Germanistik Wilma Ruth Albrecht "Der Fall Glasenap" - Antifaschistische Literatur am Beispiel von Stefan Heyms Roman "Aus dem Exil" (1942) Unterrichtsentwurf
Dr. W. Ruth Albrecht DER FALL GLASENAPP ANTIFASCHISTISCHE LITERATUR AM BEISPIEL VON STEFAN HEYMS ROMAN AUS DEM EXIL (1942) Ein Kursthema für den Oberstufenunterricht (SEK II) Erprobt und durchgeführt in einem Leistungskurs 11 (II)/1994 Was folgt ist die 1994 an einer Gesamtschule im Rheinland durchgeführte Unterrichtseinheit im Deutsch/Literaturunterricht entsprechend des damals von der Fachleiterin erarbeiteten und von der Schulabteilung der Kölner Bezirksregierung genehmigten schulbezogenen Curriculums Deutsch Oberstufe/Sek. II der Schuljahre 1993/94 bis 1995/96 (unveröff. Ms., 5 Seiten). Die für diesen Beitrag erarbeiteten und benützten Unterrichtsmaterialien - meistens jeweils in Form eines Arbeitsblatts - sind am Schluß dieses Beitrags (7.) wohl aufgelistet, aber hier bewußt nicht veröffentlicht: Auch dieser, in der GRIN-Community erstveröffentlichte, Text sollte nicht dokumentarisch überfrachtet und/oder überlang werden... Der Beitrag steht in erkennbarem Zusammenhang mit zwei weiteren sprach- und literaturgeschichtlichen Arbeiten der Autorin: Der Unterrichtseinheit zu Theodor Fontanes Roman Zwischen Fiktion und Realität - Effi Briest : http://www.hausarbeiten.de/unicum/hausarbeit/p16/25151.html und ihrem Vortrag Historisch-kritische Hinweise auf Ärgernisse durch Recht und Verwaltung und Deutschland : http://www.wissen24.de/vorschau.38678.htm. - Die Autorin, Dr.rer.soc. W. Ruth Albrecht, ist Sprach- und Sozialwissenschaftlerin mit den Arbeitsschwerpunkten: Literatur-, Sprach-, Politik-, Bau- und Planungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und war beruflich als Wissenschaftlerin, Lehrerin und Stadt- und Regionalplanerin tätig; mailto/e-post bitte an: dr.w.ruth.albrecht@web.de. 1
Gliederung 1. Begründung des Rahmenthemas 2. Fachwissenschaftliche Orientierung 3. Didaktisch - methodische Überlegungen 4. Ziel der Unterrichtsreihe 5. Anmerkungen 6. Unterrichtssequenzen 7. Material I. Begründung des Rahmenthemas Nachdem Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre antifaschistische und pazifistische Sozialbewegungen deutlich das öffentliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland mitbestimmten und das Anliegen dieser Bewegungen in weiten Teilen der Bevölkerung positiv aufgenommen wurde, zeigt sich heute, da die damals befürchteten Gefahren reale Gestalt angenommen haben - sei es in Form von Brandschätzen auf Häuser und Wohnungen ausländischer Mitbewohner, wohlverpackter antisemitischer Propaganda oder gestiefelter Aufmärsche von Neonazis und Skin-Heads in Straßenräumen und Fußballstadien - eine große und weitgehende Apathie und Hilflosigkeit gegenüber solchen Ausschreitungen. Die Teile der Jugend, die gegen diese Erscheinungen protestieren, fühlen sich intellektuell, moralisch und sozial allein gelassen. Mit dem folgenden Unterrichtsentwurf soll bewusst wertend Stellung bezogen werden, nämlich für einen aufklärerischen, an humanistischen Zielen orientierten Deutschunterricht, der nicht nur auf kognitive Wissensvermittlung abzielt, sondern auch die Gefühlswelt einbezieht, um zu einer abgerundeten sozialen, moralischen und ästhetischen Urteilsbildung zu gelangen. 2
Dafür wurde exemplarisch der antifaschistische Roman von Stefan Heym Der Fall Glasenapp, der 1942 erstmals unter dem Titel Hostages (deutsch: Geiseln ) in den USA erschien, dort zum Bestseller und auch verfilmt wurde, ausgesucht. (1) Der Roman soll im Unterricht ganzheitlich behandelt werden, d.h. er wird unter historischen, biografischen, literaturwissenschaftlich-stilistischen und zeitgenössischrezeptionswirksamen Aspekten untersucht und als Ausgangspunkt für Übungen zur schriftlichen Textinterpretation sowie zu eigener Textproduktion benutzt. 2. Fachwissenschaftliche Orientierung Der Roman, als moderne bürgerliche Epopoe zunächst von Hegel charakterisiert, gilt als das wichtigste Zeugnis der dichterischen Erfahrung und Darstellung des modernen individuellen und kollektiven Selbstbewusstseins (2). Dieses Selbstbewusstsein wird jedoch nicht empirisch analysiert sondern fiktional gestaltet, um eine Sinnhaftigkeit zu vermitteln, die es erlaubt, die Vielfältigkeit der Erscheinungen von Welt zu ordnen. Um dieser Sinnhaftigkeit willen benutzt der Schriftsteller nicht nur Sujet und Figuren sondern auch typische Erzählhaltungen, Raum- und Zeitperspektiven sowie stilistische Mittel, mit denen Erzähler, gegenständliches Material und Leserezeptivität zueinander in Beziehung gebracht und zugleich voneinander distanziert werden (3). Das In - Beziehung-Setzen zeichnet die Architektonik des Romans aus, die der Schriftsteller (zumeist über einen Bauplan) planmäßig entwirft. Die Ausformung der Sinnhaftigkeit im Roman besitzt einen hohen Suggestivgehalt, woraus sich auch das Lesevergnügen nährt. Dieser Suggestivgehalt kann sowohl humanistische und aufklärerische Werte transportieren aber auch ihr Gegenteil. Deshalb ist es nicht willkürlich oder beliebig, welcher Roman als Unterrichtsgegenstand ausgewählt wird. Für die vorliegende Unterrichtseinheit wurde ein Roman ausgewählt, der der antifaschistischen Literatur zuzuordnen ist. Der Begriff antifaschistische Literatur wurde von Lutz Winckler in die Literaturwissenschaft eingeführt, um die Literatur zu kennzeichnen, die durch ihren Humanismus und ihre Moral, durch die Wahl ihrer Sujets, durch das Wachhalten kultureller Traditionen, durch die Vertiefung des Geschichtsbewusstseins, durch die Methode ihrer Gesellschaftskritik zur Bekämpfung und Verhinderung des Faschismus beitragen wollte (4). Der Begriff antifaschistische Literatur wurde bewusst unterlegt, weil er über den der Exilliteratur, der die Gefahr besitzt, den Gegenstand dieser Literatur ins rein Historische zu verweisen, hinausgeht und er es auch erlaubt, eine internationale und gegenwartsbezogene Dimension einzuführen. 3