Hauptverhandlungs protokoll PD Dr. P. Rackow WS 2008 / 2009
Ein Entlastungszeuge bleibt ohne Begründung unvereidigt. In den Urteilsgründen wird der Zeuge als unglaubwürdig (und seine Angaben als unglaubhaft) behandelt. Der Angekl wird verurteilt.
Ein Entlastungszeuge bleibt ohne Begründung unvereidigt. In den Urteilsgründen wird der Zeuge als unglaubwürdig (und seine Angaben als unglaubhaft) behandelt. Der Angekl wird verurteilt. => Verfahrensfehler & Beruhen? => Was gilt, wenn das Protokoll die Vereidigung ausweist?
Positive Beweiskraft (= wesentliche Förmlichkeiten gelten als geschehen, wenn sie im Protokoll enthalten sind, auch wenn sie nicht stattgefunden haben); Negative Beweiskraft (= wesentliche Förmlichkeiten gelten als nicht geschehen, wenn das Protokoll zu ihnen schweigt, auch wenn sie stattgefunden haben).
Zweck: BGHSt 2, 125 (126): Der in der Niederschrift beurkundete Sachverhalt bildet nach dem Gesetz ohne Rücksicht auf die wirklichen Vorkommnisse in der Hauptverhandlung die Grundlage des Verfahrens.
Protokollführung 226, 271 Inhalt: 272, 273 - Gang der HV (alle Vorgänge der Beweiserhebung; gestellte Anträge; Beschlüsse des Gerichts und Anordnungen des Vorsitzenden); - wesentliche Ergebnisse der HV (= Beurkundung des Ablaufs; Wortlaut nur gem. 273 II, III); - wesentliche Ergebnisse der Vernehmungen
Verlust der Beweiskraft - Urkunde ist äußerlich fehlerhaft/beschädigt - Lücken, Widersprüche und Unklarheiten des Protokolls (BGH NStZ 2002, 270) => (P) Lückenhaftigkeit Schweigen des Protokolls => (P) ob darüber hinaus Beweiskraftverlust, wenn die beurkundeten Vorgänge sich nach allgemeiner Erfahrung so nicht zugetragen haben können (so BGH aao)
Bsp.: Das Protokoll ist insow. lückenhaft/widersprüchlich als die Wiederzulassung des Angeklagten protokolliert ist, nicht aber dessen (offensichtlich vorher stattgefundene) Entfernung ( 247 StPO). Vert. rügt die offensichtliche Fehlerhaftigkeit des Protokolls
gem. 344 II S. 2 StPO müssen [bei der Verfahrensrüge] die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden ; das Urteil muss auf dem Mangel/der Verletzung des Gesetzes beruhen ( 337 I); das HV-Protokoll ist keine Urteilsbegründung => auf der Fehlerhaftigkeit des Protokolls kann das Urteil nicht isv. 337 beruhen (Ranft JuS 1994, 867).
Bsp.: Es wird mit der Revision gerügt, dass der Anklagesatz nicht verlesen worden ist. (Das Protokoll weise die Verlesung aus unerfindlichen Gründen aus.) Revision zulässig (=> Verfahrensrüge nebst Beruhen ; den Prozessbeteiligten soll Gewissheit darüber vermittelt werden, auf welche Tat sie ihr Angriffs- und Verteidigungsvorbringen einzurichten haben. Deshalb kann das Beruhen nur in einfach gelagerten Fällen ausgeschlossen werden, in denen der Zweck der Verlesung des Anklagesatzes durch die Unterlassung nicht beeinträchtigt worden ist (so BGH NStZ 2000, 214).
Bsp.: Es wird mit der Revision gerügt, dass der Anklagesatz nicht verlesen worden ist. (Das Protokoll weise die Verlesung aus unerfindlichen Gründen aus.) Revision zulässig; aber keine Erfolgsaussichten, da nicht Fälschung des Protokolls behauptet/dargelegt (vgl. Haller/Conzen, Rn. 876).
Der Anklagesatz ist verlesen worden. Seine Protokollierung fehlt (!) Die Rüge, dass der Anklagesatz nicht verlesen worden sei, wäre zulässig (da ein Verfahrensmangel behauptet würde, auf der das Urteil beruhen könnte) und erfolgversprechend (da das inhaltlich unrichtige! Protokoll negative Beweiskraft entfaltet).
Der Anklagesatz ist verlesen worden. Seine Protokollierung fehlt (!) Die Rüge, dass der Anklagesatz nicht verlesen worden sei, wäre zulässig (da ein Verfahrensmangel behauptet würde, auf der das Urteil beruhen könnte) und erfolgversprechend (da das inhaltlich unrichtige! Protokoll negative Beweiskraft entfaltet). => durch die Behauptung, der Anklagesatz sei nicht verlesen worden, würde der Verteidiger mit der Revision bewusst wahrheitswidrig vortragen
(P) Zulässigkeit der unwahren Protokollrüge -> Der Missbrauch von Verfahrensrügen unter Berufung auf das Protokoll ist institutionell eingeplant -> Die unwahre Protokollrüge ist gar keine Lüge, weil durch 274 StPO die maßgebliche (prozessuale) Wahrheit geschaffen wird -> Benachteiligung des Angekl., weil die vom Protokoll abweichende Wirklichkeit nur u seinen Lasten maßgeblich sei -> Umgehbarkeit durch Beauftragung eines Revisionsverteidigers, der in der HV nicht anwesend war
(P) Zulässigkeit der unwahren Protokollrüge => BGH NJW 2006, 3579 mit dem zentralen Arg: 274 StPO schafft keine eigene Wahrheit, sondern stellt nur Beweisregel dar; Ebenen der Behauptung eines Verfahrensfehlers und seines Beweises müssen getrennt gesehen werden!
(P) Rügeverkümmerung Fall (nach BGH NJW 2006, 3582): A ist wg gefährl KV verurteilt worden. Laut Protokoll ist der Anklagesatz nicht verlesen worden. A rügt Verstoß gegen 243 III S 1 StPO. Nachträglich berichtigen Vorsitzender u Protokollführer das Protokoll dahingehend, dass der Anklagesatz durchaus verlesen worden ist
(P) Rügeverkümmerung Arg für die Unmaßgeblichkeit der Berichtigung: - Mit Eingang der Revisionsbegründung entsteht ein Recht am Bestehenbleiben der Geschäftsgrundlage - 274 StPO Zweck(mäßigkeit) vor Wahrheit - Mit Zeitablauf wächst Gefahr unrichtiger Berichtigungen - Maßgeblichkeit des berichtigten Protokolls birgt die Gefahr, dass das Protokoll weniger sorgfältig geführt wird
(P) Rügeverkümmerung Dagegen jetzt BGH NJW 2006, 3582 mit zentralem Verweis auf Wahrheitspflicht u Beschleunigungsgebot (Art 6 I S 1 EMRK)!