Ass. Prof. Dr. A. Eicker Wiederholungsklausur im Strafrecht 2006



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Transkript:

Lösungsskizze (Schwerpunkte in den Fällen 1 und 2: Versuch und Rücktritt; error in objecto und aberratio ictus; Fahrlässigkeit) Teil 1 Aufgabe 1: Gewissensbisse 1. Ernst könnte sich der versuchten vorsätzlichen Tötung gemäss Art. 111, 21, 22 strafbar gemacht haben, indem er den Beat mit einem scharfkantigen Stück Holz kampfunfähig schlug. a) Nichtvollendung: Dies setzt zunächst die Nichtvollendung der Tat voraus. Ein Delikt ist nicht vollendet, wenn der Täter entweder (mindestens) ein Tatbestandsmerkmal des objektiven Tatbestandes oder eine besondere subjektive Absicht (des subjektiven Tatbestandes) nicht erfüllt hat. Beat lebt noch, der von Art. 111 StGB geforderte Taterfolg Tod eines anderen Menschen ist nicht eingetreten und das Delikt somit nicht vollendet. b) Versuchsstrafbarkeit: Zudem wird vorausgesetzt, dass die vorsätzliche Tötung im Versuch strafbar ist. Nach Art. 21 Abs. 1 ist sowohl der Versuch eines Vergehens als auch der eines Verbrechens strafbar. Verbrechen sind gemäss Art. 9 Abs. 1 die mit Zuchthaus bedrohten Handlungen. Die vorsätzliche Tötung wird im Mindestmass mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft. Folglich handelt es sich bei diesem Tatbestand um ein Verbrechen, dessen nur versuchte Verwirklichung mithin strafbar ist. c) Tatentschluss: Darüber hinaus ist erforderlich, dass Ernst den Entschluss zur Vollendung der Tat gefasst hat. Tatentschluss liegt vor, wenn der Täter bewusst alle Tatbestandsmerkmale des objektiven Tatbestandes hier der vorsätzlichen Tötung verwirklichen wollte: Fraglich ist, ob Ernst den Tod von Beat bewusst herbeiführen wollte. Die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen setzt mindestens ein Handeln mit dolus eventualis 1

voraus. Der Eventualvorsatz ist gegeben, wenn der Täter die Herbeiführung des deliktischen Erfolges billigend in Kauf nimmt. Ernst hat auf Beat mit einem scharfkantigen Stück Holz so wuchtig eingeschlagen, dass dieser kampfunfähig wurde. Ernst hat Beat mithin so heftig verletzt, dass dieser sich nicht mehr wehren konnte. Er rechnete laut Sachverhalt sogar damit, dass Beat tödlich verletzt werden könnte und handelte trotzdem. Angesichts dieses drastischen Vorgehens hat Ernst mindestens in Kauf genommen, dem Beat tödliche Verletzungen zuzufügen und nicht darauf vertraut, dass der Erfolg ausbleiben werde. Somit handelte Ernst mit Bezug auf den Tod von Beat mindestens mit dolus eventualis. Fraglich ist weiter, ob Ernst die Tathandlung ebenfalls bewusst und gewollt ausgeführt hat. Dies ist unproblematisch zu bejahen, da es Ernst sogar darauf ankam, sich durch den Schlag mit dem Vierkantholz gegen den sich überraschend stark wehrenden Beat zu verteidigen. Fraglich ist ferner, ob Ernst wollte, dass der Schlag mit dem Holz den Tod von Beat kausal herbeiführt. Ernst musste, als er den Schlag mit dem Holzstück gegen Beat führte, zumindest damit rechnen, dass dieser eine Ursache für den Tod von Beat setzen könnte. Er hat somit mindestens billigend in Kauf genommen, dass sein Schlag den Taterfolg Tod des Beat kausal verursacht. Folglich wollte Ernst bewusst in Form des dolus eventualis den Tod von Beat durch den Schlag mit dem Vierkantholz herbeiführen und war somit zur Begehung einer Tat nach Art. 111 entschlossen. Tatentschluss liegt folglich vor. d) Unmittelbares Ansetzen Zu prüfen ist ausserdem, ob Ernst zur Tatausführung unmittelbar angesetzt hat. Ein unmittelbares Ansetzen ist gegeben, wenn der Täter eine Handlung ausgeführt hat, die unmittelbar in den Deliktserfolg einmünden soll, ohne dass noch weitere Zwischenschritte notwendig sind oder es noch zu einer längeren zeitlichen Zäsur kommt. Ernst führte gegen Beat einen Schlag mit einem Vierkantholz. Spätestens als er mit diesem so heftig zuschlug, dass Beat sogar kampfunfähig wurde, hat er zur vorsätzlichen Tötung des Beat unmittelbar angesetzt. 2

e) Rechtswidrigkeit: Zu prüfen ist ferner, ob Ernst rechtswidrig gehandelt hat. Dies ist der Fall, wenn sein Handeln nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist. Vorliegend kommt in Betracht, dass Ernst in Notwehr (Art. 33 Abs. 1) handelte. Dies setzt voraus, dass ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff seitens des Beat auf Ernst verübt wurde. Hier wurde zuerst der Ernst gegen den Beat handgreiflich (nicht umgekehrt!). Folglich lag kein rechtswidriger Angriff von Beat auf Ernst sondern einer von Ernst auf Beat vor. Somit ist Ernst nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Weitere mögliche Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. Folglich hat Ernst auch rechtswidrig gehandelt. f) Schuld Schuldausschliessungsründe sind für Ernst nicht ersichtlich, er handelte somit auch schuldhaft. g) Rücktritt vom Versuch Fraglich ist weiter, ob Ernst vom soeben bejahten Versuch der vorsätzlichen Tötung zurückgetreten ist. Ein Rücktritt kommt entweder unter den Voraussetzungen des Art. 21 vom unvollendeten Versuch oder unter denen des Art. 22 vom vollendeten Versuch in Betracht. Vollendet ist der Versuch, wenn der Täter mit der Ausführung der Tat begonnen und nach seiner Vorstellung (subjektiver Rücktrittshorizont) alles getan hat, was zur Deliktsvollendung erforderlich ist. Vorliegend hat Ernst wie geprüft zur vorsätzlichen Tötung bereits unmittelbar angesetzt und folglich mit der Tatausführung begonnen. Ausserdem befürchtete er, Beat sei so schwerwiegend verletzt, dass diese Verletzungen tödlich enden könnten. Nach der Vorstellung von Ernst konnte somit ohne jedes weitere Zutun und ohne grössere zeitliche Verzögerung der Tod von Beat jederzeit eintreten. Nach seinem subjektiven Blickwinkel hatte Ernst folglich alles getan, was zur Vollendung der Tat notwendig war. Sein Rücktritt beurteilt sich demzufolge nach den Voraussetzungen des Art. 22. Ein Rücktritt nach Art. 22 erfordert tätige Reue des Täters. Diese ist gegeben, wenn der Täter aktiv und freiwillig in den von ihm in Gang gesetzten Geschehensablauf eingreift, um das Delikt nicht zur Vollendung gelangen zu lassen. Auf die sittliche Qualität des Beweggrundes kommt es nicht an (Basler-Kommentar Jenny, Art. 22, Rn. 5). Kommen der Intervention des Täters rettende Eingriffe Dritter zuvor, so steht 3

dies einer Anwendung von Art. 22 solange nicht entgegen, wie der Täter glaubt, dass es seiner Bemühungen noch bedarf (Basler-Kommentar Jenny, Art. 22, Rn. 8). Hier liegt ein Gesinnungswandel bei Ernst vor. Er erkennt, dass Beat möglicherweise tödlich verletzt ist und sterben wird. Aus persönlicher Angst vor einer hohen Strafe beschliesst er, einen Krankenwagen zu rufen. Ernst wird somit aktiv in einer Weise tätig, die geeignet ist, den Erfolgseintritt Tod des Beat zu verhindern. Er wird zu seinem Verhalten auch nicht von aussen bestimmt, handelt mithin freiwillig. Dass es ihm nicht primär darum geht, dem Beat das Leben zu retten, sondern selbst einer hohen Strafe zu entgehen, ist unerheblich. Denn unabhängig von seiner Motivation kommt es aus Gründen des Opferschutzes einzig und allein darauf an, dass er in den von ihm herbeigeführten Geschehensablauf eingreift, um den bevorstehenden Erfolgseintritt (Tod) zu verhindern, was er mit dem Rufen des Krankenwagens getan hat. Unerheblich ist auch, dass Emil und Lilo sich bereits um Beat kümmerten als Ernst den Krankenwagen rief. Denn offenbar ging Ernst davon aus, dass es des Holens der Ambulanz noch bedurfte, denn er rief diese trotzdem er erkannte, dass sich Lilio und Emil schon um Beat bemühten. Die Intervention durch die letztgenannten hindert hier mithin nicht die Anwendung von Art. 22. Schwierigkeiten bereitet allerdings der Wortlaut von Art. 22 Abs. 2. Da die von Beat erlittenen Verletzungen tatsächlich nicht lebensgefährlich waren, bestand objektiv gar nie die Möglichkeit des Todeseintritts. Er hat deshalb durch seine Intervention tatsächlich weder den Erfolgseintritt verhindert noch zu dessen Nichteintritt beigetragen. Die Tauglichkeit seiner Rücktrittshandlung ist mithin fraglich. Nach der Gesetzespraxis wird Art. 22 Abs. 2 jedoch auch angewendet, wenn der Täter im Glauben der Möglichkeit des Erfolgseintritts aus seiner Sicht rettende Massnahmen trifft (subjektiver Rücktrittshorizont!). Auch damit erbringt er eine Rücktrittsleistung mit positivem Handlungswert, die den Versuch kompensiert. 2. Ergebnis Ernst hat sich somit eine im Ermessen des Richters liegende Strafmilderung verdient. 4

Aufgabe 2: Gewissensbisse 1. Art. 144 StGB gegenüber Niklaus (tatsächlich getroffenes Auto) Indem R mit dem Stein das Auto des N traf, könnte er sich einer Sachbeschädigung gemäss Art. 144 StGB strafbar gemacht haben. a) R hat durch den Steinwurf eine fremde Sache, nämlich das Auto des N, beschädigt. Der objektive Tatbestand ist mithin unproblematisch erfüllt. b) Dazu müsste R Vorsatz gehabt haben, was bedeutet, dass er bei Kenntnis sämtlicher Tatumstände die Verwirklichung des Tatbestandes gewollt hat. aa) Dem könnte bereits entgegenstehen, dass R eigentlich das Auto der F (und nicht das des N) beschädigen wollte, welches jedoch gar nicht am Strassenrand parkiert war. Damit hat R sich über das Angriffsobjekt geirrt (sog. error in objecto). Vorsatz scheidet dann aus, wenn der Täter einen Umstand, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, nicht kennt. Vielmehr wird die Tat nach dem Sachverhalt beurteilt, den der Täter sich vorgestellt hat, vgl. Art. 19 Abs. 1. Für Art. 144 Abs. 1 ist erforderlich, dass der Täter Kenntnis darüber hat, dass er eine fremde Sache beschädigt. Sowohl das tatsächlich getroffene Auto von N als auch das zu treffen beabsichtigte Auto der F, welches R vor sich zu haben glaubte, sind für R fremde Sachen. Folglich hat R in Kenntnis der in Art. 144 gesetzlich normierten Tatumstände gehandelt. Ein error in objecto führt somit, zumindest bei Gleichwertigkeit der Tatobjekte, nicht zu einem Vorsatzausschluss. Aufgrund der hier gegebenen Verwechslung gleichwertiger Tatobjekte scheidet vorsätzliches Handeln bei R also nicht aus. bb) Zu prüfen ist aber weiterhin, wie es sich auswirkt, dass R nicht das von ihm anvisierte Auto der B (von dem er glaubte es gehöre der F), sondern das daneben stehende Auto des N getroffen hat. Hierdurch fallen das Angriffsobjekt (Auto der B) und das Verletzungsobjekt (Auto des N) auseinander, weshalb die Tat fehlgegangen ist (sog. aberratio ictus). Es fragt sich nun, ob diese aberratio ictus einen Vorsatzausschluss bewirkt. Das wird von einem Teil der in der Literatur vertretenen Meinungen dann abgelehrt, wenn wie hier angegriffenes und getroffenes Objekt in ihrer 5

Sachqualität gleichwertig sind und sich die Abirrung im Rahmen der adäquaten Verursachung hält (Gleichwertigkeitstheorie). Als Argument wird angeführt, der Täter habe in Kenntnis aller gesetzlicher Tatbestandsmerkmale (Art. 19, 144) gehandelt (vgl. die insoweit bestehende Parallelität zum error in objecto, oben). Dagegen ist jedoch mit der h.m. einzuwenden, dass der Vorsatz des Täters nicht vom angegriffenen auf ein anderes Rechtsgut übertragen werden kann. R ging davon aus, sein Stein werde dasjenige Auto treffen, von dem sich später herausstellte, dass es der B gehört (Konkretisierungstheorie). Etwas anderes kann sich lediglich in den Fällen ergeben, in denen der Täter die Verletzungsmöglichkeit an einem anderen Objekt erkennt und sich mit ihr abfindet; mithin ginge er dann mit dolus eventualis auch auf ein anderes Objekt über. Vorliegend war das von R konkretisierte Objekt das vermeintliche Auto der F. Mag R auch die Möglichkeit mitbedacht haben, ein anderes Auto zu treffen, so lässt sich dem Sachverhalt jedoch nicht entnehmen, dass er sich damit abgefunden hat. Dies ergibt sich daraus, dass er ernstlich darauf vertraut hat, das anvisierte Auto zu treffen. Demzufolge hat R die Sachbeschädigung am Auto des N nicht vorsätzlich herbeigeführt (Art. 144 Abs. 1). (Die fahrlässige Sachbeschädigung ist nicht strafbar!). 2. Art. 125 StGB zulasten des Otto Dadurch, dass R den O mit dem Stein traf, könnte er einer fahrlässigen Körperverletzung gemäss Art. 125 Abs. 1 strafbar gemach haben. a) O wird durch den Steinwurf des R am Kopf verletzt, so dass eine von R herbeigeführte Körperverletzung vorliegt. b) R hat sich objektiv sorgfaltswidrig verhalten, da ein gewissenhafter Mensch nicht mit Steinen durch die Gegend wirft. Des Weiteren war objektiv voraussehbar, dass beim Herumwerfen mit einem Stein ein Mensch hier der O eine Körperverletzung erleiden könnte, wobei insbesondere zu bedenken ist, dass R aus einiger Entfernung geworfen hat. c) Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. d) Da R sich ferner subjektiv sorgfaltswidrig bei subjektiver Vorhersehbarkeit des Tatablaufs verhalten hat, hat R die fahrlässige Körperverletzung an O auch schuld- 6

haft herbeigeführt. R hat sich sonach einer fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht. 3. Art. 144, 22 Abs. 1 StGB gegenüber Barbara R könnte gegenüber der B eine versuchte Sachbeschädigung begangen haben, indem er den Stein in die Richtung ihres Autos geworfen hat. a) Die Tat ist nicht vollendet, da R das Auto des N und nicht das der B getroffen hat. Die Strafbarkeit einer versuchten Sachbeschädigung folgt aus Art. 144, 22 Abs. 1 i.v.m. Art. 9 StGB. b) Notwendig ist der Tatentschluss des R, eine fremde Sache zu beschädigen. Demnach müsste R in Kenntnis der gesamten Tatumstände die Realisierung des Tatbestandes gewollt haben. R hatte vor, das Auto der B, von dem er glaubte, es gehöre der F, zu beschädigen. Dass er dabei einem error in objecto erlag, steht einer vorsätzlichen Begehungsweise wie oben bereits ausgeführt nicht entgegen. R hatte folglich den Tatentschluss, eine Sachbeschädigung am Auto der B zu begehen. c) R hat zudem zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt, indem er den Stein in die Richtung des Autos der B geworfen hat. d) Rechtfertigungs- und Schuldausschliessungsgründe sind nicht ersichtlich. R hat eine versuchte Sachbeschädigung begangen. 4. Konkurrenzen und Ergebnis R hat in Tateinheit, da durch dieselbe Handlung verursacht, eine fahrlässige Körperverletzung und eine versuchte Sachbeschädigung begangen, Art. 144 Abs. 1 i.v.m 22 Abs. 1; 125 Abs. 1 i.v.m. 68. 7

Teil 2 1. Falsche Freundin Korrekte Antwort: c) L ist zweifellos Täterin, da sie von vornherein die Absicht hatte, sich die O gehörende CD dauerhaft anzueignen. Diese Absicht fehlte P. Er war auch kein Gehilfe, da er die Tat der L gerade nicht fördern wollte, sondern darauf vertraute, dass auch L nicht die Absicht hatte, sich die CD dauerhaft anzueignen. Zu a): Falsch, P ist nicht Gehilfe, da ihm der Vorsatz fehlt, die vorsätzlich rechtswidrige Haupttat der L also deren Diebstahl zu fördern. Zu b): Falsch, P ist nicht Anstifter, da er in L nicht den Entschluss zur dauerhaften Aneignung der CD hervorgerufen hat; L fasste diesen Entschluss selbständig. P wies sogar noch darauf hin, dass man die CD nur ganz kurz mitnehmen könne, um ja keinen Diebstahl zu begehen. Zu d): Falsch, P ist nicht Täter, ihm fehlt das besondere subjektive Unrechtselement: Er hat keine Aneignungsabsicht; die besondere subjektive Absicht der L wird ihm nicht über die Figur der Mittäterschaft zugerechnet. 2. Tödliches Spiel Korrekte Antwort: d) Die Entscheidung zur Tötung von Beate wird erst fallen, wenn die Bedingung (Zahl) eingetreten ist. Eine solche Bedingung lässt den Vorsatz noch nicht entstehen. Zu a): Nein, Andrea hat sich noch nicht entschieden, ob sie Beate überhaupt töten will. Der Begriff bedingter Vorsatz hat mit einem Tatentschluss unter Bedingungen nichts zu tun. Zu b): Nein, der Vorsatz zur Selbsttötung kann nicht mit dem, einen anderen Menschen zu töten, gleichgesetzt werden, da die Selbsttötung straflos ist. Zu c): Nein, denn Absicht wäre nur gegeben, wenn es Andrea bei ihrer Handlung schon darauf ankäme, Beate zu töten, sie ist sich dessen aber gerade noch nicht sicher. 8

3. Kausal oder nicht kausal? Korrekte Antwort: d) Ein Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn die erwartete Handlung (= die nicht vorgenommene/unterlassene Handlung) nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der Erfolg höchstwahrscheinlich entfiele (Prognose). Es handelt sich um eine sinngemässe Umkehrung der conditio sine qua non-formel. Anders formuliert: Kann die unterlassene Handlung hinzugedacht werden und wäre dann höchstwahrscheinlich der Erfolg entfallen, besteht ein Kausalzusammenhang. Zu a): Doch, eine Ursache-Wirkungskette muss bestehen. Es kommt darauf an, ob der Erfolg dem Täter zuzurechnen ist, weil die von ihm erwartete Handlung den Erfolg verhindert hätte. Zu b): Nein, denn es kann nicht darauf ankommen, ob das Unterlassen conditio sine qua non für den Erfolg ist, sondern nur, ob die unterlassene Handlung den Erfolg höchstwahrscheinlich verhindert hätte. Insofern kann die conditio sine qua non- Formel nicht ohne Unterschied ( genauso ) angewendet werden. Zu c): Nein, denn die voranstehenden Ausführungen zeigen, dass die conditio sine qua non-formel sinngemäss anwendbar ist. 4. Es kommt immer anders, als man denkt! Korrekte Antwort: b) Der Kausalverlauf war nicht so unwahrscheinlich, dass er von Thomas nicht voraussehbar war und ist mithin noch vom Vorsatz gedeckt. Zu a): Entscheidend ist in der Regel der Erfolgseintritt, wobei aber kein Vorsatz gegeben ist, wenn der Kausalverlauf wesentlich von der Vorstellung des Täters abweicht, was hier nicht der Fall ist. Zu c): Nein, auch die objektive Zurechnung ist gegeben. Wer jemanden eine eiserne Brücke hinabstürzt, muss damit rechnen, dass sich der Hinabstürzende tödlich daran beim Aufprallen verletzt. Zu d): Nein, auch wenn Tötungsdelikte besonders schrecklich sind, gilt für ihren dogmatischen Aufbau in diesem Punkt nichts anderes. 9

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