Größenprogrediente intrakranielle Blutungen nach Schädel-Hirn-Trauma

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Transkript:

Unfallchirurg 2008 111:898 904 DOI 10.1007/s00113-008-1502-0 Online publiziert: 18. September 2008 Springer Medizin Verlag 2008 Redaktion W. Mutschler, München T. Vogel 1 B. Ockert 2 M. Krötz 3 U. Linsenmaier 3 C. Kirchhoff 2 K.J. Pfeifer 3 W. Mutschler 2 T. Mussack 2 1 Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum 2 Chirurgische Klinik und Poliklinik Innenstadt, Klinikum der Universität München 3 Institut für Klinische Radiologie, Klinikum der Universität München Größenprogrediente intrakranielle Blutungen nach Schädel-Hirn-Trauma Wann ist eine Kontroll-CCT erforderlich? Intrakranielle Blutungen zählen zu den typischen Folgen eines Schädel-Hirn- Traumas (SHT). In der Primärdiagnostik dieser Blutungen nimmt die kranielle Computertomographie (CCT) eine zentrale Position ein [13, 14, 18, 24]. Durch den Einsatz schneller Rettungsmittel und die Organisation integrierter Leitstellen erreichen viele Patienten heutzutage das nächstgelegene Traumazentrum bereits innerhalb der ersten 90 min nach SHT [6]. Damit rückt die CCT näher an den Unfallzeitpunkt. Vor diesem Hintergrund beobachten wir traumatische intrakranielle Blutungen, die in der Kontroll-CCT eine deutliche Größenprogredienz aufweisen (. Abb. 1). Patienten mit einer progredienten intrakraniellen Blutung (PIB) haben ein signifikant schlechteres Ergebnis als Patienten mit konstantem intrakraniellem Blutungsbefund (KIB) [21]. Eine PIB führt nicht selten zu einer Änderung des Behandlungskonzepts mit der Notwendigkeit einer neurotraumatologischen Intervention [2]. Deshalb empfehlen einige Autoren eine Kontroll- CCT bei klinisch auffälligen Patienten aller SHT-Schweregrade [9, 11]. Die Wertigkeit der klinischen Beurteilung ist jedoch umstritten [10]. Vor allem bei intubierten und analgosedierten SHT-Patienten muss die Evaluation klinischer Symptome sowie die Bedeutung der neurologischen Untersuchung kritisch diskutiert werden. Bei klinisch unauffälligen Patienten hingegen wird die Durchführung einer Kontroll-CCT weiterhin in Frage gestellt [2, 4, 7, 12, 15]. Zum idealen Zeitpunkt einer Kontroll-CCT finden sich keine ausreichenden Angaben. Ziel dieser Studie war es, die Häufigkeit von PIB bei SHT-Patienten zu ermitteln. Dabei sollten mögliche Unterschiede zwischen PIB- und KIB-Patienten im Hinblick auf demografische Daten, Zeitintervalle der Rettungskette, klinische Parameter, Gerinnungswerte und radiologische Befunde herausgearbeitet werden. Material und Methoden Patientenkollektiv Im Rahmen dieser retrospektiven Untersuchung wurden alle SHT-Patienten 18 Jahre eingeschlossen, die im Zeitraum von Januar 2001 bis Dezember 2002 nach der initialen CCT innerhalb der ersten 24 h eine Kontroll-CCT erhalten hatten. Das Gesamtkollektiv wurde anschließend in SHT-Patienten mit progressiver (PIB) und Patienten mit konstanter intrakranieller Blutung (KIB) unterteilt. Ausgeschlossen wurden SHT-Patienten <18 Jahre, SHT-Patienten ohne intrakranielle Traumafolge sowie SHT-Patienten, die vor der Durchführung der Kontroll- CCT einer notfallmäßigen, neurochirurgischen Operation unterzogen werden mussten. Neben Alter und Geschlecht wurden der Unfallmechanismus sowie prä- und innerklinische Rettungszeiten dokumentiert. Der Unfallzeitpunkt konnte aus den Notfalleinsatzprotokollen, das innerklinische Zeitintervall mittels elektronisch gespeicherter Aufnahme- und CT-Zeiten ermittelt werden. Darüber hinaus wurden registriert: Glasgow-Coma-Scale- (GCS-)Score am Unfallort sowie bei Klinikaufnahme; neurologische Symptome (Bewusstlosigkeit, Amnesie, Krampfanfall, Kopfschmerzen, Schwindel), vegetative Symptome (Übelkeit, Erbrechen), Pupillomotorik und der Gerinnungsstatus bei Aufnahme (Thrombozytenzahl, PTT, Quick). Radiologische Beurteilung und Klassifikation Alle CCTs wurden im Rahmen der vorliegenden Analyse von zwei Radiologen unabhängig voneinander in verblindeter Form ausgewertet. Im Falle unterschiedlicher Befunde wurde nach dem Konsensusverfahren entschieden. Gemäß ihrer Lokalisation wurden die intrakraniellen Blutungen in Epidural-, Subdural-, Subarachnoidal- und intrazerebrale Kontusionsblutungen unterteilt. Wir definierten PIB als zweifelsfreie Größenprogredienz 898 Der Unfallchirurg 11 2008

Zusammenfassung Abstract einer abgebildeten Blutung im vollständigen CT-Datensatz. Diese bezog sich auf eine 25%-Vergrößerung der Fläche pro Schicht von Epidural-, Subdural- und Intrazerebralblutungen (bzw. Kontusionsblutungen) gegenüber ihrem Ausmaß in der initialen CCT ([17]. Abb. 2). Für Subarachnoidalblutungen wurde eine prozentuale Zunahme ( 25%) der Einblutungen in die Sulci als PIB gewertet (. Abb. 3). Statistische Analyse Für alle Parameter wurden entweder die Häufigkeiten oder die Mittelwerte ± SD und Spannweite bestimmt. Kontinuierliche Parameter wurden mittels Student-t- Test und Mann-Whitney-U-Test, kategorische Parameter mittels χ 2 -Test auf Unterschiede zwischen SHT-Patienten mit PIB oder KIB untersucht. Ferner wurde eine logistische Regressionsanalyse zur multivariaten Prüfung der Parameter angefertigt. Das Signifikanzniveau wurde für alle Tests auf p<0,05 festgelegt (SPSS Version 12.0, SPSS GmbH, München, Deutschland). Ergebnisse Demografische Daten des Kollektivs Von insgesamt 158 SHT-Patienten wurden 15 Patienten (9%) mit neurochirurgischer Intervention nach der ersten CCT ausgeschlossen. Weitere 45 Patienten (28%) wurden ausgeschlossen, bei denen die Indikation zur Kontrolluntersuchung ausschließlich aufgrund des klinischen Verlaufs gestellt wurde bzw. der initiale Verdacht auf eine intrakranielle Traumafolge durch die Kontrolluntersuchung nicht bestätigt wurde. Somit konnten 98 SHT- Patienten (m.: w. = 64:34; mittleres Alter 55±21 Jahre (18 89 Jahre) analysiert werden. In 52 Fällen (53%) war ein Sturz aus 3 m Höhe, in 32 Fällen (33%) ein Verkehrsunfall, in 5 Fällen (5%) ein Sturz aus >3 m Höhe und in 3 Fällen (3%) eine tätliche Auseinandersetzung die SHT-Ursache. Bei 6 Patienten (6%) konnte der Unfallhergang nicht ermittelt werden (. Tab. 1). Unfallchirurg 2008 111:898 904 Springer Medizin Verlag 2008 DOI 10.1007/s00113-008-1502-0 T. Vogel B. Ockert M. Krötz U. Linsenmaier C. Kirchhoff K.J. Pfeifer W. Mutschler T. Mussack Größenprogrediente intrakranielle Blutungen nach Schädel- Hirn-Trauma. Wann ist eine Kontroll-CCT erforderlich? Zusammenfassung Hintergrund. Ziel der Untersuchung war die Erfassung der Häufigkeit größenprogredienter intrakranieller Blutungen (PIB) bei SHT-Patienten und die Identifikation möglicher Begleitparameter. Material und Methoden. Eingeschlossen wurden SHT-Patienten, die einer initialen CCT sowie einer Kontroll-CCT innerhalb der ersten 24 h nach Trauma unterzogen wurden. Als Blutungsprogression wurde eine Befundprogredienz über 25% gewertet. Ergebnisse. 98 SHT-Patienten mit intrakranieller Blutung konnten retrospektiv ausgewertet werden. Dabei zeigten 45 PIB-Patienten signifikant häufiger intrazerebrale Kontusionsblutungen und Frakturen der Schädelkalotte (p<0,05) als Patienten mit konstantem Befund. Keine signifikanten Gruppenunterschiede fanden sich hinsichtlich demografischer und klinischer Parameter, Zeitintervall vom Trauma zum 1. CCT sowie des Gerinnungsstatus. Schlussfolgerung. Eine frühe Größenprogredienz tritt bei etwa der Hälfte der SHT- Patienten mit initial diagnostizierter intrakranieller Blutung auf und wird häufiger bei Kontusionsblutung oder kombinierter Kalottenfraktur beobachtet. Eine frühzeitige CCT- Kontrolle ist bei SHT-Patienten mit intrakranieller Blutung indiziert. Schlüsselwörter Schädel-Hirn-Trauma Progrediente intrakranielle Blutungen (PIB) Kranielle Computertomographie (CCT) Klinische Parameter CCT-Kontrolle Progredient intracranial bleeding after traumatic brain injury. When is a control CCT necessary? Abstract Background. The aim of the study was to quantify the occurrence of progressive intracranial bleeding (PIB) and to identify concomitant parameters in patients suffering from traumatic brain injury (TBI). Methods. TBI patients were included if initial and serial cranial computed tomography (CCT) scans were conducted within 24 h after trauma. A progression of 25% was considered as PIB. Patients with progression were compared to those with constant bleeding regarding clinical parameters, time lapse and coagulation status. Results. A total of 98 patients with TBI and intracranial hemorrhaging were analyzed. PIB was detected in 45 patients showing significantly more intracerebral bleeding as well as fractures to the skull (p<0.05), compared to patients with constant bleeding. No significant differences between the groups regarding demographic and clinical parameters, time interval between trauma and initial CCT, and coagulation status were found. Conclusions. Early progression of intracranial hemorrhaging occurs in nearly every second TBI patient and is recognized frequently in cerebral contusions and after fractures to the skull. Hence, early repeated CT scanning is indicated in all TBI patients suffering from intracranial bleeding. Keywords Head injury Progressive intracranial bleeding (PIB) Cranial computed tomography (CCT) Clinical parameters CCT control Der Unfallchirurg 11 2008 899

Prä- und innerklinische Zeitintervalle Die präklinische Rettungszeit der 98 untersuchten Patienten betrug im Mittel 48±74 min (5 601 min). Zwischen Aufnahme und 1. CCT lagen 36±48 min (2 363 min), zwischen Trauma und 1. CCT 74±62 min (15 393 min). Die Zeit zwischen Aufnahme und 2. CCT betrug im Mittel 351±289 min (59 1496 min). Zwischen Trauma und 2. CCT lagen 371±279 min (79 1542 min), zwischen 1. CCT und 2. CCT 316±287 min (79 1542 min) (. Tab. 2). Abb. 1 8 Patient (m.), 27 Jahre alt, Sturz <3m, Epiduralblutung links temporal, initiale CCT 62 min nach Trauma, Kontroll-CCT 164 min nach Trauma Abb. 2 8 Patient (m.), 43 Jahre alt, Sturz <3m, Intrazerebralblutung rechts frontal, initiale CCT 26 min nach Trauma, Kontroll-CCT 168 min nach Trauma Klinische Symptome und Gerinnungsparameter Der GCS-Score am Unfallort konnte von 31 Patienten (32%) ermittelt werden und lag im Mittel bei 11±4 Punkten (3 15 Punkte). Davon hatten 14 Patienten definitionsgemäß eine leichtes, 12 Patienten ein mittelschweres und 5 Patienten ein schweres SHT. Der GCS-Score bei Aufnahme in unserer Klinik wurde bei 91 Patienten dokumentiert, dabei betrug der Mittelwert 12±4 Punkte (3 15 Punkte) wobei hier 69 Patienten der Gruppe der leichten, 6 Patienten der Gruppe der mittelschweren und 16 Patienten der Gruppe der schweren SHT zugeordnet wurden. Die klinischen Parameter zeigten bei 38 (39%) Patienten eine posttraumatische Bewusstlosigkeit, bei 26 (27%) eine retro- und/oder anterograde Amnesie. Bei 9 Patienten (9%) lag eine Anisokorie vor. 30 Patienten (31%) klagten über Kopfschmerzen und 17 Patienten (17%) über Schwindel. 12 Patienten (12%) gaben Übelkeit an. 9 Patienten (9%) erbrachen im Rahmen des SHT. Der Mittelwert für die Thrombozytenzahl im Aufnahmelabor lag bei 270±76 10 3 /ml (Normwert: 150 440 10 3 /ml), für die PTT bei 35±13 s (Normwert: 25 42 s) und für den Quick-Wert 90±21% (Normwert: 70 12%).. Tab. 3 stellt die untersuchten klinischen Parameter und Gerinnungsparameter im Gruppenvergleich dar. Radiologische Befunde Abb. 3 8 Patient (m.), 26 Jahre alt, Verkehrsunfall, Subarachnoidalblutung rechts temporal, initiale CCT 56 min nach Trauma, Kontroll-CCT 125 min nach Trauma Die 98 untersuchten Patienten wiesen insgesamt 183 intrakranielle Blutungen in 900 Der Unfallchirurg 11 2008

der 1. CCT auf. 62 (30%) Blutungen wurden entsprechend den oben genannten Kriterien als PIB gewertet. Darunter war der Anteil an Epidural- und Kontusionsblutungen am größten (. Abb. 4). Bei 45 Patienten wurden insgesamt 62 Blutungen als progredient gewertet (PIB). Demgegenüber standen 53 Patienten mit konstantem Blutungsverlauf (KIB). Insgesamt zeigten 21 Patienten eine Kalottenfraktur, 24 Patienten eine Schädelbasisfraktur und 12 Patienten eine Mittelgesichtsfraktur (. Tab. 4). Unter den Patienten mit progredienten Epiduralblutungen betrug der Anteil an Frakturen des knöchernen Schädels 100%. Die Patienten mit progredienten Kontusionsblutungen wiesen in 54% der Fälle eine Schädelfraktur auf. Die Kalottenfraktur zeigte sich in der angefertigten logistischen Regressionsanalyse als unabhängiger signifikanter Parameter für PIB (. Tab. 5). Diskussion Hinsichtlich des Alters und des Geschlechts der SHT-Patienten ließen sich in unserer Analyse keine statistisch signifikanten Unterschiede für das Auftreten von PIB ermitteln. Oertel et al. [17] hingegen beschrieben in der bisher einzigen prospektiven Untersuchung zur Identifikation prädiktiver Faktoren für PIB ein Überwiegen des männlichen Geschlechts. Im Gesamtkollektiv von 142 SHT-Patienten betrug das Verhältnis Männer: Frauen in der PIB-Gruppe 11:1, in der KIB-Gruppe nur 2,7:1 (p=0,0002). Als Erklärung hierfür führen die Autoren eine mögliche neuroprotektive Wirkung von Östrogen und Progesteron ins Feld. Betrachtet man das Verhältnis Männer: Frauen im Gesamtkollektiv, so liegt der Anteil an Männern in der Oertel-Studie deutlich höher (4,3:1) als in unserer Analyse (1,9:1). Das Geschlecht kann unseres Erachtens so nicht als unabhängiger Parameter für das Auftreten von PIB gewertet werden. Die Verteilung der SHT-Ursachen hingegen deckt sich mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen: In 53% der Fälle wurde ein Sturz aus 3 m Höhe, in 33% ein Verkehrsunfall und in 5% ein Sturz aus >3 m Höhe dokumentiert [1, 23] Tab. 1 Demografische Parameter Parameter KIB (n=53) PIB (n=45) p Alter (Jahre) 58±20 53±22 0,25 Alter >60 Jahre 25 (47%) 18 (40%) 0,48 Männer (%) 32 (60%) 32 (71%) 0,27 Unfallmechanismus 0,65 Sturz 3 m 28 (53%) 24 (53%) Sturz >3 m 2 (4%) 3 (7%) Verkehrsunfall 19 (36%) 13 (29%) Tätliche Auseinandersetzung 2 (4%) 1 (2%) Keine Angaben 2 (4%) 4 (9%) KIB: konstante intrakranielle Blutung, PIB: progrediente intrakranielle Blutung. Kategorische Parameter werden als Anzahl bzw. Prozent angeführt, kontinuierliche Parameter mit Mittelwert und SD. Tab. 2 Prä- und innerklinische Zeitintervalle Zeitintervalle KIB (n=53) PIB (n=45) p Trauma Aufnahme 39±22 58±103 0,94 Aufnahme 1. CCT 44±61 25±20 0,07 Trauma 1. CCT 79±68 67±55 0,47 Aufnahme 2. CCT 394±304 300±264 0,05 Trauma 2. CCT 412±296 328±258 0,14 1. CCT 2. CCT 347±298 281±273 0,12 KIB: konstante intrakranielle Blutung; PIB: progrediente intrakranielle Blutung. Alle Zeitangaben in Minuten. Tab. 3 Parameter Klinische Symptome und Gerinnungsparameter Prä- und innerklinische Zeitintervalle KIB (n=53) Mittelwert ± SD Die durchschnittliche präklinische Rettungszeit, also die Zeit zwischen Eintritt der Schädelverletzung und Aufnahme in die Klinik, betrug in unserer Studie im Mittel 48 min. Darin enthalten ist die Zeit bis zur Alarmierung des Rettungsmittels, die Anfahrt des Rettungsmittels PIB (n=45) Mittelwert ± SD Initialer GCS 10±4 12±3 0,13 GCS bei Aufnahme 13±4 12±5 0,59 Thrombozytenzahl [10 3 /ml] 271±74 266±77 0,72 PTT [s] 34±9 37±15 0,41 Quick [%] 93±18 87±24 0,34 n n Bewusstlosigkeit 23 15 0,92 Amnesie 15 11 0,49 Anisokorie 5 4 0,93 Kopfschmerzen 15 15 0,29 Schwindel 10 7 0,78 Übelkeit 9 3 0,19 Erbrechen 6 3 0,61 Alkoholisiert 22 18 0,88 KIB: konstante intrakranielle Blutung; PIB: progrediente intrakranielle Blutung. Kategorische Parameter werden als Anzahl bzw. Prozent angeführt, kontinuierliche Parameter mit Mittelwert und SD. zum Unfallort, die Versorgungszeit sowie die Transportzeit in die Zielklinik. Zahlen über die präklinischen Zeitabläufe bei SHT-Patienten liegen derzeit für Deutschland nicht vor. Für Polytraumapatienten (ISS 16 Punkte) kann die Dauer zwischen Unfallereignis und Klinikaufnahme nach Angaben des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie mit durchschnittlich 74±49 min p Der Unfallchirurg 11 2008 901

Tab. 4 Radiologische Befunde Parameter KIB PIB p n=53 [%] n=45 [%] Epiduralblutung 4 8 5 11 0,55 Subduralblutung 25 47 23 51 0,69 Subarachnoidalblutung 22 42 22 49 0,47 Kontusionsblutung 16 30 24 53 0,02 Kalottenfraktur 7 13 14 31 0,03 Schädelbasisfraktur 9 17 15 33 0,06 Mittelgesichtsfraktur 6 11 6 13 0,76 KIB: konstante intrakranielle Blutung; PIB: progrediente intrakranielle Blutung. Tab. 5 Logistische Regression Parameter Odds-Ratio 95%-CI p Alter 0,993 0,97 1,02 0,56 Geschlecht 0,744 0,28 1,96 0,55 Zeitintervall Trauma 1. CCT 0,997 0,99 1,01 0,44 Quick-Wert 0,984 0,96 1,01 0,14 Kalottenfraktur 0,349 0,12 0,99 0,04 Fehlende Werte wurden durch die entsprechenden Mittelwerte ergänzt. CI: Konfidenzintervall angegeben werden; im Jahr 2002 betrug sie 86±104 min n [6]. Die um etwa 30 min schnellere Rettungszeit von SHT-Patienten in der vorliegenden Analyse lässt sich zum einen mit dem hohen Anteil an Stürzen als SHT-Ursache, zum anderen durch die zentrale urbane Lage unserer Klinik erklären. Zwischen Klinikaufnahme und Durchführung der 1. CCT vergingen durchschnittlich 36 min. Dieses Zeitintervall kann als einer der Parameter zur Beurteilung der innerklinischen Prozessqualität gewertet werden. Seit Jahren werden alle SHT-Patienten in unserer Klinik mittels standardisiertem Dokumentationsbogen von Ärzten und Pflegekräften erfasst. Die Einführung von Dokumentations- und Behandlungsprotokollen führte beispielsweise zu einer signifikanten Optimierung der Zeitabläufe bei der Versorgung polytraumatisierter Patienten [19]. In unserer Analyse betrug die Zeit zwischen Unfallereignis und 1. CCT für PIB- Patienten im Durchschnitt 67 min, für KIB-Patienten 79 min. Dieses Zeitintervall wird im Hinblick auf PIB in der aktuellen Literatur weiterhin kontrovers dargestellt. Oertel et al. [17] fanden in ihrer prospektiven Untersuchung einen vergleichbaren Unterschied. Chieregato et al. [5] hingegen konnten in einer prospektiven Untersuchung an 141 Patienten mit traumatischer Subarachnoidalblutung keinen statistisch signifikanten Unterschied bezüglich des Zeitintervalls zwischen Trauma und 1. CCT beobachten. In der PIB-Gruppe wurde die Kontroll- CCT im Durchschnitt 94 min früher angefertigt als in der KIB-Gruppe (p=0,05). Dies lässt sich durch die Addition der einzelnen Zeitintervalle und der damit verbundenen Signifikanzen erklären. Klinische Parameter Die in unserer Klinik routinemäßig erhobenen klinischen Parameter entsprechen den aktuellen Leitlinien des National Institute for Health and Clincal Excellence (NHS) [16]. Vor allem für den initialen GCS-Score das Vorliegen einer posttraumatischen Bewusstlosigkeit, einer retrograden und anterograden Amnesie oder einer Anisokorie sowie sichtbare Zeichen einer offenen Schädelverletzung ist ein Zusammenhang mit intrakraniellen Verletzungsfolgen belegt [9, 11, 13]. Aber auch unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit oder Erbrechen sowie das Vorliegen einer Alkoholintoxikation können als Surrogatparameter einen wichtigen Hinweis auf das Vorliegen einer intrakraniellen Läsion liefern [11]. Mohanty et al. [15] untersuchten 348 SHT-Patienten hinsichtlich der Wertigkeit klinischer Parameter und einer routinemäßigen CCT. Sie erachteten eine konsequente neurologische Untersuchung vom Unfallort bis zum Krankenhaus als ausreichend, um Patienten mit signifikanten intrakraniellen Pathologien zu erkennen. Falimirski et al. [9] unterstützen diese These. Ohne das gleichzeitige Vorhandensein positiver klinischer Parameter wie Kopfschmerzen, Somnolenz, Übelkeit oder Erbrechen hatte der Einsatz der CCT keinen Einfluss auf Morbidität und Mortalität eines SHT-Patienten. In weiteren Studien wurde hinreichend belegt, dass nur Patienten mit pathologischen klinischen Befunden von einer Kontroll-CCT profitierten [4, 7, 12]. Im Gegensatz dazu steht die Aussage von Harad u. Kerstein [10], die klar aufzeigen konnten, dass klinische Symptome für die Vorhersage intrakranieller Läsionen inadäquat waren. Für alle Patienten wurde unabhängig vom Schweregrad des SHT und den klinischen Symptomen die CCT als sinnvoll erachtet. Inwieweit klinische Parameter zur Unterscheidung von PIB- und KIB-Patienten dienen können, ist aus der aktuellen Literatur nicht endgültig zu klären. Die Ergebnisse der vorliegenden Analyse legen jedoch den Schluss nahe, dass sich die Beurteilung klinischer Parameter allein nicht zur sicheren Identifikation von PIB-Patienten eignet. Gerinnungsparameter In der vorliegenden Studie zeigten sich keine signifikanten Unterschiede bezüglich der untersuchten Gerinnungsparameter zwischen den Studiengruppen. Im Gegensatz dazu konnten Stein et al. [22] in einer retrospektiven Studie einen Zusammenhang zwischen dem erhobenen Gerinnungsstatus und dem Auftreten progressiver intrakranieller Blutungen darstellen. Von 253 untersuchten Patienten mit mittelschwerem und schwerem SHT (GCS <13), die einer Kontroll-CCT innerhalb von 72 h nach der ersten posttraumatischen CCT unterzogen wurden, zeigten 123 Patienten (49%) verzögerte intrakranielle Blutungen. Unter dieser Definition wurden Patienten mit 902 Der Unfallchirurg 11 2008

progressivem Blutungsbefund und Patienten mit neu aufgetretenen Blutungen zusammengefasst. Es zeigte sich, dass 55% dieser Patienten eine signifikante Abweichung in mindestens einem Gerinnungsparameter des Aufnahmelabors auswiesen (p<0,001). Zu den untersuchten Gerinnungsparametern zählten die Thrombozytenzahl, die PTT und der INR ( international normalized ratio ). Hingegen zeigten nur 9% der Patienten mit konstantem Blutungsbefund eine Abweichung im Aufnahmelabor (p<0,001). Engström et al. [8] postulieren einen Zusammenhang zwischen einer Thrombozytopenie im Aufnahmelabor und dem Auftreten progressiver intrakranieller Blutungen bei Patienten mit schwerem SHT (GCS <9). 8 von 27 untersuchten Patienten ihrer Studie entwickelten in den ersten 72 h nach Trauma eine progressive Blutung und wiesen gleichzeitig eine Thrombozytenzahl von <150 [103/ml] auf (p=0,008). Außer dem GCS finden sich keine Angaben über Verletzungsschwere oder Ausmaß der Gesamtverletzungen ( Abbreviated Injury Scale, Injury Severity Score ). Ob die niedrige Thrombozytenzahl ursächlich für die Befundprogression ist, oder ob sie bei schwerverletzten Patienten mit SHT innerhalb der ersten 72 h koexistert und deshalb nicht unabhängig zu werten ist, bleibt in dieser Studie ungeklärt. Ein möglicher Zusammenhang zwischen einem schlechten Gerinnungsstatus und einer Größenzunahme intrakranieller Blutungen lässt sich zwar nachvollziehen. Der Stellenwert eines Gerinnungsparameters als signifikanter prognostischer Parameter für das Auftreten progressiver intrakranieller Blutungen kann der Literatur jedoch noch nicht entnommen werden. Radiologische Befunde Abb. 4 7 Anzahl der Blutungen nach Blutungstypen. KIB: konstante intrakranielle Blutungen; PIB: progrediente intrakranielle Blutungen; SAB: Subarachnoidalblutung; Anteil PIB an Gesamtzahl der Blutungen des Blutungstyps in % Anzahl der Blutungen 200 150 100 Es konnte gezeigt werden, dass der Anteil progressiver Blutungen für Epiduralblutungen (44%) und Kontusionsblutungen (49%) deutlich höher als bei Subduralblutungen (10%) und Subarachnoidalblutungen (36%) lag (. Abb. 4). Unsere Resultate spiegeln die Ergebnisse von Oertel et al. [17] wider, die ebenfalls für Epiduralblutungen (22%) und Kontusionsblutungen (51%) die größte Wachstumstendenz aufzeigen konnten. In der vorliegenden Untersuchung wiesen PIB-Patienten signifikant häufiger intrazerebrale Kontusionsherde auf (p=0,02). PIB-Patienten hatten ferner häufiger eine Kalottenfraktur (31%) gegenüber KIB-Patienten (13%, p=0,03). Lehmann et al. [14] konnten bereits zeigen, dass die Kalottenfraktur als signifikanter Prädiktor des CCT-Befundes gewertet werden kann. Entsprechend der Leitlinien des European Brain Injury Consortium wird die Durchführung routinemäßiger Kontroll-CCTs bei SHT-Patienten aller Schweregrade mit initial pathologischem CCT-Befund empfohlen [20]. Brown et al. [3] postulieren in einer aktuellen Veröffentlichung, SHT-Patienten aller Schweregrade nach neurologischer Verschlechterung einer CCT-Kontrollen zu unterziehen, da sie in über einem Drittel der Fälle zu einer Veränderung des therapeutischen Regimes führt. Eine routinemäßige CCT-Kontrolle ist nach ihren Ergebnissen bei Patienten mit einem initialen GCS-Score 8 Punkte, also bei bewusstlosen oder analgosedierten Patienten, unabhängig vom neurologischen Verlauf indiziert. Bezüglich des richtigen Zeitpunkts für die Kontrolluntersuchungen besteht nach wie vor Uneinigkeit. Auch wir können mit unserer Untersuchung keinen Beitrag dazu liefern. 50 0 34% 49% Gesamt Intracerebralblutung 44% Epiduralblutung Blutungstypen SAB Auch wenn die Durchführung serieller CCTs unabhängig vom klinischen Bild in der Literatur nach wie vor kontrovers diskutiert wird, sollte sie jedoch unseres Erachtens gerade bei Patienten mit Kontusions- und Epiduralblutungen sowie zusätzlichen Kalottenfrakturen durchgeführt werden. Limitation der Studie 36% 10% Subduralblutung PIB KIB In der vorliegenden retrospektiven Studie wurden alle Patienten mit intrakranieller Traumafolge nach SHT, unabhängig von der Größe des pathologischen Befundes, ausgewertet. Hieraus entsteht das Problem einer sehr heterogenen Patientengruppe. Eine intrakranielle Blutung mit einer Größe bis max. 1 cm 2 im ersten CCT, die in der Kontroll- CCT um 25% zunimmt, steht den großen Blutungsbefunden ( 2 cm 2 ) gegenüber. In einer zusätzlichen Berechnung ergaben sich jedoch nach Ausschluss sämtlicher Blutungen bis max. 2 cm 2 hinsichtlich der untersuchten Parameter in der logistischen Regression keine signifikanten Veränderungen in den Ergebnissen. Dies kann auch durch die relativ geringe Patientenfallzahl begründet sein. Ferner werden in dieser Studie verzögert auftretende Blutungen sowie Blutungen, die erst nach 24 h eine Befundprogression zeigten, nicht berücksichtigt. Ein weiteres Problem stellt der große Anteil alkoholisierter Patienten in der Studienpopulation dar. Bei diesen Patienten ist die Der Unfallchirurg 11 2008 903

Beurteilung der klinischen Parameter erschwert und die Zuverlässigkeit der Aussage hinsichtlich des Unfallzeitpunkts zu hinterfragen. Bei der Interpretation der klinischen Parameter ist zu berücksichtigen, dass sie keinen Verlauf widerspiegeln, da sie zum Zeitpunkt der Klinikaufnahme erhoben wurden. Fazit für die Praxis Nahezu die Hälfte aller SHT-Patienten mit intrakranieller Traumafolge zeigt eine frühzeitige Größenprogredienz der im initialen CCT entdeckten Blutung. Hinsichtlich Alter und Geschlecht konnten wir, entgegen anderer Studien, keine signifikanten Zusammenhänge zum Auftreten progredienter Blutungen erkennen. Der Einfluss eines kurzen Zeitintervalls zwischen Trauma und der 1. CCT auf ein häufigeres Auftreten progredienter intrakranieller Blutungen liegt zwar nahe, ließ sich jedoch durch die Ergebnisse unserer Studie nicht mit Signifikanz belegen. Die deutlich kürzeren innerklinischen Zeitintervalle für Patienten mit progredientem Blutungsbefund überraschten, da sich diese Patienten sonst in keinen demografischen oder klinischen Parametern zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung unterschieden. Hier darf als Limitation der Studie angesehen werden, dass für diese Studie keine Verlaufsdaten erhoben wurden. Es ist anzunehmen, dass Patienten, die nach der Erstuntersuchung klinische Veränderungen zeigten, früher der initialen CCT bzw. Kontroll- CCT unterzogen wurden, als klinisch unauffällige Patienten. Unter den einzelnen Blutungstypen zeigten Epiduralblutungen und Konstusionsblutungen am häufigsten eine Größenprogredienz. Patienten mit progredientem Blutungsverlauf erlitten signifikant häufiger eine Kalottenfraktur (p=0,03) und wiesen häufiger Kontusionsblutungen auf (p=0,02). Der Gerinnungsstatus bei Aufnahme lässt derzeit noch keine Prognose für das Auftreten progredienter intrakranieller Blutungen zu. Aufgrund der häufig beobachteten Größenprogredienz intrakranieller Blutungen und der eingeschränkten Aussagekraft klinischer Parameter ist die Indikation zur Durchführung einer CCT-Kontrolle bei allen SHT-Patienten mit intrakranieller Blutung gegeben. Eine frühzeitige Kontroll-CCT (3 6 h) sollte bei Patienten mit intrazerebraler Kontusionsblutung, Epiduralblutung und kombinierter Kalottenfraktur sowie bei auffälligem neurologischem Befund großzügig gestellt werden. Korrespondenzadresse Dr. T. Vogel Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum Gudrunstr. 56, 44791 Bochum t.vogel@klinikum-bochum.de Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1. Borczuk P (1995) Predictors of intracranial injury in patients with mild head trauma. Ann Emerg Med 25: 731 736 2. Brown CV, Weng J, Oh D et al. (2004) Does routine serial computed tomography of the head influence management of traumatic brain injury? 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