12. Wahlperiode 09. 12. 98 Antrag der Abg. Heiderose Berroth u. a. FDP/DVP und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Integration von Englisch als Weltsprache in das baden-württembergische Bildungssystem Antrag Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten, 1. ob ihr bekannt ist, inwieweit es Vermittlung von Englisch in öffentlichen baden-württembergischen Kindergärten gibt, ob ihr entsprechende private Initiativen bekannt sind und ob zu diesem Themenbereich wissenschaftliche Untersuchungen existieren, 2. an wie vielen Grundschulen in Baden-Württemberg es Englisch-Unterricht gibt und nach welchen Kriterien dieser durchgeführt wird; 3. welche Auswirkungen auf benötigte Unterrichtsstunden, Lehrerbildung und hierfür notwendige Ressourcen eine generelle Integration von Englisch in den Grundschulunterricht hätte; 4. welche konkreten Überlegungen es im Kultusministerium hierzu gibt und wie z. B. die Verteilung auf die Klassenstufen aussehen könnte bzw. welche Auswirkungen auf die Stundentafel notwendig würden; 5. welche Auswirkungen die Einführung von Englisch als Weltsprache in der Grundschule auf die Bildungspläne und Stundentafeln der weiterführenden Schulen hätte; 6. ob bereits in der Grundschule die Möglichkeit für den Einsatz einfacher Formen von bilingualem Unterricht gesehen wird bzw. ab welcher Klasse auch der weiterführenden Schulen dieses möglich erscheint; Eingegangen: 09. 12. 98 / Ausgegeben: 01. 03. 99 1
7. inwieweit sie bereit ist, z. B. in den beruflichen Gymnasien einen Unterricht in Fach-Englisch (also Wirtschaftsenglisch bzw. technisches Englisch, aber ggf. auch Amerikanisch) einzuführen. 09. 12. 98 Heiderose Berroth, Dr. Freudenberg, Hofer, Kleinmann, Pfister FDP/DVP Begründung Englisch hat sich zur Weltsprache entwickelt, die weithin die Funktion einnimmt, die viele vor etlichen Jahrzehnten dem Esperanto zugedacht hatten, nämlich ein Verständigungsmittel zwischen allen Völkern der Erde zu werden. Die weltweiten Wirtschafts-, Kultur- aber auch politischen Verflechtungen setzen Kenntnisse in der englischen Sprache heute in immer weiteren Bereichen des beruflichen wie des privaten Lebens voraus. Als Beispiel sei hier lediglich das Internet genannt, zu dem die Landesregierung durch das Projekt Schulen ans Netz grundsätzlich allen Schülern Zugangsmöglichkeiten eröffnen will. Es erscheint deshalb angebracht, die Weltsprache Englisch so früh wie möglich auch pädagogisch gezielt in die Lebenswelt von Kindern einzuführen. Hierbei ist auch die Möglichkeit einfacher bilingualer, in den normalen Unterricht integrierter Lösungen (z.b. im Sport, beim Rechnen, in musischen Fächern) zu prüfen. Stellungnahme*) Mit Schreiben vom 29. Januar 1999 Nr. IV/2 6521 12 Engl./4 nimmt das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport im Einvernehmen mit dem Sozialministerium zu dem Antrag wie folgt Stellung: Zu Ziff. 1: Der Landesregierung sind keine Kindergärten bekannt, in denen die englische Sprache gezielt und organisiert vermittelt wird. Vereinzelt bieten entsprechend sachkundige Eltern von Kindergartenkindern oder schulische Lehrkräfte auf ehrenamtlicher Basis in zu diesem Zweck nachmittags zusammengefassten Kindergartengruppen Kindern spielerisches Erlernen einfacher englischer Grundwörter an. Auch wissenschaftliche Untersuchungen über die Möglichkeiten des Erwerbs von (Grund-)Kenntnissen der englischen Sprache im Kindergarten sind der Landesregierung nicht bekannt. Zu Ziff. 2: An Grundschulen in Baden-Württemberg gibt es keinen Englischunterricht im herkömmlichen Sinne. Fremdsprachenunterricht ist kein derzeit reguläres Fach im Rahmen der Stundentafel. *) Der Überschreitung der Drei-Wochen-Frist wurde zugestimmt. 2
An ca. 10 % der 2.478 Grundschulen des Landes wird jedoch Englisch vermittelt. Die genaue Zahl lässt sich nicht ermitteln, da es u.a. zeitlich begrenzte, private Initiativen gibt, die statistisch nicht erfasst werden. Die Vermittlung der englischen Sprache erfolgt in der Regel als Arbeitsgemeinschaft, zum Teil auch im Rahmen des Lehrbeauftragtenprogramms. Die hierfür geltenden Kriterien beziehen sich auf Handreichungen, die im Auftrag des Kultusministeriums erarbeitet wurden. Zu Ziff. 3: Die Aufnahme zusätzlicher Unterrichtsstunden in die Stundentafel der Grundschule führt zu einem entsprechenden Lehrerbedarf. Da noch keine Entscheidung über eine Veränderung der Stundentafel gegeben ist, kann auch keine konkrete Bedarfsberechnung vorgelegt werden. Nach dem Stand des Schuljahres 1998/99 erfordert eine zusätzliche Unterrichtsstunde je Klassenstufe an den Grundschulen rd. 200 zusätzliche Lehrerdeputate. So müssten z.b. für je eine zusätzliche Unterrichtsstunde im Fach Englisch in den Klassenstufen 1 bis 4 ca. 800 Lehrerdeputate bereitgestellt werden. In der amtlichen Lehrerfortbildung spielt die Erweiterung der Lehrkompetenz in der Fremdsprache eine große Rolle. Fortbildung Englisch: 1. In der zentralen Fortbildung (in den Akademien für Lehrerfortbildung) werden jährlich für Lehrerinnen und Lehrer, an deren Schulen ein Englischangebot eingerichtet ist, ein Kurs für Lehrerinnen und Lehrer, die in Klasse 3, und ein Kurs für die, die in Klasse 4 unterrichten, angeboten. 2. Außerdem gibt es in den betroffenen Staatlichen Schulämtern bedarfsorientierte regionale Fortbildungsangebote. Künftige Lehrerfortbildung Auf die Einführung des Fremdsprachenlernens in der Grundschule müssen die Lehrkräfte entsprechend vorbereitet werden. Die Fortbildung richtet sich nach der individuellen, gegenwärtigen Fachkompetenz in der Fremdsprachenvermittlung. Da diese zuerst erhoben werden muss, lassen sich derzeit noch keine Aussagen über den Umfang der benötigten Fortbildungsmaßnahmen machen. Lehrerausbildung Die neue GHPO I, die seit August 1998 in Kraft ist, hat auf die zukünftige Einführung von Fremdsprachenunterricht in der Grundschule bereits reagiert insoweit, als Studierende ab dem WS 1998/99 Fremdsprachen auch für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen mit Stufenschwerpunkt Grundschule als Studienfach wählen können. Dies betrifft auch das Fach Englisch. Für die Grundschule muss dabei Deutsch oder Mathematik in Verbindung mit einem anderen Fach dies sind alle anderen Fächer (einschließlich Deutsch und Mathematik), also auch Englisch oder Französisch studiert werden. Derzeit wird an der Entwicklung eines europäisch orientierten Lehramts gearbeitet mit dem Ziel, Lehrerinnen und Lehrer auszubilden, die in einer Fremdsprache als Zielsprache auch bilingual in anderen Fächern unterrichten können. Letzteres ist gerade für den Fremd- oder Zielsprachenunterricht in der Grundschule von Bedeutung, in dem die Fremdsprache weniger als Unterrichtsgegenstand, sondern vielmehr als Medium verstanden werden soll. 3
Nach den derzeit gültigen Prüfungsordnungen oder den neu zu erstellenden Prüfungsordnungen betrifft dies im Bereich der Grund- und Haupt- sowie Realschulen die Sprachen Englisch und Französisch. Zu Ziff. 4: Die Landesregierung weist dem Fremdsprachenlernen in der Grundschule im Zuge der europäischen Vereinigung und der Globalisierung verschiedenster Lebensbereiche eine hohe Bedeutung zu. Herr Ministerpräsident Teufel hat in seiner Regierungserklärung vom 09.12.1998 hierzu folgendes ausgeführt: Der Schlüssel zur Qualitätssicherung in der Bildungspolitik liegt in den Grundschulen. Darum werden wir an den Grundschulen ab dem Schuljahr 2001/2002 mit dem flächendeckenden Ausbau des Fremdsprachenunterrichts ab der ersten Klasse beginnen. Im Kultusministerium wurde eine Fremdsprachenkonzeption erarbeitet, die derzeit in ihren Details geprüft und diskutiert wird. Dabei spielt auch die Frage der Erhöhung der Stundentafel der Grundschule eine Rolle. Hierzu sind noch Berechnungen erforderlich. Eine diesbezügliche Entscheidung steht noch aus. Es ist jedoch unstrittig, dass das Fremdsprachenlernen in den Klassen eins bis vier der Grundschule nur nach grundschulspezifischen Prinzipien erfolgen kann. Dabei spielt das Alter der Kinder (ca. sechs bis zehn Jahre), woran sich die Didaktik und die Methodik zu orientieren haben, sowie die für die Grundschule charakteristische heterogene Schülerschaft, woraus sich Folgerungen für Leistungsanforderungen, die Ziele und Aufgaben ergeben, eine entscheidende Rolle. In Übereinstimmung mit den Zielvorgaben des Fremdsprachenunterrichts in den übrigen Bundesländern, den Empfehlungen des Schulausschusses der Kultusministerkonferenz und den Gemeinsamkeiten der gängigen Konzeptionen des Fremdsprachenlernens sollen in den Grundschulen Baden-Württembergs folgende Richtlinien gelten: Das Fremdsprachenangebot soll für alle Kinder gleichermaßen gelten. Keine Gruppe von Kindern soll davon ausgeschlossen sein. Fremdsprachenlernen in der Grundschule ist ein Angebot eigener Art und mit eigener Didaktik. Es ist kein vorverlegter Unterricht weiterführender Schulen. Wissenschaftliche Studien in verschiedenen europäischen Ländern belegen, dass durch frühes Fremdsprachenlernen die Basis für den Fremdsprachenunterricht in den weiterführenden Schulen erheblich vergrößert werden kann. Dies betrifft in erster Linie das Hör- und Leseverständnis, die Aussprache sowie die kommunikative Kompetenz allgemein. Genau diese Ziele werden mit dem Fremdsprachenlernen an den Grundschulen Baden-Württembergs angestrebt. Daneben sollen sich die Kinder ein größeres Verständnis für fremde Kulturen im Sinne interkulturellen Lernens aneignen. Zu Ziff. 5: In Abhängigkeit vom Ausmaß des Unterrichts in der Fremdsprache in der Grundschule (Anzahl der Wochenstunden pro Schuljahr) sind Auswirkungen auf den Fremdsprachenunterricht in den weiterführenden Schulen zu erwarten. Eine davon ist dies gilt für alle Schularten, dass im fünften Schuljahr nicht mehr wie bisher mit der Fremdsprache begonnen werden kann, sondern 4
auf den Kenntnissen und Kompetenzen, die von den Kindern in die jeweilige weiterführende Schule mitgebracht werden, aufgebaut werden muss. Dies erfordert Umstellungen auf Seiten des Lehrpersonals hinsichtlich der Inhalte und der Vorgehensweisen. Hauptschule: Für die Hauptschulen wird eine Konzeption entwickelt, welche die Vorkenntnisse der Grundschulkinder aufgreift und die besonderen Lernvoraussetzungen von Hauptschülern und -schülerinnen berücksichtigt. Diese Konzeption soll Teil des Reformkonzepts IMPULSE Hauptschule werden. Realschule: Eine evtl. Einführung von Englisch in der Grundschule verändert die Lernvoraussetzungen der Schüler in Klasse 5 der Realschule und bedingt eine entsprechende Veränderung der Lerninhalte. Beispielsweise könnte der mehrsprachige Sachfachunterricht schon zu einem früheren Zeitpunkt als bisher erfolgen. Gymnasium: Als Konsequenz einer zu entwickelnden verbindlichen Stundentafel für den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule werden auch die entsprechenden Vorgaben für den Englischunterricht an den Gymnasien überarbeitet werden müssen. Ziel muss die Gewährleistung einer reibungslosen Fortführung des Unterrichts in der Fremdsprache sowie die Beibehaltung des gewohnten hohen Niveaus der fremdsprachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums sein. Zu Ziff. 6: Grundschule: Die Möglichkeit, Englisch oder auch andere Fremdsprachen als bilingualen Unterricht an Grundschulen landesweit einzuführen, wird mittelfristig als nicht realisierbar angesehen. Auf längere Sicht, wenn die hierfür benötigten Grund- und Hauptschullehrerinnen und -lehrer mit perfekten Sprachkenntnissen zur Verfügung stehen, ist bilingualer Unterricht auch in der Grundschule vorstellbar. Bereits jetzt unterstützt die Landesregierung Modelle an Grundschulen, an denen die Rahmenbedingungen bilingualen Unterricht zulassen. So gibt es bereits heute bilinguale Züge, die aus bilingualen Kindergärten hervorgegangen sind, an folgenden Schulen: Zähringer-GHS (Deutsch/Französisch) Zähringer Str. 6, 79395 Neuenburg/Rhein, 07631-72206 Michael-Wild-GS (Deutsch/Französisch) Goethestr. 23, 79379 Müllheim, 07631-15861 Falkenhausen-GS (Deutsch/Französisch) Großherzog Friedrich-Str.23, 77694 Kehl, 07851-482534 Weiherhof-GS (Deutsch/Französisch) Schlüsselstr. 5, 79104 Freiburg, 0761-201-7575 Wolfbuschschule GHS, Weilimdorf (Deutsch/Italienisch) Koestlinstr. 76, 70499 Stuttgart, 0711-2164365 5
Hauptschule: Bilingualer Unterricht in der Hauptschule ist nicht vorgesehen. Realschule: Der Sprachenunterricht, und hier im fremdsprachlichen Bereich insbesondere auch der bilinguale Unterricht, stellt eines der fünf gegenwärtigen Innovationsfelder der baden-württembergischen Realschule auf dem Weg zum nachhaltigen Lernen dar. Seit der Einführung des derzeitigen Bildungsplanes 1994, in dem erstmals das streckenweise bilinguale Unterrichten ermöglicht wurde, hat sich die Zahl der Realschulen, die fremdsprachlichen Sachfachunterricht erteilen, jährlich etwa verdoppelt. Eine Umfrage zum gegenwärtigen Stand an Realschulen in Baden-Württemberg ergab, dass im Schuljahr 1997/98 etwa 20 % der Realschulen mehrsprachigen Unterricht erteilten, und zwar 77 Realschulen Sachfachunterricht in Englisch und 6 Realschulen Sachfachunterricht in Französisch. Die am mehrsprachigen Unterricht vorwiegend beteiligten Unterrichtsfächer sind Erdkunde und Geschichte, die in der Umfrage am häufigsten benannten Klassenstufen die 7., 8. und 9. Klasse. Die Klassenstufe 5 wurde nicht genannt, die Klassenstufe 6 vereinzelt als vorbereitender Unterricht. Dem bilingualen Unterricht wird im Bereich der Realschule Baden-Württembergs ein hoher Stellenwert beigemessen. Die Zahl der mehrsprachig unterrichteten Klassen und insbesondere auch der Anteil des bilingualen Unterrichts an der gesamten Unterrichtszeit sollen weiter erhöht werden. Gymnasium: Die gegenwärtig bestehenden Angebote der deutsch-englischen bilingualen Abteilungen können auch nach Einführung eines verpflichtenden Grundschulfremdsprachenunterrichts aufrecht erhalten werden. Sie beginnen mit verstärktem Englischunterricht in den Klassen 5 und 6, integrieren in den Klassen 7 11 wechselweise die Fächer Erdkunde, Geschichte und Biologie und werden in den Klassenstufen 12 und 13 mit einem englischsprachigen Seminarkurs fortgesetzt. Zu Ziff. 7: Im Zusammenhang mit der aktuellen qualitativen Weiterentwicklung des besonderen Profils der beruflichen Gymnasien werden die Lehrpläne in allen Fremdsprachen überarbeitet mit dem Ziel, Themen aus der Berufs- und Arbeitswelt zum Pflichtbestandteil des Fremdsprachenunterrichts an der Oberstufe der beruflichen Gymnasien aller Richtungen zu machen, um auch in diesem Bereich eine breite berufliche Grundqualifikation im Rahmen einer zunehmend europäisierten und globalisierten Wirtschaft zu vermitteln. Darüber hinaus soll in allen Fremdsprachen jeweils ein besonderer Schwerpunkt dadurch gesetzt werden, dass zusätzlich in die Wissenschaftssprache der jeweiligen Richtung des beruflichen Gymnasiums eingeführt wird mit der Absicht, die Absolventinnen und Absolventen der beruflichen Gymnasien auf das verständige Lesen entsprechender fremdsprachlicher fachwissenschaftlicher Texte im Studium wie auch im Beruf vorzubereiten. 6
Dies trifft angesichts der Bedeutung dieser Fremdsprache als weltweite Wissenschafts-, Handels- und Verkehrssprache insbesondere auf Englisch zu. Der Lehrplan im Fach Englisch soll ab dem Schuljahr 1999/2000 folgende Inhalte jeweils richtungsbezogen verbindlich vorschreiben: Wirtschaftsenglisch am Wirtschaftsgymnasium Technisches Englisch am technischen Gymnasium Ernährungswissenschaftliches Englisch am ernährungswissenschaftlichen Gymnasium Agrarwissenschaftliches Englisch am agrarwissenschaftlichen Gymnasium Sozialpädagogisches Englisch am sozialpädagogischen Gymnasium. Unterrichtssprache ist britisches oder amerikanisches Englisch. Dr. Annette Schavan Ministerin für Kultus, Jugend und Sport 7