Hauptverhandlungs protokoll. PD Dr. P. Rackow WS 2008 / 2009

Ähnliche Dokumente
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

21. Teil: Zu den Rechtsbehelfen (Grundzüge)

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom 9. November 2005 in der Strafsache gegen

Die Revision in Strafsachen

Lösungsskizze zum Fall "Lamm"

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

Tat, Handlung, Straftat Axel Bendiek, LL.M.

Strafprozessrecht SoS 2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom 18. Dezember 2014

Brandenburgisches Oberlandesgericht. Beschluss

Stellungnahme. Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer

Vortrag am / AG Strafrecht

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

Die Revision im Strafrecht

Amtsgericht Bergisch Gladbach IM NAMEN DES VOLKES. Urteil

Kurzleitsatz: Wertgrenze des Merkmals "in großem Ausmaß" i. S. d. 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO beim "Griff in die Kasse des Staates"

Inhalt. A) Einleitung 7. I) Vorbereitung der Sitzung 7 II) Vor der Hauptverhandlung 8. B) Die Hauptverhandlung 9

Oberlandesgericht Köln

Fall: "Lamm" 1. Aktenauszug

OBERLANDESGERICHT KÖLN

Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen

Unzulässigkeit der Berufung und Restitutionsgründe ZPO 580

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Strafprozessrecht im Überblick Juniorprofessor Dr. Isfen

Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen

Universitätsrepetitorium Rechtsgeschäftslehre. Fall 7: (Lösung)

Beweisverwertung im Strafverfahren

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom. 21. Juli in dem Verfahren auf Restschuldbefreiung

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

Videoaufzeichnungen und digitale Daten als Grundlage des Urteils

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL. in dem Rechtsstreit

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: 1.000,- für immateriellen Schaden, 3.500, für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom. 24. Juni in dem Rechtsstreit

FALL 14 LÖSUNG DER SCHWARZKAUF

Der Anwalt als Strafverteidiger Vierter 1 Teil: Verteidigung im Berufungs- und Revisionsverfahren

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

KLAUSUR NR. 887 FÜR GPA (STRAFRECHT)

12. Veranstaltung des AK- Psychologie im Strafverfahren

Klausurenkurs zur Examensvorbereitung im Strafrecht / 7. Klausur (Wahlfachgruppe Strafrechtspflege -WFG 2 alt) Smoke on the water.

Brandenburgisches Oberlandesgericht

Dezember 2013 Erkrankter-Verteidiger-Fall

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

Nicht selten legen Kollegen während des Prozesses Ihr Mandat nieder. Dennoch bleiben sie einstweilen Zustellempfänger.

Brandenburgisches Oberlandesgericht

Rechtsprechung (hrr-strafrecht.de)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom. 13. März in der Rechtsbeschwerdesache

Zur praktischen Anwendung des Beschleunigten Strafverfahrens Benjamin Ehlers, Rechtsanwalt, Potsdam

Amtsgericht Stuttgart

hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht

Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Aktenzeichen: Ws 184/12 zu: 2 Ws 179/12 (GenSta) zu: 63 Ns 730 Js 1811/11

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

Die Revisionsentscheidung 5 RVs 56/13 OLG Hamm betrifft die Abgrenzung von Diebstahl zum Computerbetrug bei der Entwendung von Ware

Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen im Bereich des Strafrechts

Strafvereitelung ( 258 StGB)

Rechtsprechung (hrr-strafrecht.de)

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL. 18. Juni 2010 Lesniak, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. in dem Rechtsstreit

BESCHLUSS. In der Verwaltungsstreitsache

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

Lösungsvorschlag Fall 8

Kapitel 8. Vorträge aus anwaltlicher Sicht. A. Aufgabenstellungen

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom. 11. Februar in dem Insolvenzverfahren

Überblick über das Strafprozessrecht

Dr. Matthias Siegmann. Die Vorbereitung der III. Instanz im Arzthaftungsprozess im Lichte. neuerer Entscheidungen des Bundesgerichtshofs

Das gerichtliche Verfahren erster Instanz

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

Rechtsprechung (hrr-strafrecht.de)

Grundbuchfähigkeit der GbR und Teilungsversteigerung

beck-shop.de 10. Klausur: Fertigen einer Revisionsbegründungsschrift

Berichterstatter: Rechtsanwalt Raban Funk, Stolzenau/Weser

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

VL Strafverfahrensrecht SS Rechtsmittel. Rechtsmittel. Hubert Hinterhofer

erarbeitet vom Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer

SchiedsamtsZeitung 52. Jahrgang 1981, Heft 09 Online-Archiv Seite 136a-139 -Organ des BDS

Für Klagen aus Gewinnversprechen ( 661 a BGB) ist der Gerichtsstand. OLG Dresden, 8. Zivilsenat, Beschluss vom , Az: 8 W 670/04

Bundesgerichtshof. Aktenzeichen: III ZR 62/03. Urteil vom:

Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Geschäftszeichen: Ws 61/11 62 KLs 913 Js 30894/08 LG Bremen B E S C H L U S S

Gliederung und Programm der Vorlesung und Tutorien

Das Anwaltsgutachten im Revisionsverfahren

So bemisst sich die Gebühr beim zweiten Versäumnisurteil nach dem Vollstreckungsbescheid. von RA Norbert Schneider, Neunkirchen

Klausurenkurs zur Examensvorbereitung im Strafrecht Wintersemester 2009 / Klausur / Feuer und Video. Lösung.

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom. 15. Mai in dem Rechtsstreit

hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht

Umfassende Würdigung des Sachverhalts durch die Ausländerbehörde (polizeiliche Ermittlungen, strafgerichtliches Verfahren, Behördenakten);

A n k l a g e s c h r i f t

DER VERFASSUNGSGERICHTSHOF DES FREISTAATES SACHSEN

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Rechtsprechung (hrr-strafrecht.de)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

A n k l a g e s c h r i f t

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

Verfahrensgang: 1. AG Nürtingen AZ: 42 C 613/10 2. LG Stuttgart AZ: 4 S 186/10 3. BGH AZ: III ZR 75/11

Pflichtvertiefungsveranstaltung Strafprozessrecht II im Sommersemester 2013

BGH, Urteil vom 10. April StR 37/14 LG Braunschweig

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom. 13. Juli in der Rechtsbeschwerdesache

Sittenwidrigkeitsprüfung von Kettenkrediten

b.b.h. Fortbildungswerk Steuern und Wirtschaftsrecht Seite - 2 -

Transkript:

Hauptverhandlungs protokoll PD Dr. P. Rackow WS 2008 / 2009

Ein Entlastungszeuge bleibt ohne Begründung unvereidigt. In den Urteilsgründen wird der Zeuge als unglaubwürdig (und seine Angaben als unglaubhaft) behandelt. Der Angekl wird verurteilt.

Ein Entlastungszeuge bleibt ohne Begründung unvereidigt. In den Urteilsgründen wird der Zeuge als unglaubwürdig (und seine Angaben als unglaubhaft) behandelt. Der Angekl wird verurteilt. => Verfahrensfehler & Beruhen? => Was gilt, wenn das Protokoll die Vereidigung ausweist?

Positive Beweiskraft (= wesentliche Förmlichkeiten gelten als geschehen, wenn sie im Protokoll enthalten sind, auch wenn sie nicht stattgefunden haben); Negative Beweiskraft (= wesentliche Förmlichkeiten gelten als nicht geschehen, wenn das Protokoll zu ihnen schweigt, auch wenn sie stattgefunden haben).

Zweck: BGHSt 2, 125 (126): Der in der Niederschrift beurkundete Sachverhalt bildet nach dem Gesetz ohne Rücksicht auf die wirklichen Vorkommnisse in der Hauptverhandlung die Grundlage des Verfahrens.

Protokollführung 226, 271 Inhalt: 272, 273 - Gang der HV (alle Vorgänge der Beweiserhebung; gestellte Anträge; Beschlüsse des Gerichts und Anordnungen des Vorsitzenden); - wesentliche Ergebnisse der HV (= Beurkundung des Ablaufs; Wortlaut nur gem. 273 II, III); - wesentliche Ergebnisse der Vernehmungen

Verlust der Beweiskraft - Urkunde ist äußerlich fehlerhaft/beschädigt - Lücken, Widersprüche und Unklarheiten des Protokolls (BGH NStZ 2002, 270) => (P) Lückenhaftigkeit Schweigen des Protokolls => (P) ob darüber hinaus Beweiskraftverlust, wenn die beurkundeten Vorgänge sich nach allgemeiner Erfahrung so nicht zugetragen haben können (so BGH aao)

Bsp.: Das Protokoll ist insow. lückenhaft/widersprüchlich als die Wiederzulassung des Angeklagten protokolliert ist, nicht aber dessen (offensichtlich vorher stattgefundene) Entfernung ( 247 StPO). Vert. rügt die offensichtliche Fehlerhaftigkeit des Protokolls

gem. 344 II S. 2 StPO müssen [bei der Verfahrensrüge] die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden ; das Urteil muss auf dem Mangel/der Verletzung des Gesetzes beruhen ( 337 I); das HV-Protokoll ist keine Urteilsbegründung => auf der Fehlerhaftigkeit des Protokolls kann das Urteil nicht isv. 337 beruhen (Ranft JuS 1994, 867).

Bsp.: Es wird mit der Revision gerügt, dass der Anklagesatz nicht verlesen worden ist. (Das Protokoll weise die Verlesung aus unerfindlichen Gründen aus.) Revision zulässig (=> Verfahrensrüge nebst Beruhen ; den Prozessbeteiligten soll Gewissheit darüber vermittelt werden, auf welche Tat sie ihr Angriffs- und Verteidigungsvorbringen einzurichten haben. Deshalb kann das Beruhen nur in einfach gelagerten Fällen ausgeschlossen werden, in denen der Zweck der Verlesung des Anklagesatzes durch die Unterlassung nicht beeinträchtigt worden ist (so BGH NStZ 2000, 214).

Bsp.: Es wird mit der Revision gerügt, dass der Anklagesatz nicht verlesen worden ist. (Das Protokoll weise die Verlesung aus unerfindlichen Gründen aus.) Revision zulässig; aber keine Erfolgsaussichten, da nicht Fälschung des Protokolls behauptet/dargelegt (vgl. Haller/Conzen, Rn. 876).

Der Anklagesatz ist verlesen worden. Seine Protokollierung fehlt (!) Die Rüge, dass der Anklagesatz nicht verlesen worden sei, wäre zulässig (da ein Verfahrensmangel behauptet würde, auf der das Urteil beruhen könnte) und erfolgversprechend (da das inhaltlich unrichtige! Protokoll negative Beweiskraft entfaltet).

Der Anklagesatz ist verlesen worden. Seine Protokollierung fehlt (!) Die Rüge, dass der Anklagesatz nicht verlesen worden sei, wäre zulässig (da ein Verfahrensmangel behauptet würde, auf der das Urteil beruhen könnte) und erfolgversprechend (da das inhaltlich unrichtige! Protokoll negative Beweiskraft entfaltet). => durch die Behauptung, der Anklagesatz sei nicht verlesen worden, würde der Verteidiger mit der Revision bewusst wahrheitswidrig vortragen

(P) Zulässigkeit der unwahren Protokollrüge -> Der Missbrauch von Verfahrensrügen unter Berufung auf das Protokoll ist institutionell eingeplant -> Die unwahre Protokollrüge ist gar keine Lüge, weil durch 274 StPO die maßgebliche (prozessuale) Wahrheit geschaffen wird -> Benachteiligung des Angekl., weil die vom Protokoll abweichende Wirklichkeit nur u seinen Lasten maßgeblich sei -> Umgehbarkeit durch Beauftragung eines Revisionsverteidigers, der in der HV nicht anwesend war

(P) Zulässigkeit der unwahren Protokollrüge => BGH NJW 2006, 3579 mit dem zentralen Arg: 274 StPO schafft keine eigene Wahrheit, sondern stellt nur Beweisregel dar; Ebenen der Behauptung eines Verfahrensfehlers und seines Beweises müssen getrennt gesehen werden!

(P) Rügeverkümmerung Fall (nach BGH NJW 2006, 3582): A ist wg gefährl KV verurteilt worden. Laut Protokoll ist der Anklagesatz nicht verlesen worden. A rügt Verstoß gegen 243 III S 1 StPO. Nachträglich berichtigen Vorsitzender u Protokollführer das Protokoll dahingehend, dass der Anklagesatz durchaus verlesen worden ist

(P) Rügeverkümmerung Arg für die Unmaßgeblichkeit der Berichtigung: - Mit Eingang der Revisionsbegründung entsteht ein Recht am Bestehenbleiben der Geschäftsgrundlage - 274 StPO Zweck(mäßigkeit) vor Wahrheit - Mit Zeitablauf wächst Gefahr unrichtiger Berichtigungen - Maßgeblichkeit des berichtigten Protokolls birgt die Gefahr, dass das Protokoll weniger sorgfältig geführt wird

(P) Rügeverkümmerung Dagegen jetzt BGH NJW 2006, 3582 mit zentralem Verweis auf Wahrheitspflicht u Beschleunigungsgebot (Art 6 I S 1 EMRK)!