DONAU-UNIVERSITÄT KREMS Textanalyse Digital Natives, Digital Immigrants von M. Prensky Hansruedi Tremp 05.05.2009 Seminararbeit, welche im Rahmen des Moduls Wissenschaftliches Arbeiten an der Donau-Universität Krems bei Mag.a Edith Blaschitz eingereicht worden ist.
Inhaltsverzeichnis Einleitung... 3 Analyse des Textes... 3 Kernaussagen von Prensky... 3 Stil des Textes... 3 Argumentationslinien von Prensky... 4 Stand des Diskurses... 5 Positive Stimmen... 5 Kritische Stimmen... 5 Fazit... 6 Literaturverzeichnis... 7 Seite 2
Einleitung Ausgangspunkt für diese Arbeit bilden die beiden Beiträge von Marc Prensky: Digital Natives, Digital Immigrants (Prensky, 2001a) und Do They Really Think Differently? (Prensky, 2001b). Die nachfolgende Textanalyse hat zum Ziel, die Aussagekraft, Wissenschaftlichkeit und Anerkennung der Texte von Prensky in der wissenschaftlichen Community zu prüfen. Die primäre Forschungsfrage, welche in den nachfolgenden Zeilen zu beantworten ist, heisst: Sind die aufgestellten Behauptungen von Prensky bezüglich der Unterschiede zwischen so genannten Digital Natives und Digital Immigrants wissenschaftlich haltbar? Analyse des Textes Welche Message hat Prensky in seinen Beiträgen? Wie sachlich argumentiert er dabei? Die nachfolgenden Abschnitte beleuchten diese Fragen. Kernaussagen von Prensky Prensky kontrastiert mit zwei Gruppen: die junge Generation, welche mit digitalen Medien aufwächst und die alte Generation, welche sich den Gebrauch dieser Medien nur noch ungenügend (wie eine Fremdsprache) aneignen kann. Er dramatisiert das Problem aus seiner Sicht mit folgender Aussage: "It s very serious, because the single biggest problem facing education today is that our Digital Immigrant instructors, who speak an outdated language (that of the pre-digital age), are struggling to teach a population that speaks an entirely new language." (Prensky, 2001a, S. 2) Die Lösung und Allheilmittel für das imminente Problem sieht Prensky in Computerspielen: "My own preference for teaching Digital Natives is to invent computer games to do the job, even for the most serious content. After all, it s an idiom with which most of them are totally familiar." (Prensky, 2001a, S. 4) Er reduziert die viel komplexere Realität auf simple und griffige Aussagen mit einer einleuchtenden Lösung. Dabei schreckt er nicht zurück, andere Wissenschaftszweige wie z.b. die Neurobiologie für seine Zwecke zu missbrauchen. Aufgrund seines beruflichen Hintergrundes (Master in Teaching und MBA from Harvard) verfügt er in Neurobiologie über keine Expertise. Er stellt dabei munter Behauptungen über physisch veränderte Gehirne auf, ohne auch nur einen konkreten Beweis zu liefern. Stil des Textes Die Texte weisen einen polemischen, appellartigen Stil auf. Seine Aussagen haben Absolutheitscharakter und lassen für andere Wege wenig Raum. Als Beispiel sei der dringende Appell zitiert: "So if Seite 3
Digital Immigrant educators really want to reach Digital Natives i.e. all their students they will have to change." (Prensky, 2001a, S. 6) Man erhält den Eindruck, dass Prensky bewusst provozieren möchte. Viele Behauptungen fordern den Widerspruch geradezu heraus. Als Beispiel dazu sei die Aussage der herumspringenden, parallel arbeitenden Hypertexthirne genannt: "Children raised with the computer think differently from the rest of us. They develop hypertext minds. They leap around. It s as though their cognitive structures were parallel, not sequential. " (Prensky, 2001b, S. 3) Argumentationslinien von Prensky Im ersten Teil argumentiert Prensky mit einer Reihe von nicht belegten Behauptungen. Der Text weist nicht eine einzige Quellenangabe auf. So werden z.b. durchschnittliche Stunden aufgeführt, welche Schulabgänger fern gesehen oder Video gespielt haben, ohne anzugeben, woher er diese Zahlen hat. Wäre die Angabe von durchschnittlich mehr als 10 000 Std. Videospiele richtig, so würde dies eine tägliche Spieldauer von ca. 2 Std. 1 bedeuten. Als Gegenbeispiel sei auf die Angaben von Thomas und Stammermann zum täglichen durchschnittlichen Zeitbudget der 14 49-Jährigen für Video- und Computerspiele verwiesen: 23 Minuten (Thomas & Stammermann, 2007) Es findet keine Unterscheidung in unterschiedliche Gruppen von Jugendlichen statt. Die Texte hinterlassen den Eindruck einer relativ homogenen Jugend, welche sich alle intensiv den elektronischen Medien hingibt und dabei automatisch virtuos damit umgehen können. Im zweiten Teil nimmt Prensky Anleihen bei diversen Wissenschaftszeigen wie z.b. Neurobiologie und Sozialpsychologie. Interessant ist die Anführung der Neuroplastizität. Aufgrund seiner Ausführungen wird das Gehirn der Jugendlichen aufgrund der Mediennutzung in einer speziellen Art und Weise gebildet. Die ältere Generation (die Immigrants) können dabei nicht mehr voll mithalten. Genau dem widerspricht jedoch Kraft mit Bezugnahme auf die Neuroplastizität wie folgt: " Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr sagt der Volksmund. Fälschlicherweise. Selbst Opa Hans kann es noch lernen, auch wenn es ihm schwerer fällt. Denn das Gehirn bleibt ein Leben lang wandlungsfähig." (Kraft, 2007) Den Argumenten, welche in Bezug auf das US-Militär auf Seite 6 dargelegt werden, kann man nur blind folgen. Die angegebenen Quellenverweise sind nämlich nicht nachprüfbar (Endnoten 32 und 33), da sie auf einen privaten Briefwechsel beruhen. 1 Ausgehend von eine Durchschnittsalter der Studienabgänger von 22 und ca. 14 Jahre (d.h. von 8 bis 22) in welchen Computerspiele überhaupt ein Thema sind. Seite 4
Stand des Diskurses Aufgrund von einzelnen Beiträgen erfolgt ein Versuch einer Skizzierung des aktuellen wissenschaftlichen Diskurses rund um die Aussagen von Prensky. Positive Stimmen Digital Natives, Digital Immigrants findet ein überraschend positives Echo bei verschiedenen Autoren. Aufenanger z.b. bemerkt, dass die Kinder in der Welt der Computerspiele aufwachsen. Dabei nimmt er auch explizit Bezug auf Prensky und behauptet munter, dass die digitalen Eingeborenen problemlos die notwendigen Kompetenzen erwerben (Aufenanger, 2008). Spierling nimmt die Begriffe von Prensky ebenfalls unkritisch auf. Dadurch besässen die Computer für die nachkommende Generation keine mystische Komponente mehr. Es folgt eine Lobeshymne auf bestimmte Genres von Computerspielen, welche es ermöglichen, "freiwillig gestartete Lernaktivitäten ganz im Sinne des Konstruktivismus es ermöglichen, ohne eine Vermittlung von Wissen aufzudrängen." (Spierling, 2006, S. 247) Es fällt dabei auf, dass die Verweise zu den Aussagen von Prensky kritiklos und undifferenziert übernommen werden. Kritische Stimmen Die provokativen und zumeist nicht bewiesenen Behauptungen haben einige kritische Stimmen veranlasst, die Arbeiten sorgfältig zu analysieren. Im Deutschsprachigen Raum ist die Analyse von Schulmeister eine der gründlichsten Auseinandersetzungen mit dem Thema. Er nimmt auf 9 Seiten konkret Bezug auf die Aussagen von Prensky (Schulmeister, 2008). Insbesondere geht er auf vier Thesen vertieft ein. Singularität oder digitaler Urknall: Die Entwicklung der digitalen Medien ist nicht ein Phänomen der aktuellen Generation, sondern eine Entwicklung, welche nun schon mehr als 50 Jahre anhält. Die Native Speakers einer Digital Language: Die beschwörte Dichotomie von kompetenten Digital Natives und mehr oder weniger inkompetenten Digital Immigrants entbehrt jeglicher Realitätsnähe. Viele Jugendliche weisen im Gegenteil in der ekompetenz 2 grosse Defizite auf. Die Plastizität des Hirns: Das Postulat der veränderten Hirne der Digital Natives entbehrt jeglicher Grundlage. Die Plastizität des Hirns sagt schlussendlich genau das Gegenteil aus, dass nämlich in jedem Alter Lernprozesse gleichartig auf das Hirn einwirken. 2 Unter dem Begriff ekompetenz wird an dieser Stelle der kritische Umgang mit emedien sowie die Beherrschung von Convenience-Software (wie z.b. Office-Suite, E-Mail, Bildbearbeitung etc.) verstanden. Seite 5
Wissen und Lernen, Kultur und Werte: Die Breitseite von Prensky gilt dem heutigen Bildungssystem; er spricht dabei von legacy content und meint es müsse völlig neuen Inhalt und auch Vermittlungsformen generiert werden. Seine Vorschläge sind dabei weit entfernt, neu oder sogar revolutionär zu sein. Viele Inhalte sind vollständig in Ordnung werden auch in Zukunft bleiben. Reformen im Bildungswesen sind aber nicht erst seit der Internet-Welle in Diskussion. Bennett, Maton und Kervin führen in der Konklusion ihrer Digital Natives Debate, dass die ganze Debatte in eine moralische Panik mit extremen Argumenten mündet, welche aber jeglicher empirischer Evidenz entbehrt (Bennett, Maton & Kervin, 2007). Ein interessantes Licht wirft eine Studie von Kennedy u.a. von Studierenden im ersten Jahr auf die wahren Kompetenzen der jungen Generation: "This paper reports on a study conducted in 2006 with more than 2,000 incoming first-year Australian university students. Students were asked about their access to, use of and preferences for an array of established and emerging technologies and technology based tools. The results show that many first year students are highly tech-savvy. However, when one moves beyond entrenched technologies and tools (e.g. computers, mobile phones, email), the patterns of access and use of a range of other technologies show considerable variation." (Kennedy u.a., 2008) Fazit Die Aussagen von Prensky werden in wissenschaftlichen Diskurs kontrovers diskutiert. Die einen sehen darin die Chance, um die junge Generation in neue Welten zu führen während andere wohl zu Recht eine Augenwischerei ausmachen. Die Eingangs gestellte Forschungsfrage hiess: Sind die aufgestellten Behauptungen von Prensky bezüglich der Unterschiede zwischen so genannten Digital Natives und Digital Immigrants wissenschaftlich haltbar? Aufgrund der vorliegenden Textanalyse muss diese Frage mit nein beantwortet werden. Diese Unterschiede bestehen in dieser Form nicht. Die Mehrheit der Jugendlichen nutzt die digitalen Medien als Convencience, ohne über eine ausgeprägte Medienkompetenz zu verfügen. Auf der anderen Seite ist die Mehrheit der Lehrkräfte auch nicht stehen geblieben. Auch sie nutzen Computer und Internet im und für den Unterricht. Viele der Behauptungen von Prensky sind wissenschaftlich nicht haltbar. Er zeichnet ein einseitiges Bild der Jugend und man wird den Verdacht nicht los, dass es ihm im Grunde um eine Werbeschrift für seine Firma geht, um Computerspiele programmieren zu können. Seite 6
Literaturverzeichnis Aufenanger, S. (2008). Homo Ludens - Zum Verhältnis von Spiel und Computerspiel. In Picot, A.; Zahedani, S.; Ziemer, A. (Hrsg.): Spielend die Zukunft gewinnen: Wachstumsmarkt Elektronische Spiele. (Springer-11775 /Dig. Serial]), (S. 13 24). Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag Berlin Heidelberg Bennett, S.; Maton, K.; Kervin, L. (2007). The "digital natives" debate: A critical review of the evidence. [online]. http://www.cheeps.com/karlmaton/pdf/bjet.pdf [Abgefragt am 05.05.2009] Kennedy, G. E., u.a. (2008). First year students' experiences with technology: Are they really digital natives? [online]. http://www.ascilite.org.au/ajet/ajet24/kennedy.html [Abgefragt am 05.05.2009] Kraft, U. (2007). Altern mit Köpfchen. [online]. http://www.mpg.de/bilderberichtedokumente/multimedial/mpforschung/2007/heft01/013_038/in dex.html#top [Abgefragt am 05.05.2009] Prensky, M. (2001a). Part I: Digital Natives, Digital Immigrants: A new way to look at ourselves and our kids. [online]. http://www.marcprensky.com/writing/prensky%20- %20Digital%20Natives,%20Digital%20Immigrants%20-%20Part1.pdf [Abgefragt am 04.05.2009] Prensky, M. (2001b). Part II: Digital Natives, Digital Immigrants: Do They REALLY Think Differently? [online]. http://www.marcprensky.com/writing/prensky%20- %20Digital%20Natives,%20Digital%20Immigrants%20-%20Part2.pdf [Abgefragt am 04.05.2009] Schulmeister, R. (2008). Gibt es eine «Net Generation»? [online]. http://www.zhw.unihamburg.de/uploads/schulmeister-net-generation_v2.pdf [Abgefragt am 04.05.2009] Spierling, U. (2006). Interactive Digital Storytelling als eine Methode der Wissensvermittlung. In Eibl, M.; Reiterer, H. (Hrsg.): Knowledge Media Design: Theorie, Methodik, Praxis, (S. 245 280). München: Oldenbourg Thomas, W.; Stammermann, L. (2007). In-Game Advertising - Werbung in Computerspielen: Strategien und Konzepte. Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden. Seite 7