Männliche Angehörigenpflege - Wie Männer ihre Sorgearbeit gestalten und erleben 1 )



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Transkript:

1 (FH Frankfurt) Männliche Angehörigenpflege - Wie Männer ihre Sorgearbeit gestalten und erleben 1 ) Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Männliche Angehörigenpflege: Wie Männer ihre Sorgearbeit gestalten und erleben Folie 1 [privates Foto eines pflegenden Mannes mit kranker Ehefrau] In einer auf ein Drittel gekürzten Fassung meines vorgesehenen Beitrags werde ich in den folgenden 15 Minuten diese 4 unkte ansprechen. 1 Aus Datenschutzgründen können die Inhalte mancher Folien hier nicht gezeigt werden.

2 Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 2 ÜBERBLICK: 1 flegende Männer: Vorliegende Befunde 2 Wie Männer ihre Sorge-Arbeit ausgestalten 3 Wie Männer ihre Sorge-Arbeit erleben 4 Zusammenfassung + Folgerungen Ich komme zum unkt 1 und möchte zunächst einmal die Bedeutung des Themas unterstreichen. Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 34 Männer in der Angehörigenpflege - Warum ist das Thema wichtig? Bewältigung von flegebedürftigkeit = gesellschaftliche Herausforderung Bedeutung der Angehörigenpflege nimmt nicht ab Neuorientierung in den Geschlechterverhältnissen: gleichgewichtige Verteilung von Lasten und Ressourcen in der Familie gelingende Kooperation zwischen ambulanten Fachkräften und männlichen Hauptpflegepersonen besondere Unterstützungsbedarfe pflegender Männer Der männliche Anteil in der Angehörigenpflege wird grundsätzlich unterschätzt. Über ein Drittel, d.h. ca. 35 % der Hauptpflegepersonen in der Angehörigenpflege sind inzwischen Männer. Sowohl raktiker, als auch Wissenschaftler äußern immer wieder ihre Überraschung, wenn sie auf entsprechende Daten stoßen. Dieses Überraschungsmoment zeigt einmal mehr die Wirkkraft des gängigen Geschlechterstereotyps, wonach die flege weiblich konnotiert wird.

3 Doch jener hohe Männeranteil hat auch seine Schattenseite: Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 3 Männliches und weibliches flege-engagement in Abhängigkeit vom Alter (%-Angaben bezogen jeweils auf die Gesamtheit der pflegenden Männer bzw. Frauen) Zit. nach GEK-flegereport 2008. Schwäbisch Gmünd 2008, S. 69 Diese Folie zeigt, daß die Schwerpunkte weiblicher und männlicher Angehörigenpflege in ganz unterschiedlichen Lebensphasen liegen. Von allen pflegenden Frauen sind die meisten im Alter von etwa 50 bis 55 J. engagiert (Elternpflege); von allen pflegenden Männern pflegen die meisten Männer im Alter zwischen 80 und 85 Jahren (artnerinnenpflege). Mit anderen Worten: Männer entwickeln ihre flegeproduktivität vor allem in einer späten Lebensphase. Söhne, die ein Elternteil pflegen, sind dagegen leider (noch) ein Randphänomen. Somit ist es irreführend, den überraschend hohen Männeranteil in der flege bereits als Beleg für eine übergreifende flegebereitschaft aller Männer zu deuten. Es ist erstaunlich, daß es zum Erleben und zur Ausgestaltung der flegerolle keine aktuellen deutschsprachigen Studien gibt. Der Kenntnisstand über die Herausforderungen und Erfahrungen von pflegenden Männern ist gering. Er bietet wenig gesichertes Wissen, wie informelle flegerollen von Männern weiter entwickelt und gefördert werden können (Sowarka u.a. 2004). Diese Feststellung ist nach wie vor aktuell. Eine geschlechtersensible erspektive auf innerfamiliale flegearbeit wird zwar immer wieder angemahnt; trotzdem konzentrieren sich fast alle Studien auf die flegeleistungen von Frauen. Aussagen über Männer werden erst in einem zweiten Schritt und zwar in einer Art Umkehrschluss getroffen und dies leider oft unter Zuhilfenahme herkömmlicher Geschlechterklisches.Weil pflegende Männer bislang fast ausschließlich durch die Brille der Frauen gesehen werden, kommt es zu systematisch verzerrten Sichtweisen so die US-Amerikanerin Betty J. Kramer. Aus der Umfrageforschung liegen uns einige Ergebnisse zum flegeverhalten der Männer vor:

4 Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 4 Männliche Hauptpflegepersonen übernehmen ( ) stärker die Rolle des flege-managements, während bestimmte körperbezogene Hilfeleistungen dann von professionellen Diensten übernommen werden. Schneekloth 2006:408 Danach zeichnet sich männliche flege dadurch aus, daß mehrere Helfer eingebunden sind und daß verstärkt professionelle Hilfen in Anspruch genommen werden. Diese Feststellung führt allerdings oft zu Fehlinterpretationen derart, daß dem pflegenden Mann die Rolle des kühl-distanziert handelnden Managers unterstellt wird. 2. Wie Männer ihre Sorge-Arbeit ausgestalten Ich komme zum zweiten Teil und und damit zu meiner eigenen Studie. Meine MitarbeiterInnen und ich haben ca. 65 umfangreiche biographisch orientierte Gespräche mit pflegenden Männern geführt. Im Mittelpunkt standen dabei die Krankheitsgeschichte der gepflegten erson sowie die Sorgearbeit des pflegenden Mannes. Ins Zentrum der Textanalyse und der Beobachtung rückten wir die Frage, wie Männer die als weiblich geltende flegearbeit ausgestalten und erleben dies vor dem Hintergrund ihrer eigenen Vorstellungen von Männlichkeit. Im folgenden spreche ich von Sorgearbeit : Denn die häusliche flege eines Angehörigen umfasst Sorgearbeit in weitestem Sinne. Klie und Monzer haben das in einem Aufsatz folgendermaßen umschrieben: flege impliziert über pflegerische Verrichtungen hinaus: Lebensbewältigung und Alltagsbesorgung in jeder gesundheitlichen und sozialen Hinsicht und die Bewirtschaftung der dafür nötigen Kräfte, Mittel und Möglichkeiten. Sorgearbeit umfasst zum Beispiel das utzen, das Kochen, das Einkaufen, alles Handwerkliche, notwendige Amtsgänge, die Interessenvertretung, die Organisation von Hilfen, und nicht zuletzt auch Beziehungsarbeit. Soviel vorweg zu den nun folgenden Befunden über pflegende Männer. Meine Damen und Herren, laut amerikanischen Umfragen umschreiben Männer ihre flegetätigkeit als Arbeit oder als managerielle Aufgabe. Offen bleibt dabei die spannende Frage, welche Bedeutung eine solche Selbstdarstellung gegenüber meist weiblichen Interviewerinnen eigentlich hat.

5 Auch unsere Männer umschreiben die eigene Sorgearbeit mit Hilfe von Begrifflichkeiten und Bildern, die ihrer Erwerbsarbeit entlehnt sind. Der springende unkt (unter einer Gender-erspektive) ist nun: 2 ) Spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten ihres beruflichen Lebens, die sie in ihren Umschreibungen akzentuieren, ordnen sie dem Männlichen zu. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten sprechen sie den Frauen, d.h. dem Weiblichen an anderer Stelle mehr oder weniger ab. Solche Kompetenzen aus ihrer vermeintlich männlichen Berufsarbeit prägen im weiteren auch den konkreten Sorgealltag. Dafür drei typische Beispiele Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 51 [ privates Foto ONTIAK] Herr ontiak, Mechaniker und Hobby-ilot, präsentiert mir hier stolz einen ausgedienten gebrochenen Motorkran, den er neu geschweißt und instandgesetzt hat. Mit seiner Hilfe setzt er seine gelähmte Frau vor dem Haus von einem treppengängigen Rollstuhl um in einen Straßenrollstuhl. Er sichert der Frau damit ein großes Stück Lebensqualität. 2 ) Hier liegt der Unterschied unserer interpretativ verfahrenen Analysemethode gegenüber dem Ansatz verschiedener US-Studien: Dort nahmen die Forscher die konstatierte Arbeitsorientierung pflegender Männer selber kurzschlüssig als typisch maskulines Merkmal wahr, d.h. sie selber haben gegendert.

6 Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 51 [ privates Foto ONTIAK] Abends sitzt er dann bei seiner Frau auf dem Bettrand. Er hat seinen Flugsimulator herangerückt und die beiden unternehmen wie in früheren Jahren Rundflüge über Deutschland inklusive schwierige Landeanflüge. Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 50 [ privates Foto KUHNBERG] Herr Kuhnberg. Techniker, schildert mir hier die flege seiner stoma-versorgten Frau als technische Herausforderung (dies ist zumindest die eine Seite seiner Darstellung). Er bastelt neuartige Adapter und Überleitungen, die selbst den Lieferanten verblüffen. Die roblemlösungen seien sogar von den Schwestern einer

7 alliativstation übernommen worden. Und er spricht bezeichnenderweise von Betriebsblindheit, als er eine Kleinigkeit übersieht. Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 52 [ privates Foto KLEINBERG] Herr Kleinberg, Schreiner und Hobby-Musiker, arbeitet ständig an irgendwelchen Holz-Objekten, die seiner schwer kranken Frau das Leben erleichtern. So hat er z.b. ein Spezialbett mit Zubehör gebaut: Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 52 [ privates Foto KLEINBERG] Unter anderem davor auch eine klappbare Massagebank.

8 Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 52 [ privates Foto KLEINBERG] Mit Mundharmonika und Klavier spielt er täglich Volkslieder, in die seine demenzkranke Frau einstimmt. Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 12 Die Sorgearbeit der Männer ist geprägt durch die Betonung von Kompetenzen, die den Männern aus ihrer Erwerbsarbeit vertraut sind und die zugleich von den Männern als typisch männlich apostrophiert werden. Die Männer bringen hier mit großem Ernst, mit Stolz und Selbstbewusstsein ihre beruflich geprägten Lebenserfahrungen ein. Und sie rücken Kompetenzbereiche in den Vordergrund, die sie an anderer Stelle als typisch männlich bezeichnen. Hilfen von außen nehmen sie gezielt und planvoll in Anspruch. Nicht selten kollidiert dieses Expertentum der Männer mit den Standards professioneller flege. In solchem Fällen setzen die Männer ihr Expertentum auch

9 vehement gegen das professionelle flege-fachwissen ein. Zuweilen deutet sich gar eine gewisse Hybris an: Der Mann ist dann überzeugt, der bessere fleger zu sein. An dieser Stelle: Männer haben auch keine Berührungsängste vor eher unangenehmen pflegerischen Handlungen (Vorlagen erneuern, säubern). Dies rücken sie aber nicht ins Zentrum ihrer Darstellung. Meist erwähnen sie dies gar nicht. Ich fasse zusammen: Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 13 Gewinne aus der der Arbeitsorientierung: Gefühl der Kontrolle und Wirkkraft roduzentenstolz und Verantwortungsgefühl Biographische Kontinuität und Distanz zur flege-rolle Unsere pflegenden Männer ziehen aus ihrer Arbeits-Orientierung erhebliche Gewinne: Sie vermittelt ihnen das Gefühl einer größeren Kontrolle über das Geschehen: Sie haben das Heft in der Hand, sie bewirken etwas, sie bürgen für die Qualität der flege manchmal auch gegen flegeprofis! Die Männer verbinden damit die Vorstellung, in verantwortungsvoller Weise für das Wohlergehen der gepflegten erson zuständig zu sein. Sie äußern auf ihre Art eine Art roduzentenstolz: Indem die Männer in Kontinuität zu ihren Berufserfahrungen spezifische Interessen auch nach außen! - aufrechterhalten, vermeiden sie, dass die flegerolle sie auffrisst. 3. Wie Männer ihre Sorgearbeit erleben Ich wende mich nun dem emotionalen Erleben der pflegenden Männer zu.

10 Die Männer schildern ihre flege als völlig neue Erfahrung: Die flegeübernahme erleben sie als einschneidende Zäsur, als Eintritt in ein neues Leben. Sie sprechen beispielsweise von einer total anderen Welt. Fast alle umschreiben eine ersönlichkeitsentwicklung, die sie als positiv erleben. Die Männer nehmen Veränderungen an sich wahr, dazu im folgenden einige Zitate. Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 52 [ privates Foto]: Es wachsen einem so feine Häärchen Es wachsen einem so feine Häärchen Man wird empfindsamer. Man kriegt so ganz feine Häärchen / kriegt man irgendwie Die Männer sprechen von einer Erweiterung, von der Chance, Dinge zu spüren, die ihnen ansonsten verschlossen gewesen wären. Und schon inhaltlicher: vom Begreifen, was Nähe sein kann von der Bereicherung, wirklich spüren zu können von der Chance zu begreifen, was ich denn die 40 Jahre vorher gemacht hab, dieses sich-immer-durchsetzen-wollen vom Weichwerden und Sich-einfühlen-Können Bezeichnend auch, daß die Männer - einmal ins Erzählen gekommen in ihrem Erzählfluß von ihren Gefühlen geradezu mitgerissen werden. Es kommt mehrheitlich zu jähen Gefühlsausbrüchen (Weinen, Schluchzen), die jedoch ebenso abrupt wieder eingedämmt werden. Ich habe mich während meiner Gespräche sehr oft veranlasst gesehen, zu sagen: Sie dürfen ruhig weinen! Auch in den Erzähltexten wird das Weinen häufig thematisiert:

11 Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 16 ZITAT: Man muß ein bisschen ausjammern tut gut! Letztes mal habe ich den Bruder angerufen. Erstmal hat er geheult am Telefon, dann habe ich geheult. Hab ich gesagt: Sind wir schon beide alte blöde Säcke oder was!? Heulen am Telefon so ist das, ja, man wird da auch irgendwie empfindlicher. # 18/54:43 ZITAT: Man muß ein bisschen ausjammern tut gut! Letztes mal habe ich den Bruder angerufen. Erstmal hat er geheult am Telefon, dann habe ich geheult. Hab ich gesagt: Sind wir schon beide alte blöde Säcke oder was!? Heulen am Telefon so ist das, ja, man wird da auch irgendwie empfindlicher. Bezeichnend und typisch finde ich hier: Der Erzähler thematisiert hier nicht seine Gefühle, sondern er problematisiert seine (vermeintlich unmännlichen) Gefühlsäußerungen. Das eigentliche emotionale Erleben bleibt ihm rätselhaft und dunkel: Man wird irgendwie empfindlicher. Und trotzdem: Auch dieser Mann spürt das Bereichernde im noch Fremden! Diese neue Empfindsamkeit, und dieses merkwürdige Gefühlserleben werden zwar von den Männern einerseits begrüßt; andererseits kriegen sie deren Folgen nicht unter Kontrolle. Ein Beispiel dafür: Ein Mann schildert die neu erworbene Feinfühligkeit einerseits als sein persönliches Wachstum; und trotzdem wertet er sein oftmaliges Weinen während des Interviews als Beleg dafür, daß er sich der Herausforderung der flege noch nicht gewachsen fühlt. Mein Fazit: Die Annahme, Männer in der Angehörigenpflege seien weniger emotional beteiligt, ist Ausdruck eines Klisches 4. Zusammenfassung + Anregungen Ich komme zum letzten unkt. Wenn wir nun beides im Blick behalten: Arbeitsorientierung und Gefühlsarbeit, dann lassen sich drei Schlußfolgerungen ziehen:

12 Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 18 Der geschilderte flegestil verträgt sich mit der Gender- Identität des Mannes, d.h. mit seinem Gefühl, ein richtiger Mann zu sein Die Arbeitsorientierung bietet den pflegenden Männern die nötige Sicherheit, um als Mann emotionale Kompetenzen erweitern und Grenzen überschreiten zu können (Verstoß gegen soziale Gefühlsregeln) Das Zusammenspiel von Management -Arbeit und (bislang vernachlässigter?) Gefühlsarbeit erlaubt Erfahrungen von Bereicherung und Belohnung; flege bedeutet somit nicht nur Belastung und Leid (1) Ein arbeitsorientierter flegestil verträgt sich mit der Gender-Identität des Mannes, d.h. mit seinem Gefühl, ein richtiger Mann zu sein (2) Die Arbeitsorientierung bietet den pflegenden Männern somit die nötige sichere Grundlage, um als Mann emotionale Kompetenzen erweitern zu können (vgl. Gefühlsregeln ). (3) Das Zusammenspiel von Management -Arbeit und Gefühlsarbeit erlaubt Erfahrungen von Bereicherung und Belohnung. flege bedeutet somit nicht nur Belastung und Leid. Die Männer bewegen sich auf diese Weise in einem Spannungsfeld zwischen beibehaltener sog. männlicher Arbeitsorientierung und einem emotionalen Erleben, das sie hier noch ganz konventionell - dem Weiblichen zuordnen. Nach meinen Ausführungen dürfte es klar sein, dass insbesondere der Aufarbeitung ihres emotionalen Erlebens mehr Raum gegeben werden muß.

13 Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 19 Empfehlungen: die Bearbeitung emotionaler Reaktionen ermöglichen soziale Netzwerke fördern gleichgeschlechtliche Kontakte bringen den meisten Nutzen Damit sind insbesondere soziale Netzwerke für pflegende Männer von Bedeutung. Und es es sind vor allem die Kontakte zu anderen Männern, aus denen eine wesentliche Entlastung resultiert und die den meisten Nutzen bringen. Folgende Fragen müssen wir uns stellen: Welche Möglichkeiten haben pflegende Männer, ihre vielfältigen Gefühle öffentlich in Worte zu fassen - dies in Anbetracht der kulturellen Kodierung der Emotionen? Wo gibt es Räume, in denen pflegende Männer sich untereinander austauschen und neue Erfahrungen als Mann machen können? Schließlich: Wie könnte eine geschlechtersensible Netzwerkarbeit für Männer in der Angehörigenpflege ausschauen? Welche betrieblichen Maßnahmen lassen sich aus dem Gesagten ableiten? Unterhalb gesetzlicher Regelungen ist es wichtig, das Thema männliche flege innerbetrieblich offensiver zu kommunizieren, und es in der Unternehmenskultur zu verankern. In aller Regel fehlt es hier an klar kommunizierten Botschaften, die sich speziell auch an die Männer richten. Meiner Beobachtung zufolge sind Offerten für flegezeiten derzeit zumeist feminin eingefärbt. Und wenn es nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben soll, so müssen klare betriebliche Verbindlichkeiten geschaffen werden. Ich erwähne abschließend zwei grundsätzlich mögliche Strategien:

14 Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 20 Strategische Maßnahmen der Organisationsentwicklung zur Unterstützung pflegender Männer I. Von oben nach unten (top down) Zielvereinbarungen auf höchster Ebene Feste Ansprechpartner als Beistand für pflegende Männer II. Von unten nach oben (buttom up) ersonalbüros mit klaren Kompetenzen Multiplikatorenarbeit Netzwerkbildung Ein top down Modell verfolgt im Rhein-Main-Gebiet die Fraport Flughafen Gesellschaft: Grundlage ist hier eine Zielvereinbarung zwischen Vorstand und Geschäftsführung. Es gibt feste Ansprechpartner, die den Mitarbeiter gegenüber seinen jeweiligen Vorgesetzten unterstützen. Die Commerzbank favorisiert ein Modell von unten nach oben : Dort sollen die ersonalbüros die notwendige Beratung und Unterstützung leisten. Das klappt natürlich nur, wenn sie mit klaren Kompetenzen ausgestattet sind. Eine wichtige Aufgabe eines ersonalbüros bestünde darin, einzelne betroffene Männer zusammenzubringen, ihnen ein Forum zu bieten und ihnen somit auch einen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen. Auf diese Weise könnte ein Netzwerk pflegender Männer geknüpft werden, das in den Betrieb hineinwirkt. Meine Damen und Herren, es wird uns in absehbarer Zeit gelingen müssen, zwischen den Geschlechtern eine gleichgewichtige Verteilung der Lasten und Ressourcen in der Familie zu erreichen. In dem Maße, in dem wir dieses Ziel verfehlen, wird die Angehörigenpflege ihre moralische Legitimation einbüßen (vgl. Katharina Gröning).

15 Fachtag Vereinbarkeit von flege und Beruf Wuppertal, 28. März 2011 Folie 52 [ privates Foto] Dankeschön für Ihre Aufmerksamkeit. Korrespondenzadresse: langehennig@t-online.de