Rechtsanwälte und Notar Dr. Niemann & Kollegen 37073 Göttingen Waageplatz 2 Telefon: (0551) 48 59 28 Telefax: (0551) 4 51 99 Homepage: www.niemann-rechtsanwaelte.de E-Mail: niemann-rechtsanwaelte@t-online.de Dr. Helmuth Niemann Ulrich Amthauer Fachanwalt für Familienrecht u. Notar Dr. Franc Pfahl Christian-Karsten Rohde Carsten Paulini Rechtsanwalt ---------------------------------------- Bei allen Schreiben und Zahlungen angeben Newsletter August 2010 In Kooperation mit: Steuerberater Dr. Jens Beissel 37073 Göttingen, Waageplatz 2 Sehr geehrte Damen und Herren, wir freuen uns, Ihnen unseren Newsletter für August dieses Jahres zusenden zu können. In diesem Newsletter haben wir wieder für Sie aktuellste arbeitsgerichtliche Rechtsprechung aufgearbeitet und hoffen, dass wir hiermit Ihr Interesse wecken können. 1. Fall Emmely, Unterschlagung zweier Leergutbons in Höhe 1,30 Euro, BAG vom 10.06.2010, 2 AZR 5341/09 Kaum eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist in der Vergangenheit mit einer derart großen Spannung erwartet worden, wie die Entscheidung über eine fristlose Kündigung einer Kassiererin der Kaiser s Tengelmann GmbH. Das Landesarbeitsgericht hatte die Kündigung noch für wirksam gehalten. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Kassiererin zwei Leergutbons einlöste, die im Laden gefunden wurden und die sie an der Kasse aufbewahren sollte für den Fall, dass sich der Kunde noch melden sollte. Das Bundesarbeitsgericht erklärte die fristlose Kündigung für unwirksam. Das BAG meinte, dass das Vertrauen durch eine einmalige Pflichtverletzung nach einer Betriebszugehörigkeit von 31 Jahren nicht vollkommen zerstöre. Die Schädigung sei relativ niedrig gewesen, so dass insgesamt im Rahmen der Interessenabwägung die Kündigung nicht als letztes Mittel zu bewerten sei. Bankverbindungen: Postbank Hannover 284 54-302 (BLZ 250 100 30) Sparkasse Göttingen 503 888 (BLZ 260 500 01) USt.-IdNr. DE 115322576
Dr. Niemann & Kollegen 2 Im Rahmen der Prüfung einer Kündigung ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Auch bei einem Vermögensdelikt kann eine daraufhin ausgesprochene Kündigung rechtswidrig sein, wenn das Arbeitsverhältnis lange und beanstandungsfrei besteht und deswegen durch die Tat das Vertrauensverhältnis nicht völlig zerstört wurde. 2. Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit, Beschlüsse des BAG vom 23.06.2010 10 AS 2/10, 10 AS 3/10, vom 27.01.2010 4 AZR 537/08 (A), 4 AZR 549/08 (A) Jahrzehnte vertrat das Bundesarbeitsgericht die Rechtsauffassung, dass für einen Betrieb nur ein tarifliches Regelwerk Anwendung finden könne. Dies sollte ausschließen, dass ein Arbeitgeber mit verschiedenen Gewerkschaften in Verhandlungen treten und mit Arbeitskampfmaßnahmen verschiedener Gewerkschaften rechnen musste. In einem Betrieb sollten verschiedene Arbeitnehmer nicht verschiedenen tariflichen Regelwerken unterfallen. Diesen Grundsatz der Tarifeinheit gab das Bundesarbeitsgericht nunmehr auf. Es gebe keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen könnten. Unzulässig sei es lediglich, dass für ein Arbeitsverhältnis mehrere Regelwerke gelten dürften. Im Ergebnis bedeutet diese Entscheidung, dass auch kleinere Gewerkschaften wie z. B. diejenigen der Lokführer, Flugbegleiter oder Ärzte sowie Piloten, die Möglichkeit haben, eigene Tarifverträge abzuschließen und gegebenenfalls Arbeitskampfmaßnahmen durchzuführen. Es gibt keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen können. 3. Notarielles Schuldanerkenntnis bei zuvor eingeräumten Unterschlagung am Arbeitsplatz, BAG vom 22.07.2010, - 8 AZR 144/09 Ein Einzelhandelskaufmann arbeitete als Verkäufer in einem Getränkemarkt. Durch Inventuren traten erhebliche Fehlbestände am Leergut auf. Der Arbeitgeber nahm Langzeitauswertungen vor und installierte eine für den Arbeitnehmer nicht erkennbare Videokamera über seinem Arbeitsplatz an der Getränkemarktkasse. Nach Auffassung des Arbeitgebers ergab die Auswertung Unterschlagungen in Höhe von 1.120 Euro binnen dreier Arbeitstage. Die Kassenauswertung ergab für zwei Monate einen Schaden von über 10.000 Euro. Im Beisein des Betriebsratsvorsitzenden konfrontierte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer hiermit. Der Arbeitnehmer gab zu, seit vier Jahren regelmäßig Geld genommen und dies mit fingierten Pfandbonzetteln verdeckt zu haben. Der Arbeitnehmer bestätigte handschriftlich, innerhalb von vier Jahren einen Gesamtschaden von wenigstens 110.000 Euro verursacht zu haben. Arbeitgeber und Arbeitnehmer fuhren zu einem Notar in eine benachbarte Großstadt. Dort unterzeichnete der Arbeitnehmer ein vom Notar vorformuliertes Schuldanerkenntnis wegen der von ihm begangenen vorsätzlichen unerlaubten Handlung und
Dr. Niemann & Kollegen 3 unterwarf sich der sofortigen Zwangsvollstreckung. Der Arbeitnehmer erklärte einige Zeit später die Anfechtung und verlangte vor dem Gericht die Herausgabe der notariellen Urkunde. Die Klage blieb erfolglos. Mit der Unterzeichnung des Anerkenntnisses habe der Arbeitnehmer den Einwand aufgegeben, sich gegen Art und Weise der Überführung zu wehren. Die Urkunde sei auch nicht sittenwidrig, da der Betrag nach dem vorausgegangenen Geständnis des Arbeitnehmers noch vorsichtig kalkuliert sei. Der Arbeitgeber habe auch nicht die Geschäftsunerfahrenheit des Klägers ausgenutzt. Eine Drohung mit einer Strafanzeige erscheine angesichts des vom Arbeitnehmer selbst eingeräumten Sachverhaltes auch nicht als unverhältnismäßig. Grundsätzlich kann ein unterzeichnetes notarielles Schuldanerkenntnis nicht erfolgreich mit Argumenten angegriffen werden, die vor Unterschrift gegen die Forderung des Gegners hätten erhoben werden können. 4. Auskunftsanspruch eines abgelehnten Stellenbewerbers, Beschluss des BAG vom 20.05.2010, 8 AZR 287/08 (A) Das Bundesarbeitsgericht hat dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Gebietet es das Gemeinschaftsrecht einem Bewerber, der darlegt, dass er die Voraussetzungen für eine von einem Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle erfülle, dessen Bewerbung jedoch nicht berücksichtigt wurde, gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf Auskunft einzuräumen, ob dieser einen anderen Bewerber eingestellt habe und wenn ja, aufgrund welcher Kriterien diese Einstellung erfolgt sei? Hintergrund dieser Vorlage war, dass sich eine in Russland geborene Frau um eine Stelle als Software-Entwicklerin erfolglos beworben hatte. Das Unternehmen gab ihr keinerlei Auskunft, welche Kriterien für die Entscheidung maßgeblich waren. Die Bewerberin befürchtete, dass die Bewerbung möglicherweise lediglich wegen ihres Geschlechts, ihres Alters oder ihrer Herkunft abgelehnt worden sei und damit ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ( Antidiskriminierungsgesetz ) verstoße. Das Bundesarbeitsgericht sah nach deutschem Recht keinen Anspruch einer Bewerberin auf Auskunft. Sie müsse Indizien darlegen, welche eine Benachteiligung nach dem AGG vermuten lasse. Erst nach der Darlegung solcher Indizien müsse der Arbeitgeber darlegen, dass keine Benachteiligung vorgelegen habe. Ob diese Auslegung des deutschen Rechts den einschlägigen Antidiskriminierungsrichtlinien des Gemeinschaftsrecht entspricht, konnte das Bundesarbeitsgericht nicht selbst entscheiden. Der europäische Gerichtshof wird darüber entscheiden, ob es das Gemeinschaftsrecht gebietet, dass eine abgelehnte Bewerberin Auskunft über den eingestellten Bewerber und die Auswahlkriterien erhält.
Dr. Niemann & Kollegen 4 5. Ergänzende Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel auf den BAT, Urteil des BAG vom 19.05.2010, 4 AZR 796/08 Relativ häufig verweisen Arbeitsverträge auf Tarifverträge, die an sich nur für Mitglieder von Gewerkschaften gelten. In dem zu entscheidenden Fall verwies ein Arbeitsvertrag auf den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) in der jeweils gültigen Fassung. Nach Ablösung des BAT durch die Tarifverträge für den Öffentlichen Dienst stellte sich die Frage, ob auch diese Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden oder ob der frühere BAT unverändert ( statisch ) weiter gilt. Das BAG entschied, dass zunächst mangels Verweisung nicht die dem BAT nachfolgenden Tarifverträge für das Arbeitsverhältnis gelten. Eine durch den Wegfall der Dynamik entstehende Regelungslücke könne aber im Wege ergänzender Vertragsauslegung dahin geschlossen werden, dass an die Stelle des BAT getretene Tarifregelungen in Bezug genommen seien. Bei verschiedenen Nachfolgeregelungen sei dies im Zweifel diejenige, die typischerweise gelten würde, wenn die ausgeübten Tätigkeiten innerhalb des Öffentlichen Dienstes erbracht würden. Zur Begründung führte das BAG an, dass die Bezugnahmeregelung den Willen der Parteien zum Ausdruck bringe, sich dynamisch an der Tarifentwicklung des Öffentlichen Dienstes auszurichten. Da der BAT mit Inkrafttreten u. a. des TV-L seine Dynamik verloren habe, sei die vertragliche Bezugnahmeregelung lückenhaft geworden. Die statische Weitergeltung des BAT mit dem tariflichen Normbestand aus dem Jahr 2003 entspräche nicht den Interessen der Arbeitsvertragsparteien, so dass die Bezugnahmeklausel im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dahin zu ergänzen sei, dass auch die nachfolgenden Tarifregelungen vom mutmaßlichen Willen der Arbeitsvertragsparteien mit umfasst seien. Eine dynamische Bezugnahmeklausel auf den BAT bringt regelmäßig den Willen der Arbeitsvertragsparteien zum Ausdruck, sich auch an den dem BAT nachfolgenden Tarifvertragsnormen zu orientieren. 6. Fehlende Tariffähigkeit der Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste, BAG 1 ABR 101/09 In dem Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht ging es um die Frage der Tariffähigkeit der neu gegründeten Gewerkschaft Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste. Die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Köln hatte mit Beschluss vom 20.05.2009 entschieden, dass es sich um keine tariffähige Gewerkschaft handele. Die abgeschlossenen Tarifverträge zur Regelung von Mindestarbeitsbedingungen für mehr Wertbriefdienstleistungen mit dem Arbeitgeberverband NBZ und des Tarifvertrags Mindestlohn mit dem Bundesverband der Kurier-, Express- und Postdienste e.v. seien unwirksam. Die Tarifverträge der GNBZ unterschritten den von ver.di mit der Arbeitgebervereinigung für den Konzern der Deutschen Post ausgehandelten Mindestlohn von 9,80 Euro um 2,30 Euro. Der Vorstand der GNBZ bestehe vorwiegend aus dem Leitungspersonal von Unternehmen der privaten Zustellbranche. Die Arbeitgeberseite übernahm in erheblichem Umfang die Mitgliederwerbung und unterstützte die GNBZ mit finanziellen Zuwendungen. Das Gericht war der Auffassung, dass der
Dr. Niemann & Kollegen 5 Gewerkschaft die nötige Durchsetzungsfähigkeit fehle und die von ihr geschlossenen Tarifverträge Gefälligkeitstarifverträge seien. Die eingelegte Rechtsbeschwerde wurde zurückgenommen, so dass das BAG über die Entscheidung des LAG Köln nicht entscheiden konnte. Die Entscheidung des LAG ist damit rechtskräftig. Die Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste (GNBZ) ist nicht tariffähig. 7. Wirksamkeit einer Haushaltsbefristung, BAG vom 17.03.2010, 7 AZR 843/08 Die Befristung eines Arbeitsvertrages erfordert grundsätzlich einen sachlichen Grund. 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG nennt als möglichen Befristungsgrund auch die Vergütung aus Haushaltsmitteln, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt seien. Das BAG stellte nun Anforderungen an diesen Befristungsgrund auf. Im Haushaltsplan müssten die Mittel mit einer nachvollziehbaren Zwecksetzung für eine Aufgabe von vorübergehender Dauer ausgewiesen sein. Die Zwecksetzung müsse schon aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts so bestimmt sein, dass sie eine Kontrolle ermögliche, ob die befristete Beschäftigung der Deckung eines vorübergehenden Bedarfs diene. Vor diesem Hintergrund erklärte das BAG eine Befristung einer Arbeitnehmerin bei der Bundesagentur für Arbeit für unwirksam, nach der im Haushaltsplan für das Jahr 2007 vorgesehen sei, dass die Mittel für Aufgaben nach dem SGB II für die Dauer von drei Jahren vorgesehen seien. Die Befristung eines Arbeitsverhältnisses ist sachlich gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind. Im Haushaltsplan sind die Mittel mit einer nachvollziehbaren Zwecksetzung für eine Aufgabe von vorübergehender Dauer auszuweisen, um eine Kontrolle zu ermöglichen, ob die befristete Beschäftigung der Deckung eines vorübergehenden Bedarfs dienen. Wir hoffen, dass wir wieder für Sie praktisch relevante Fälle verständlich aufbereiten konnten. Sofern Sie die weiteren Newsletter nicht mehr wünschen, bitten wir um eine kurze Mitteilung. In diesem Fall werden wir Sie selbstverständlich aus unserem E-Mail-Verteiler löschen. Mit freundlichen Grüßen Dr. Niemann & Kollegen