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Transkript:

betteln erlaubt geben erlaubt

Bitten, betteln, flehen Betteln ist eine alltägliche Angelegenheit: Das Kind vor der Supermarktkasse, wenn es unbedingt diesen Schokoriegel haben will. Der Spendensammler, der für eine gute Sache um Unterstützung bittet (Umwelt, Tierschutz etc.). Oder der Politiker, der im Wahlkampf um Aufmerksamkeit und Stimmen wirbt: Bitte wählen Sie mich!. Abgesehen von dieser pointierten Sichtweise sind es vor allem jene Menschen, die in Not geraten sind und keinen anderen Ausweg mehr sehen, als sich als BettlerIn an andere zu wenden und um Almosen bitten. Während diesem Betteln meistens eine Zwangslage zugrunde liegt, bleibt das Geben ein freiwil - liger Akt. Es gibt keine Pflicht zu spenden. Und es gibt kein Recht des Bettlers, das Erwünschte zu bekommen. Es ist und bleibt eine individuelle Angelegenheit, die jeder für sich persönlich entscheidet. Armut irritiert. Menschen, die öffentlich ihre Armut zur Schau stellen und um Almosen bitten, lösen unterschiedliche Emotionen aus: Mitleid und Neugier ebenso wie Ablehnung oder Angst. Wie wir mit dem Thema Betteln umgehen, ist also immer Ausdruck unserer persönlichen Lebenserfahrung und Lebenseinstellung. Als Einzelne ebenso wie als Gesellschaft insgesamt. Die öffentliche Diskussion der letzten Monate war stark von dieser Gefühlsebene und weniger von lösungsorientierten Argumenten bestimmt. Mehr Klarheit und Orientierung zu schaffen auf rechtlicher, sozialer und persönlicher Ebene ist Ziel und Zweck der vorliegenden Broschüre.

Rechtliches Unterschiedliche Normen legen fest, in welcher Form in unserer Gesellschaft gebettelt werden kann und darf. Wenn Sie z. B. öffentlich Spenden sammeln wollen, so ist ein Blick in das Salzburger Sammlungsgesetz notwendig. Wenn Sie in Not geraten sind und andere um Almosen bitten müssen, so findet im Bundesland Salzburg 29 des Landessicherheitsgesetzes seine Anwendung. Das bis vor kurzem darin festgehaltene absolute Bettelverbot wurde vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben, da es gegen Grundrechte verstoßen hat (z. B. Art. 10 EMRK Kommunikationsfreiheit). Grundrechtlich geschützt wurde vom Verfassungsgerichtshof das sogenannte stille Betteln. Was ist neu? Das aus diesem Grund reformierte Landessicherheitsgesetzes sieht nun vor, dass Betteln grundsätzlich erlaubt ist, legt aber Ausnahmen ( Verbote ) fest. Eine strafbare Handlung bildet demnach Betteln in aufdringlicher oder aggressiver Weise (z.b. durch Anfassen, unaufgefordertes Begleiten oder Beschimpfen ); durch die Mitwirkung unmündiger Minderjähriger (bis 14 Jahre) sowie das Organisieren oder Veranlassen des Bettelns Anderer. Die Teilnahme an organisierter Bettelei stellt keinen eigenen Straftatbestand dar, wird aber als aufdringliches und aggressives Betteln gewertet und damit unter Strafe gestellt. Gemeinden können per Verordnung zusätzliche Orte festlegen, an denen Betteln absolut (also auch stilles Betteln) verboten werden kann. Betteln in diesen Formen wird mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet. Verantwortlich für die Vollziehung ist die Bundespolizei.

Soziales/Armut Die Geschichte der Armut ist untrennbar mit der Geschichte des Bettelns verbunden. Bettler-Diskussionen wie jene derzeit in Salzburg prägten viele historische Epochen. Einschränkungen des Bettelns wie in vielen österreichischen Bundesländern in den letzten Jahren geschehen - sind also historisch betrachtet nichts Neues. Seit ca. 500 Jahren reagieren Kommunen und Länder auf steigende Armut und Armutsmigration immer wieder auch mit Restriktionen und Verboten. Mit Pauschalverdächtigungen ( kriminelle Banden, Mafia im Hintergrund etc.) wurde wiederholt versucht, Verbote zu rechtfertigen. Soziale Hintergründe blieben oftmals im Hintergrund. Armut wurde verdrängt, statt sie zu bekämpfen. Fakten zu Armut und Ausgrenzung in Salzburg 10 12 % der Salzburger Bevölkerung (oder ca. 60.000 Personen) leben unter der Armutsgrenze, 6 % (oder ca. 30.000 Personen) gelten als manifest arm. Sie können sich bestimmte Grundgüter (neue Kleidung, Arztrechnung, Heizen etc.) nicht oder nur eingeschränkt leisten. Für die Stadt Salzburg wird eine höhere Armutsgefährdung ausgewiesen, nämlich 17%. Demnach leben in der Landeshauptstadt ca. 25.000 Personen unter der Armutsgrenze. Seit 10 Jahren steigt in der Stadt Salzburg die Zahl der Wohnungslosen stetig an. Die letzte Erhebung aus dem Jahr 2011 weist bereits mehr als 1.000 Personen aus, die als wohnungslos gelten (obdachlos, Unterschlupf bei Bekannten, Überbelag, Notunterkünfte, unzumutbare Wohnverhältnisse etc.). Wenn auch sozialstaatliche Maßnahmen für viele (aber nicht alle!) Menschen zur Verfügung stehen: Wohnungsverlust, Überschuldung oder erhöhte Kosten aufgrund einer chronischen Krankheit können dazu führen, dass Menschen zusätzlich betteln müssen. Quellen: EU-SILC 2011, Wohnungslosenerhebung 2011

Fremde Bettler/Roma und Sinti Seit einigen Jahren betteln vermehrt Menschen aus südosteuropäischen Ländern (Rumänien, Bulgarien, Slowakei etc.) in westeuropäischen Städten, auch in Salzburg. Oftmals handelt es sich dabei um Angehörige der Volksgruppen der Roma. Man schätzt die Bevölkerungszahl auf 10 12 Millionen. Die Hälfte davon lebt innerhalb der Europäischen Union. Als EU-BürgerInnen haben sie das Recht, sich bis zu drei Monate in Österreich aufzuhalten, ohne sich dauerhaft niederzulassen. Die soziale Lage dieser Volksgruppe ist äußerst prekär: Roma und Sinti werden seit vielen Jahr - hunderten systematisch diskriminiert. Der Zusammenbruch des Kommunismus brachte auch ökonomische Umbrüche und hohe Arbeitslosigkeit mit sich. Roma und Sinti litten unter diesem Strukturwandel besonders stark. Alternativen auf dem Arbeitsmarkt gibt es nur unzureichend. Laut einer Erhebung in sechs EU-Ländern schließen nur 42% der Roma-Kinder die Grundschule ab. Im Rahmen einer Umfrage gab ein Drittel der Roma an, arbeitslos zu sein. Und von den Befragten gaben 90% an, unter der Armutsgrenze zu leben. Darüber hinaus ist die soziale Absicherung sehr mangelhaft. Nicht alle Roma und Sinti sind von Armut betroffen, viele sind integriert und beruflich erfolgreich. Und dennoch: Wie die Zahlen zeigen, ist die soziale Situation für eine große Anzahl nach wie vor äußerst schlecht. Der Weg nach Westeuropa und der Versuch, sich mit Betteln das Leben zu finanzieren, ist für viele der letzte Ausweg.

Bettler-Mythen Jeder kennt sie, die Bettler-Mythen. Die Berichte von den organisierten Banden und der Mafia im Hintergrund, vom Ausnutzen und der Nötigung von Bettlern oder vom Mercedes hinter der Hausecke. Es handelt sich scheinbar um Wahrheiten, die ohnehin jeder kennt, die aber kaum nachweisbar sind. Organisierte Bettler-Banden Die Gleichsetzung von organisiert mit kriminell ist ein zentraler Mythos. Er betrifft vor allem BettlerInnen aus Südosteuropa, vorrangig Roma und Sinti. Die starke Familien- und Gruppensolidarität führt dazu, dass man sich gemeinsam auf die Reise macht, meist mit Kleinbussen, gemeinsam wohnt, das Betteln gemeinsam organisiert. Beweise dafür, dass organisiertes Betteln in großem Stil kriminell ist, konnten bislang nicht erbracht werden. Fragt man bei der Exekutive in Salzburg, Wien oder Graz nach, wird von Einzelfällen berichtet. Und das Innenministerium hat bekannt gegeben, dass im Jahr 2010 lediglich zwei schwere Straftaten nachgewiesen werden konnten. Auch unter Berücksichtigung einer eventuellen Dunkelziffer: Ein Bettelverbot lässt sich damit nicht begründen. Darüber hinaus existieren zahlreichen Strafbestimmungen (Freiheitsentziehung, Nötigung etc.), mit denen gegen kriminelle Machenschaften vorgegangen werden kann (und muss!). Armut werde exportiert, man könne nicht die Versäumnisse anderer Länder ausgleichen Menschen werden nicht exportiert, sie machen sich in der Regel gemeinsam ( organisiert ), aber eigenständig auf den Weg, um ihre Existenz zu sichern. Betteln zu erlauben ersetzt nicht strukturierte, umfangreiche und europaweite Inklusionsmaßnahmen in den Herkunftsländern. Da diese derzeit aber nicht ausreichend greifen, ist Betteln oftmals die letzte Chance.

Das Geld muss an Hintermänner abgegeben werden Das erbettelte Geld verbleibt zum Großteil den BettlerInnen selbst bzw. den Familienverbänden. Ein Teil davon kann auch je nach Einzelfall für Unterkunft bzw. Fahrtkosten aufgewendet werden. Die Hintermänner sind in der Regel Teil des Familien- und Sozialverbandes. Richtig ist, dass Geld immer wieder abgenommen wird. Bis vor Kurzem war Betteln generell verboten. Die Polizei war gesetzlich ermächtigt, das Erbettelte abzunehmen. Es wurde also von den Bettlern in Sicherheit gebracht. Zum Zweiten handeln Bettler nicht anders als Straßenkünstler, die ebenfalls nur eine bestimmte Geldmenge im Becher belassen. Geht der Becher über, sinkt die Bereitschaft, etwas zu geben. Betteln ist ein großes Geschäft Die Hintermänner sind, wie bereits erwähnt, mehrheitlich Teil der Familien bzw. sozialen Gruppen. Das Geld wird also nicht an anonyme Mafiabosse abgegeben. Zum anderen sind jene Summen, die erbettelt werden können, nicht so hoch wie üblich angenommen. Eine Recherche aus Graz hat ergeben, dass Bettler abhängig von Wetter, Standort und Alter zwischen 6, und 20, pro Tag einnehmen. Eine großangelegte Studie aus Paris zeigt, dass pro Tag maximal 30, erbettelt werden können, allerdings bei einem Zwölf-Stunden-Tag. Betteln und reich werden? Wohl eher nicht!

Betteln als Kompetenz und Strategie Auch wenn es einfach aussieht: Betteln ist nicht einfach! Zum Einen bedarf es einer großen Überwindung, anderen gegenüber seine Not zuzugeben und zu zeigen. Scham und mangelnde Würde machen dies äußerst schwer. Wer ist schon gerne arm? Zum Anderen versuchen auch BettlerInnen, möglichst erfolgreich zu sein, also viele PassantInnen von der eigenen Not zu überzeugen. Aber um erfolgreich zu sein, bedarf es großer Anstrengungen. Dabei handeln BettlerInnen genauso wie wir alle: Bereiten wir uns für ein Vorstellungsgespräch vor, überlegen wir, wie wir uns kleiden. Eröffnen wir ein Geschäft, planen wir exakt, wo sich dieses befinden soll. Verkaufen wir ein Produkt, ist es natürlich wichtig, dieses möglichst gut zu bewerben und darzustellen. Auch bettelnde Menschen denken und handeln strategisch: Wo sind die besten Plätze? Haben Frauen oder Männer bessere Chancen, etwas zu bekommen? Wie kleide ich mich? Soll ich sitzen, stehen oder knien? Soll ich etwas sagen oder stumm bleiben? Soll ich ein Instrument spielen? Wie viel Geld soll im Becher drinnen bleiben, dass auch andere noch etwas rein werfen? In diesem Zusammenhang sind auch Strategien zu nennen, die verständlicherweise polarisieren und zu umfangreichen Diskussionen führen, wie das Vortäuschen / Übertreiben einer Krankheit oder die Mitnahme von Kindern. Wie immer man dazu steht: Bettler halten uns damit letztendlich auch einen Spiegel vor: Denn welche soziale Organisation und welche Partei weiß nicht um die Werbewirksamkeit von traurigen Kinderaugen? Und: Wie würde man selbst agieren?

Persönlicher Umgang mit Bettlern Die Konfrontation mit Armut bzw. die Begegnung mit BettlerInnen irritiert. Sie ruft Emotionen hervor und stellt uns vor Herausforderungen. Viele Menschen sind sich im Umgang mit Bettlern unsicher: Soll ich etwas geben? Wenn ja, was und wie viel? Was ist dran an den ganzen Vorwürfen?. Kann ich mit meinen Euros überhaupt etwas ändern? Je klarer die eigene Haltung und Einstellung gegenüber bettelnden Menschen und Armut ist, desto unaufgeregter verläuft auch die Begegnung. Folgende Überlegungen können dabei als Anregung dienen: Es ist meine eigene und persönliche Entscheidung, ob ich etwas gebe oder nicht. Ich brauche kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich an einem Bettler vorübergehe und nichts gebe. Ich entscheide selbst, wie viel ich gebe. Alle haben Rechte: Wenn jemand in einer Art und Weise bettelt, die mir unangenehm ist oder die ich ablehne (Nachgehen, mit Kindern etc.), kommuniziere ich das deutlich. Ich habe dabei auch das Recht, wie bei anderen Formen eines Übergriffs, andere PassantInnen oder die Polizei zu Hilfe zu rufen. Was mit dem Erbettelten geschieht, entscheidet der Bettler selbst. So wie ich entscheide, was ich mit meinem Einkommen mache. Ich respektiere auch, dass ein Bettler in der Regel Geld will und keine Nahrungsmittel. Wenn ich der Meinung bin, dass jemand seine Not übertreibt (Krücken), kann ich ihm dies deutlich sagen und einfach nichts geben. Es hilft mir aber dabei, wenn ich zumindest die Strategie dahinter nachvollziehen kann. Wenn ich das Gefühl habe, es seien zu viele Bettler, schaue ich mich in der Stadt um. Ich entdecke dann, dass tausende Menschen an mir unbemerkt vorüberziehen. Warum stören mich dann fünf Bettler? Auch wenn ich nichts gebe: Ich kann BettlerInnen auch als Menschen wahrnehmen und sie freundlich grüßen. Wer von uns freut sich nicht über eine nette Geste?

Was es sonst noch braucht Durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, dass ( stilles ) Betteln ein Grundrecht und damit erlaubt ist, ist klar: Es wird und darf auch in Zukunft bettelnde Menschen in Stadt und Land Salzburg geben. Man kann dies beklagen oder begrüßen, es ist und bleibt eine Tatsache. Die Herausforderungen, die sich damit stellen, sind mit der Neuformulierung des Landessicherheitsgesetzes aber alles andere als gelöst: Allen voran steht die Unterbringungsfrage. Stadt, Land, soziale Einrichtungen und die Kirchen sind daher gefordert, bestehende Kapazitäten auszunutzen und rasch über Alternativen zu beraten und diese auch umzusetzen. Die Besetzung von Abbruchhäusern ist keine Lösung. Wird dennoch vorübergehend ein solches Objekt bewohnt, muss alles daran gesetzt werden, die Situation für BewohnerInnen und AnrainerInnen so tragbar wie möglich zu gestalten (Mediation, Sanitäranlagen, Müllentsorgung etc.) Bei Konflikten im öffentlichen Raum (Bahnhof, Parks etc.) sollen vorrangig soziale Angebote genutzt werden, die zu einer Deeskalation beitragen (Sozialarbeit, Mediation). Da mit dem vermehrten Auftreten von BettlerInnen aus Südosteuropa auch unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, ist es nötig, durch Vermittlungsarbeit (Aufklärung, Information, Veranstaltungen etc.) präventiv Konfliktlösung anzubieten. Medien und Politik sollen mit differenzierten und objektiven Äußerungen und Berichten dazu beitragen, das solidarische Zusammenleben zu fördern und der Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken. Betteln kann die Situation der Betroffenen lindern, aber nicht lösen. Die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung bleibt daher eine generelle Aufgabe, die wir alle intensiv verfolgen sollten. Denn: Gesellschaften mit weniger Ungleichheit sind auch solidarischer, gesünder und glücklicher. Ein an Grundrechten ausgerichteter Umgang mit Bettlern ist daher nicht zuletzt auch Selbsthilfe.

Runder Tische Menschenrechte Im Dezember 2008 hat der Salzburger Gemeinderat die Europäische Charta für den Schutz der Menschenrechte in der Stadt unterzeichnet. 2010 wurde nach einem breiten inhaltlichen Prozess ein erster Menschenrechtsbericht mit mehr als 100 Maßnahmen erstellt und vom Gemeinderat zur Kenntnis genommen. Eine dieser Maßnahmen die Installierung eines Runden Tisches Menschenrechte wurde vom Salzburger Gemeinderat im Februar 2011 mehrheitlich beschlossen. Der Runde Tisch Menschenrecht hat sich folgende Ziele gesetzt: Beobachtung der Menschenrechtssituation in der Stadt Salzburg, Diskussion aktueller Fragen der Menschenrechtsarbeit und Standpunktformulierung Öffentlichkeitsarbeit zu aktuellen Menschenrechtsfragen Diskussion und Schwerpunktsetzung der kommunalen Menschenrechtsarbeit (u.a. Empfehlungen zur Umsetzung konkreter Projekte und Maßnahmen) Diskussion und Evaluierung der Maßnahmenumsetzung jährliche Berichterstattung an die Politik der Stadt Beratung der Politik und Verwaltung in Menschenrechtsfragen Weiterführende Informationen: www.rundertisch-menschenrechte.at

Impressum Herausgegeben und für den Inhalt verantwortlich: Runder Tisch Menschenrechte Salzburg Inhaltliche Koordination: Robert Buggler Salzburg, Jänner 2013 Karikatur S. 13 mit freundlicher Genehmigung von Thomas Wizany Gestaltung: Eric Pratter, Anna Pratter

Es gibt Menschen, die es zeitlebens einem Bettler nachtragen, dass sie ihm nichts gegeben haben. Karl Kraus