Faszination und Schrecken der Jugendgewalt Präsentation und Theorie AG Pädagogische Jugendforschung w.breyvogel@uni-essen.de
Sido - Mein Block [...] Du in deinem Einfamilienhaus lachst mich aus? Weil du denkst du hast alles was du brauchst! Doch im MV scheint mir die Sonne auss'm Arsch In meinem Block weiß es jeder wir sind Stars Hier krieg ich alles, ich muss hier nicht mal weg Hier hab ich Drogen, Freunde und Sex Die Bullen können kommen doch jeder weiß bescheid Aber keiner hat was gesehen also könn sie wieder gehen Ok ich muss gestehen hier ist es dreckig wie ne Nutte Doch ich weiß das wird schon wieder mit ein bisschen Spucke Mein schöner weißer Plattenbau wird langsam grau Drauf geschissen ich werd auch alt und grau im MV Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend Meine Straße, mein zu hause, mein Block Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt Reicht vom 1. bis zum 16. Stock Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend Meine Straße, mein zu hause, mein Block Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt Reicht vom 1. bis zum 16. Stock Der Typ auss'm 1. war früher mal Rausschmeißer Seitdem er auss'm Knast ist, ist er unser Hausmeister Er ist oft bei der Nutte aus dem 2. Jetzt verkauft sie Fotos von ihm beim Arschausweiten Der Fetischist aus dem 5. kauft sie gerne Er sagt Rosetten sehen aus wie kleine Sterne Obwohl die von dem Schwulen auss'm 11. immer aussieht Als wenn man den Schwanz gerade frisch rauszieht Und davon sing ich dir ein Lied du kannst es kaufen Wie die Sekte Fans auss'm 9. die immer drauf sind Genauso wie der Junkie auss'm 4. Der zum Frühstück erstmal 10 Bier trinkt Dann geht er hoch in den 7. zum Ticker Er bezahlt für 10 Teile doch statt Grass kriegt er'n Ficker Damals war der Drogenstock noch der 10. Der auss'm 7. ist der, der überlebte Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend Meine Straße, mein zu hause, mein Block Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt Reicht vom 1. bis zum 16. Stock
1. Die mittelalterliche Gesellschaft Norbert Elias beschreibt das Leben der mittelalterlichen Gesellschaft: Raub, Kampf, Jagd auf Menschen und Tiere, das alles gehörte hier unmittelbar zu den Lebensnotwendigkeiten, die dem Aufbau der Gesellschaft entsprechend offen zutage lagen. (Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation, 2. Bde., Frankfurt 1976, S. 266
1. Die mittelalterliche Gesellschaft Mit Bezug auf die Biographie des Minnesängers Betran de Born zitiert er eine Kriegshymne: Man habe nur dann Lust am Leben, am Essen, Trinken, Schlafen, wenn man das Kriegsgetümmel vor Augen hat: Die Toten mit den aufgerissenen Flanken und die todbringenden Lanzen, die wiehernden Pferde, die ihren Herrn verloren haben, die Schreie: Vorwärts und die Hilfeschreie der Unterliegenden. (ebd. S. 266)
1. Die mittelalterliche Gesellschaft Krieg, das ist als Stärkerer über den Feind kommen, seine Weinberge abhauen, seine Bäume ausreißen, sein Land verwüsten, seine Burgen im Sturm nehmen, seine Brunnen verschütten, seine Leute fangen und töten [...] es ist eine besondere Lust, Gefangene zu verstümmeln [...] Man verstümmelte gewöhnlich nur die Ärmeren und Niederstehenden, für die kein beträchtliches Lösegeld zu erwarten war, und verschonte die Ritter, für die man ein Lösegeld zu erhalten hoffte. Aber auch die Chroniken, die unmittelbaren Dokumente des gesellschaftlichen Lebens sind voll von ähnlichen Zügen: Er verbringt sein Leben damit heißt es da z.b. von einem Ritter: zu plündern, Kirchen zu zerstören, Pilger anzufallen, Witwen und Waisen zu unterdrücken. Er gefällt sich besonders darin, die Unschuldigen zu verstümmeln. In einem einzigen Kloster, dem der schwarzen Mönche von Sarlat, findet man 150 Männer und Frauen, denen er die Hände abgeschlagen und die Augen ausgedrückt hat. Und seine Frau ist ebenso grausam, sie hilft ihm bei seinen Exekutionen. Ihr macht es selbst Vergnügen, die armen Frauen zu martern. Sie ließ ihnen die Brüste abhauen oder die Nägel abreißen, so daß sie unfähig waren zu arbeiten. (ebd. 267 ff.)
1. Die mittelalterliche Gesellschaft [aber] hier gab es keine strafende, gesellschaftliche Gewalt. Die einzige Bedrohung, die einzige Gefahr, die Angst machen konnte, war die, im Kampf von einem Stärkeren überwältigt zu werden. Abgesehen von einer kleinen Elite, gehörte, wie Luchaire, der Historiker der französischen Gesellschaft des 13. Jahrhunderts feststellt, Rauben, Plündern, Morden durchaus zum Standard der Kriegergesellschaft dieser Zeit [...] Die Grausamkeitsentladung schloß nicht von gesellschaftlichen Verkehr aus. Sie war nicht gesellschaftlich verfemt. Die Freude am Quälen und Töten anderer war groß und es war eine gesellschaftlich erlaubte Freude.
2. Jugendliche Gewaltbereitschaft in historischer Perspektive Studentische Zusammenschlüsse Der 1757 geborene Magister Laukhard war in seinem Leben nacheinander Student, Dozent, Soldat bei den Preußen und der französischen Revolutionsarmee, schließlich evangelischer Pfarrer. Als Siebzehnjähriger begann er sein Studium in Gießen und geriet dort in Kontakt mit den Orden.
2. Jugendliche Gewaltbereitschaft in historischer Perspektive
2. Jugendliche Gewaltbereitschaft in historischer Perspektive E. P. Thompson, der vielleicht bekannteste Sozialhistoriker Englands, hat in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts einen Text über die Formen der Rough Music in England verfasst und er vergleicht es mit den Formen des französischen Charivari und dem italienischen Scampanate, sowie einigen deutschen Bräuchen, dem Haberfeldtreiben, dem Tierjagen und der Katzenmusik. Es sind alles Rituale Jugendlicher, überwiegend in den dörflichen Gemeinschaften, die sich gegen einen moralischen Regelverstoß Anderer in der dörflichen Gemeinschaft wandten. So schildert er beispielsweise folgendes Ritual:
2. Jugendliche Gewaltbereitschaft in historischer Perspektive Am anderen Ende des Spektrums stand eines der vielleicht psychologisch brutalsten Rituale: Die in Devonshire übliche Hirschjagd. Darin nahm ein Mann, der Hörner (und manchmal auch Häute) trug, die Stelle des Opfers ein. Er wurde nach vorheriger Absprache in einem Wald nahe dem Dorf entdeckt, von den Hunden (= der Dorfjugend) durch Straßen, durch Hinterhöfe und quer durch Gärten gejagt, aufgespürt und aus Gassen und Ställen aufgescheucht. Die Jagd pflegte eine Stunde oder länger zu dauern, und der Hirsch vermied es, mit einem sadistischen psychologischen Raffinement bis zuletzt, dem Haus des ausersehenen Opfers zu nahe zu kommen. Schließlich fand dann die Tötung statt, langsam, brutal und realistisch. Der Hirsch wurde auf der Türschwelle des Opfers gestellt, eine Blase mit Stierblut, die er an seiner Brust trug, mit einem Jagdmesser durchstoßen und das Blut auf den Steinen vor dem Haus des Opfers verspritzt. (Thompson 1980, S. 133 ff)
2. Jugendliche Gewaltbereitschaft in historischer Perspektive
2. Jugendliche Gewaltbereitschaft in historischer Perspektive
3. Aggression und Gewalt Hörbeispiel: Hier kommt Alex ( Die Toten Hosen 1988) Titelmusik zur deutschen Musicaladaption von Anthony Burgess Roman A Clockwork Orange ( Uhrwerk Orange ) mit dem Titel Ein kleines Bisschen Horrorschau. Gemeint ist der Protagonist Alex, der mit seinen Droogs in der Geschichte die Stadt terrorisiert. In einer Welt, in der man nur noch lebt, damit man täglich roboten geht, ist die größte Aufregung, die es noch gibt, das allabendliche Fernsehbild. Jeder Mensch lebt wie ein Uhrwerk, wie ein Computer programmiert. Es gibt keinen, der sich dagegen wehrt, nur ein paar Jugendliche sind frustriert. Wenn am Himmel die Sonne untergeht, beginnt für die Droogs der Tag. In kleinen Banden sammeln sie sich, gehn gemeinsam auf die Jagd. Hey, hier kommt Alex! Vorhang auf - für seine Horrorschau. Hey, hier kommt Alex! Vorhang auf - für ein kleines bisschen Horrorschau. Auf dem Kreuzzug gegen die Ordnung und die scheinbar heile Welt zelebrieren sie die Zerstörung, Gewalt und Brutalität. Erst wenn sie ihre Opfer leiden sehn, spüren sie Befriedigung. Es gibt nichts mehr, was sie jetzt aufhält in ihrer gnadenlosen Wut. Hey, hier kommt Alex! Vorhang auf - für seine Horrorschau. Hey, hier kommt Alex! Vorhang auf - für ein kleines bisschen Horrorschau. Zwanzig gegen einen bis das Blut zum Vorschein kommt. Ob mit Stöcken oder Steinen, irgendwann platzt jeder Kopf. Das nächste Opfer ist schon dran, wenn ihr den lieben Gott noch fragt: "Warum hast Du nichts getan, nichts getan?" Hey, hier kommt Alex! Vorhang auf - für seine Horrorschau. Hey, hier kommt Alex! Vorhang auf - für ein kleines bisschen Horrorschau.
3. Aggression und Gewalt Die Unterscheidung von Gewalt und Aggression: Gewalt ist eine soziale Kategorie. Aggression ist eine psychische Kategorie. Gewalt ist keine objektive Tatsache, sondern eine soziale Konstruktion, die von der Definition der mindestens zwei Beteiligten (und von Dritten) abhängig ist. Die Kontrolle der Gewalt wird durch das staatliche Gewaltmonopol (Polizei, Militär) geregelt. Es gibt eine negativ bewertete Gewalt (gegen Machtlose, Behinderte, Schwächere, Kinder u.a.) und eine positiv bewertete Gewalt, die vom staatlichen Gewaltmonopol ausgeht. Aggression ist eine psychische Kategorie, sie beschreibt Eigenschaften und Verhaltensweisen des Menschen.
3. Aggression und Gewalt Erste Unterscheidung: Aggression als angeborenes Verhalten Aggression als angeborenes Verhalten ist Instinktverhalten, das wir bei den Tieren kennen. Instinkt ist ein festgelegtes Verhaltensmuster, eine Reaktion auf bestimmte Außen- und Innen-, d.h. Körperreize. (Revierverteidigung, Jagdverhalten, Flucht, Abwehr von Angriffen u.a.)
3. Aggression und Gewalt Zweite Unterscheidung: Instinktverhalten und Geschichte oder: Natur und Kultur Die Geschichte des Menschen beginnt mit der Überwindung des Instinktverhaltens. Sie beginnt gleichzeitig dort, wo der Übergang von einem Naturzustand zur Kultur (Sprache und Schrift) und zugleich zur Religion (Ersatzgewalt gegen das Opfer) stattfindet. Mit dem Beginn von Geschichte und Kultur beginnt der Anspruch an den Menschen, gewaltfrei zu handeln.
3. Aggression und Gewalt Aggression als gelerntes Verhalten Lernen im Muster der einfachen Konditionierung Stimulus Response (Verhaltenskonditionierung, vgl. Pawlow scher Hundeversuch) Unkontrolliertes (unbewußtes) Lernen als Konditionierung, z.b. Reaktionen auf Hunger, Durst, Kälte, aber auch Abwehrreaktionen auf Angriffe ( Notwehr ) werden auf diese Weise im frühesten Säuglingsalter gelernt.
3. Aggression und Gewalt Lernen durch Erfolg: Instrumentelles Konditionieren nach der Regel der Verstärkung Skinner sche Tauben- und Rattenversuche, Futter im Labyrinth, Trial-and-Error : Das Verhalten, das zum Erfolg führt, wird übernommen, durch Erfolg konditioniert. Das Verhalten, das nicht verstärkt wird, wird gelöscht. Aggression, die zum Erfolg führt, wird auf diese Weise gelernt.
3. Aggression und Gewalt Lernen am Vorbild. Lernen durch Imitation/Faszination Das Lernen durch Imitation (Mimesis) ist das komplexeste Lernen, mit dem auch aggressives Verhalten übernommen wird. Bandura u.a. haben dazu in den siebziger Jahren die entscheidenden Versuche im Kindesalter unternommen. Imitation ist das bildhafte Lernen, das vor dem Spracherwerb bereits über Identifikation erfolgt. Man setzt sich mit dem Vorbild gleich, möchte ihm gleich oder ähnlich sein, möchte stark, groß und mächtig sein.
3. Aggression und Gewalt Fazit: Nur weil Aggression ein gelerntes Verhalten ist, ist es auch veränderbar! Die Instinkttheorien (oder andere natürliche Erklärungen) waren lange Zeit Legitimationstheorien für Aggression in männlichen Kulturen.
4. Musik als Einstiegsdroge? Musik Rhythmus (Taktfrequenz) + Melodie ( Volkslied, Lied, Erzählung)
4. Musik als emotionales Ausdrucksvermögen Entstehung der populären Musik Jazz -Afroamerikanische Tradition (Rituale, Gospel, Tanz) -Europäische Tanzmusik -Entstehungsort: New Orleans (um 1900)
4. Musik als emotionales Ausdrucksvermögen Differenzierung des Jazz Hot Jazz (Kid Ory, Joe King Oliver, Louis Armstrong, Hot Five, Hot Seven); USA ab 1925, Europa ab 1932 Swing (Duke Ellington, Benny Goodman) Die Jazz-Geschichte geht ihren eigenen Weg über Bebop (Charlie Parker) und Cool-Jazz (Miles Davis).
4. Musik als emotionales Ausdrucksvermögen Boogie Woogie / Rhythm and Blues Rock n Roll
4. Musik als emotionales Ausdrucksvermögen Rhythmus und Melodie ist gebremste Bewegung - Ritual (Rhythmus) Bewegung Tanz (Lied) (lat.) motio / Emotion (Wut, Haß, Trauer, Neid, Freude, Stolz u.a.)
4. Musik als emotionales Ausdrucksvermögen Bewegungen sind Aktionen, Handlungen Im Rhythmus der populären Musik treten an die Stelle von Handlungen emotionale Empfindungen (Ausdrucksfähigkeit, Mitgefühl, Empathie)
4. Musik als emotionales Ausdrucksvermögen Fazit: Populäre Musik ist auch immer emotionales Ausdrucksvermögen der jeweiligen Epoche. Sie transportiert beides, Wut, Haß, aber auch Freude, Liebe, Begehren, Trauer und Enttäuschung.
5. Sido Mein Block...Du in deinem Einfamilienhaus lachst mich aus... Einfamilienhaus gegen Massenunterkunft Die kleinbürgerliche Lebenswelt gegen das subproletarische Ghetto
5. Sido Mein Block Der Hip-Hop-Stil bietet drei Varianten an: Den DJ, den Macho und den Gangsta. Sido inszeniert alle Attitüden des Macho-Stars: -Drogen, Freunde, Sex -Rausschmeißermillieu -Arschausweiter -Fetischisten -Prostituierte -Drogen, Drogentote -Alkohol
5. Sido Mein Block Das sind wir, das Klischee des Machismo, der gefährlichen Kerle. Der Erfolg resultiert aus einer geschickten Mischung von realer Erfahrung und Inbesitznahme/Stolz:...meine Stadt, mein Bezirk, mein Block, mein Herz, meine Welt... und einer phantasierten Imagination aus unglaublicher Machogröße, in der ihm alles zu Gebote steht. 30 Jahre nach der Erfindung des Hip-Hop, nach den freundlichen und verträglichen Fanta 4 ist die klischeehafte Aggression des Ghettos im Aggro Ost-Berlin angekommen.
Kontaktinformation AG Pädagogische Jugendforschung (w.breyvogel@uni-essen.de) Christian Droßmann (christian.drossmann@uni-essen.de) http://www.uni-essen.de/agpaedagogischejugendforschung
Aktuelle Publikation zum Thema VS-Verlag 22,90 ISBN: 3-8100-3540-8