Andacht im EKA Gottesdienst (Andacht) (03.12.2008) Liebe Schwestern und Brüder! Die Adventszeit hat begonnen. Advent heißt auf Deutsch - Ankunft Ankommen. Wenn man dann irgendwo angekommen ist, möchte man auch loslegen, vielleicht etwas verändern. Bestimmt kennen Sie das auch... Man möchte etwas verändern, weil es nicht mehr gefällt... Man will etwas verändern vielleicht am eigenen Leben, in der Lebensumgebung, in der Arbeit. Irgendwie sollte etwas Neues passieren, denn das eingefahrene Einerlei macht manchmal ganz schön unzufrieden. Aber man kann sich einfach nicht aufraffen. Man schafft es einfach nicht, sich aufzuraffen und die Idee umzusetzen... Man fängt gar nicht erst an damit. 1
Und dann bleibt meist ein Rest Schmerz darüber, dass man es dann doch nicht geschafft hat, seine Ideen umzusetzen...... Vielleicht kennen Sie das ja auch... Ich erlebe häufig Menschen, denen es genauso geht. Manchmal ist es wie großer Berg, der vor dem Fenster liegt, der dem Licht den Weg verschließt... und so bleibt es dunkel. Aber wer möchte es nicht hell haben? Wer sehnt sich nicht danach, dass es lichtvoller wird... Ich jedenfalls habe diese adventliche Sehnsucht! Am Anfang ist immer die Sehnsucht... bei mir, bei Ihnen vielleicht auch und bei dem alten Mann, von dem ich jetzt erzählen möchte. Vor dem Haus dieses alten Mannes ragt ein hoher Berg. Der Berg nimmt ihm das Licht, das er sich zum Leben wünscht. Er sehnt sich nach Licht. Und was tut er? Er faßt sich Mut und er fängt an, den Berg abzutragen. Er nimmt Hacke, Schaufel und Schubkarre und beginnt, den Berg abzutragen. Die Nachbarn fangen an zu lächeln und zu spotten: Jetzt ist er ganz verrückt geworden, der Alte! Den riesigen Berg kann der nie abtragen. Der alte Mann rafft sich auf. Er Überwindet alle Selbstzweifel. Er gräbt und gräbt. Und er sagt: Wartet nur, ich werde das schon schaffen, Schaufel für Schaufel, Karre für Karre. Das schaffst du doch nie!, sagen die Nachbarn. Laß es lieber sein. Warum auch noch anfangen. Bist doch eh schon sehr alt. Vergebliche Müh ist das. Er sagt darauf in ruhiger Stimme: Vielleicht habt ihr Recht. Aber wenn ich es nicht schaffe, dann werden meine Söhne weitermachen; wenn die es nicht schaffen, deren Söhne - irgendwann ist der Berg abgetragen. 2
Und die Legende mündet in den Satz: Als Gott im Himmel dieses Vertrauen sah, da schickte er zwei Engel, die den Berg auf ihren Flügeln davontrugen. - - - Der alte Mann fängt einfach an! Er hat ein Anliegen. Er trägt eine Sehnsucht nach Licht in seinem Herzen. Er spürt die Herausforderung. - Und er fängt an, Schaufel für Schaufel. Und ich denke daran: Wie viele Menschen fangen gar nicht erst an. Wie viele Menschen wissen nichts mit sich selbst anzufangen, wissen nichts mit ihrer Zeit, nichts mit ihren Fähigkeiten und Begabungen anzufangen - und darum fangen sie nicht an. Doch wenn ich nicht anfange, dann erschöpft es mich, dass ich nicht anfange, weil vieles unerledigt liegen bleibt. Das werden Sie kennen: Unerledigtes erledigt mich! Nicht anfangen lässt den Berg immer höher werden, anstatt dass er abgetragen wird. Und die Lustlosigkeit greift um sich und dann die Nostalgie: Ja, Früher, als ich noch konnte! - - - Aber jetzt? Der Berg wird dann immer größer, und die Unzufriedenheit und die Resignation auch. Und zugleich geht die Zeit weiter und es fängt doch immer etwas Neues an: der Tag fängt an, die Woche fängt an, das Jahr fängt an, die Schule fängt an, das Arbeitsleben fängt an, das Eheleben fängt an, die Lebensmitte fängt an, das Altwerden fängt an - es fängt immer etwas an! Meine Herausforderung ist, dass ich dieses Anfangen nicht einfach nur geschehen lasse, sondern zu meinem Anfangen mache. Dass ich meiner Sehnsucht im Herzen Raum gebe und mich davon 3
anleiten lasse, aufzustehen und die Berge abtrage, die mir das Licht nehmen Schaufel für Schaufel. Tue ich das nicht, lebe ich nicht, sondern werde gelebt. So entstehen dann solche Gedanken, als gehe das Leben an mir vorbei. Dann erscheint das Leben als eine Anhäufung verpasster Chancen, als eine Ansammlung ungelebten Lebens. Schade drum! Erfüllende Anfänge, Anfänge, die Lust bereiten und weiterbringen, leben davon, dass ich mich entschließe, anzufangen. Und die Faszination des Anfangens ist, dass ich mich überwinde und es einfach tue. Dass ich mit meiner Art, mit meinen Gaben, mit dem, was mir von Gott mitgegeben ist, dem Anfang ein Gesicht gebe und anfange im Glauben und im Leben. Und dabei gibt mir die Sehnsucht den Anstoß und oft die Energie, überhaupt anzufangen. Von Antoinne de Exupéry, der den kleinen Prinzen geschrieben hat, stammt das Wort: Wenn du ein Schiff bauen willst, suche nicht Holz und Handwerker mit guten Noten in der Prüfung, sondern suche Männer, die die Sehnsucht nach dem weiten Meer im Herzen tragen." Die Handwerker sitzen mitten zwischen Stapeln von Holz und warten auf einen Auftrag. Die anderen haben nichts außer der Sehnsucht. Sie fangen an, zu suchen. Und sie bekommen das Schiff fertig. Wenn Du den Berg vor deinem Haus abtragen willst, so laß dich von deiner Sehnsucht leiten und fang an in der Zuversicht, Du könntest es irgendwann schaffen. Die Sehnsucht nach Licht läßt den alten Mann anfangen, den Berg abzutragen. Die Sehnsucht nach Leben läßt den verlorenen Sohn zu seinem Vater, zurück ins Leben aufbrechen. 4
Die Sehnsucht nach einer besseren Welt lässt drei Weise Männer, die heiligen drei Könige, aufbrechen, sich von einem Stern leiten und vor der Krippe ankommen... Die Sehnsucht, dass es mehr geben mus, als das manchmal schwere Leben hier, treibt die Menschen Jahr für Jahr vor Weihnachten in die Gemeinde Jesu Christi. Und schließlich: Weil Gott Sehnsucht hatte, ist er selber in die Welt gekommen, als Mensch zu den Menschen. Diesen Anfang mit mir, mit jedem von uns macht Gott - aus Sehnsucht. Daraus erwächst dann auch das andere Die Sehnsucht nach einem Gegenüber, nach Freunden, nach Beziehung, nach Gemeinschaft. Und aus dieser Sehnsucht erwächst auch die Kraft, das zu tun, ohne das ich nicht anfangen kann: nämlich loslassen. Ich kann nur anfangen, wenn ich loslassen kann, sonst komme ich nicht vom Fleck. Ich komme nicht in den Tag, wenn ich das Bett nicht loslassen kann. Ich komme nicht an die Arbeit, wenn ich das Frühstück und die Zeitung nicht loslassen kann. Ich komme nicht zum Feierabend, wenn ich die Arbeit nicht loslassen kann. Ich komme nicht in die Zukunft, wenn ich die Vergangenheit nicht loslassen kann. Für mich ist Loslassen nochmal eine besondere Hürde, die manchmal sehr weh tut. Oft fällt das Loslassen so unendlich schwer. Das biblische Bild eines Menschen, der nicht loslassen kann, ist für mich Lots Frau. Das ist eine Frau, die eine Zukunft vor sich hat. Gott sagt ihr: Schau nach vorne, dann kommst du weiter schau nicht rückwärts. Aber sie kann nicht loslassen. Sie schaut rückwärts und erstarrt zur Salzsäule. Kann es sein, dass es in unserer Welt und auch in unserer Umgebung so viel 5
Erstarrtes und Starres gibt, weil wir nicht loslassen können, wo die Anfänge vor uns liegen? Ich ahne, dass für viele das Loslassen schwerer ist als das Anfangen. Wenn Sie und ich Anfänger sein und bleiben wollen, entscheidet sich das daran, ob es uns gelingt, Menschen der Sehnsucht zu sein, und loslassen zu können. Ich spüre, dass sich heute viele Menschen mit der Sehnsucht schwer tun. Ist doch die Sehnsucht, die aus der Mitte Gottes stammt, wie Gott selbst dem Wesen nach maßlos und darum oft schwer auszuhalten. Es gibt keine echte Sehnsucht mit Maß. Im Umgang mit dieser Maßlosigkeit entscheidet es sich, ob die Sehnsucht Motor für mein Leben sein kann oder nicht. Als Mensch der Sehnsucht gebe ich mich nicht der Illusion hin, ich selbst oder irgendeiner oder irgend etwas in der Welt könnte meine Sehnsucht ganz befriedigen, sondern ich lebe mit der offenen Bereitschaft, dass es da etwas in meinem Leben gibt, das unruhig ist undbleibt. Aus dieser Unruhe setze ich meine Schritte und meine Anfänge, bis ich irgendwann Ruhe finde in Gott als hätten Engel den Berg abgetragen. Der alte Mann fängt einfach an. Er löst sich von alten Gewohnheiten, die ihn am Anfangen hindern. Von den eigenen Bedenken, dass er vielleicht zu alt sei; dass das alles sowieso keinen Zweck hat. Er löst sich vom Gerede der Nachbarn und Freunde, die ihm das nicht zutrauen. Er fängt beim Nächstliegenden an, läßt sich von seiner Sehnsucht leiten und trägt den Berg ab. Das Leben ist ein herrlich Ding, wenn man nicht verlernt hat, was Sehnsucht freisetzen kann Loslassen, Anfangen und schließlich ankommen. Bei mir selbst und bei Gott. 6
Ich wünsche uns eine gesegnete Adventszeit. Amen. 7