Beteiligungsabzug bei Teilveräusserungen

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Transkript:

Beteiligungsabzug bei Teilveräusserungen I Neuregelung des Beteiligungsabzuges A Senkung der Mindestbeteiligungsquoten Im Rahmen der Unternehmenssteuerreform II 1 wurde auch der Anwendungsbereich des Beteiligungsabzuges erweitert. Im Vordergrund des allgemeinen Interesses stand dabei die Senkung der für den Beteiligungsabzug geltenden Mindestbeteiligungsquote von bislang 20 Prozent am Grund- oder Stammkapital (bzw. ein Verkehrswert der Beteiligung von CHF 2 Mio.) auf 10 Prozent (bzw. ein Verkehrswert der Beteiligung von CHF 1 Mio.). Der entsprechend geänderte Art. 69 DBG tritt per 1. Januar 2011 in Kraft 2. Die entsprechende Umsetzungsfrist für die Anpassungen der Kantone an die entsprechend geänderten Art. 28 Abs. 1 StHG sowie Art. 28 Abs. 1 bis StHG läuft ebenfalls am 31. Dezember 2010 ab. Dabei gilt es aber zu berücksichtigen, dass die Umsetzung von Art. 28 Abs 1 bis StHG (Beteiligungsabzug bei Veräusserungen) grundsätzlich fakultativ ist 3. B Erweiterung für Genussscheine Stefan Oesterhelt Rechtsanwalt, LL. M., dipl. Steuerexperte, Homburger AG, Zürich Die Neudefinition der Berechnung des Quotenkriteriums (10%-Mindestbeteiligungsquote) führt sodann zu einer weiteren (weniger bedeutsamen) Erweiterung des Beteiligungsabzuges. Während Art. 69 und 70 DBG in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung das Quotenkriterium über die Beteiligung am «Grund- oder Stammkapital» 4 definierten, sehen Art. 69 und 70 DBG in der ab dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung vor, dass das Quotenkriterium entweder durch eine Beteiligung von 10% am «Grundoder Stammkapital» oder eine Beteiligung von 10% am «Gewinn und an den Reserven» 5 erfüllt werden kann. Durch den neu eingeführten Alternativtest («Beteiligung am Gewinn und an den Reserven») können neu auch Gesellschaften, welche an einer anderen Gesellschaft nur über Genussscheine 6 beteiligt sind, vom Beteiligungsabzug profitieren. Nach dem bisherigen Wortlaut von Art. 69 und 70 DBG berechtigten Genussscheine nicht zum Beteiligungsabzug. Es darf aber nicht ausser Acht gelassen werden, dass praxisgemäss Kapitalgesellschaften, welche zu mindestens CHF 2 Mio. bzw. 20 Prozent am Kapital einer 1 Bundesgesetz vom 23. März 2007 über die Verbes se - rung der steuerlichen Rahmenbedingungen für unter - nehmerische Tätigkeiten und Investitionen (Unternehmenssteuerreformgesetz II; AS 2008, 2893 ff.). 2 Vgl. AS 2008, 2902. 3 Zu den diesbezüglichen Besonderheiten vgl. hierzu unter Kapitel V. 4 Vgl. Art. 69 lit. a DBG. 5 Vgl. Art. 69 lit. b DBG. 6 Mit einem Verkehrswert von CHF 1 Mio. bzw. welche einen Anspruch an Gewinn und Reserven der Gesellschaft von 10 Prozent vermitteln (vgl. hierzu eingehend Duss/Altorfer, in: Zweifel/Athanas (Hrsg.), Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Band I/2a, 2. Auflage, Basel 2008, Art. 69 N 11a). Nr. 12/2010, Seite 910

anderen Gesellschaft beteiligt waren, auch für die Ausschüttungen auf den Genussscheinen der Beteiligungsabzug gewährt wurde 7. C Teilveräusserungen Eine weitere Neuerung stellt sodann die Neufassung des Beteiligungsabzuges bei Teilveräusserungen dar. Der neu formulierte Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG lautet ab dem 1. Januar 2011 wie folgt: Kapitalgewinne werden bei der Berechnung der Ermässigung nur berücksichtigt, a. ( ) b. wenn die veräusserte Beteiligung mindestens 10 Prozent des Grund- oder Stammkapitals einer anderen Gesellschaft betrug oder einen Anspruch auf mindestens 10 Prozent des Gewinns und der Reserven einer anderen Gesellschaft begründete und während mindestens eines Jahres im Besitz der veräussernden Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft war; fällt die Beteiligungsquote infolge Teilveräus serung unter 10 Prozent, so kann die Ermässigung für jeden folgenden Veräusserungsgewinn nur beansprucht werden, wenn die Beteiligungsrechte am Ende des Steuerjahres vor dem Verkauf einen Verkehrswert von mindestens einer Million Franken hatten. Wie unter bisherigem Recht wird der Beteiligungsabzug auf Kapitalgewinnen dagegen nur dann gewährt, wenn das prozentmässige Quotenkriterium so wie die Mindesthaltedauer von einem Jahr erfüllt sind 8. II Kreisschreiben Nr. 27 der ESTV vom 17.12.2009 Die ESTV hat am 17. Dezember 2009 das Kreisschreiben Nr. 27 betreffend Steuerermässigung auf Beteiligungserträgen von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften veröffentlicht 9, welches ab 1. Januar 2011 das Kreisschreiben Nr. 9 vom 9. Juli 1998 10 ersetzen wird. Inhaltsübersicht I Neuregelung des Beteiligungsabzuges A Senkung der Mindestbeteiligungsquoten B Erweiterung für Genussscheine C Teilveräusserung II Kreisschreiben Nr. 27 der ESTV vom 17.12.2009 III Kritische Analyse A Wortlaut von Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG B Botschaft C Voraussetzungen für den Beteiligungs abzug bei Teilveräusserungen IV Übergangsrecht V Gewinnsteuern der Kantone und Gemeinden VI Fazit Zunächst wird in Ziff. 2.3.3 des Kreisschreibens Nr. 27 festgehalten, dass Kapitalgewinne nur dann als Beteiligungsertrag gelten, wenn die veräusserte Beteiligung mindestens 10 Prozent 7 Vgl. Marco Greter, Der Beteiligungsabzug im harmonisierten Gewinnsteuerrecht, Zürich 2000, 117; Agner/Digeronimo/Neuhaus/Steinmann, Kommentar zum DBG, Ergänzungsband, Zürich 2000, Art. 70 N 15; Denis Berdoz, in: Yersin/Noël (Hrsg.), Commentaire romand LIFD, Basel 2008, Art. 69 N 50. 8 Vgl. Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG. Im Gegensatz zum Beteiligungsabzug für Vermögenserträge, der auch für Beteiligungen von weniger als 10 Prozent mit einem Mindestverkehrswert von CHF 1 Mio. gewährt wird (vgl. Art. 69 lit. c DBG) und auch keine Mindesthaltedauer kennt. 9 ESTV-DVS, Kreisschreiben Nr. 27 vom 17. Dezember 2009 betreffend Steuerermässigung auf Beteiligungserträgen von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften. 10 ESTV-DVS, Kreisschreiben Nr. 9 vom 9. Juli 1998 betreffend Auswirkungen des Bundesgesetzes über die Reform der Unternehmensbesteuerung 1997 auf die Steuerermässigung auf Beteiligungserträgen von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften, ASA 67 (1998/1999), 117 ff. Nr. 12/2010, Seite 911

des Grund- oder Stammkapitals einer anderen Gesellschaft betrug oder einen Anspruch auf mindestens 10 Prozent des Gewinns und der Reserven einer anderen Gesellschaft begründete und während mindestens eines Jahres im Besitz der veräussernden Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft war (Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG). Fällt die Beteiligungsquote infolge einer Teilveräusserung unter 10 Prozent, so kann die Ermässigung für jeden folgenden Veräus serungsgewinn beansprucht werden, wenn die Beteiligungsrechte am Ende des Steuerjahres vor dem Verkauf einen Verkehrswert von mindestens einer Million Franken hatten und zuvor eine Beteiligung von mindestens 10 Prozent am Grund- oder Stammkapital oder mindestens 10 Prozent am Gewinn und an den Reserven veräussert worden ist. In Ziffer 2.4.2 des Kreisschreibens Nr. 27 der ESTV wird mit Bezug auf Kapitalgewinne aus Veräusserungen sodann Folgendes ausgeführt: «Die veräusserte Beteiligung muss mindestens 10 Prozent des Grund- oder Stammkapitals der anderen Gesellschaft ausmachen oder einen Anspruch auf mindestens 10 Prozent des Gewinns und der Reserven einer anderen Gesellschaft begründen (Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG). Mehrere Verkäufe im gleichen Geschäftsjahr können dabei zusammengerechnet werden. Die veräusserte Beteiligung muss während mindes tens zwölf Monaten im Besitz der Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft gewesen sein (Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG)» 11. Das Kreisschreiben interpretiert Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG somit wie folgt: Kapitalgewinne aus Teilveräusserungen berechtigen grundsätzlich nur dann zum Beteiligungsabzug, wenn innerhalb eines Geschäftsjahres Anteile von mindestens 10 Prozent veräussert werden; im Gegensatz zum Kreisschreiben Nr. 9 vom 9. Juli 1998 der ESTV ist es aber nicht mehr erforderlich, dass mehrere Veräusserungen innerhalb eines Geschäftsjahres «auf demselben unternehmerischen Entscheid beruhen» müssen, damit sie für die Zwecke des Beteiligungsabzuges zusammengerechnet werden können 12. Erst wenn die Gesamtbeteiligung aufgrund von Teilveräusserungen unter die Schwelle von 10 Prozent fällt, können weitere Teilveräusserungen von Beteiligungsrechten auch dann zum Beteiligungsabzug berechtigen, wenn in einem Geschäftsjahr weniger als 10 Prozent veräussert werden. Dies gilt aber nur dann, wenn kumulativ (i) vorher einmal eine Teilveräusserung von mindestens 10 Prozent gemacht wurde und (ii) die Beteiligungsrechte am Ende des Steuerjahres vor dem Verkauf einen Verkehrswert von mindestens einer Million Franken hatten. III A Kritische Analyse Wortlaut von Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG Der Wortlaut von Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG ist leider wenig klar. In einer streng grammatikalischen Auslegung könnte dieser Absatz so gelesen werden, dass der 2. Halbsatz von Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG (welcher Teilveräusserungen betrifft) nicht etwa den Anwendungsbereich von Art. 70 Abs. 4 lit. b, 1. Halbsatz DBG erweitert, sondern diesen beschränkt, indem für den Fall der Teilveräusserung eine zusätzliche Bedingung eingeführt wird. Eine solche Deutung hätte aber zur Folge, dass Art. 70 Abs. 4 lit. b, 2. Halbsatz DBG von vornherein keinen Anwendungsbereich hätte und somit vollkommen überflüssig und sinnlos wäre. Setzt man nämlich nach wie vor voraus, dass pro Geschäftsjahr Beteiligungsrechte von mindestens 10 Prozent veräussert werden müssen, sind spätestens dann, wenn die Beteiligungsquote unter 10 Prozent gefallen ist, keine weiteren Veräusserungen mehr denkbar, welche nach dieser Lesart Nr. 12/2010, Seite 912

zum Beteiligungsabzug qualifizieren würden. Mithin müsste dieser Fall durch Art. 70 Abs. 4 lit. b, 2. Halbsatz DBG gar nicht geregelt werden. Eine solche Deutung von Art. 70 Abs. 4 lit. b, 2. Halbsatz DBG kann somit klarerweise nicht der Intention des Gesetzgebers entsprochen haben. Vielmehr ergibt sich implizit aus Art. 70 Abs. 4 lit. b, 2. Halbsatz DBG dass künftig der Beteiligungsabzug bei Veräusserungen auch dann gewährt werden soll, wenn Teilveräusserungen von unter 10 Prozent getätigt werden. Nur unter dieser Prämisse macht Art. 70 Abs. 4 lit. b, 2. Halbsatz DBG überhaupt irgendeinen Sinn. Auch das Kreisschreiben Nr. 27 der ESTV geht in Ziffer 2.3.3 von dieser Prämisse aus. Im Kreisschreiben der ESTV wird nun Art. 70 Abs. 4 lit. b, 2. Halbsatz DBG so verstanden, dass Teilveräusserungen von Beteiligungen unterhalb von 10 Prozent erst dann zum Beteiligungsabzug berechtigen sollen, wenn (i) die Beteiligungsquote unter 10 Prozent gefallen ist und (ii) zudem vorher eine Veräusserung von mindestens 10 Prozent getätigt worden ist. Nun trifft es zwar zu, dass (i) Art. 70 Abs. 4 lit. b, 1. Halbsatz DBG den Beteiligungsabzug auf Beteiligungen von mindestens 10 Prozent beschränkt und (ii) Art. 70 Abs. 4 lit. b, 2. Halbsatz DBG nur den Sonderfall betrifft, dass die Beteiligungsquote unter 10 Prozent gefallen ist. Dennoch passt die Auslegung der ESTV nicht vollständig auf den Wortlaut von Art. 70 Abs. 4 11 ESTV-DVS, KS 27 vom 17.12.2009, Ziff. 2.4.2, Lemma zwei und drei. 12 So noch ESTV-DVS, KS 9 vom 9.7.1998, Ziff.2.4.2 lit. b Satz 2. 13 Vgl. BBl 2005, 4733 ff., 4879. 14 Botschaft vom 22. Juni zum Bundesgesetz über die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für unternehmerische Tätigkeiten und Investitionen (Unternehmenssteuerreformgesetz II), BBl 2205, 4733 ff. lit. b, 2. Halbsatz DBG. Hätte der Gesetzgeber das von der ESTV angestrebte Resultat erreichen wollen, so hätte Art. 70 Abs. 4 lit. b, 2. Halbsatz DBG nicht einschränkend, sondern erweiternd z. B. wie folgt formuliert werden müssen: «Fällt die Beteiligungsquote infolge Teilveräusserung unter 10 Prozent, so kann die Ermässigung auch für jeden folgenden Veräusserungsgewinn beansprucht werden, sofern die Beteiligungsrechte am Ende des Steuerjahres vor dem Verkauf einen Verkehrswert von mindestens einer Million Franken hatten.» Aufgrund der vom Gesetzgeber gewählten Formulierung kann die Bestimmung entgegen der Auffassung der ESTV auch so interpretiert werden, dass (i) implizit Teilveräusserungen von Beteiligungen unterhalb 10 Prozent neu vom Beteiligungsabzug profitieren sollen, solange (ii) die Beteiligung die Voraussetzungen von Art. 69 DBG erfüllt (d. h. entweder mindestens 10 Prozent beträgt oder einen Verkehrswert von mindestens einer Million Franken aufweist). Da kein sachlicher Grund ersichtlich ist, wieso Teilveräusserungen schlechter behandelt werden sollen, wenn die veräussernde Aktionärin über eine Beteiligung von mehr als 10 Prozent verfügt, vermag eine solche Auslegung von Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG sachlich mehr zu überzeugen. B Botschaft Da der vom Parlament verabschiedete Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG wortwörtlich mit der vom Bundesrat am 22. Juni 2005 vorgeschlagenen Fassung übereinstimmt 13 und auch im Rahmen der parlamentarischen Debatten nicht weiter thematisiert wurde, kommt der diesbezüglichen Botschaft des Bundesrates 14 erhebliches Gewicht bei der Auslegung zu. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil es sich hier um eine Gesetzesnovelle sehr jungen Datums handelt. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich des Beteiligungsabzuges bei Kapitalgewinnen hält Nr. 12/2010, Seite 913

die Botschaft des Bundesrates unmissverständlich fest, dass weiterhin nur das Quotenkriterium (d. h. Beteiligung von neu 10 Prozent am Kapital oder Gewinn) und nicht das Wertkriterium massgebend sein soll. Auch an der für den Beteiligungsabzug bei Kapitalgewinnen erforderlichen Mindesthaltedauer von einem Jahr soll nichts geändert werden. Mit Bezug auf den Beteiligungsabzug bei Teilveräusserungen hält die Botschaft nun aber fest, dass neu der Grundsatz «Einmal erfüllt, immer erfüllt» gelten soll: Wer einmal die zu erfüllenden objektiven Voraussetzungen zur Erlangung des Beteiligungsabzuges auf Veräusserungen kumulativ erfüllt hat, soll in der Praxis nicht mehr gezwungen werden, jeweils bzw. im gleichen Geschäftsjahr eine Mindestquote von 10 Prozent zu veräussern. Vielmehr soll er nunmehr das Recht haben, für die betreffende Beteiligung auch bei sukzessiven sich über mehr als ein Geschäftsjahr erstreckenden Veräusserungen den Beteiligungsabzug zu beanspruchen, sofern am Ende des dem Verkauf vorangegangenen Steuerjahres das wertmässige Alternativkriterium (Verkaufswert von mindestens einer Million Franken) erfüllt wurde. C Voraussetzungen für den Beteiligungs abzug bei Teilveräusserungen Aufgrund der Botschaft wird klar, dass der Beteiligungsabzug künftig in gewissen Fällen auch dann gewährt werden soll, wenn die innerhalb eines Geschäftsjahres insgesamt veräusserten Anteile das Quotenkriterium von 10 Prozent nicht erfüllen, sofern kumulativ zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Die zur Erfüllung des Beteiligungsabzuges kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen wurden «einmal erfüllt». Am Ende des dem Verkauf vorangegangenen Steuerjahres wurde das wertmässige Alternativkriterium (Verkehrswert von mindestens einer Million Franken) erfüllt. 1 Was heisst «Einmal erfüllt»? Der von der Botschaft statuierte Grundsatz «Einmal erfüllt, immer erfüllt» tönt zwar eingängig und grundsätzlich einleuchtend, ist aber interpretationsbedürftig. Dies deshalb, weil «die zu erfüllenden objektiven Voraussetzungen zur Erlangung des Beteiligungsabzuges auf Veräusserungen», welche eine Kapitalgesellschaft gemäss Botschaft «einmal erfüllt» haben muss, in erster Linie an die veräusserte Beteiligung und nicht an den Veräusserer anknüpfen. Letztlich ergeben sich zwei denkbare Interpretationsmöglichkeiten: Die veräussernde Gesellschaft muss von der betroffenen Beteiligung bereits einmal einen Anteil veräussert haben, welcher zur Erlangung des Beteiligungsabzuges berechtigt hat (d. h. eine Beteiligung von mehr als 10 Prozent effektiv veräussert haben; transaktionsbezogener Test). Die veräussernde Gesellschaft muss einmal zumindest in der Lage gewesen sein, einen Anteil zu veräussern, welcher zur Erlangung des Beteiligungsabzuges berechtigt hätte (statusbezogener, hypothetischer Test). Da sich das Kriterium «Einmal erfüllt, immer erfüllt» im besten Fall implizit aus dem Wortlaut von Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG ableiten lässt, kann dem Gesetzeswortlaut auch nur bedingt eine Antwort auf die Frage entnommen werden, welche der beiden Interpretationsmöglichkeiten den Vorzug verdient. Die Begriffswendung «fällt die Beteiligungsquote infolge Teilveräusserung unter 10 Prozent» deutet aber eher darauf hin, dass ein statusbezogener Test anzuwenden ist. Aufgrund einer teleologischen Auslegung kommt man zum selben Schluss. Ziel der Änderung von Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG war es, einer quali- Nr. 12/2010, Seite 914

fizierten Aktionärin (d. h. einer Gesellschaft mit einer Mindestbeteiligung von 10 Prozent) zu ermöglichen, seine Beteiligungsrechte in kleineren Tranchen über mehrere Jahre verteilt zu veräus sern. Es ist nicht ersichtlich, wieso eine solche Aktionärin dennoch gezwungen sein sollte, im ersten Jahr der Teilveräusserung mindestens 10 Prozent der Anteile zu veräussern. Entscheidend kann somit nur sein, dass eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft eine Mindestbeteiligung von 10 Prozent an der Gesellschaft besitzt oder zumindest einmal besessen hat, um vom Beteiligungsabzug auf Kapitalgewinnen profitieren zu können. Ebenfalls keine Rolle kann es spielen, ob die Teilveräusserungen auf einem gemeinsamen Beschluss basieren oder nicht. 2 Wertmässiges Alternativkriterium vor dem Verkauf Der Beteiligungsabzug bei Veräusserungen unter 10 Prozent soll aber gemäss Botschaft nur dann gewährt werden, wenn am Ende des dem Verkauf vorangegangenen Steuerjahres das wertmässige Alternativkriterium (Verkehrswert von mindestens einer Million Franken) erfüllt wurde. Dieses Kriterium ist somit kumulativ zu erfüllen. Auch hier sind wiederum mehrere Interpretations arten denkbar: Der Verkehrswert der veräusserten Aktien muss am Ende des dem Verkauf vorangegangenen Steuerjahres einen Verkehrswert von mindestens einer Million aufgewiesen haben (transaktionsbezogener Test). Der Verkehrswert der gesamthaften Beteiligung, welche der veräussernde Aktionär an den teilveräusserten Aktien hält, muss am Ende des dem Verkauf vorangegangenen Steuerjahres einen Verkehrswert von mindestens einer Million aufgewiesen haben (statusbezogener Test). Der Botschaft lässt sich leider keine Antwort auf die Frage entnehmen, welche der beiden Interpretationsarten den Vorzug verdient. Hält man sich jedoch den Gesetzeswortlaut von Art. 70 Abs. 4 lit. b, 2. Halbsatz DBG vor Augen, wird klar, dass wiederum der statusbezogene Test (Gesamtbetrachtung) massgebend sein muss. Der Gesetzeswortlaut stellt nämlich klar, dass das wertmässige Alternativkriterium nur dann erfüllt werden muss, wenn die von einer Aktionärin gehaltene Beteiligungsquote infolge einer Teilveräusserung unter 10 Prozent fällt. Mithin ist klar, dass sich das wertmässige Alternativkriterium analog zur Situation beim Beteiligungsabzug auf die gesamte von der veräussernden Aktionärin (vor Teilveräusserung) gehaltene Beteiligung bezieht. Mithin kann der Beteiligungsabzug auf Veräusserungen auch dann angerufen werden, wenn innerhalb eines Geschäftsjahres nur wenige Aktien mit einem Verkehrswert von insgesamt weniger als CHF 1 Mio. veräussert werden, solange die veräussernde Aktionärin am Beginn des jeweiligen Steuerjahres eine Beteiligung von entweder 10 Prozent oder einem Verkehrswert von CHF 1 Mio. gehalten hat. Sobald aber eine Aktionärin am Ende der Steuerperiode an einer Gesellschaft zu weniger als 10 Prozent beteiligt ist und der Verkehrswert dieser Beteiligung zudem CHF 1 Mio. unterschritten hat, wird kein Beteiligungsabzug auf weiteren Veräusserungen mehr gewährt. 3 Haltedauer von einem Jahr Die Gewährung des Beteiligungsabzuges bei Veräusserungen wird nur dann gewährt, wenn die veräusserte Beteiligung «während mindestens eines Jahres im Besitz der veräussernden Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft» war. Werden nun Beteiligungsrechte von weniger als 10 Prozent veräussert, kann es nicht genügen, Nr. 12/2010, Seite 915

dass die konkreten Beteiligungsrechte während mindestens einem Jahr im Besitz der Veräusserin gestanden haben. Vielmehr muss die veräussernde Aktionärin zudem während einem Jahr im Besitz einer Beteiligung von mindestens 10 Prozent an der teilveräusserten Kapitalgesellschaft gewesen sein. IV Übergangsrecht Der geänderte Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG ist nur auf Veräusserungen anwendbar, deren Verfügungsgeschäft nach dem 31. Dezember 2010 stattgefunden hat. Weniger klar ist dagegen, welche übergangsrechtlichen Regeln mit Bezug auf das Kriterium «Einmal erfüllt» anzuwenden sind. Auch hier sind im Wesentlichen zwei Interpretationsmöglichkeiten denkbar: Mit Bezug auf die Frage, ob die objektiven Voraussetzungen zur Gewährung des Beteiligungsabzuges bei Veräusserungen einmal erfüllt waren, ist das jeweils massgebliche Recht anzuwenden. Aktionärinnen, welche am 1.1.2011 eine Beteiligung von weniger als 10 Prozent am Kapital oder Gewinn halten, können somit nur dann vom Beteiligungsabzug auf Veräusserungen profitieren, wenn sie 15 Vgl. hierzu Markus Weidmann, Das intertemporale Steuerrecht in der Rechtsprechung, ASA 76 (2007/2008), 633 ff., 641 ff. 16 Vgl. AS 1998, 669 ff., 677. 17 Art. 72h Abs. 1 StHG. 18 Art. 72h Abs. 2 StHG. 19 Vgl. die Formulierung von Art. 28 Abs. 1 bis StHG: «Die Kantone können die Ermässigung auf Kapitalgewinne aus Beteiligungen ( ) ausdehnen». 20 Vgl. zur analogen Situation beim Dividendenprivileg von qualifizierten Beteiligungen: Stefan Oesterhelt, Verfassungsrechtliche Aspekte des Dividendenprivilegs, ST 2010, 141 ff., 145 ff. 21 Wie z. B. im Kanton Zug. einmal eine Beteiligung von mindestens 20 Prozent am Kapital gehalten haben (keine Rückanknüpfung von Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG). Der Beteiligungsabzug auf Veräusserungen wird immer dann gewährt, wenn die Aktionärin irgendwann in ihrer Geschichte einmal die Beteiligungsquote von 10 Prozent erfüllt hat. Ob diese Beteiligungsquote seinerzeit zum Beteiligungsabzug für Veräusserungen berechtigt hätte, spielt keine Rolle (Rückanknüpfung von Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG). Im Hinblick auf einen beispielsweise im Jahre 2015 erfolgenden Verkauf kann es meines Erachtens keine Rolle spielen, ob die veräussernde Aktionärin am 1.1.2011 eine Mindestbeteiligung von 10 Prozent hatte oder ob sie diese Mindestbeteiligung vor diesem Datum besessen hat. Entscheidend kann bloss sein, ob sie jemals eine entsprechende Beteiligung besessen hat. Dabei handelt es sich auch nicht um eine (u. U. unerlaubte 15 ) Rückwirkung von Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG, sondern bloss um eine zulässige Rückanknüpfung. V Gewinnsteuern der Kantone und Gemeinden Parallel zu der in Art. 69 und 70 DBG vorgenommenen Erweiterung des Anwendungsbereichs des Beteiligungsabzuges wurden auch Art. 28 Abs. 1 erster Satz StHG sowie Art. 28 Abs. 1 bis StHG entsprechend angepasst. Diese Anpassungen traten bereits am 1. Januar 2009 in Kraft 16. Den Kantonen wurde aber eine Übergangsfrist bis zum 1. Januar 2011 eingeräumt, die entsprechenden Anpassungen vorzunehmen 17. Passen die Kantone ihre Gesetze bis zu diesem Datum nicht an die geänderten Bestimmungen im StHG an, finden diese ab dem 1. Januar 2011 direkt Anwendung, wenn ihnen das kantonale Recht widerspricht 18. Gemäss Art. 72h Abs. 2 StHG soll dies aber nur für Art. 28 Abs. 1 erster Nr. 12/2010, Seite 916

Satz StHG (Beteiligungsabzug für Vermögenserträge), nicht aber für Art. 28 Abs. 1 bis StHG (Beteiligungsabzug für Kapitalgewinne) gelten. Der Grund für diese Unterscheidung liegt darin, dass Art. 28 Abs. 1 erster Satz StHG von den Kantonen zwingend umzusetzen ist, während die Gewährung des Beteiligungsabzuges auf Kapitalgewinnen (Art. 28 Abs. 1 bis StHG) fakultativ ist 19. Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich bei der den Kantonen in Art. 28 Abs. 1 bis StHG eingeräumten Wahlmöglichkeit aber lediglich um ein Entschliessungsermessen. Gewährt ein Kanton mithin den Beteiligungsabzug auch für Kapitalgewinne was alle Kantone tun muss dieser Beteiligungsabzug zwingend den in Art. 28 Abs. 1 bis StHG enthaltenen Vorgaben entsprechen. Nur so kann der Gedanke der Steuerharmonisierung vernünftig umgesetzt werden 20. Mithin muss die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Beteiligungsabzuges bei Kapitalgewinnen durch Art. 28 Abs. 1 bis StHG auch dann ab dem 1. Januar 2011 gelten, wenn dies im jeweiligen Kanton noch nicht per 1. Januar 2011 umgesetzt wurde 21. VI Fazit Nach der hier vertretenen Auffassung, welche sich insbesondere an den Gesetzesmaterialien orientiert, ist Art. 70 Abs. 4 lit. b, 2. Halbsatz DBG wie folgt auszulegen: Ab dem 1.1.2011 ist der Beteiligungsabzug bei der Veräusserung von Aktien auch dann zu gewähren, wenn innerhalb eines Jahres weniger als 10 Prozent der Aktien veräussert werden, selbst dann, wenn die innerhalb eines Jahres veräusserten Aktien den Verkehrswert von CHF 1 Mio. nicht erreichen. Der Beteiligungsabzug ist aber nach wie vor nur dann zu gewähren, wenn die veräussernde Aktionärin einmal in ihrer Geschichte das Quotenkriterium von 10 Prozent während mindestens einem Jahr erfüllt hat. Sobald die veräussernde Aktionärin zu weniger als 10 Prozent am Kapital oder Gewinn einer Gesellschaft beteiligt ist, profitieren Teilveräusserungen in künftigen Steuerperioden nur dann vom Beteiligungsabzug, wenn die Gesellschaft zu Beginn der jeweiligen Steuerperiode mindestens das alternative Wertkriterium von CHF 1 Mio. erfüllt. Die ESTV legt Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG demgegenüber enger aus. Gemäss Kreisschreiben Nr. 27 vom 17. Dezember 2009 sollen Teilveräusserungen von Beteiligungen unter 10 Prozent nur dann zum Beteiligungsabzug berechtigen, wenn die Gesamtbeteiligungsquote unter 10 Prozent gefallen ist. Eine solch enge Auslegung widerspricht dem in der Botschaft enthaltenen Grundsatz «Einmal erfüllt, immer erfüllt» und lässt sich auch sachlich nicht rechtfertigen. Sollten die ESTV bzw. die kantonalen Einschätzungsbehörden ihre restriktive Auslegung beibehalten, wird es wohl über kurz oder lang Sache der Rechtsmittelinstanzen sein, für eine verbindliche Auslegung von Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG zu sorgen. Es ist zu bedauern, dass der Gesetzgeber hier nicht eindeutiger legiferiert hat. Selbst wenn man (mit der ESTV) der Auffassung ist, dass der Wortlaut von Art. 70 Abs. 4 lit. b DBG (zumindest solange die Gesamtbeteiligung über 10 Prozent beträgt) nach wie vor gebiete, dass auf die veräusserte und die veräussernde Beteiligung abzustellen sei, gibt es hierfür letztlich keinen sachlichen Grund. Entsprechend sind Steuerbehörden bzw. Gerichte aufgefordert, im Rahmen einer teleologischen Reduktion den (inhaltlich verfehlten) Wortlaut von Art. 70 Abs. 4 lit. b, 1. Halbsatz DBG entsprechend zu korrigieren und damit den inneren Widerspruch zu Art. 70 Abs. 4 lit. b, 2. Halbsatz DBG sowie zur Botschaft aufzulösen. Nr. 12/2010, Seite 917