Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser Erbrecht 5 Allgemeines zu den Verfügungen von Todes wegen
I. Verfügungsfähigkeit Vgl. Art. 467 und 468 ZGB! Verfügungsfähigkeit für letztwillige Verfügungen und Erbverträge unterschiedlich. Für letztwillige Verfügungen (Testierfähigkeit) genügt Urteilsfähigkeit und zurückgelegtes 18. Altersjahr. Beurteilung immer auch in Bezug auf die konkrete letztwillige Verfügung bzw. deren Inhalt (vgl. BGE-Liste). Erbrecht, HS 2012 Folie 2 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
I. Verfügungsfähigkeit Für Erbverträge muss Mündigkeit bzw. volle Handlungsfähigkeit vorliegen. Im Gegensatz zum Erblasser (z.b. Entgegennahme Erbverzicht) genügt beim Erbvertragskontrahenten Urteilsfähigkeit, sofern lediglich unentgeltliches Rechtsgeschäft (vgl. Art. 19 Abs. 2 ZGB). Achtung: Ab 1.1.2013 wird wie bei letztwilliger Verfügung nur Urteilsfähigkeit und 18. Altersjahr verlangt (ev. Zustimmung des Beistands); vgl. Art. 468 nzgb Massgebender Zeitpunkt für die Beurteilung ist derjenige der Errichtung der Verfügung. Nachträgliches Eintreten der Verfügungsfähigkeit heilt den Mangel nicht. Erbrecht, HS 2012 Folie 3 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
II. Definition/Abgrenzung zu den Rechtsgeschäften unter Lebenden Unterscheidung von Rechtsgeschäften bzw. Verfügungen von Todes wegen und Rechtsgeschäften unter Lebenden ist relevant für Vornahmefähigkeit, Form, Auslegung, Vertretung, Widerruf, Mangelfolgen. Erbrecht, HS 2012 Folie 4 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
II. Definition/Abgrenzung zu den Rechtsgeschäften unter Lebenden Verfügungen von Todes wegen sind vermögensrechtliche Anordnungen, deren Wirksamkeit auf den Tod des Erblassers gestellt sind, sich also erst mit dem Tod des Verpflichteten auswirken bzw. dessen Nachlass betreffen. Der Begünstigte erhält zu Lebzeiten nur Anwartschaften, keine Rechte. Massgebend ist unter Würdigung der gesamten Umstände (Formeinhaltung, Gegenleistungen, verwendete Terminologie), wann das Geschäft die wesentlichen Wirkungen entfalten soll. Erbrecht, HS 2012 Folie 5 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
II. Definition/Abgrenzung zu den Rechtsgeschäften unter Lebenden Beachte Abgrenzung bzw. Qualifizierung folgender Anordnungen ( Achtung, Qualifikation sagt nichts Zwingendes über Wirksamkeit bzw. Beachtlichkeit aus!): Weisungen über Abdankung, Grabgestaltung etc. nicht vermögensrechtlicher, sondern persönlichkeitsrechtlicher Natur keine Verfügung von Todes wegen soweit vermögensrechtliche Komponente: Auflage möglich teilweise Hinterlegung bei Gemeinde möglich Erbrecht, HS 2012 Folie 6 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
II. Definition/Abgrenzung zu den Rechtsgeschäften unter Lebenden Patientenverfügungen (Exit-Verfügungen, Sektionseinwilligung, Organspende) teilweise gerichtet auf Wirkung vor dem Tod, lebzeitig wirkend nicht vermögensrechtlicher Natur keine erbrechtliche Verfügung von Todes wegen vgl. neu Art. 370 ff. nzgb: Patientenverfügung (einfache Schriftlichkeit gefordert) Organspendeerklärung in Art. 8 und 12 Transplantationsgesetz geregelt Erbrecht, HS 2012 Folie 7 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
II. Definition/Abgrenzung zu den Rechtsgeschäften unter Lebenden Altersvollmachten ( falls ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage bin, fürs Haus zu schauen, soll dies mein langjähriger Treuhänder X für mich machen ) gerichtet auf Wirkung vor dem Tod, lebzeitig wirkend keine Verfügung von Todes wegen vgl. neu Art. 360 ff. nzgb: Vorsorgevollmacht (Formerfordernisse wie Testament, eigenhändig oder öffentliche Beurkundung, vgl. Art. 361 Abs. 1 nzgb) Schenkungen von Todes wegen gemäss Art. 245 Abs. 2 OR Verfügung von Todes wegen Erbrecht, HS 2012 Folie 8 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
II. Definition/Abgrenzung zu den Rechtsgeschäften unter Lebenden Ehevertragliche oder vermögensvertragliche Änderung der Vorschlagszuteilung kontroverse Diskussion seit BGE 102 II 313 (Entscheid Nobel) Qualifikation als Verfügung von Todes wegen offen gelassen in BGE 137 III 113; Einhaltung der weniger strengen Formerfordernisse des Ehevertrages Vollmachten über den Tod hinaus i.d.r. Rechtsgeschäfte unter Lebenden, welche sich nach Tod fortwirken Widerrufsmöglichkeiten nach dem Tod des Vollmachtgebers?) Erbrecht, HS 2012 Folie 9 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
II. Definition/Abgrenzung zu den Rechtsgeschäften unter Lebenden Compte-joint-Abrede Gemeinschaftskonto mit Regel, dass beim Tod des einen der andere allein darüber verfügen kann Verfügung von Todes wegen, Rechte der Erben wären zu beachten Versicherungsrechtliche Begünstigungen folgt für viele Fragen Sonderregeln im VVG Qualifikation sagt noch nichts über Hinzurechnung bzw. Herabsetzbarkeit Erbrecht, HS 2012 Folie 10 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
II. Definition/Abgrenzung zu den Rechtsgeschäften unter Lebenden Abfindungsklauseln bei personenbezogenen Gesellschaften je tiefer die Abfindung unter dem wirklichen bzw. Fortführungswert liegt, desto eher Verfügung von Todes wegen unterschiedliche Ausscheidungsregeln bei Tod und anderen Gründen vgl. BGE 113 II 270 (erbrechtliche Form gefordert) Erbrecht, HS 2012 Folie 11 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
III. Numerus clausus von Formen und Arten Die vom Gesetz vorgesehenen Formen für Verfügungen von Todes wegen sind begrenzt (letztwillige Verfügungen und Erbverträge). Es sind inhaltlich nur solche erblasserischen Anordnungen möglich, die das Gesetz vorsieht: Erbrecht, HS 2012 Folie 12 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
III. Numerus clausus von Formen und Arten Erbeinsetzung Vermächtnis Auflagen und Bedingungen Stiftung Ersatzverfügungen Nacherbeneinsetzung und Nachvermächtnis Willensvollstreckung Vaterschaftsanerkennung, vgl. Art. 260 Abs. 3 ZGB Erbrecht, HS 2012 Folie 13 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
IV. Höchstpersönlichkeit Verfügungen von Todes wegen sind absolut höchstpersönliche Rechtsgeschäfte ( Folgen). Zu unterscheiden ist zwischen formeller und materieller Höchstpersönlichkeit. Unter der formellen Höchstpersönlichkeit wird verstanden, dass die Verfügung von Todes wegen als Errichtungsakt von der Erblasserin selbst vorzunehmen ist. Erbrecht, HS 2012 Folie 14 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
IV. Höchstpersönlichkeit Um der materiellen Höchstpersönlichkeit zu genügen, muss auch der massgebende Inhalt der Verfügung von Todes wegen vom Erblasser selbst festgelegt werden. Die Anordnungen des Erblassers müssen einen solchen Konkretisierungsgrad (Bestimmtheitsgebot in Bezug auf Begünstigte und Gegenstand der Zuwendung) aufweisen, dass sie noch als sein Wille betrachtet werden können. Je mehr der Verfügungsinhalt von Dritten konkretisiert werden muss, desto eher fehlt die Höchstpersönlichkeit (keine Delegation). Vgl. aber die Auffangregeln von Art. 539 Abs. 2 ZGB (gesetzliche Konversion) sowie der Grundsatz favor testamenti! Erbrecht, HS 2012 Folie 15 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser
IV. Höchstpersönlichkeit Anwendungsfälle: Unzulässigkeit gemeinschaftlicher Testamente (BGE 89 II 284), keine Entscheiddelegation, nicht genügende Bestimmtheit (BGE 81 II 22 ff.: katholische Priesteramtskandidaten zu unbestimmt; BGE 100 II 98 ff.: les lépreux akzeptiert; vgl. auch Kritik in der Lehre, Peter Breitschmid, FS Hausheer, 477-492). Folge des Nichteinhaltens des Gebots der materiellen Höchstpersönlichkeit ist die Nichtigkeit ( Folgen, Kritik). Erbrecht, HS 2012 Folie 16 / 16 Prof. Dr. iur. Roland Fankhauser