Wilfried Ferchhoff/Georg Neubauer Patchwork-Jugend

Ähnliche Dokumente
Wilfried Ferchhoff Jugend an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert

Der Wandel der Jugendkultur und die Techno-Bewegung

Tibor Kliment Digitales Radio in Nordrhein-Westfalen

Held, Horn, Marvakis Gespaltene Jugend

VaskovicslRupp/Hofmann Nichteheliche Lebensgemeinschaften

Ralf Bohnsack Rekonstruktive Sozialforschung

Familienformen im sozialen Wandel

Geisteswissenschaft. Lena Metzing. Lebensphase Jugend. Biographiekonstruktion und individuelles Kompetenzprofil von Jugendlichen.

Selbstsozialisation, Kinderkultur und Mediennutzung

Neue Bibliothek der Sozialwissenschaften

Moser, Einführung in die Medienpädagogik

Karin J ampert Schlüsselsituation Sprache

Band II Heinz-Hermann Krüger Einführung in Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft

Monika Alisch Soziale Stadtentwicklung

Barbara Keddi Projekt Liebe

Steffen Wenzel Streetball

Masken und Maskierungen

Jutta Ecarius Nils Köbel Katrin Wahl. Familie, Erziehung und Sozialisation

Gabriele Niepel Alleinerziehende

Allgemeine Pädagogik

Rechtsextremismus und N eue Rechte in Deutschland

Heinz-Jürgen Axt EU -Strukturpolitik

Politische Ökonomie der Gewalt

Roland Gabriel Heinz-Peter Röhrs. Social Media. Potenziale, Trends, Chancen und Risiken

Händle/Oesterreich/Trommer Aufgaben politischer Bildung in der Sekundarstufe I

Sebastian Lerch. Selbstkompetenzen. Eine erziehungswissenschaftliche Grundlegung

Verena Mayr-Kleffel Frauen und ihre sozialen Netzwerke

Die Zukunft von Nationalstaaten in der europäischen Integration

Frankreich-Jahrbuch 1999

Otto G. Schwenk Soziale Lagen in der Bundesrepublik Deutschland

Gabriele Winker Büro. Computer. Geschlechterhierarchie

Dieter Baacke. Günter Frank Martin Radde. Medienwelten - Medienorte

UTe Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage

Gabriele Niepel Soziale Netze und soziale Unterstützung alleinerziehender Frauen

Betina Hollstein Soziale Netzwerke nach der Verwitwung

William K. Frankena. Ethik. Eine analytische Einführung 6. Auflage

Paula-Irene Villa Sexy Bodies

W alter Gehres Das zweite Zuhause

Henning Schluß. Religiöse Bildung im öffentlichen Interesse

Jürgen Hoffmann Die doppelte Vereinigung

Dieter Steiner (Hrsg.) Mensch und Lebensraum

Annette von Alemann Soziologen als Berater

Iris Nentwig-Gesemann Krippenerziehung in der DDR

Soziologie in Deutschland

Veronika Koch Erwachsenengerichtshilfe

AchimBaum. Journalistisches Handeln

Rainer Greshoff. Die theoretischen Konzeptionen des Sozialen von Max Weber und Niklas Luhmann im Vergleich

Qualitative Sozialforschung

Thomas Geisen. Arbeit in der Moderne

Forschung und Entwicklung in der Erziehungswissenschaft. Herausgegeben von R. Treptow, Tübingen, Deutschland

Christian J. Jäggi. Migration und Flucht. Wirtschaftliche Aspekte regionale Hot Spots Dynamiken Lösungsansätze

H. Gerhard Beisenherz Kinderarmut in der Wohlfahrtsgesellschaft

N eval Gültekin Bildung, Autonomie, Tradition und Migration

Die Wirtschaft der Techno-Szene Arbeiten in einer subkulturellen Ökonomie

Illegale Migration und transnationale Lebensbewältigung

Konstruktivismus und Pädagogik

Fritz Böhle. Sabine Pfeiffer. Nese Sevsay-Tegethoff (Hrsg.) Die Bewältigung des unplanbaren

Arnulf Deppermann. Gespräche analysieren

Kritik der Pädagogik Pädagogik als Kritik

Roland RothIDieter Rucht (Hrsg.) Jugendkulturen, Politik und Protest

Tobias Kollmann Holger Schmidt. Deutschland 4.0 Wie die Digitale Transformation gelingt

PätzoldI Röper Lokale Medien in NRW

Bereitgestellt von TU Chemnitz Angemeldet Heruntergeladen am :28

Ulf Matthiesen (Hrsg.) Stadtregion und Wissen

Grundlagen der doppelten Buchführung

Soziale Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit

Einführung in Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft

Andersen/Woyke Deutschland Wahl '90

Oliver Gallina. Diplomica Verlag. Jugendmedienkultur. Mediennutzung und Medienkompetenz in populären Jugendkulturen

Schriften der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft

Sigrid Tsch6pe-Scheffler Elternkurse auf dem Prufstand

Kurt Franke (Hrsg.) Demokratie Lernen in Berlin

Ulfert HerlynIWulf Tessin Faszination Wolfsburg

Aufwachsen und Lernen in der Sozialen Stadt

Birgit Wartenpfuhl Dekonstruktion von Geschlechtsidentität Transversale Differenzen

Nikolaus Werz. Reinhard Nuthmann (Hrsg.) Abwanderung und Migration in Mecklenburg und Vorpommern

Wissenschaft und AufkHirung

Michael Meuser Geschlecht und Männlichkeit

Burkhard Fuhs Kinderwelten aus Elternsicht

Angelika Diezinger Frauen: Arbeit und Individualisierung

Islam und Politik. Herausgegeben von K. Schubert, Münster, Deutschland

Muslimische Milieus im Wandel?

Ratgeber Zwangsstörungen

Internationale Umweltregime

Work-Life-Balance eine Frage der Leistungspolitik

Freia Hardt Regierungswechsel und Arbeitsmarktpolitik in Frankreich

Familien ausländischer Herkunft in Deutschland

Radegundis Stolze. Übersetzungstheorien. Eine Einführung. 6. Auflage

Ralf Bohnsack Iris Nentwig-Gesemann Arnd-Michael Nohl (Hrsg.) Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis

Flexible Arbeitssysteme im Maschinenbau

Reiner Keller. Müll- Die gesellschaftliche Konstruktion des Wertvollen

Gesellschaft ohne Kinder

Journalistische Praxis. Björn Staschen. Mobiler Journalismus

Schwierige Menschen am Arbeitsplatz

B2C Elektronischer Handel- eine Inventur

Studien zur Kindheitsund Jugendforschung Band 2

Seung-Nam Son Wilhelm Dilthey und die pädagogische Biographieforschung

Neue Bibliothek der Sozialwissenschaften

Qualitative Sozialforschung

Hans Goller Das Rätsel von Körper und Geist

Transkript:

Wilfried Ferchhoff/Georg Neubauer Patchwork-Jugend

Wilfried Ferchhoff/Georg Neubauer Patchwork-Jugend Eine Einführung in postmoderne Sichtweisen Leske + Budrich, Opladen 1997

Gedruckt auf säurefreiem und altersbeständigem Papier. ISBN 978-3-8100-1349-1 ISBN 978-3-663-01231-3 (ebook) DOI 10.1007/978-3-663-01231-3 1997 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Inhalt Vorwort... 7 1. Zeichen der Zeit. Differenzierung, Pluralisierung. Individualisierung - eine Chimäre?... 11 2. Was bedeutet Individualisierung? Paradoxien in einer individualisierten Gesellschaft.... 33 3. Historische Reminiszenzen zur (Post)Moderne... 45 4. (Post)Moderne: zeitkulturelle und -geistige Annäherungen... 55 5. Zum Verhältnis von Moderne und (Post)Moderne: Übergänge und Grenzüberschreitungen... 63 6. Lesarten zur (Post)Moderne... 71 7. Das Abbröckeln der Identität und das Verschwinden des Subjektbegriffs: zur Ausdifferenzierung der Vernunft und Rationalität - Patchworktendenzen... 79 8. Mode, Jugend und (Post)Moderne... 93 9. Zur Differenzierung des Jugendbegriffs... 109 10. Entwicklungs- und Lebensbewältigungsaufgaben von Jugendlichen neu definiert - ein anderes Verständnis von (Patchwork)Identität... 115 11. Pauschale Jugendbilder und epochale Generationsgestalten... 121 12. Jugendgenerationen in der Bundesrepublik Deutschland - revisited... 129 13. Jugendforschung - revisited. Moderne qualitative Jugendforschung und patchworkorientierte (post)moderne Jugend... 145 Literatur...,... 177

Vorwort Bei diesem Band handelt es sich um eine von den Autoren vollständig überarbeitete und erheblich veränderte Fassung des im Juventa Verlag 1989 erschienenen Buches Jugend und Postmoderne. In dem vorliegenden Buch werden die zentralen gesellschaftlchen Veränderungen der Jugendphase, die weitreichende Auswirkungen auf die Lebenslagen, Lebensmilieus, Lebensformen und Lebensstile, auf das Aufwachsen und die subjektiven Verarbeitungsformen von Jugendlichen haben, im Medium zentraler Instanzen der Erziehung und Sozialisation wie Familie, Schule, Beruf, Freizeit, Medien, Musik und Gleichaltrigengruppen in (post)moderner Perspektive rekonstruiert. Auch acht Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands deutet unsere Gesellschaft auch jenseits der Wiederkehr der alten und neuen Armut im Reichtum auf gesellschaftliche Entwicklungen und (zumeist uneinlösbare) erlebnisorienierte Glücksversprechen hin, die (post)moderne Züge aufweisen. Die Zeichen der Zeit stehen nach wie vor auf Globalisierung, Mediatisierung, Enttraditionalisierung, Pluralität, und Flexibilisierung. Heterogene, ambivalente, viel- und mehrdeutige, uneinheitlich-fragmentierte, ambivalente, dezentrierte, paradoxale, ironisch-hedonistische und vor allem utopieskeptische Kulturen der Lebensführung und Weltbilder wurden vornehmlich in den 80er Jahren mit dem catch-all-term (post)moderne in Verbindung gebracht. In den späten 90er Jahren spricht man stattdessen nicht nur in den einschlägigen sozialwissenschaftlichen (Re )Konstruktionen nach dem Parforceritt durch die vielen modischen Postismen eher von Reflexiver oder Zweiter Moderne (Giddens 1997; Beck 1997). Auf der einen Seite werden in nahezu allen Lebensbereichen für die Menschen sehr viele Chancen und einzigartige Wahlmöglichkeiten eröffnet. Auf der anderen Seite werden aber mit der Aufweichung von Ligaturen, Traditionsbezügen, Gemeinschaften, Werten und Normen auch Risiken sichtbar, die Verunsicherungs-, Überforderungs- und Ohnmachtserfahrungen nach sich ziehen können. Dies ist in aller Kürze die unauthebbare Ambivalenz der (post)modernen individualisierten Gesellschaft, die Chancen und Risiken der Individualisierung nach wie vor ungleich verteilt. (Post)Moderne Individualisierung meint sowohl die Aufweichung, ja sogar die Auflösung industriegesellschaftlicher Lebensformen durch andere, in denen die einzelnen ihre Biographie selbst herstellen, inszenieren, zusammenschustern müssen, und zwar ohne die - einige basale Fraglosigkeit sichernden - relativ stabilen sozial-moralischen Milieus, die es durch die gesamte Industriemoderne hindurch immer gegeben hat und als 'Auslaufmo- 7

delle' immer noch gibt. Jeder muß sich nicht nur individuell behaupten und durchsetzen, sondern auch noch in einer Art vorbildlosen Eigenverantwortung und subjektiven Gewißheit seine individuelle Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit stets auf verschiedenen Ebenen selbstinszenierend unter Beweis stellen. Es handelt sich um einen paradoxen, selbstinszenierenden Zwang zur Selbstgestaltung der eigenen Biographie. Das Subjekt wird auf der Grundlage der Fragmentierung, Differenzierung und Widersprüchlichkeit der Lebensformen als Konstrukteur seiner patchworkorientierten Bastelbiographie aufgefaßt. Das Subjekt ist nicht zuletzt deshalb hybrid, weil seine prozessual aufzufassende Identität durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Gruppenzugehörigkeiten Gestalt gewinnt. Dabei sind die Risiken des Scheiterns zweifellos groß, daß ein derartig komplexes und anspruchsvolles Lebenskonzept zumindest nicht von allen erfüllt werden kann. Nicht nur Irritationen können entstehen, sondern auch Belastungen aller Art. Und erlebte Gefühle von Unsicherheit, Ohnmacht, Überforderung, Hilflosigkeit, Entfremdung und ontologischer Bodenlosigkeit können überhand nehmen. In der Lebensphase Jugend kulminieren nun die Möglichkeitsspielräume und die Anforderungen (Autonomie, Selbstentfaltung, Sinnerfüllung, Gerechtigkeit etc.) an die (post)modernen Individualisierungsprozesse. Und nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser zugleich polyvalenten und ambivalent-paradoxalen Individualisierungsprozesse haben sich neben den zweifelsohne beobachtbaren such(t)artigen Fluch(t)bewegungungen in die fiktiven Angebote unstrittiger, stabiler und eindeutiger Identitäten, die diversen Jugend-Szenen noch einmal beträchtlich vermehrt und vielhiltig ausdifferenziert, so daß inzwischen eine kaum mehr überschaubare Pluralität von unterschiedlichen jugendlichen Verhaltensweisen und Orientierungen, jugendkulturellen Einstellungen, Ausfächerungen und Stilisierungen vagabundiert. Was wird am Ende des 20. Jahrhunderts geschätzt?: Der leicht aufgedrehte, kommunikativ-lebendige, kontaktfreudige, erlebnisbereite, gutgelaunte, optimistische und erfolgreiche Selbstanimateur: Gut drauf zu sein, prima Laune auszustrahlen und gute Stimmung zu verbreiten scheint in vielen Lebensmilieus zum unhintergehbaren Lebensmotto geworden zu sein. So gesehen handelt es sich im wesentlichen um einen Persönlichkeitsresp. Charaktertypus, der sich - wie viele meinen recht oberflächlich - außerordentlich flexibel an die jeweiligen Lebenssituationen anpaßt und sich selbst dabei noch abwechslungsreich in Szene setzt, dem außeralltäglichen ThrilI nicht aus dem Wege geht, die Techniken des virtuosen Rollenspiels als Patchwork-Persönlichkeit perfekt beherrscht, die Nase stets im Wind hat, immer genau spürt, was gefordert und verlangt wird und das Instant Erlebnis und den Instant-Genuß sowie den Instant-Spaß bevorzugt. Den von strengen Prinzipien, festen, knorrigen und unumstößlichen Moral- und 8

Wertvorstellungen geprägten Typus scheint es als Leitbild nur noch in verknöcherten - Patina angesetzten - Restexemplaren zu geben. Wilfried FerchhofflGeorg Neubauer - BochumlJena im Juni 1997 9