Proteine in der Ernährung des Menschen: Zusammenfassung

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Transkript:

Eidgenössisches Departement des Innern EDI Bundesamt für Gesundheit BAG Direktionsbereich Verbraucherschutz Datum: Bern, April 2011 Proteine in der Ernährung des Menschen: Zusammenfassung Nahrungsproteine und deren Stoffwechsel im menschlichen Körper Grundlagen Proteine sind aus 21 verschiedenen Aminosäuren in definierter Reihenfolge zusammengesetzt. Davon sind neun Aminosäuren essentiell und können vom Körper nicht selbst hergestellt werden. Sechs weitere Aminosäuren sind bedingt essentiell, und von den sechs restlichen Aminosäuren sind Alanin, Glutamin und Aspartat nicht essentiell. Bei Kindern ist zusätzlich die Aminosäure Histidin essentiell. Einige Proteine sind aus einem hohen Anteil bestimmter Aminosäuren aufgebaut, wie beispielsweise das Protein Kollagen. Dieses besitzt einen hohen Anteil von Prolin und hat gleichzeitig einen sehr geringen Anteil der essentiellen Aminosäuren Tryptophan und Lysin. Tierische Proteine haben normalerweise einen höheren Gehalt an essentiellen Aminosäuren als pflanzliche Proteine, was eine höhere biologische Wertigkeit bedeutet. Durch Synthese und Abbau von Proteinen findet im Körper ein ständiger dynamischer Ausgleich des Stickstoffgleichgewichts statt. Bei einer proteinarmen Ernährung oder bei ungenügender Energieaufnahme (Very Low Calorie Diet), die zu einem schnellen Gewichtsverlust führt, ist der Proteinabbau grösser als die Proteinsynthese. Dabei gehen dem Körper Proteine durch Muskelabbau verloren. Die Oxidation von Aminosäuren in der Leber führt zur Bildung von stickstoffhaltigen Abbauprodukten wie Harnstoff (nicht toxisch) und Ammonium (toxisch). Beide Stoffe werden im Urin ausgeschieden, wobei sie mehr als 90% der stickstoffhaltigen Verbindungen des Urins ausmachen. Das Kohlenhydratgerüst der Aminosäuren kann als Energiequelle und als Substrat für die Glucose-Synthese bei der Gluconeogenese, beispielsweise während des Fastens oder bei Ausdauersport, verwendet werden. Die Proteinsynthese benötigt Energie (ATP), um Peptidbindungen zu knüpfen. Ungefähr 20% der Wärmeproduktion und des Energieverbrauchs im Ruhezustand sind auf den Umsatz von Proteinen zurückzuführen. Verzehr von Nahrungsproteinen in der Schweiz Der anhand von Lebensmittelverbrauchsdaten geschätzte Verzehr von Nahrungsproteinen in der Schweiz ergab ungefähr 90 g pro Person oder 1.1 g/kg Körpergewicht (KG) pro Tag. Ungefähr 2/3 der eingenommenen Proteine waren tierischer Herkunft mit hoher biologischer Wertigkeit (Fleisch und Fleischprodukte (28%), Milch und Milchprodukte (28%), Fisch (3%) und Eier (3%)). Ungefähr 1/3 der Proteine waren pflanzlich (25% von Getreide, 3-4% von Gemüse). Bern, April 2011 1/6

In der Schweiz liegt der geschätzte Verzehr an Nahrungsproteinen von einzelnen Bevölkerungsgruppen im Bereich der aktuellen Empfehlungen (10-20% der täglichen Energieaufnahme). Eine Ausnahme bilden gebrechliche und ältere Menschen; diese sind für eine Unterversorgung mit Proteinen gefährdet. Im Vergleich zu pflanzlichen Proteinen stellt die landwirtschaftliche Produktion von tierischen Proteinen eine höhere ökologische Belastung dar (benötigte Landfläche, Wasserverbrauch, Treibhausgasemissionen usw.). Aus diesem Grund hat die Menge verzehrter Proteine nicht nur eine Bedeutung für die Gesundheit der Bevölkerung, sondern auch sozioökonomische und ökologische Auswirkungen. Diese werden im vorliegenden Bericht nicht weiter erläutert. Bedarf an Nahrungsproteinen allgemeine Bemerkungen Der physiologische Proteinbedarf wird klassisch durch die Bestimmung der Stickstoffbilanz beurteilt. Die Bilanz entspricht der Zufuhr von Stickstoff minus der Ausscheidung von Stickstoff. In Phasen des Aufbaus körpereigener Substanz (Wachstum, Schwangerschaft, "Regrowth") kann es einen zusätzlichen Proteinbedarf geben. Der Bedarf an Proteinen oder Empfehlungen zur Proteinzufuhr werden normalerweise als g/kg KG/Tag oder als Anteil der Energieaufnahme (in % der Gesamtenergie). Die ersten Untersuchungen zum Proteinbedarf des Menschen erfolgten vor dem zweiten Weltkrieg und ergaben einen Wert von 1.0 g/kg KG/Tag. Der Wert lag damals höher als der spätere, für 4 Jahrzehnte empfohlene Wert von 0.8 g/kg KG/Tag. Heute werden ähnliche Empfehlungen wie früher gemacht, welche jedoch noch nicht offiziell anerkannt sind (1.0 g/kg KG/Tag). Aufgrund fehlender wissenschaftlicher Daten von verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterscheiden alle Empfehlungen nicht zwischen Geschlecht und Altersgruppen, was offensichtlich ein Nachteil ist. Auf der Basis unterschiedlicher Kriterien wurde von Expertengruppen der Bedarf an Proteinen berechnet. Dabei wurden zahlreiche Terminologien angewendet; häufig verwendete Bezeichnungen sind: Recommended Dietary Allowances (RDA), Protein Requirement (PR), Reference Nutrition Intake (RNI), Population Reference Intake (PRI), Average Requirement (AR), Dietary Reference Value (DRV), Recommended Daily Nutrient Intake (RDNI), Dietary Reference Intake (DRI), Acceptable Macronutrient Distribution Ranges (AMDR), Optimal Intake (OI), Safe Level of Protein (SLP), Tolerable Upper Intake level (TUI), Lowest Threshold Intake (LTI). Proteinbedarf von Kindern und Jugendlichen Der Proteinbedarf von Kindern im Alter von 6 Monaten wurde mit ungefähr 10 g/tag angegeben, ansteigend auf 58 g bei Knaben und 47 g bei Mädchen (WHO) bei Kindern von 15.-18. Lebensjahren. Der tatsächliche Verzehr von Proteinen bei Kindern und Jugendlichen ist jedoch höher. Laut eines europäischen Übersichtsartikels liegt der Proteinverzehr von 13-15-Jährigen bei 100 g/tag oder mehr. Eine zu hohe Proteinzufuhr bei Säuglingen und kleinen Kindern mit gleichzeitig erhöhter Energieaufnahme erhöht das Risiko für späteres Übergewicht und Adipositas. Eine erhöhte Gesamt- Proteinzufuhr, vor allem tierischer Proteine, kann im Alter von 5-6 Jahren zu verfrühter Pubertät von Mädchen und Knaben führen. Bern, April 2011 2/6

Proteinbedarf von Erwachsenen Der aktuelle Bedarf von gesunden Frauen und Männern beträgt für alle Alterskategorien 0.8 g/kg KG pro Tag Proteine von hoher Qualität. Für einen normalgewichtigen Mann (70 kg KG) entspricht dies einer empfohlenen Proteinzufuhr von 56 g/tag, resp. 46 g/tag für eine 57 kg schwere Frau. Während der Schwangerschaft liegt der minimale Proteinbedarf bei 1.1 g/kg KG/Tag, und während der Stillzeit bei 1.3 g/kg KG/Tag. Voraussetzung für alle diese Empfehlungen ist stets die angemessene Aufnahme von nicht-stickstoffhaltigen Energiequellen. Proteinbedarf von älteren Menschen Die aktuelle Empfehlung für den Proteineinbedarf gesunder älterer Menschen beträgt 0.8 g/kg KG/Tag und entspricht somit der Empfehlung für junge Erwachsene. Obwohl sich die Experten über diese Empfehlung zum Proteinbedarf älterer Menschen, unabhängig vom Alter und Geschlecht, nicht einig sind, wurden sie vor kurzem von einer Expertengruppe der WHO/FAO/UNU bestätigt. Bei älteren Menschen ist eine ausreichende Proteinzufuhr und der Erhalt des Stickstoffgleichgewichts von besonderer Bedeutung, da in dieser Alterskategorie ein erhöhtes Risiko für Erkrankungen und für eine Proteinmangelernährung besteht. Über den Proteinbedarf von gebrechlichen und kranken älteren Menschen ist jedoch wenig bekannt. Die Rolle der Proteinzufuhr und der Zusammenhang mit der Knochengesundheit werden in einem separaten Kapitel besprochen. Es ist allgemein akzeptiert, dass der Körperproteinaufbau (Anabolismus) durch moderate Mengen an Nahrungsproteinen stimuliert sowie durch die Ernährungsgewohnheiten und das Bewegungsverhalten beeinflusst wird. Einige Autoren haben festgestellt, dass es nicht allen älteren Menschen mit der Einnahme von 0.8 g/kg KG/Tag Proteinen gelingt, die Stickstoff-Bilanz auszugleichen. Zurzeit liegen noch keine Studien vor, die zeigen, dass sich der Proteinbedarf von älteren Menschen wesentlich von demjenigen junger Erwachsener unterscheidet. Es scheint daher sinnvoll, älteren Menschen, vor allem bei solchen mit einem erhöhten Risiko von Mangelernährung (z.b. gebrechliche und multimorbide ältere Menschen), eine Proteineinnahme von mindestens 0.8 g/kg KG/Tag zu empfehlen, bis mehr wissenschaftliche Daten vorliegen. Die frühe Erkennung einer Fehlernährung ist entscheidend, um eine genügende Protein- und Energieeinnahme zu gewährleisten. Die gleichzeitige Motivation zur physischen Aktivität erleichtert ausserdem den Muskelproteinaufbau. Nahrungsproteine bei Sportlern Für erwachsene Sportler empfehlen die meisten Gremien eine Proteinzufuhr von ungefähr 1.5 g/kg KG/Tag (Bereich zwischen 1.0-2.0 g/kg KG/Tag). Eine unterschiedliche Proteinempfehlung für Ausdauer- und Kraftsportler wird von den meisten Fachgremien heute nicht mehr abgegeben. Wenn Sportler vor einer Anstrengung Proteine (ungefähr 10-20 g/stunde) einnehmen, konnte gemäss Studien des vergangenen Jahrzehnts eine positive Wirkung auf die Muskelproteinmasse gezeigt werden. Bern, April 2011 3/6

In der Schweizerischen Lebensmittelpyramide für Sportler werden die nährstoffbasierten Empfehlungen auf einfache Art für die Praxis umgesetzt. Abhängig von der täglichen sportlichen Betätigung und ihrer Intensität wird damit die ausreichende Zufuhr an Energie und an allen Makro- und Mikronährstoffen sichergestellt. Nahrungsproteine bei Adipositas und Diabetes mellitus Nahrungsproteine beeinflussen das Körpergewicht durch vier Mechanismen: Sie wirken auf die Sättigung, die Thermogenese, Energieeffizienz und Köperzusammensetzung. Die Einnahme von Nahrungsproteinen führt zu einer höheren Sättigung als gleiche Energiemengen von Kohlenhydraten oder Fett. Ihre Wirkung auf die Sättigung ist hauptsächlich auf die Oxidation von Aminosäuren zurückzuführen; dieser Effekt ist nach der Einnahme von unkompletten (pflanzlichen) Proteinen stärker als nach dem Verzehr tierischer Proteine. Proteine verursachen eine höhere nahrungsinduzierte Thermogenese als andere Makronährstoffe. Diese beträgt nach dem Verzehr von Proteinen 20-30% des Energiegehalts, gegenüber 5-10% nach der Einnahme von Kohlenhydraten und 0-5% nach der Einnahme von Fetten. Dieser Effekt wird durch die Protein- und Harnstoff-Synthese sowie durch die Gluconeogenese erklärt. In Studien von einer Dauer bis zu 1 Jahr konnte gezeigt werden, dass relativ proteinreiche Diäten (Proteinmenge ungefähr 30% der gesamten Energie oder 1.2 g/kg KG/Tag versus 15-20% der gesamten Energie oder 0.8 g/kg KG/Tag) zu einem grösseren Gewichtsverlust oder zu einer geringeren Gewichtswiederzunahme nach Gewichtsverlust führten als Diäten mit geringerer Proteinzufuhr. Während einer Gewichtsabnahme durch verminderte Energiezufuhr bewirkte eine relativ proteinreiche Ernährung eine Aufrechterhaltung der fettfreien Körpermasse (d.h. Muskelmasse) und eine erhöhte Kalzium-Retention, was den Verlust an Knochenmasse verringerte. Bei Typ 2 Diabetes ist eine genügende Einnahme von Nahrungsproteinen von grosser Bedeutung, da Proteine im Hinblick auf Glucose und Fette im Blut nach dem Essen als relativ neutral gelten. Proteine halten die Muskelmasse und Knochendichte aufrecht; beide sind bei Personen mit einer schlecht eingestellten Diabetes oft verringert. Negative Auswirkungen einer überhöhten Proteinzufuhr wurden bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion beobachtet. Ältere Personen mit Diabetes oder Bluthochdruck haben gehäuft eine verminderte Nierenfunktion. Nahrungsproteine und Knochengesundheit Neben Calcium und Vitamin D sind Nahrungsproteine wichtig für die Knochengesundheit und damit für die Prävention von Osteoporose; die Proteineinnahme korrelierte mit der Knochendichte und dem Knochen- Mineralgehalt. Hüftfrakturen waren bei Personen mit einer proteinreichen Ernährung (1.3 g/kg KG/Tag) seltener als bei einer geringeren Proteineinnahme (1.0 g/kg KG/Tag). Eine Interventionsstudie konnte zeigen, dass nach einem orthopädischen Eingriff, eine Proteinsupplementierung den Knochenverlust nach einer Fraktur verminderte, die Muskelmasse tendenziell steigerte, die Komplikationen verminderte und die Dauer der Rehabilitation verkürzte. Es wurden Bedenken geäussert, dass für ältere Menschen die momentan empfohlene tägliche Proteinzufuhr (RDA) von 0.8 g/kg KG/Tag zu tief sei, um Knochenbrüche zu verhindern. Auf Knochengesundheit spezialisierte Experten sind der Ansicht, dass die Zufuhr von ungefähr 1.2 g Protein/kg KG/Tag angebrachter wäre. Bern, April 2011 4/6

Körperproteinabbau und Proteinbedarf bei schweren Erkrankungen Eine verminderte Masse an Gesamtkörper-Proteinen, insbesondere von Muskulatur, ist charakteristisch für schwere Erkrankungen. Eine Mangelernährung an Proteinen und Energie geht mit einer erhöhten Mortalität einher. Charakteristisch für schwere Erkrankungen sind ausserdem ein erhöhter Proteinabbau und, in geringerem Ausmass, eine erhöhte Gesamtkörper-Proteinsynthese, was zu einem erhöhten Fluss von Aminosäuren von der Peripherie zur Leber führt. Während akuten schweren Erkrankungen kann eine Ernährungstherapie den Verlust von Körperproteinen beschränken, jedoch nicht völlig aufhalten. Eine Proteineinnahme von 1.2 bis 1.5 g/kg KG/Tag bei einer ausgeglichenen (neutralen) Energiebilanz minimiert den Verlust von Körperproteinen. Glutamin und möglicherweise auch Leucin haben wahrscheinlich spezifische protein-anabole Wirkungen. Gemäss aktuellen Empfehlungen soll während den ersten 72-96 Stunden eine Energiezufuhr von 20-25 kcal/kg KG/Tag angestrebt werden, mit anschliessender Steigerung, sodass der Proteinbedarf gedeckt ist. Gleichzeitig soll die Proteinzufuhr bei 1.2 1.5 g/kg KG/Tag liegen. Eine enterale Immunernährung (Sondenernährung, angereichert mit Arginin, Nucleotiden und Omega-3 Fettsäuren) wird bei Patienten mit Polytrauma, akutem Atemnotsyndrom (ARDS) und leichter Sepsis (Blutvergiftung) empfohlen. Nach gegenwärtig gültigen Richtlinien soll einer künstlichen Ernährung bei Patienten mit Verbrennungen oder Polytrauma L-Glutamin (0.2-0.4 g/kg KG/Tag) zugeführt werden. Nahrungsproteine und Atherosklerose Vor über 100 Jahren wurde auf der Basis von Tierversuchen die Hypothese aufgestellt, dass Proteine einen Einfluss auf die Pathogenese der Atherosklerose und kardiovaskulären Erkrankungen haben. Beim Menschen wurde diese Hypothese allerdings bisher nicht bestätigt. Epidemiologische Studien aus den 1960er Jahren zeigten einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Verzehr tierischer Nahrungsproteine und der Mortalität an kardiovaskulären Erkrankungen. Allerdings war die Einnahme von tierischen Proteinen auch signifikant mit der Einnahme von gesättigten Fettsäuren und von Cholesterin korreliert. Im Gegensatz dazu zeigten zwei prospektive Kohortenstudien der letzten Jahrzehnte, dass das kardiovaskuläre Risiko bei Frauen mit einem relativ hohen Proteinverzehr im Vergleich zu einem tiefen vermindert war, und dies, auch wenn für andere Risikofaktoren korrigiert wurde (z.b. für Verzehr von gesättigten Fettsäuren und für kardiovaskuläre Risikofaktoren). Eine mediterrane Ernährung senkt das Risiko für koronare Herzerkrankungen. Diese Ernährung ist durch einen hohen Verzehr von pflanzlichen Lebensmitteln und Fisch und durch eine relativ geringe Zufuhr von Fleisch und Milchprodukten charakterisiert. Proteinbedarf bei Nieren- und Lebererkrankungen Sowohl Menge als auch Zusammensetzung der Nahrungsproteine haben einen Einfluss auf die Nierenfunktion, insbesondere bei Nierenerkrankungen und auf das Risiko von Nierensteinen. Die Einnahme von Proteinen, va. solcher tierischer Herkunft, sollte deswegen limitiert werden; damit kann eine Verlangsamung der Progression einer chronischen Nierenerkrankung erreicht werden. Im Gegensatz dazu, haben Patienten mit chronischem Nierenversagen, welche dialysiert werden, einen erhöhten Proteinbedarf. Bern, April 2011 5/6

Eine Protein-Energie Mangelernährung ist ein wichtiger Auslöser für die Morbidität und Mortalität dieser Patientengruppe und bedarf einer intensiven Behandlung. Bei Patienten mit Leberzirrhose sollte die Proteinzufuhr nicht, wie früher empfohlen, gesenkt werden. Um dem Risiko einer Mangelernährung entgegenzuwirken, sollte sie sogar erhöht werden. Nur für Patienten mit fortgeschrittener hepatischer Enzephalopathie wurde eine moderate Restriktion, abhängig von der individuellen Proteintoleranz, mit möglichem Zusatz von verzweigt-kettigen Aminosäuren, empfohlen. Allergische Reaktionen auf Lebensmittelproteine Vier bis acht Prozent der Bevölkerung leiden unter Lebensmittelallergien, wobei die Prävalenz in den letzten Jahren weiter angestiegen ist. Die meisten Lebensmittelallergien haben ihren Ursprung in Nahrungsproteinen aufgrund von Kreuzreaktionen mit Pollenallergenen. Da diese Allergene ubiquitär in Pflanzen vorkommen, können Personen mit einer Pollenallergie häufig mehrere Allergien gegen verschiedene pflanzliche Lebensmittel entwickeln und reagieren sogar auf neue Lebensmittel, die sie zuvor noch nie konsumiert haben. Eine kurative Therapie von Lebensmittelallergien gibt es bisher noch nicht. Personen mit Lebensmittelallergien müssen strikt auf allergenhaltige Lebensmittel verzichten. Die weit verbreitete Verwendung industriell hergestellter Lebensmittel stellt für Personen mit Lebensmittelallergien ein Problem dar. Obwohl die häufigsten Allergene deklariert werden müssen, kann es zu ungewollten Kontaminationen mit Lebensmittel-Allergenen kommen. Die Kennzeichnung mit kann Spuren von enthalten bedingt für den Lebensmittelallergiker häufig einen unnötigen Verzicht, obwohl die Wahrscheinlichkeit einer Verunreinigung vernachlässigbar ist. Die Erlaubnis, allergene Stoffe bis zu einer Menge von 1 g/kg KG/Tag nicht deklarieren zu müssen, ist möglicherweise zu hoch, um Personen zu schützen, die bereits auf Spuren von Allergenen mit Symptomen reagieren. Bioaktive Proteine und Peptide in Lebensmitteln Eine zunehmende Anzahl wissenschaftlicher Daten zeigt, dass Nahrungsproteine und peptide in der Ernährung nicht nur als Nährstoffe, sondern auch als bioaktive Stoffe von Bedeutung sind. Das Interesse der Forschung lag bisher meist auf Vitamin- oder Mineral-Bindungsproteinen, auf antimikrobiellen, immunsupprimierenden oder -modulierenden Proteinen, auf Proteinen mit enzyminhibitorischer Aktivität sowie Hormonen und Wachstumsfaktoren. Am meisten Forschung wurde mit Milchproteinen durchgeführt. Bioaktive Peptide werden während der Fermentation oder Verdauung von Lebensmittelproteinen freigesetzt; sie wurden vor allem in Milch gefunden. Biologisch aktive Peptide können über opiat-ähnliche, blutdrucksenkende, mineralstoffbindende, antioxidative, antimikrobielle, immun- oder zellmodulierende Wirkungen verfügen. Die intakte Absorption dieser Peptide ist möglich, deshalb kommen neben dem Gastrointestinaltrakt andere Organe im ganzen Körper für ihre biologische Wirkung in Frage. Bioaktive Proteine und Peptide sind Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung. Es ist möglich, bioaktive Peptide in Lebensmitteln anzureichern, z.b. indem spezielle Mikroorganismen in fermentierten Milchprodukten eingesetzt werden. Obwohl bioaktive Peptide in Studien in vitro und in vivo untersucht wurden, ist deren möglicher Einfluss auf die Gesundheit noch nicht klar und wird weiter erforscht. Bis zum heutigen Zeitpunkt hat die Kommission der Europäischen Union noch keine gesundheitsbezogenen Anpreisungen für bioaktive Proteine und Peptide in Lebensmitteln zugelassen. Bern, April 2011 6/6