Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Ausländer- und Asylrecht

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Transkript:

Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Ausländer- und Asylrecht zur Abschaffung des 10 Absatz 3 Satz 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) Stellungnahme Nr.: 27/2013 Berlin, im April 2013 Mitglieder des Ausschusses - Rechtsanwältin Susanne Schröder, Hannover (Vorsitzende) - Rechtsanwalt Helmut Bäcker, Frankfurt/M. - Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Breidenbach, Halle/Saale - Rechtsanwalt Dr. Marco Bruns, Frankfurt/M. - Rechtsanwältin Kerstin Müller, Köln (Berichterstatterin) - Rechtsanwalt Victor Pfaff, Frankfurt/M. - Rechtsanwältin Silke C. Schäfer, Göttingen - Rechtsanwältin Gisela Seidler, München - Rechtsanwalt Rolf Stahmann, Berlin - Rechtsanwältin Eva Steffen, Köln Zuständig in der DAV-Geschäftsführung Deutscher Anwaltverein Littenstraße 11, 10179 Berlin Tel.: +49 30 726152-0 Fax: +49 30 726152-190 E-Mail: dav@anwaltverein.de - Rechtsanwältin Bettina Bachmann, Berlin Büro Brüssel Rue Joseph II 40 1000 Brüssel, Belgien Tel.: +32 2 28028-12 Fax: +32 2 28028-13 E-Mail: bruessel@eu.anwaltverein.de Registernummer: 87980341522-66 www.anwaltverein.de

- 2 - Verteiler Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Landesministerien und Senatsverwaltungen des Innern Innenausschuss des Deutschen Bundestages Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag Arbeitsgruppen Recht der im Bundestag vertretenen Parteien Arbeitsgruppe Migration und Integration der SPD-Bundestagsfraktion UNHCR Deutschland Katholisches Büro in Berlin Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland Diakonisches Werk der EKD Deutscher Caritasverband Deutsches Rotes Kreuz Flüchtlingsrat Berlin Jesuitenflüchtlingsdienst Deutschland Bundesrechtsanwaltskammer Deutscher Richterbund Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen PRO ASYL, Bundesweite Arbeitsgruppe für Flüchtlinge e. V. Deutscher Gewerkschaftsbund (Bundesvorstand) Neue Richtervereinigung (NRV) Vorsitzende der DAV-Gesetzgebungsausschüsse Landesverbände des DAV Geschäftsführender Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht NVwZ ZAR Asylmagazin ANA Informationsbrief Ausländerrecht

- 3 - Der Deutsche Anwaltverein (DAV) ist der freiwillige Zusammenschluss der deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Der DAV mit derzeit ca. 67.000 Mitgliedern vertritt die Interessen der deutschen Anwaltschaft auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Der Deutsche Anwaltverein fordert die ersatzlose Streichung von 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG. Diese Regelung führt zu Kettenduldungen trotz vorhandener Integrationsleistungen und unverschuldeter Ausreise- oder Abschiebungshindernisse. Sie stellt eine mit dem Europarecht nicht zu vereinbarende Einschränkung und eine nicht gerechtfertigte Schlechterstellung im Vergleich zu ausgewiesenen Ausländerinnen und Ausländern 1 dar. I. Ausgangslage Personen, deren unbegründeter Asylantrag ab dem 1.1.2005 gemäß 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) bestandskräftig als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, kann gemäß 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG ohne eine Ausreise aus dem Bundesgebiet kein Aufenthaltstitel erteilt werden. 30 Abs. 3 Nr. 1 6 AsylVfG dient der Sanktionierung einer missbräuchlichen Asylantragstellung und Verletzung von Mitwirkungspflichten. Es soll auf diese Weise erreicht werden, dass ein beschleunigter Abschluss des Asylverfahrens und kurzfristig eine Aufenthaltsbeendigung erreicht werden kann. 2 Der Asylbewerber ist über diese Folgen zu belehren, 14 Abs. 1 S. 2 AsylVfG. Er kann ihnen aber nicht durch Rücknahme des Asylantrages entgehen. 3 Die Ausländerbehörde ist an die Wertungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gebunden. Eine Durchbrechung dieser strikten Regelung ist nur im Falle des 25 Abs. 3 AufenthG oder eines Anspruches auf Erteilung eines Aufenthaltstitels möglich ( 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG). Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) liegt ein solcher Anspruch im Sinne des 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG nur bei einem strikten Rechtsanspruch vor, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Ein Anspruch 1 In der Folge wird allein aus Gründen der Vereinfachung die männliche Form verwendet. 2 Discher in GK-AufenthG, 10, RN 134-135 mit Verweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs zum Zuwanderungsgesetz in BT-Drs. 15/420 S. 73. 3 BVerwG, Urt. v. 16.12.2008 1 C 37.07.

- 4 - aufgrund einer Ermessensvorschrift genüge auch dann nicht, wenn das Ermessen im Einzelfall "auf Null" reduziert ist. 4 Offen gelassen hat das BVerwG, ob bei Regel- und Sollansprüchen ein Anspruch im Sinne des 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG vorliegt; jedenfalls müssen aus seiner Sicht in diesem Fall auch dann sämtliche weiteren Erteilungsvoraussetzungen gegeben sein. In der Praxis ist eine oftmals willkürliche Anwendung des 30 Abs. 3 AsylVfG zu beobachten. 5 Dies führt zu einem beachtlichen Anwendungsbereich des 10 Abs. 3 AufenthG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass selbst eine positive Entscheidung im Eilverfahren gemäß 36 AsylVfG die Wirkungen des 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG nicht beseitigt. 6 II. Auswirkungen Die Regelung des 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG führt derzeit dazu, dass Ausländer selbst dann keinen Aufenthaltstitel erlangen können, wenn sie aus zwingenden familiären Gründen, wegen eines faktischen Abschiebungsstopps oder eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses unverschuldet langfristig nicht ausreisen oder abgeschoben werden können. Dies betrifft einen erheblichen Personenkreis. So scheitern derzeit Ehegatten Deutscher, nicht-sorgeberechtigte Väter deutscher Kinder, die ihr Umgangsrecht ausüben wollen ( 28 Abs. 1 S. 4 AufenthG), Ehegatten von ausländischen Staatsangehörigen und Eltern ausländischer Kinder mit Aufenthaltsrecht an 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG, da die Erteilung eines Aufenthaltstitels entweder im Ermessen steht oder aber selbst bei Vorliegen eines Anspruches bestimmte Regelerteilungsvoraussetzungen wie z.b. die Erfüllung der Passpflicht oder die Sicherung des Lebensunterhaltes nicht vorliegen. Dennoch werden sie nicht abgeschoben, da sie aufgrund der familiären Beziehungen zu dulden sind. 4 BVerwG, Urt. v. 16.12.2008 1 C 37.07. 5 Immerhin wurden 2012 über 32 % der Asylanträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt; eine Differenzierung, ob es sich um eine Ablehnung nach 30 Abs. 1, 2, 3, 4 oder 5 AsylVfG handelt, nimmt die Statistik leider nicht vor (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 17/12053). 6 Dienelt in: Renner, AuslR, 10 AufenthG, Rn 28.

- 5 - Personen, die aufgrund schwerwiegender psychischer Erkrankungen dauerhaft als reiseunfähig angesehen werden oder die unverschuldet passlos sind, haben bei Anwendung des 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG keine Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis gemäß 25 Abs. 5 AufenthG zu erhalten, da 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG eine Ermessensvorschrift darstellt oder sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation die Regelerteilungsvoraussetzungen nicht erfüllen und damit nach Auffassung des BVerwG 10 Abs. 3 S. 1 AufenthG keine Anwendung findet. Auch die Bleiberechtsregelung des 104 a und b AufenthG scheitert trotz langjähriger Integration an dieser Regelung. Das ursprüngliche Ziel des Gesetzgebers, Kettenduldungen zu vermeiden, wird damit ad absurdum geführt. Neuere Regelungen erklären daher 10 Abs. 3 AufenthG für nicht anwendbar ( 25 a Abs. 1 S. 4, 18 a Abs. 3 AufenthG). III. Kritik 1. Unverhältnismäßige Ungleichbehandlung Es lässt sich nicht nachvollziehen, dass Personen, die gegen bloße Mitwirkungspflichten im Asylverfahren verstoßen, letztlich schlechter gestellt werden als Personen, die z.b. aufgrund einer Straftat ausgewiesen werden. In beiden Fällen handelt es sich um die Sanktionierung von Verstößen gegen die hiesige Rechtsordnung, so dass von einer Vergleichbarkeit der Situation auszugehen ist. Die Wirkung einer Ausweisung kann jedoch gem. 11 Abs. 1 AufenthG befristet werden. Eine entsprechende Befristung scheidet bei Personen, die unter 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG fallen, aus. Diese Ungleichbehandlung lässt sich nicht dadurch rechtfertigen, dass die Frist der Sperrwirkung einer Ausweisung mit der Ausreise beginnt, während die Sperrwirkung des 10 Abs. 3 AufenthG von vornherein nur bis zum Zeitpunkt der Ausreise gilt. Dabei wird übersehen, dass eine unverhältnismäßige Härte gerade in den Fällen entsteht, in denen eine Ausreise oder Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. In dieser Situation können die Folgen des 10 Abs. 3 AufenthG zu keinem Zeitpunkt vermieden werden und zwar unverschuldet. Bei der Befristung der Ausweisung hat das BVerwG zudem gerade im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG wiederholt festgestellt, dass eine Ausreise nicht zwingend zu erfolgen hat,

- 6 - um die Wirkung der Befristung auszulösen. 7 Eine solche Möglichkeit sieht 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG nur im Falle eines Anspruches vor. Ist ein solcher aber nicht vorgesehen (bspw. 28 Abs. 1 S. 4 AufenthG) oder scheitert er an den Regelerteilungsvoraussetzungen, z.b. der Einreise ohne erforderliches Visum, wird jahrelang die Abschiebung ausgesetzt, ohne dass eine Perspektive denkbar ist. Sachlich gerechtfertigte Gründe für diese Ungleichbehandlung lassen sich nicht erkennen. 2. Verstoß gegen die Rückführungsrichtlinie Die Abschiebungsandrohung im Asylverfahren stellt eine Rückführungsentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie dar. 8 Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten jederzeit beschließen können, illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen Vorliegens eines Härtefalls oder aus humanitären oder sonstigen Gründen einen eigenen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Ist in diesem Fall bereits eine Rückkehrentscheidung ergangen, so ist diese zurückzunehmen oder für die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels oder der sonstigen Aufenthaltsberechtigung auszusetzen. Dieser humanitären Öffnungsklausel wird durch 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG der Boden entzogen. 3. Verstoß gegen die Familienzusammenführungs-Richtlinie (FZF-RL) Die FZF-RL verbietet einen absoluten Ausschluss des Familiennachzuges aufgrund der Verletzung bloßer Mitwirkungspflichten im Asylverfahren. 9 Vielmehr konstituiert Art. 4 Abs. 1 FZF-RL für die dort genannten Familienangehörigen einen strikten Rechtsanspruch. Die Familienzusammenführung darf allenfalls versagt werden, wenn die Voraussetzungen des Art. 6 (Gründe der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit) oder Art. 16 (keine familiären Bindungen mehr, Missbrauch) vorliegen bzw. die des Art. 7 nicht gegeben sind (Lebensunterhalt, Wohnraum, Krankenversicherung). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diesbezüglich festgestellt, dass die FZF-RL 7 BVerwG, Urt. v.4.9.2007-1 C 43.06; Urt. v. 13.4.2010-1 C 5.09. 8 So zu Recht VGH BW, Beschl. v. 10.12.2012 11 S 2303/12. 9 Ebenso Dienelt in: Renner, AuslR(9. Aufl.), 10 AufenthG Rn 14.

- 7 - den Mitgliedstaaten eine präzise positive Verpflichtung auferlegt, wonach sie in den in ihr festgelegten Fällen den Nachzug bestimmter Mitglieder der Familie des Zusammenführenden genehmigen müssen, ohne dass sie dabei einen Ermessensspielraum ausüben können. 10 Die Richtlinie ist auch auf drittstaatsangehörige Familienmitglieder, die sich bereits im Bundesgebiet aufhalten, anwendbar. 11 Bei Familienangehörigen, die sich auf die FZF-RL berufen können, verstößt 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG daher gegen die Vorgaben der Richtlinie. 4. Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Insbesondere bei einer sozialen und familiären Verwurzelung kann die anhaltende Weigerung, ein Aufenthaltsrecht zu gewähren, eine Verletzung der Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen. 12 Die Staaten sind nicht nur verpflichtet, Art. 8 Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Rahmen einer Ausweisung und Abschiebung zu beachten, sondern müssen auch sicherstellen, dass die Rechte aus Art. 8 EMRK tatsächlich ausgeübt werden können. Deren Verletzung ist daher auch durch eine lange Zeit der Instabilität und rechtlichen Unsicherheit möglich 13, so dass ein Verweis auf den Duldungsstatus bei Fällen des Art. 8 EMRK fehlgeht. Zwar hat der EGMR auch festgestellt, dass es nicht seine Aufgabe sei zu prüfen, welcher Aufenthaltsstatus einem Ausländer erteilt werde; dies geschah aber nur unter der Voraussetzung, dass es dem Ausländer erlaubt ist, im Staatsgebiet des Aufenthaltsstaates zu wohnen und dort sein Recht auf Privatleben frei auszuüben. 14 Gerade letzteres ist aber mit dem Duldungsstatus nicht möglich. 15 So ist der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers zwingend auf ein Bundesland beschränkt ( 61 Abs. 1 S. 1 AufenthG). Mit dem Verlassen des Bundesgebietes erlischt die Aussetzung der Abschiebung ( 60 a Abs. 5 S. 1 AufenthG), so dass Kontakte zu im Ausland oder in einem anderen Bundesland lebenden Familienangehörigen erschwert oder sogar unmöglich sind. Es besteht nur ein eingeschränkter Zugang zu Sozialleistungen, da trotz eines u.u. jahrelangen 10 EuGH, Urt. v. 14.6.2006 - C 540/03.. 11 EuGH, Urt. v. 6.12.2012 C-356/11 und C-357/11 (O., S. und L../. Finnland). 12 EGMR, Urt. v. 16.6.2006 Nr. 60654/00 (Sisojeva I). 13 EGMR, Urt. v. 22.6.2006-59643/00 (Kaftailova); EGMR, Urt. v. 16.6.2006 Nr. 60654/00 (Sisojeva I); Urt. v. 31.3.2006 - Nr. 50435/99 (da Silva und Hogkamer); EGMR, Urt. v.17.1.2006 Nr. 514319 (Aristimuno Mendizabal). 14 EGMR, Urt. v. 15.1.2007 Nr. 60654/00 (Sisojeva II). 15 VGH Ba-Wü, Urt. v. 13.12.2010, 11 S 2359/10.

- 8 - Aufenthaltes nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz möglich sind; eine Arbeitsmarktförderung i.s.d. SGB II ist damit ausgeschlossen. Auch Elterngeld wird nicht gewährt. Der uneingeschränkte Zugang zum Arbeitsmarkt ist diesem Personenkreis gemäß 10 Abs. 2 Nr. 2 Beschäftigungsverfahrensverordnung erst nach vier Jahren möglich. Ein Familiennachzug ist ausgeschlossen. Nach Auffassung des EGMR 16 beeinträchtigt die wiederholte Aussetzung der Abschiebung nur dann das Recht aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht, wenn vor dem Vollzug der fortbestehenden Ausreisepflicht eine erneute Ankündigung der Abschiebung mit einhergehender Rechtsschutzmöglichkeit zu erfolgen hat. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber, dass die Duldung dann kein ausreichender Status zur Ermöglichung des durch Art. 8 EMRK geschützten Privat- und Familienlebens ist, wenn eine Ausreise dauerhaft tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist und sich damit die Frage einer Ankündigung der Abschiebung nicht stellt. IV. Lösung Um dem gesetzgeberischen Ziel nachzukommen, Kettenduldungen zu vermeiden und um europa- und völkerrechtlichen Vorgaben gerecht zu werden, ist 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG ersatzlos zu streichen. 16 Beschl. v. 13.10.2005 Nr. 40932/02 (Yildiz).