) unterscheidet zwischen dem Billigkeitserlass im Festsetzungsverfahren ( 163 AO) und dem Billigkeitserlass im Erhebungsverfahren ( 227 AO). Trotz unterschiedlicher Rechtsfolgen sind die tatbestandsmäßigen

6 Voraussetzungen beider Vorschriften gleich. Soweit die Steuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, hat das Verfahren nach 163 AO Vorrang vor einem Erlass im Steuererhebungsverfahren nach 227 AO. Die Billigkeitsmaßnahmen tragen den persönlichen und sachlichen Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung, die das Gesetz nicht berücksichtigt. 1 Persönliche Unbilligkeit setzt voraus, dass der Steuerpflichtige einer Billigkeitsmaßnahme bedürftig und würdig ist, d. h., die Steuerfestsetzung für den Steuerpflichtigen ohne die Billigkeitsmaßnahme dessen Existenz oder seinen Lebensunterhalt bedroht. Zudem muss der Steuerpflichtige in der Vergangenheit seinen steuerlichen Pflichten ordnungsgemäß nachgekommen sein. Sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn die Festsetzung der Steuer an sich zwar dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Einzelfall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. Voraussetzung dafür ist, dass nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass die Besteuerung nach dem Gesetz zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führt und er die im Billigkeitsweg zu entscheidende Frage, hätte er sie geregelt, im Sinne der Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. 2 3.2 Vorgesehene Mitwirkung des Bundesministeriums der Finanzen Billigkeitsmaßnahmen bei Steuern, die von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwaltet werden (z. B. die Umsatzsteuer), bedürfen der Mitwirkung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF). 3 Die obersten Finanzbehörden der Länder haben vorab die Zustimmung des BMF einzuholen, wenn durch die Billigkeitsmaßnahme bestimmte Betragsgrenzen überschritten werden. Der Zustimmungsvorbehalt gilt unter anderem in folgenden Fällen: bei abweichender Festsetzung nach 163 Satz 1 AO, wenn der Betrag, um den abweichend festgesetzt werden soll, 200 000 Euro übersteigt sowie bei Erlassen nach 227 AO, wenn der Betrag, der erlassen, erstattet oder angerechnet werden soll, 200 000 Euro übersteigt. 1 2 3 Vgl. AO-Anwendungserlass zu 163 Nummer 1 Satz 2 AO. Vgl. Klein/Rüsken, Kommentar zur Abgabenordnung, 163 Rz. 32. Vgl. BMF-Schreiben vom 11. Dezember 2015, BStBl. I 2015, S. 1023.

7 Für die Feststellung der Zustimmungsgrenzen ist jede Steuerart und jeder Veranlagungszeitraum einzeln zu betrachten. 4 Bundesrechnungshof sieht dringenden Handlungsbedarf Nach Abschluss bundesweiter Betriebsprüfungen bei Forschungseinrichtungen einer Forschungsgemeinschaft stehen umsatzsteuerliche Rückforderungsansprüche des Fiskus in zweistelliger Millionenhöhe im Raum. Die Forschungseinrichtungen haben beantragt, auf die Festsetzung oder Erhebung der Steuern aus Billigkeitsgründen zu verzichten. Der Bundesrechnungshof teilte dem BMF im Mai 2016 seine Rechtsauffassung dazu mit und forderte es auf, sich bei den anstehenden Entscheidungen durch die Landesfinanzverwaltungen zu beteiligen. Dieser Aufforderung kam das BMF nicht nach. Der Bundesrechnungshof sieht deshalb hinsichtlich der Sicherung des Steueraufkommens einen dringenden Handlungsbedarf. Den Empfehlungen des Bundesrechnungshofes liegen die nachfolgend dargestellten Sachverhalte zugrunde. 4.1 Betriebsprüfungen führen zu Mehrsteuern Die Landesfinanzbehörden führten bei den Forschungseinrichtungen einer Forschungsgemeinschaft in den Jahren 2011 bis 2014 bundesweit Betriebsprüfungen unter Mitwirkung der Bundesbetriebsprüfung durch. In der Folge kürzten sie den Umfang der Unternehmereigenschaft der Forschungseinrichtungen und den damit zusammenhängenden Vorsteuerabzug. Die Vorsteuerkürzungen für den jeweiligen Prüfungszeitraum lagen je nach Einrichtung zwischen 0,9 und 13,8 Mio. Euro. Daraus resultierten umsatzsteuerliche Rückforderungsansprüche des Fiskus von insgesamt rund 41 Mio. Euro. Darüber hinaus wirken sich die Feststellungen der Betriebsprüfungen auch auf die folgenden Jahre aus. Hinzu kommen Mehrsteuern aus Prüfungen, bei denen die Bundesbetriebsprüfung nicht mitwirkte. 4.2 Forschungseinrichtungen beantragen Erlass der Mehrsteuern Die geprüften Forschungseinrichtungen beantragten im Anschluss an die Betriebsprüfungen umfangreiche Billigkeitsmaßnahmen. Die Anträge zielten darauf ab, durch abweichende Steuerfestsetzungen nach 163 AO oder durch Erlass nach 227 AO auf die Erhebung der festgestellten Mehrsteuern sowie auf die entsprechenden Mehrsteuern der Folgejahre bis einschließlich 2014 zu verzichten.

8 Die Forschungseinrichtungen begründeten ihre Anträge übereinstimmend mit dem bei Billigkeitsmaßnahmen zu beachtenden Vertrauensschutz. Sie verwiesen dabei auf die bisherige Besteuerungspraxis der Finanzämter. Diese hatten die Unternehmereigenschaft jahrelang auch im Rahmen vorheriger Betriebsprüfungen in vollem Umfang anerkannt und den vollen Vorsteuerabzug gewährt. Hierdurch sei für die Forschungseinrichtungen ein schützenswertes Vertrauen geschaffen worden. Erst im Rahmen der aktuellen Betriebsprüfungen habe die Finanzverwaltung ihre Auffassung geändert. Bis zum Jahr 2014 hätten die Forschungseinrichtungen damit vom vollen Vorsteuerabzug ausgehen können. Die Finanzämter sahen grundsätzlich keinen Raum für einen Erlass im Billigkeitswege. Nach deren Auffassung lagen weder persönliche noch sachliche Billigkeitsgründe vor. Entsprechend berichteten sie ihren vorgesetzten Dienststellen. 4.3 Landesfinanzbehörde bittet um Mitwirkung Im Oktober 2015 legte die oberste Finanzbehörde eines Landes dem BMF die Billigkeitsanträge von zwei dort ansässigen Forschungseinrichtungen vor. Sie beabsichtigte, den Anträgen zu folgen und bat um die hierfür notwendige Zustimmung des BMF. Die Billigkeitsanträge betrafen im Fall A die Jahre 2008 bis 2014 mit einem Erlassbetrag von insgesamt 2,94 Mio. Euro und im Fall B die Jahre 2007 bis 2014 mit einem Erlassbetrag von insgesamt 4,27 Mio. Euro. Die Landesfinanzbehörde hielt die Anträge wegen zu gewährenden Vertrauensschutzes für begründet. Die Antragsteller hätten bis Ende 2014 davon ausgehen können, vollumfänglich als Unternehmer behandelt zu werden. 4.4 Bundesministerium der Finanzen lehnt Mitwirkung ab Das BMF teilte dem betroffenen Land im Januar 2016 mit, dass aus seiner Sicht weder Gründe für persönliche noch für sachliche Billigkeitsmaßnahmen vorlägen. Eine niedrigere Festsetzung der Umsatzsteuer sei deshalb auf dieser Grundlage nicht möglich. Das BMF hielt es dennoch für gerechtfertigt, die in Rede stehenden Vorsteuerbeträge nicht zurückzufordern. Aufgrund der langjährigen Besteuerungspraxis hätten die Forschungseinrichtungen den Schluss ziehen können, dass die Behandlung durch die Finanzverwaltung Bestand haben würde. Damit sei ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, der zu berücksichtigen sei.

9 Das BMF sah allerdings keine Notwendigkeit, an den Billigkeitsmaßnahmen mitzuwirken. Die Entscheidung über die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben unterliege anders als Billigkeitsmaßnahmen nach 163 AO und 227 AO nicht dem Zustimmungsvorbehalt des BMF. Sie sei deshalb in eigener Zuständigkeit des Landes zu treffen. Über diesen Vorgang unterrichtete das BMF im Januar 2016 auch die übrigen obersten Finanzbehörden der Länder. Es regte an, bei vorliegenden Anträgen auf abweichende Steuerfestsetzung nicht nur Maßnahmen im Rahmen der Billigkeit, sondern auch die Anwendung des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben zu prüfen. Ein Zustimmungsvorbehalt des BMF bestünde insoweit nicht. 5 Zusammenfassende Bewertung und Empfehlung Um eine gleichmäßige Besteuerung zu gewährleisten, hält der Bundesrechnungshof die Mitwirkung des BMF an den beantragten Maßnahmen für dringend geboten. Er hat zudem Zweifel daran, dass die Forschungseinrichtungen hier Vertrauensschutz geltend machen können. 5.1 Mitwirkung des Bundesministeriums der Finanzen notwendig Bei den Maßnahmen handelt es sich nach Auffassung des Bundesrechnungshofes um zustimmungsbedürftige Billigkeitsmaßnahmen i. S. d. 163, 227 AO. Diese erfordern nach dem Erlass des BMF grundsätzlich eine Mitwirkung des BMF. Die Finanzbehörden haben sachliche Billigkeitsgründe auch unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes zu überprüfen. Soweit die Verwaltung den Vertrauensschutz nicht durch allgemeine Billigkeitsregelungen oder Übergangsregelungen berücksichtigt hat, muss ihm das Finanzamt durch Einzelmaßnahmen (z. B. nach 163 AO) Rechnung tragen. 4 Denn nicht nur aus der gesetzlichen Regelung selbst, sondern auch aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes oder dem Grundsatz von Treu und Glauben erfährt der Begriff der Unbilligkeit i. S. d. 163, 227 AO eine nähere inhaltliche Ausgestaltung. 5 Hier tragen sie zur Konkretisierung des Begriffs der Unbilligkeit bei. Folglich ist die 4 5 Vgl. BFH-Urteil vom 26. September 2007, V B 8/06, BStBl. II 2008, S. 405. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 227 AO, Rz. 140.

10 Einziehung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis aus sachlichen Gründen unbillig, wenn dies dem Gebot des Vertrauensschutzes und dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen würde. 6 Die verfahrensrechtliche Einordnung von Vertrauensschutzgründen ist höchstrichterlich geklärt. Danach kann der Vertrauensschutz gerade nicht im Festsetzungsverfahren ( 16, 18 UStG) sondern ausschließlich im Billigkeitsverfahren ( 163, 227 AO) berücksichtigt werden. 7 Im Ergebnis bleibt hiernach festzuhalten: Der allgemeine Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes sowie der Grundsatz von Treu und Glauben tragen lediglich zur Konkretisierung des Begriffs der Unbilligkeit bei. Sie sind damit stets im Rahmen der sachlichen Billigkeit zu prüfen. Bei den in Rede stehenden und beantragten Maßnahmen der beiden Forschungseinrichtungen handelt es sich um abweichende Steuerfestsetzungen aus Billigkeitsgründen nach 163 AO. Die Billigkeitsmaßnahmen bedürfen wegen der Höhe der beantragten Erlassbeträge der Zustimmung des BMF. Der Zustimmungsvorbehalt unterscheidet insoweit nicht nach einzelnen Billigkeitsgründen. 5.2 Billigkeitsgründe fehlen Der Bundesrechnungshof teilt die Auffassung des BMF, dass in den vorgelegten Anträgen weder persönliche noch sachliche Billigkeitsgründe für eine abweichende Festsetzung nach 163 AO vorliegen. Darüber hinaus sieht er auch in den übrigen von ihm eingesehenen Fällen keine Billigkeitsgründe, die eine niedrigere Steuerfestsetzung oder einen Steuererlass rechtfertigen. Persönliche Billigkeitsgründe kommen bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Forschungseinrichtungen größtenteils durch Bund und Länder finanziert werden. Die Existenz der Einrichtung ist damit auch bei etwaigen Steuernachzahlungen grundsätzlich gesichert. Sachliche Billigkeitsgründe können sich insbesondere nicht aus dem geltend gemachten Vertrauensschutz und dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben. 6 7 Tipke-Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 227 AO, Tz. 42. BFH-Urteile vom 30. April 2009, V R 15/07, BStBl. II 2009, 744; vom 8. Juli 2009, XI R 51/07, juris; vom 22. Juli 2015, V R 23/14, BStBl. II 2015, 914.

11 Aus den nachfolgend genannten Gründen vermag der Bundesrechnungshof nicht zu erkennen, dass ein schutzwürdiges Vertrauen entstanden ist: Die Steuerfestsetzungen standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ( 164 AO). Vorbehaltsfestsetzungen können jederzeit geändert werden. Das Finanzamt ist dabei nicht an seine bisherige Rechtsauffassung gebunden. 8 Bei der Umsatzsteuer handelt es sich um eine Veranlagungssteuer. Bei solchen Steuern bedeutet die unterschiedliche Behandlung eines gleichartigen Sachverhalts in verschiedenen Veranlagungszeiträumen weder einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz noch einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Das Finanzamt ist an die Behandlung in früheren Veranlagungszeiträumen nicht gebunden. 9 Es hat vielmehr den Grundsatz der Abschnittsbesteuerung zu beachten. Danach sind die Besteuerungsgrundlagen in jedem Veranlagungszeitraum erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen. Eine als unrichtig erkannte Rechtsauffassung muss zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufgegeben werden, selbst wenn sie schon über eine längere Zeitspanne vertreten worden ist. Dies gilt auch, wenn der Steuerpflichtige auf ihren Fortbestand vertraut und in diesem Vertrauen Dispositionen getroffen hat. 10 Eine stärkere Bindung der Finanzbehörden an ihr früheres Verhalten kann nur bei einer verbindlichen Zusage gegeben sein. 11 In den vom Bundesrechnungshof eingesehenen Fällen fehlt es an einer solchen Zusage. Überdies haben die Forschungseinrichtungen der Rechtsauffassung der Betriebsprüfung und der damit verbundenen anteiligen Vorsteuerkürzung nicht widersprochen. Vielmehr haben sie sich die entsprechende steuerrechtliche Behandlung für die Zukunft verbindlich zusagen lassen. 8 9 10 11 Vgl. BFH-Urteil vom 20. April 1989, V R 130/84, BFH/NV 1990, S. 232, und BFH-Beschluss vom 20. März 1990, V B 123/89, BFH/NV 1991, S. 127. Vgl. BFH-Urteil vom 5. Dezember 1989, VIII R 322/84, BFH/NV 1990, S. 499, vgl. auch BVerfG- Beschluss vom 20. Dezember 1989, 1 BvR 1269/89, HFR 90, 517. BFH-Urteile vom 21. Oktober 1992, X R 99/88, BStBl. II 1993, S. 289, und vom 30. Oktober 1997, IV R 76/96, BFH/NV 98, 578. BFH-Urteile vom 19. November 1995, VIII R 25/85, BStBl. II 1986, S. 520, und vom 21. Oktober 1992, X R 99/88, BStBl. II 1993, S. 289.

12 5.3 Bundesrechnungshof fordert Klarstellung Durch die Mitwirkung an Billigkeitsmaßnahmen bei der Festsetzung und Erhebung von Gemeinschaftsteuern soll insbesondere sichergestellt werden, dass über vorgelegte Billigkeitsanträge sachgerecht und nach einheitlichen Grundsätzen entschieden wird. Der Bundesrechnungshof hält es deshalb für dringend geboten, dass die Länder in allen einschlägigen Fällen die vorherige Zustimmung des BMF einholen und das BMF seinen Mitwirkungspflichten uneingeschränkt nachkommt. Der Bundesrechnungshof hat angeregt, die Länder nochmals auf die geltende Mitwirkungsregelung und die Fälle, die unter den Zustimmungsvorbehalt des BMF fallen, hinzuweisen. Hierbei sollte das BMF ausdrücklich klarstellen, dass sich die sachliche Unbilligkeit auch aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen und den hieraus abzuleitenden Gerechtigkeitspostulaten (z. B. dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem Vertrauensschutz) ergeben kann und die Zustimmung des BMF auch in derartigen Fällen einzuholen ist. Im Fall der Forschungseinrichtungen hat der Bundesrechnungshof ferner empfohlen, die Länder darauf hinzuweisen, dass eine sachliche Unbilligkeit aus Vertrauensschutzgründen oder wegen Treu und Glaubens jedenfalls dann nicht in Betracht kommt, wenn sich die geltend gemachten Gründe ausschließlich auf die langjährige steuerliche Handhabung (ggf. auch durch vorangegangene Außenprüfungen) beziehen. Hierzu bedarf es vielmehr einer weitergehenden Bindung der Finanzverwaltung, etwa in Form einer verbindlichen Zusage über die künftige Gewährung des vollen Vorsteuerabzugs. Der Bundesrechnungshof hat das BMF aufgefordert, über die Billigkeitsanträge der Forschungseinrichtungen und deren Erledigung zu berichten. 6 Stellungnahme des Bundesministeriums der Finanzen Das BMF hat darauf hingewiesen, dass es die Anträge auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen geprüft habe. Es sei zum Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme nach 163 AO nicht vorlägen. Dies habe es dem Land mitgeteilt. Daneben sei zu prüfen, ob ein Steuererlass unter Gesichtspunkten des allgemeinen Vertrauensschutzes in Betracht komme. Die Entscheidung über die Anwendung des Rechts-

13 grundsatzes von Treu und Glauben unterliege anders als Billigkeitsmaßnahmen i. S. d. 163, 227 AO nicht dem Zustimmungsvorbehalt des BMF. Es sei seinen Mitwirkungspflichten deshalb entsprechend dem Billigkeitserlass nachgekommen. Der Begriff der Unbilligkeit erfahre keine nähere Ausgestaltung aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes oder dem Grundsatz von Treu und Glauben. Eine Billigkeitsmaßnahme sei vielmehr unter Zugrundelegung der gesetzlich geregelten Tatbestandsmerkmale zu prüfen. Aus diesem Grund komme die Prüfung des Vertrauensschutzes und der Unbilligkeit in jeweils getrennten Verfahren zur Anwendung. Ausnahmsweise könnten als Rechtsfolge der nicht im Festsetzungsverfahren berücksichtigten Grundsätze von Treu und Glauben diese nachträglich bei einer Billigkeitsmaßnahme berücksichtigt werden. Dies setze jedoch voraus, dass dem Steuerpflichtigen die Durchsetzung dieser Grundsätze im Festsetzungsverfahren verwehrt worden sei. 7 Abschließende Würdigung Nach Auffassung des Bundesrechnungshofes muss das BMF im Rahmen der Bundesaufsicht 12 an steuerlich bedeutsamen Billigkeitsmaßnahmen der Länder mitwirken. Der Bundesrechnungshof hält die Mitwirkung des BMF für unerlässlich, um eine einheitliche und sachgerechte Auslegung der Billigkeitserwägungen sicherzustellen und Steuerausfälle zu vermeiden. Seiner Verpflichtung kann das BMF aber nur dann gerecht werden, wenn der Zustimmungsvorbehalt alle steuerlichen Erlassmaßnahmen umfasst, die über der Betragsgrenze von 200 000 Euro liegen. Die von den Forschungseinrichtungen beantragten Maßnahmen sind nach Auffassung des Bundesrechnungshofes Billigkeitsmaßnahmen im Sinne der 163, 227 AO. Die Mitwirkung des BMF wäre daher zwingend notwendig gewesen. Mit der Entscheidung, die Billigkeitsanträge den Ländern zur eigenständigen Erledigung zu überlassen, hat das BMF seine Mitwirkungspflichten verletzt. Es hat die von den Forschungseinrichtungen dargelegten Billigkeitsgründe in unzulässiger Weise außerhalb der abgabenrechtlichen Billigkeitsvorschriften berücksichtigt. Damit hat das BMF seine Mitwirkungsrechte konterkariert und den Ländern die Möglichkeit eröffnet, den Bund von der Beteiligung an bedeutsamen Billigkeits- 12 Vgl. Artikel 85 Absatz 3 und 4 i. V. m. Artikel 108 Absatz 3 Grundgesetz.

14 maßnahmen auszuschließen. Auf diesem Weg könnten die Länder weit über den Bereich der Forschungseinrichtungen hinaus eigenmächtig ohne Beteiligung des BMF Gemeinschaftsteuern erlassen. Der Bundesrechnungshof hält es für zwingend, dass das BMF seinen Mitwirkungspflichten ausnahmslos nachkommt und die Länder auf die Einhaltung der abgabenrechtlichen Billigkeitsverfahren hinweist. Es darf sich seiner Verantwortung hinsichtlich einer gleichmäßigen und einheitlichen Besteuerung nicht durch Einführung neuer Kriterien für Billigkeitsmaßnahmen entziehen. Wegen der in den Ländern aktuell anstehenden Entscheidungen über die Billigkeitsanträge der Forschungseinrichtungen ist das BMF gefordert, seinen Mitwirkungspflichten unverzüglich nachzukommen, um eine einheitliche und sachgerechte Besteuerung sicherzustellen und Steuerausfälle zu vermeiden. Ahrendt Korn Essers