Seite 1 von 5 Frau/Männer-Resultate Frauen und Männer als StimmbürgerInnen: Was haben sie entschieden? Überblick über wesentliche Hauptergebnisse aus den VOX- Analysen eidg. Urnengänge (Stand 7.2.2001) Claude Longchamp, Politikwissenschafter Urs Bieri, Politikwissenschafter Frauen und M änner stimmen nicht grundsätzlich anders, setzen aber fallweise andere Akzente und wiesen bei Volksabstimmungen schon 20 M al andere M ehrheiten auf. Die Tendenz zur Differenzierung der Stimmabgabe ist bei Volksbegehren wachsend. Bei den Frauen ergibt sich vor allem seit Mitte der 80er hre ein Trend zu ökologischer ausgerichteten Entscheidungen; auch werden traditionelle Positionen in der Sicherheitspolitik, Ausländer- oder Wirtschaftspolitik etwas weniger gestützt, als dies bei M ännern der Fall ist. Auf das Ergebnis der Parteien bei Wahlen bleibt die Wirkung solcher Strömungen insbesondere bei den Regierungsparteien noch zurück. Wichtiger ist hier der qualitative Wandel im Sinne der spezifischen Unterstützung von Frauen, der erst im rot-grünen Lager mehrheitsfähig geworden ist. Im Mittel der rund 180 untersuchten eidg. Volksabstimmungen im Zeitraum 1977-2000 ist der - Anteil der Frauen und Männer gemäss VOX-Analysen um 5 Prozentpunkte unterschiedlich. Bis Mitte der 80er hre waren solche Differenzen selten und hatten meist eine geschlechtsspezifisches Betroffenheit als Ursache. Es galt das Fazit der insgesamt konservativer stimmenden Frauen. Ökologie-Frage als Katalysator für differenzierte Stimmgabe Vor allem unter dem Eindruck der "Waldsterbe"-Debatte ergaben sich ab 1985 erstmals auch bei anderen Themen Unterschiede im Stimmverhalten. Frauen zeigten sich danach in Umwelt-, Verkehrs- und Energiefragen eigenständiger und votierten stets im Sinne vermehrter Ökologie oder des verstärkten Schutzes des Menschen. Sie haben den Wertewandel der 80er hre schneller und stärker vollzogen. Seit den 90er hren besteht ein leichter Trend, weitere Abstimmungsthemen anders zu beurteilen. Gewachsen ist auch die mittlere Differenz in der Stimmabgabe. Aktuell schwankt sie zwischen 6 und 7 Prozentpunkten. Tabelle 1: Volksabstimmungen mit den grössten Unterschieden in der Stimmabgabe der teilnehmenden Frauen und Männer (1977-2000) hr Thema Total Frauen Männer Differenz pkten. 1993 Werbeverbot für Tabak 26 36 18-18 1995 Antirassimus-Gesetz 55 64 47-17 2000 Quoteninitiative 18 28 11 +17 1992 Gewässerschutz-Initiative 37 46 30-16 1993 Werbeverbot für Alkohol 25 34 18-16 1990 Ausstieg Atomenergie 47 55 40-15
Seite 2 von 5 1994 Getreidepreisreduktion 65 73 58-15 1999 Wohneigentum für alle 41 60 45 +15 1978 Herabsetzung AHV-Alter 21 15 29 +14 1981 Gleiche Rechte für Mann und Frau 60 67 53-14 1987 Rothenturm-Initiative 58 66 52-14 1992 Weg vom Tierversuch 44 52 38-14 1985 Ehe- und Erbrecht 55 61 48-13 1986 Schwerverkehrsabgabe 34 41 28-13 1989 Tempo 100/130 38 30 43 +13 1990 Moratorium 55 62 49-13 1997 ALV-Revision 49 39 52 +13 Quelle: VOX-Datenbank Zu den neuen Themen mit unterschiedlichen Positionen von Frauen und Männern zählen vor allem ethische Forderungen wie die Werbeverbote in Suchtfragen, wo die Differenz mit 18 Prozent im - Anteil 1993 so gross wie bisher noch nie war. Stärker als im Mittel macht sich auch eine geschlechtsspezifische Stimmabgabe bei Fragen der Sicherheits- und Ausländerpolitik sowie bei KonsumentInnenfragen bemerkbar. Frauen und Männer bestimmten 8 Mal je das Volksmehr, bei unterschiedlicher Stimmabgabe In acht Fällen entschied sich eine der Frauen nicht nur anders als jene der Männer. Sie setzten sich mit ihrer Position auch durch. Noch im Sinne der Konservatismus-These konnten in den 70er hren die massgebliche Verwerfung der Fristenlösungs-Initiative und der Senkung des Stimmrechtsalters durch die Frauen interpretiert werden. 1985 behaupteten sich die Frauen erstmals in umgekehrter Richtung. Ohne ihre dezidierte Zustimmung zum neuen Ehe- und Erbrecht wäre die Vorlage am knappen Nein der Männer gescheitert. Das Gleiche wiederholte sich 1994 bei der "Alpen"-Initiative und dem Antirassimus-Gesetz. Vor allem der Mangel an ökologischer Ausrichtung der Lex Friedrich überzeugte 1995 eine der Frauen nicht. 1997 waren es wiederum die Frauen, die sich dezidierter gegen die Kürzungen der Arbeitslosenversicherung wehrten und mit ihrer negativen Entscheidung den Entscheid der StimmbürgerInnen als Ganzes bestimmten. Trotz anderer Stimmabgabe durch eine der Frauen setzten sich umgekehrt 1982 beim revidierten Ausländer-Gesetz die Männer durch. Die Frauen trugen damals die Behördenentscheidungen für eine offenere Ausländerpolitik stärker mit, was für die sbildung in der Bevölkerung jedoch nicht ausreichte. Tabelle 2: Volksabstimmungen mit unterschiedlichem Volksmehr in der Stimmabgabe der teilnehmenden Frauen und Männer (1977-2000) hr Thema Total Frauen a) Unterschiedliche -en, Entscheid der Frauen massgeblich Männer 1978 Fristenlösungsinitiative Nein 48 Nein 43 53 1979 Stimm- und Wahlrechtsalter 18 Nein 49 Nein 47 51
Seite 3 von 5 1985 Ehe- und Erbrecht 55 61 Nein 48 1990 Moratorium 55 62 Nein 49 1993 Alpen-Initiative 52 56 Nein 49 1995 Antirassimus-Gesetz 55 64 Nein 47 1995 Lex Friedrich Nein 46 Nein 40 52 1997 ALV-Revision Nein 49 Nein 39 52 b) Unterschiedliche -en, Entscheid der Männer massgeblich 1979 Atom-Initiative Nein 49 52 Nein 46 1982 Ausländer-Gesetz Nein 49 53 Nein 45 1984 Energie-Initiative Nein 46 51 Nein 42 1989 Kleinbauern-Initiative Nein 49 51 Nein 48 1990 Ausstieg Atomenergie Nein 47 55 Nein 40 1992 Weg vom Tierversuch Nein 44 52 Nein 38 1993 40 Waffenplätze Nein 48 52 Nein 44 1999 Wohneigentum für alle Nein 48 60 Nein 45 Bemerkung: Unterschiedliche -en bei Männern und Frauen ergaben sich 1994 auch bei Kultur-Artikel und der erleichterten Einbürgerung junger AusländerInnen. Beide Fälle wurden weggelassen, weil der Entscheid der der Männer nur wegen des fehlenden Ständemehrs mit dem Abstimmungsausgang identisch war. Quelle: VOX-Datenbank Nur Dank einer der Männer ist die heutige Kernenergie-Politik der Behörden mehrheitsfähig geblieben. Könnten die Frauen alleine entscheiden, hätte es schon 1979 bei der damaligen Atom-Initiative (wenigstens beim Volksmehr) einen Kurswechsel gegeben. Unter der gleichen Bedingung wäre 5 hre später auch die "Energie"-Initiative angenommen und 1990 der gänzliche Ausstieg aus der Atom-Energie bestätigt worden. Wie anders Frauen gerade in dieser Thematik stimmen, zeigte sich daran, dass sie das heute gültige Moratorium in der Kernenergie- Politik bestimmten. Eine knappe der Männer war dagegen. Die Frauen waren schliesslich in ihrer auch für die Kleinbauern-Initiative, das Verbot von Tierversuchen und die Limitierung der Waffenplätze in der Schweiz auf 40 Stück. In allen Fällen bestimmte jedoch die deutliche Verwerfung der Begehren durch die Männer das Ergebnis der StimmbürgerInnen. Damit gaben die Frauen und Männer je acht Mal den Ausschlag bei unterschiedlichem Volksmehr. Tendenziell fällt auf, dass sich in jüngster Zeit wieder eher die Männer durchsetzten. Obsiegten die Männer, resultierte bisher stets ein Nein. Im Sinne dieser Tendenz fällt auch die Beurteilung zum Ausgang der Abstimmungen über den Kultur-Artikel und die erleichterte Einbürgerung junger AusländerInnen. In beiden Fällen war eine der Frauen dafür, während mehr Männer Nein als sagten. Das Volksmehr fiel zweimal positiv aus. Die Annahme der beiden Vorlagen wurde 1994 einzig durch das Fehlen des Ständemehrs bewirkt. Die selektiv unterschiedliche Stimmabgabe von Männer und Frauen hat namentlich in den 90er hren zu geschlechtsspezifisch gestalteten Abstimmungkämpfen geführt. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Abstimmung über die 18 %-Initiative. In der Ausgangslage zeichnete sich bei den Frauen eine leicht verstärkte Zustimmungsbereitschaft
Seite 4 von 5 ab. Im Juli 2000, also rund 2 Monate vor der Abstimmung bekundeten 43 Prozent der Frauen, eine Neigung zu einem zu haben, während der entsprechende Anteil bei den Männern nur 38 Prozent betrug. Frauen waren vor der Kampagne auch stärker ganz unschlüssig (25%) als Männer (10%). Diese Ausgangslage führte zu einer speziellen Mobilisierung von Frauen im Abstimmungskampf, angeführt von der zuständigen Bundesrätin, Ruth Metzler. In der Folge avancierten die Bedenken der Frauen zur Problemen mit Ausländern im Alltag zum hauptsächlichen Abstimmungsthema. Es wurde allerdings zwischen dieser Optik eines Themas und der Zustimmung zu einer Initiative mit anderer Zielsetzung unterschieden. Die spezifische Frauen-Kampagne blieb nicht ohne Wirkung, wie die nachstehende Grafik zeigt Bei den Frauen trat unter dem Eindruck der Kampagne ein erheblicher Meinungswandel zur 18%- Initiative ein. Nicht nur die Unentschiedenen bewegten sich ins Nein, auch bei Frauen mit anfänglicher Zustimmungsbereitschaft setzte ein Meinungswandel ein. Schliesslich votierten nur 29 Prozent der Frauen für die Initiative, während der Anteil bei den Männern mit 41 Prozent praktisch unverändert blieb. Bei Wahlen qualitative Veränderungen wichtiger als quantitative Bei Wahlen bleibt die Differenzierung der Stimmabgabe von Frauen und Männern zurück. Dies änderte sich auch 1995 nicht fundamental. Am meisten an weiblichem Wähleranteil zulegen konnten die Grünen. Sie wurden von 9% mehr Frauen als noch 1995 gewählt und sind damit weiterhin die einzige Partei mit mehrheitlich weiblichen Wähler. Auch die links-bürgerlichen Parteien konnten an weiblicher Wählerschaft zulegen - ausser die SVP, welche seit 1995 in etwa einen stagnierenden Anteil von Wählerinnen ausweist. Tabelle 3: Anteile Frauen und Männer und den Wählenden 1995 resp. Anteil der (gesamten) Wählerschaft, die sich besonders für Frauenanliegen einsetzen Partei Anteil Anteil
Seite 5 von 5 Frauen unter Wähleden, 1995 Interessanterweise unterscheiden sich die Wählerschaften der vier Regierungsparteien in der numerische Verteilung von Frauen und Männer als Wählende kaum. Bei der SPS machen die Frauen 48 Prozent, bei der CVP 50, bei der FDP 45 und bei der SVP 40 von Hundert aus. Kontaktpersonen: Claude Longchamp, Urs Bieri, Politikwissenschafter update, Ende nuar 2001 Frauen unter Wähleden, 1999 Differenz zu Wähleranteil der Männer Grüne 55 64 +28 SPS 45 48-4 CVP 43 50 +/-0 FDP 42 45-10 SVP 44 42-16 Quelle: GfS-Forschungsinstitut, Wahlnachbefragung 2000 (N=1048)