Alte, kranke Menschen brauchen viele Medikamente - Gefährliche Medikamentenkombinationen J. Donnerer Institut f. Exp. und Klin. Pharmakologie, Medizinische Universität Graz Im Verlauf der Jahre -Krankheiten, Diagnosen, Medikamente viele Arztbesuche, ev. + Klinikaufenthalte, Medikamentenlisten werden länger Es treten unerwünschte Arzneimittelereignisse u.- Wechselwirkungen auf: alterstypische Komplikationen z.b. Schwindel, RR-Regulationsstörungen, Stürze, Verwirrtheit, Miktionsstörungen, Exsikkose Pharmakologisches Re-Set* nicht vergessen! Alle Medikamente bis auf 2-3 wichtige absetzen engmaschige Überwachung. Ev. kann das eine oder andere wirklich notwendige Medikament wieder verordnet werden *Arzneimittelbrief 2011,45:Nr.10 Oft werden zu viele zentral wirksame Medikamente verordnet Die cholinerge-anticholinerge Schleife Mb. Parkinson: Notwendige dopaminerge Medikation und/oder Demenzsymptome: Cholinesterasehemmer/Memantin Wegen Symptomen von Konfusion, geistiger Abwesenheit, depressiver Verstimmung, motorischer Unruhe, Schlaflosigkeit neuropathischer Schmerzen werden zusätzlich verordnet Demenzsymptome werden mit Cholinesterasehemmer behandelt das Anticholinergikum macht die erwünschten Effekte des Cholinesterasehemmers teilweise oder ganz zunichte + Antipsychotika + sedierende Antidepressiva + Schlafmittel + ev. Antiepileptika Jetzt erst recht Müdigkeit und eingeschränkte Lebensweise Durch ihre cholinerge Wirkung können sie die Dranginkontinenz fördern Die Inkontinenz wird mit einem Anticholinergikum behandelt 1
Wechselwirkungen sind immer UNERWÜNSCHTE - Wirkungsverstärkungen - Wirkungsabschwächungen - Nebenwirkungen Faktoren, die Wechselwirkungen begünstigen: - geringe therapeutische Breite der Pharmaka - hohe Dosierungen - Multimorbidität und höheres Lebensalter Interaktionen mit Opioidanalgetika Morphin, Oxycodon, Hydromorphon Interaktionen mit anderen sedierend wirkenden Pharmaka (Alkohol, Benzodiazepine u. analoge Schlafmittel, sedierende Neuroleptika u. trizykl. Antidepressiva) additive ZNS-Hemmung, Benommenheit, Hypotension, psychomotor. Hemmung, Atemdepression, Bewußtlosigkeit Komb. Vermeiden bzw. überwachen gilt auch für Kombination von Benzodiazepine + Alkohol, Alkohol + Sedativa Analgetika Nebenwirkungen bei älteren Patienten Interaktionen bei der Elektrolyt-Balance: Vergleichsstudie zur Sicherheit von Analgetika bei älteren Patienten mit Osteoarthritis/Rheumatoider Arthritis: nsnsaids Coxibe Opioide 4280 Pat. pro Gruppe; mittl. Alter 80 Jahre, mittlere Anzahl an Medikamenten = 8; Beobachtung = 1 Jahr Conclusion: NSAIDs sind sicher; Opioide machen in dieser Altersgruppe überraschend viele Probleme D.H.Solomon et al., 2010; Arch. Intern. Med. 170:1968 ACE-Hemmer/Sartane + kaliumsparende Diuretika (Spironolacton): Gefahr der lebensbedrohlichen Hyperkaliämie (wenn Spironolacton zu hoch dosiert wird, und/oder wenn es bei Patienten mit chronischen Nierenfunktionsstörungen gegeben wird) Wrenger et al. BMJ 2003;327:147 Juurlink et al. N Engl J Med 2004;351:543 2
Interaktionen mit Antikoagulantien - INR Wert - - Blutungsgefahr - - Gastrointestinale Blutungen - Interaktion in Bezug auf erhöhte Blutungskomplikationen Orale Antikoagulantien + NSAR - ASS Clopidogrel + NSAR - ASS Heparin + NSAR Andere Gerinnungshemmer + Thrombozytenaggregationshemmer -jeweils erhöhte Blutungsgefahr gegenüber Monotherapie- Risiko gastrointestinaler Blutungen Cytochrom P450-Interaktionen beim Metabolismus von Lipidsenker, Antihypertensiva, Antidepressiva Daten aus Delaney JA et al. CMAJ 2007;177:347 Graphik G.Janssen - CYP Hemmung - - CYP Induktion - 3
Lipidsenker/Statine Simvastatin, Lovastatin, weniger Atorvastatin + Azol-Antimykotika (Fluconazol u.ä.) + Ciclosporin (Sandimmun) + Makrolid-Antibiotika (Erythromycin) + Grapefruitsaft teilweise starker, 3-10 facher Anstieg des Serumspiegels Kombination vermeiden! CYP 3A4 Hemmung Ausweg: während der Behandlung Statin absetzen oder Pravastatin und Fluvastatin, Rosuvastatin interagieren weniger Antihypertensiva Calciumkanalblocker: Dihydropyridin Nifedipin (Adalat), Felodipin (Plendil) Nisoldipin (Syscor), Lercanidipin (Zanidip) + Azol-Antimykotika (Fluconazol u,ä.) + Erythromycin + Fluoxetin (Fluctine) + Grapefruitsaft CYP 3A4 - Hemmung Metabolismushemmung in Darmwand u. Leber Wirkungsverstärkung 4-10 fach und mehr NW, z.b. Knöchelödeme Ausweg: Dosis reduzieren; weniger Interaktion mit Amlodipin, Nitrendipin Bei Antidepressiva Substanzen mit wenig CYP Interaktionen auswählen Anticholinerges Syndrom SSRI, SNRI, NRI u.ä. Fluvoxamin Fluoxetin Paroxetin Sertralin Citalopram, Escitalopram Trazodon Venlafaxin Mirtazapin Reboxetin CYP Interaktionen Ja Ja, beträchtliche Ja, beträchtliche Ausgelöst durch zwei oder mehrere Medikamente mit anticholinerger (atropinartiger) Wirkung Symptome: Magen/Darm: trockener Mund, Sprechen fällt schwer, Obstipation Auge: Akkomodationschwäche: Nahsehen beeinträchtigt Herz-Kreislauf: Tachykardie ZNS: Schwindel, Exzitation, Verwirrtheit: kognitive Defizite Harnwege: Schwierigkeiten bei Blasenentleerung 4
Substanzen, die ein anticholinerges Syndrom auslösen können Antiparkinsonmittel: Benzatropin, Biperiden, Bornaprin Bronchialtherapeutika: Ipratropium Spasmolytika: Butylscopolamin Medikamente gegen Detrusorschwäche/Reizblase: Tolterodin, Oxybutynin, (Trospiumchlorid, Solifenacin und Darifenacin weisen eine höhere ZNS Sicherheit auf) Antihistaminika: Diphenhydramin Antidepresssiva: Amitryptilin, Doxepin Neuroleptika: Fluphenazin, Clozapin, Olanzapin Serotonin-Syndrom Verursacht durch Überstimulation von Serotoninrezeptoren im ZNS Symptome: ZNS: Unruhe, Gereiztheit, Konfusion, Manie Autonomes Nervensystem: Schwitzen, Durchfall, Fieber, Schüttelfrost Neuromuskulär: Muskelkrämpfe, Zittern, Myoklonus Sternbach Kriterien Substanzen, die ein Serotonin- Syndrom auslösen können Substanzen die QT verlängern (problematisch ist es nur, wenn zwei Substanzen mit dieser Eigenschaft kombiniert werden) MAO-Hemmer, SSRI, Trizykl. Antidepressiva Tramadol Triptane Linezolid (die Kombination SSRI + Tramadol wird sehr häufig verordnet!) Die Symptome eines Serotoninsyndroms zeigen sich meist 8 24 h nach Beginn oder Dosiserhöhung serotoninerger Medikationen Antiarrhythmika Klasse I und III Malariamittel Antipsychotika: Amisulprid, Pimozid, Sertindol Dolasetron, Lithium Makrolid-Antibiotika Gyrasehemmer (Fluorchinolone) Tacrolimus, Tamoxifen, Tolterodin, Tropisetron Trizyklische Antidepressiva 5
QT-Verlängerung und Herzrhythmustörungen Eigentlich sollten durch QT-Verlängerung tachykarde Rhythmusstörungen unterbrochen werden; aber während des langen QT-Intervalls kommt es zu vermehrtem Ca 2+ Einstrom und Instabilität der Repolarisation = proarrhythmischer Effekt Die meisten Medikamente, die die QTc Zeit verlängern, hemmen repolarisierende Kaliumströme; Hypokaliämie = zusätzlicher Riskofaktor QTc Zeit - Oberer Grenzwert für Männer: 450 ms - Oberer Grenzwert für Frauen: 460 ms - Ein Wert >500 ms bzw. eine Verlängerung um 60 ms im Vergleich zu einer Voruntersuchung bedeutet Gefahr für Arrhythmien! Conclusion: Elektronische Interaktionsprogramme sind bei Polypharmazie im Prinzip geeignet, sie geben aber oftmals zu viele, aber auch zu wenig Informationen Vermeidung nicht notwendiger Kombinationen Kontinuierliche Reevaluation der Indikation für jedes Medikament besonders bei älteren Patienten Ausweichen auf alternative Pharmaka ohne Interaktionspotential Dosisreduktion, wenn sich die kombiniert eingesetzten Pharmaka in ihrem Metabolismus hemmen 6