Kostenvergleich ambulant stationär

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Transkript:

Kostenvergleich ambulant stationär 1. Allgemeines Nach dem Sozialhilferecht 1 soll der Träger der Sozialhilfe den Wünschen des Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Hilfe beziehen, entsprechen, soweit sie angemessen sind. Zentrales Kriterium für die Bedeutung der Wünsche des Leistungsberechtigten ist der Begriff der Angemessenheit. Dieser Begriff schließt die Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles und der Gesamtsituation der Sozialhilfe ein, also insbesondere, ob Ziele und Grundsätze der Sozialhilfe den Wünschen des Leistungsberechtigten entgegen stehen und welche langfristigen und unerwünschten Folgekosten die Berücksichtigung des Wunsches des Leistungsberechtigten auslösen könnte. Hauptkriterium für die Beurteilung der Angemessenheit ist im Regelfall die Frage nach den entstehenden Mehrkosten. Zu einem menschenwürdigen Leben, das mit der Sozialhilfe gewährleistet werden soll, gehört zwar auch ein selbstbestimmtes Leben. Die Selbstbestimmung kann aber nicht so weit gefasst werden, dass der Leistungsempfänger grenzenlos über die Art und Weise der Leistungen entscheiden kann. Im Hinblick darauf, dass die finanziellen Auswirkungen der Wünsche des Leistungsberechtigten aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren sind, ist das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten nicht schrankenlos, sondern an den unbestimmten Rechtsbegriff der unverhältnismäßigen Mehrkosten gebunden. In der Rechtsprechung ist keine feste Grenze anerkannt, ab der von unverhältnismäßigen Mehrkosten auszugehen wäre. Vielmehr ist eine wertende Betrachtungsweise unter Berücksichtigung des Gewichtes des vom Leistungsberechtigten geltend gemachten Wunsches und seiner individuellen Situation vorzunehmen. 2 Der Wunsch des Leistungsberechtigten ist dabei umso bedeutsamer, je mehr er seiner objektiven Bedarfssituation entspricht. 3 Die Gerichte sehen in Ihren Entscheidungen unterschiedliche Höhen an Mehrkosten als unverhältnismäßig an: Urteil BVerwG, Urteil vom 11.02.1982: Mehrkosten von 75 % ( unvertretbar ) 4 OVG Hamburg, Beschluss vom 17.08.1995: Mehrkosten von ca. 50 % = unverhältnismäßig 5 LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 07.06.2007: Mehrkosten von ca. 50 % = unverhältnismäßig 6 1 9 Abs. 2 SGB XII 2 h.m., vgl. nur VG Münster, Urteil vom 24.04.2006, Az.: 5 K 783/04 3 Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 18.08.2003, Az.: 5 B 14/03 4 Az.: 5 C 85/80 5 Az.: Bs IV 165/95 6 Az.: L 8 SO 60/07 ER

OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.02.2004: Mehrkosten von 21,24 % = unverhältnismäßig (wenn offenkundig ist, dass die kostengünstigere Einrichtung für den Behinderten sogar besser geeignet erscheint als die gewünschte Einrichtung) 7 VG Münster, Urteil vom 24.04.2006: Mehrkosten, die nicht mehr als 30 % über den ermittelten Durchschnittskosten liegen, sind verhältnismäßig 8 Jedenfalls sind die Mehrkosten und der Wunsch des Leistungsberechtigten in ein wertendes Verhältnis zueinander zu setzen. Hierbei ist die persönliche Lebenssituation und Entwicklungsperspektive des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen. 9 Die Ziele der Eingliederungshilfe bestehen darin, eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern (vgl. 53 Abs. 3 S. 1 SGB XII). Dabei ist ihm die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen ( 53 Abs. 2 S. 2 SGB XII, 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.v.m. 55 Abs. 1 SGB IX). In welchem Maß und durch welche Aktivitäten ein behinderter Mensch am Leben in der Gemeinschaft teilnimmt, ist abhängig von seinen individuellen Bedürfnissen unter Berücksichtigung seiner Wünsche ( 9 Abs. 2 SGB XII). Bei behinderten Kindern sind die Wünsche der Eltern, orientiert am Kindeswohl nach den Umständen des Einzelfalls, maßgebend. Es gilt also ein individueller und personenzentrierter Maßstab. Dieser steht einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls regelmäßig entgegen. Bei der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel SGB XII geht es - anders als insbesondere bei den Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel SGB XII - nicht allein um die bloße Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz; bezweckt wird vielmehr eine gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen sowie die Beseitigung faktischer Benachteiligungen Behinderter in der Lebenswirklichkeit. 10 Nach der Rechtsprechung des BSG kommt es im einzelnen Fall auf eine Prognose an, welche Eingliederungsziele mit der begehrten Leistung verbunden sind und ob die begehrte Eingliederungsmaßnahme für die Verfolgung dieser Ziele geeignet und erforderlich ist. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass dem Begriff der "Angemessenheit" gerade im juristischen Sprachgebrauch stets ein Abwägungsvorgang innewohnt. So wird der Begriff "Angemessenheit" beispielsweise häufig als Synonym für die im Rahmen der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmende Prüfung der sog. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verwendet. Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist stets eine Abwägung der betroffenen gegenläufigen Rechtsgüter erforderlich. Hierfür spricht auch 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, wonach die grundsätzlich für die Leistungsgewährung maßgeblichen Wünsche der Leistungsberechtigten nur beachtlich sind, soweit sie angemessen sind. Dies bedeutet allerdings nicht, dass dem Wunsch des behinderten Menschen beliebige, vermeintlich objektive, gesellschaftspolitisch wertende oder finanzielle Erwägungen als gegenläufige Interessen im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit gegenübergestellt werden können. Die erforderliche Abwägung hat sich vielmehr an den Zielen der 7 Az.: 4 ME 400/03 8 Az.: 5 K 783/04 9 vgl. 9 Abs. 1 S. 1 SGB IX i.v.m. 33 S. 2 SGB I 10 LSG NRW, Urteil vom 27.03.2014 - L 9 SO 497/11 Rn. 78 zur Inanspruchnahme von Hilfskräften im Rahmen der Eingliederungshilfe für ein Hochschulstudium

Eingliederungshilfe, namentlich der Eingliederung des behinderten Menschen in die Gesellschaft ( 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII), zu orientieren. Mit Eingliederung ist dabei nicht ein Mindestmaß an Teilhabe gemeint, das auch kaum ohne externe, nicht normbezogene Wertungen bestimmt werden könnte 11. Im Hinblick auf das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG enthaltene Förderungsgebot 12 muss es vielmehr auf die Verhältnisse nichtbehinderter Menschen ankommen 13. Das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG enthaltene Förderungsgebot verpflichtet insbesondere den Gesetzgeber dazu, im Rahmen des Möglichen, d.h. im Rahmen seines grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraums, durch geeignete Maßnahmen die Lebensverhältnisse von Behinderten und Nichtbehinderten anzugleichen. Auch wenn sich aus diesem Förderungsgebot regelmäßig keine konkreten verfassungsrechtlichen Ansprüche des behinderten Menschen ableiten lassen, kann der Verfassungsauftrag als abstrakte Zielbestimmung, nicht als Gebot einer bestimmten Leistung, für die Auslegung solcher einfach-rechtlicher Bestimmungen herangezogen werden, die gerade der Umsetzung des Förderungsgebotes dienen. Hierzu gehören die Vorschriften über die Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII und gerade auch 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII mit seiner Bestimmung der Ziele der Eingliederungshilfe. Maßgeblich sind allerdings stets die individuellen Verhältnisse im Einzelfall. 14 2. Auswirkungen der UN-BRK auf das Wunsch- und Wahlrecht Für die Fragestellung, in welchem Verhältnis ambulante, teilstationäre und vollstationäre Hilfeangebote zueinander stehen, enthält 13 SGB XII eine spezielle Regelung. Danach haben ambulante Leistungen Vorrang. Nach 13 Abs. 1 S. 3 SGB XII gilt der Vorrang der ambulanten Leistung, der in 9 SGB XII auch enthalten ist, aber nicht, wenn eine Leistung für eine geeignete stationäre Einrichtung zumutbar und eine ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Die Frage ist nun, ob durch die UN-BRK hier eine Änderung eingetreten ist. Der Gesetzgeber hat bisher jedenfalls zu dieser Frage keinen Änderungs- oder Klarstellungsbedarf gesehen. Es gibt bisher auch keine Rechtsprechung der oberen Sozialgerichte zu der Frage, in welcher Beziehung 9 Abs. 2 SGB XII und 13 Abs. 1 S 3 SGB XII zu Artikel 19 UN-BRK stehen. Es sind zwar Verfahren anhängig, höchstrichterliche Entscheidungen stehen aber noch aus. In einem vom LSG NRW im einstweiligen Rechtsschutz entschiedenen Fall 15, in dem sich das Gericht auch mit den Auswirkungen der UN-BRK auf das Wunsch- und Wahlrecht befasste, betrugen die Aufwendungen für die ambulante Pflege und Betreuung des Antragstellers mehr als das Doppelte von dem, was bei einer funktional entsprechenden Leistungserbringung in einer Einrichtung anfiele. Mehrkosten in einem solchen Verhältnis sind - wie das LSG NRW feststellte - eindeutig unverhältnismäßig. 16 Zwar werde in der Literatur teilweise angenommen, dass ambulante Kosten im Bereich der Hilfe zur Pflege erst 11 vgl. dazu auch BSG, Urt. v. 02.02.2012 - B 8 SO 9/10 R -, Rn. 27 12 siehe dazu Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 3 Rn. 142, 147 13 siehe insoweit auch BSG, Urt. v. 23.08.2013 - B 8 SO 24/11 R -, Rn. 16 14 vgl. insoweit auch BSG, Urt. v. 02.02.2012 - B 8 SO 9/10 R -, Rn. 26 15 L 20 SO 436/13 B ER vom 06.02.2014, rechtskräftig 16 vgl. Fußnote 5

dann unverhältnismäßig seien, wenn sie doppelt so hoch lägen wie Heimkosten 17, auch diese höhere Grenze wurde im entschiedenen Fall jedoch überschritten. Weiter wurde ausgeführt, dass auch das Wunsch- und Wahlrecht nach 9 Abs. 2 SGB XII in der Regel keinen Anspruch auf Übernahme unverhältnismäßig hoher Kosten begründet 18. D.h. dass die vorhergehende Entscheidung bestätigt wurde, dass es kein durch Art. 19 UN- BRK begründetes Recht auf eine ambulante Pflege und Betreuung gibt, die unabhängig von den dadurch entstehenden Kosten zu gewährleisten wäre. Bei der Entscheidung über die Zumutbarkeit sind nach 13 Abs. 1 Satz 5 SGB XII die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen. Der Antragsteller in diesem Verfahren begründete eine Unzumutbarkeit z.b. damit, ein Umzug in ein Heim würde ihn aus seinem vertrauten familiären Umfeld herausreißen. Diesem Argument ist das Gericht aber nicht gefolgt. Ist bei stationären Unterbringungen ein Verlassen des bisherigen Umfeldes zwangsläufig, so kann es aber nach Auffassung des Gerichts für sich genommen keine Unzumutbarkeit begründen; vielmehr müssen weitere Umstände hinzutreten, die den Umzug in die stationäre Einrichtung auch aus Sicht eines objektiven Betrachters unzumutbar erscheinen lassen. So wird es etwa als für einen jungen behinderten Menschen nicht zumutbar angesehen, in einem Altenpflegeheim untergebracht zu werden; denn dort würde er sozial isoliert sein 19. Eine Unzumutbarkeit kann auch daraus folgen, dass keine geeignete Einrichtung zur Verfügung steht, die den speziellen behinderungsbedingten Anforderungen des Betreffenden gerecht werden könnte 20. Das Gericht wies auch darauf hin, dass persönliche Härten in jedem Fall einer Heimaufnahme zu besorgen sind, diese aber gleichwohl angesichts in der Gesellschaft häufig bestehender Notwendigkeiten von Einrichtungsbetreuung eine allgemeine Erscheinung sind und deshalb sozialadäquat erscheinen. Eine stationäre Unterbringung wäre nach Beurteilung des Senats im entschiedenen Verfahren auch nicht nach der UN-BRK ausgeschlossen; nach Art. 19 UN-BRK anerkennen die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben, und treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern, indem sie unter anderem gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben. Art. 19 UN-BRK begründet indes kein Recht auf eine ambulante Pflege und Betreuung in der eigenen Wohnung, welches unabhängig von den dadurch entstehenden Kosten zu gewährleisten wäre. 21 Subjektive Ansprüche für behinderte Menschen vermittelt die UN-BRK nach Auffassung des Gerichts indes nur, soweit sie unmittelbar anwendbar ("self-executing") ist. Die unmittelbare Anwendbarkeit völkervertragsrechtlicher Bestimmungen setzt voraus, dass die Bestimmung 17 vgl. Krahmer in LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, 13 Rn. 11; Piepenstock in jurispk-sgb XII, 1. Aufl. 2011, 13, Rn. 38; Jürgens, NDV 1996, 393, 398 f. 18 vgl. etwa LSG NRW, Beschluss vom 17.05.2010 L 20 B 168/08 SO ER zu etwaigen Ausnahmen vgl. etwa LSG NRW, Beschluss vom 31.03.2012 L 12 B 19/09 SO ER. 19 vgl. Piepenstock, a.a.o. Rn. 27; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl. 2012, 13 Rn. 19 20 vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28.01.2010 L 8 SO 233/07; LSG Sachsen, Beschluss vom 28.08.2008 L 3 B 613/07 SO-ER 21 a.a. wohl Masuch, Die UN-Behindertenrechtskonvention anwenden!, in: Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245 ff., 260; auch SG Düsseldorf, Beschluss vom 07.10.2013 S 22 SO 319/13 ER

alle Eigenschaften besitzt, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben muss, um Einzelne berechtigen oder verpflichten zu können (vgl. BVerfGE 29,348, 360). Dafür muss ihre Auslegung ergeben, dass sie geeignet und hinreichend bestimmt ist, wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkung zu entfalten, ohne dass es einer weiteren normativen Ausfüllung bedarf (vgl. BVerfGE 29,348, 360; BSG, Urteil vom 06.03.2012 B 1 KR 10/11 R). Ist eine Regelung - objektiv-rechtlich - unmittelbar anwendbar, muss sie zusätzlich auch ein subjektives Recht des Einzelnen vermitteln (Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 5. Aufl. 2010, S 141, 159; Grzeszick, AVR 43, 2005, 312, 318). Gemäß Art. 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.05.1969 (BGBl. II 1985, 926 und BGBl. II 1987, 757) erfolgt die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks. Bei summarischer Prüfung ergibt die Auslegung des Art. 19 UN-BRK so führte das Gericht in seiner Entscheidung aus -, dass diese Vorschrift nicht unmittelbar anwendbar ist (a.a. Masuch, a.a.o., der - allerdings ohne weitere Begründung - meint, Art. 19 UN-BRK verschaffe "dem betroffenen behinderten Menschen ein unmittelbar anwendbares, subjektivöffentliches Recht". Denn die Regelung sei "hinreichend bestimmt und bedarf keiner zusätzlichen legislativen Umsetzung mehr". Zudem seien "außer der Nichtanwendung der Mehrkostenregelung" weitere Maßnahmen zur progressiven Realisierung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte i.s.v. Art. 4 Abs. 2 UN-BRK nicht geboten). Für diese Lesart des Senats spricht zunächst der Wortlaut des Artikels. Denn danach treffen die Vertragsstaaten wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern. Dies deutet darauf hin, dass das Übereinkommen an dieser Stelle gerade keine subjektiven Rechte schaffen will, sondern die nähere Umsetzung des in Art. 19 eingeräumten Rechts aller Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben, den Vertragsstaaten vorbehalten bleiben soll. Für diese Lesart spricht zudem ein systematisches Argument. Denn die UN-BRK verwendet den Begriff "Anspruch" dann, wenn subjektive Rechte der behinderten Menschen begründet werden sollen (z.b. in Art. 22 Abs. 1: "Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen", oder in Art. 30 Abs. 4: "Menschen mit Behinderungen haben gleichberechtigt mit anderen Anspruch auf Anerkennung und Unterstützung ihrer spezifischen kulturellen und sprachlichen Identität" 22. Die Formulierung eines solchen "Anspruchs" findet sich in Art. 19 UN-BRK jedoch gerade nicht. Begründet nach dieser Lesart aber Art. 19 UN-BRK kein subjektives Recht des einzelnen Leistungsberechtigten, so lässt sich dem Konventionsartikel auch nicht entnehmen, dass dem Leistungsberechtigten schon mit Rücksicht auf die UN-BRK eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung nicht zuzumuten sei und es demzufolge auf einen Kostenvergleich nach 13 Abs. 1 SGB XII gar nicht ankomme. 3. Ausblick Der Senat hat darauf hingewiesen, dass auch die rechtliche Beurteilung - insbesondere hinsichtlich Art. 19 UN-BRK sowie 13 Abs. 1 SGB XII - noch ausführlicherer, ggf. sogar höchstrichterlicher Befassung bedarf. Endgültig zu klären wird dann sein, ob eine Verweisung eines Leistungsberechtigten, der eine kostenaufwändige ambulante Versorgung begehrt, auf eine geeignete Einrichtung wegen Art. 19 UN-BRK dennoch unterbleiben muss. 22 vgl. dazu BSG, Urteil vom 06.03.2012 -B 1 KR 10/!! R Rn. 25

Damit macht das LSG NRW deutlich, dass es sich selbst noch im Unklaren ist, wie sich Art. 19 UN-BRK und 13 Abs. 1 SGB XII zueinander verhalten. Unabhängig davon wäre zu wünschen, dass der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Bundesteilhabegesetz eine Klarstellung vornimmt.