Kanton Zürich Gesundheitsdirektion Kommunikation 08. April 2016 Big Data Eine politische Schlussbetrachtung Referat von Regierungsrat Dr. Thomas Heiniger Sehr geehrte Damen und Herren «Fortschritt und Wandel der Werte» zwei Tage lang haben Sie sich mit «key topics», den «big issues» im Gesundheitswesen auseinandergesetzt: Mensch und Maschine, Ernährung, Sterben, Big Data und personalisierte Therapie. Sie haben über das Was und das Wie debattiert und reflektiert. Solche Themen haben Vorwärtsdrang die Zukunft hat begonnen. Da steht der Titel meines heutigen Beitrags ziemlich quer in der Landschaft: eine «politische Schlussbetrachtung». Und das bei einem Thema, dessen Potenzial wir erst jetzt langsam begreifen: Big Data im Gesundheitswesen. Wie verändert Big Data das Gesundheitssystem? Welche Fragestellungen müssen wir heute und morgen angehen, damit Big Data wirklich «Fortschritt» für alle Akteure im Gesundheitssystem bedeutet? Sie hören es an meinen Fragen, meine Damen und Herren: Schluss-Betrachtung ja, aber eben nicht Schluss-Punkt. Heute stehen die Effizienz und die Effektivität der Gesundheitsversorgung unter politischem Druck. Neben der Menge der Leistungen steigen auch die Kosten Jahr für Jahr. Ich
2/7 weiss es, und Sie wissen es auch: Wir können den erforderlichen Leistungsumfang im Gesundheitssystem nur dann garantieren, wenn die verfügbaren Mittel einen maximalen Nutzen erzielen. Dies gilt heute insbesondere auch für Big Data im Gesundheitswesen: Den gigantische Datenmengen, dem Sammelaufwand und dem Missbrauchsrisiko muss ein grosser Nutzen sowohl für die Leistungserbringer als auch für die Patientinnen und Patienten gegenüberstehen. Effizienz und die Effektivität der Gesundheitsversorgung: Wo müssen wir den Wirkungshebel ansetzen? Meine Damen und Herren: bei der Transparenz. Wir haben schon lange den Überblick über das Gesundheitssystem. Haben wir aber auch den Durchblick im Dickicht unserer föderalen Strukturen und der überlappenden Kompetenzen, der Vielzahl von Akteuren und vor allem bei der hohen Fragmentierung der Versorgung? Transparenz mithilfe von Big Data das müsste helfen, den Durchblick im System zu erhöhen: mit einer kontinuierlichen, einheitlichen und strukturierten Datenerhebung zu Kosten, Nutzen, Verlauf und Qualität der Behandlungen. Der Nutzen: Mehr Wissen in Bezug auf die Art und die Menge der erbrachten Leistungen; mehr Wissen über ihr Kosten- Nutzen-Verhältnis und nicht zuletzt möglichst transparente Verhältnisse unter den Akteuren. Ein Beispiel dazu. Ich nenne es «printed, limited big data»: Sie kennen alle unseren «Gesundheitsversorgungsbericht». 2015 haben wir die Wirkung der Mindestfallzahlen auf die Qualität der Behandlung und auf die damit verbundenen Kosten thematisiert:
3/7 Seit der Einführung von bescheidenen Mindestfallzahlen zum Beispiel bei Lungenkrebsbehandlungen und bei Blasenentfernungen sind im Kanton Zürich die Mortalitätsrate und die Aufenthaltsdauer im Spital gesunken. Zudem steigen die Fallkosten in diesen Leistungsgruppen im Durchschnitt weniger stark an als in Bereichen ohne Mindestfallzahl das sind die Fakten. Und jetzt die Kunst der Daten-Aggregation und der Daten-Interpretation: Der Kanton Zürich hat im Vergleich mit den übrigen vier Universitätskantonen die tiefsten Nettofallkosten pro Hospitalisationstag und gehört im gesamtschweizerischen Vergleich zu den sechs effizientesten und wirtschaftlichsten Gesundheitssystemen überhaupt. Wir haben Krankenkassenprämien, die unter dem schweizerischen Mittel liegen und unsere Baserates für nichtuniversitäre Akutspitäler gehören zu den niedrigsten in der ganzen Schweiz. Neue Daten, neue Informationen, neues Wissen. Daten sind ein Schlüssel, um im Gesundheitssystem den dringend notwendigen Durchblick zu gewinnen: mehr Durchblick und mehr Transparenz sind eine echte Chance für mehr Effizienz und mehr Effektivität. Wir nutzen sie: Wir erweitern die Bereiche mit Mindestfallzahlen und erhöhen diese dort, wo wir sie schon haben. «Printed, limited big data» wie unser Gesundheitsversorgungsbericht ist nur ein Datenpaket, das ich unter dem Überbegriff «Big Data im Gesundheitswesen» subsummiere. Ein weiteres sind die persönlichen, behandlungsrelevanten Daten, die mit der Entwicklung des elektronischen Patientendossiers (epd) den Behandelnden, erstens, umfassend, und zweitens, digital, zur Verfügung stehen werden.
4/7 Das epd also als Instrument, um Transparenz im Gesundheitssystem zu schaffen? Ja ein zeitgemässes sogar. Denn das epd oder genauer gesagt: das Thema «electronic healthcare» als Ganzes forciert die Anpassung bestehender Paradigmen im Gesundheitswesen, und das voll und ganz im Sinne des Mottos der 10. Zürcher Gesundheitstage: «Fortschritt und Wandel der Werte». Die Justierung bestehender Paradigmen ist für eine intelligente Ausschöpfung des Potenzials von Big Data die «conditio sine qua non»: Kollaboration statt Kompetition regionale Effektivität statt lokale Effizienz Patienten- statt Behandelnden-Steuerung Minimierung der Kosten statt Maximierung des Gewinns Interoperable Infrastrukturen statt Black Box-Systeme ehealth ist heute ein wichtiger Treiber im Gesundheitssystem. Rund um ehealth entwickeln sich seit 2007 Rahmenbedingungen und Kompetenzen bezüglich Organisation, Recht, Technologie und Semantik oder auch Datenstruktur, die auch für Big Data richtungsweisend sein können. Entwicklungen, die aus diesen Kompetenzen letztlich Kompetente machen. Sie, meine Damen und Herren, sind heute hier und arbeiten am Thema mit und fragen sich: Wie nimmt der Kanton Zürich seine Rolle im Kontext von ehealth wahr? Mit welchem Verständnis? Welche Aufgaben und Interessen hat der Kanton bei der Einführung des epd? Zuerst: Was sind die Interessen des Kantons Zürich? Als Gesundheitsdirektor bin ich an Effizienz und Effektivität der Versorgung, an Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung interessiert. Ich will, dass die Zürcher Bevölkerung gut informiert ist und damit ihre Eigenverantwortung für ihre Gesundheit übernehmen kann. Und deshalb bin ich konsequenterweise auch interessiert, die Einführung des epd zu unterstützen und zu beschleunigen. Aber: Akteure bei der unmittelbaren Einführung des epd sind die Leistungserbringer. Denn sie generieren und nutzen behandlungsrelevante Daten, sie haben die Hoheit über ihre IT- Systeme und sie ziehen schliesslich auch einen konkreten Nutzen aus den effizienteren und effektiveren weil untereinander vernetzten Behandlungsprozessen. Dann: Was sind mit Blick auf das epd die Aufgaben des Kantons Zürich? Im Elektronischen Patientendossiergesetz (EPDG) werden die Kantone kaum erwähnt. Die eigentliche, explizite Pflicht zur Umsetzung des EPDG haben die Gesundheitsinstitutionen und Gesundheitsfachpersonen. Für stationäre Einrichtungen ist das epd obligatorisch. Und Sie
5/7 wissen es: Alle anderen Leistungserbringer sind freiwillig eingeladen, aktiv an der Umsetzung teilzunehmen auch Sie, meine Damen und Herren. Kann und soll oder muss sich der Kanton bei der Umsetzung des epd heraushalten? Unsere kantonale ehealth-strategie weist uns da die Richtung: Grundlage ist der gesetzliche Auftrag des Kantons, für eine ausreichende und wirtschaftlich tragbare Gesundheitsversorgung zu sorgen. So wenig, wie der Kanton selbst Versorgungsleistungen erbringt, erbringt er selber ehealth-leistungen. Seine Aufgabe ist es vielmehr, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich Initiativen der Leistungserbringer zum Beispiel für ehealth entfalten und die Bürgerinnen und Bürger damit auch ihre Eigenverantwortung wahrnehmen können. Zurück zur Frage: Kann und soll oder muss sich der Kanton also bei der Umsetzung des epd heraushalten? Nein. Er muss im Rahmen der Umsetzung dort aktiv werden, wo er gemäss Recht und Gesetz seine Kernkompetenzen hat: bei den Rahmenbedingungen und bei der Steuerung. Und die Rahmenbedingungen sind stark im Kanton Zürich: Sie geben Ihnen den notwendigen Handlungsspielraum, um sich auf Ihre Kernkompetenzen zu fokussieren. Dazu gehören, Fortschritt und Wertewandel aktiv mitzugestalten, der mit der Digitalisierung einmal ganz generell und ein andermal mit der Digitalisierung der behandlungsrelevanten Daten einhergeht. Dazu gehört auch die strategische Ausrichtung Ihrer Institutionen, meine Damen und Herren: die Kollaboration unter den Leistungserbringern, die regionale Effektivität, die Patientensteuerung des Behandlungspfades, die Minimierung der Kosten und der Aufbau von interoperablen Infrastrukturen. Das sind Ihre Aufgaben, darin sind Sie kompetent und der Kanton schafft dafür den Rahmen. Darum: Das epd ist von grossem öffentlichem Interesse, aber letztlich keine öffentliche Aufgabe. Nach Interessen und Aufgaben jetzt zur Rolle des Kantons Zürich im Kontext von ehealth und beim Aufbau vom epd:
6/7 Der Kanton schafft die organisatorischen und allenfalls rechtlichen Rahmenbedingungen, ermöglicht und unterstützt den Aufbau der notwendigen zentralen technischen Infrastruktur und nimmt die Vertretung der Interessen der Bevölkerung wahr. Konkret bedeutet das, dass die Gesundheitsdirektion die Initiative zur Koordination und Vernetzung der Leistungserbringer ergriffen hat. Kanton und Leistungserbringer haben den Verein «Zurich Affinity Domain» (ZAD) gegründet. Dass dabei alle kantonalen Leistungserbringerverbände mit im Boot sind, freut mich ausserordentlich dafür danke ich Ihnen, meine Damen und Herren. Dies wird vor allem für den Nutzen des epd, für den Nutzen der Daten für Ihre tägliche Arbeit, von zentraler Bedeutung sein. Der bisherige Einsatz der Gesundheitsdirektion im Verein ZAD wirkt in dieser «Sturm und Drang»-Phase, bis das epd umgesetzt ist, vertrauensbildend: einerseits gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, andererseits gegenüber den Leistungserbringern im Gesundheitswesen, aber auch gegenüber dem technischen Partner und den Finanzierern. Vertrauensbildung für ein Vorhaben mit grossem Gemeinnutzen und Handeln für ein aktuelles öffentliches Interesse heisst, das epd nutzbringend, also so schnell wie möglich und flächendeckend, einzuführen. Darum bin ich von unserem Modell der Anschubfinanzierung überzeugt. Und ich werde mich auch weiterhin dafür einsetzen. Denn vom epd profitieren letztlich rund 3500 Leistungserbringer mit ihren Patientinnen und Patienten. Wir rechnen damit, dass das epd im Kanton Zürich oder besser gesagt: die Stammgemeinschaft Zürich Hunderttausende Patientendossiers verwalten wird. Kanton und Leistungserbringer arbeiten an einem innovativen Geschäftsmodell, das nach der finanziellen Initialspritze den Betrieb ohne Subventionen sichern soll. Für die technische Umsetzung ist die Swisscom Health AG verantwortlich.
7/7 Meine Damen und Herren, ich glaube an das Potenzial des epd, von ehealth und von Big Data im Gesundheitswesen, wenn wir diese Themen für Schritt und mit Blick auf den effektiven Nutzen für die Akteure im Gesundheitswesen entwickeln, sprich: Wenn wir Daten, ob Big Data oder epd, konsequent für die Analyse, für die Steuerung, für die Diagnostik, für die Therapie und für die Beteiligung der Bevölkerung am Gesundheitssystem nutzen also für die Transparenz, die Effizienz und die Effektivität des Gesundheitswesens einsetzen. Hier setzt ein weiteres innovatives Projekt im Kanton Zürich an: das Projekt HoPP Zürich, «Health of Population Project Zurich». Mit diesem Projekt sprechen wir Zürcherinnen und Zürcher an, die bereit sind, über mindestens zehn Jahre aktiv mit ihren Angaben zu Gesundheit, beruflichem und sozialem Umfeld, Verhalten im Alltag, Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und Bedürfnissen an eine patientenzentrierte Versorgung beizutragen. Um statistisch aussagekräftige Daten für alle Regionen des Kantons zu erhalten, ist das Langzeitprojekt auf rund 20 000 Personen angewiesen. Aus diesen Angaben das ist wohl erstmalig in der Schweiz entsteht ein umfassendes Bild über den Verlauf aktueller und langfristiger Gesundheitsprobleme. Und damit Stichwort Transparenz auch eine anpassungsfähige Planungsgrundlage für den bestmöglichen Einsatz der personellen, finanziellen und strukturellen Ressourcen im Gesundheitssystem. Dafür brauchen wir im «richtigen» thematischen Kontext die «richtig» vernetzten Daten, von den «richtigen» Akteuren «richtig» interpretiert. Dieses «Mehr» an Daten, dieses «Mehr» an Information, dieses «Mehr» an Wissen ist ein Schlüsselfaktor für ein «Mehr» an Transparenz in unserem Gesundheitssystem und damit ein «Mehr» an Effizienz und ein «Mehr» an Effektivität. Die Zürcher Gesundheitstage sind ein wichtiger Anlass, damit Sie und ich auch in Zukunft im «Big Data-Me(e)hr» des Gesundheitswesens Akteur bleiben, damit wir bei diesen temporeichen Themen die Nase vorne behalten. Ich danke Ihnen für Ihr Engagement gestern, heute und morgen.