Der Internist. Elektronischer Sonderdruck für. M. Dreyer



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Der Internist Organ des Berufsverbandes Deutscher Internisten Organ der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin Elektronischer Sonderdruck für Ein Service von Springer Medizin Internist 2011 52:533 538 DOI 10.1007/s00108-010-2734-y Springer-Verlag 2011 zur nichtkommerziellen Nutzung auf der privaten Homepage und Institutssite des Autors Periphere arterielle Verschlusskrankheit und Mikrozirkulationsstörungen bei Patienten mit Diabetes mellitus www.derinternist.de

Internist 2011 52:533 538 DOI 10.1007/s00108-010-2734-y Online publiziert: 16. April 2011 Springer-Verlag 2011 Schwerpunktherausgeber H. Haller, Hannover B.E. Strauer, Düsseldorf Zentrum für innere Medizin, Asklepios Westklinikum Hamburg Periphere arterielle Verschlusskrankheit und Mikrozirkulationsstörungen bei Patienten mit Diabetes mellitus Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) ist ganz überwiegend durch atherosklerotische Stenosen oder atherothrombotische Verschlüsse der Arterien distal der Aorta bedingt. Nicht-atherosklerotisches Geschehen als Ursache einer PAVK wie entzündliche, embolische oder andere Prozesse sind selten (<5%; [6]). Patienten mit Diabetes mellitus haben ein 2- bis 3-fach höheres Risiko, eine PAVK zu entwickeln, und von den Diabetespatienten im Alter über 50 Jahre weisen 29% eine PAVK auf. Damit haben diese Patienten ein deutlich erhöhtes Amputationsrisiko [1]. Darüber hinaus ist häufig die PAVK nicht eine singulär auftretende Manifestation der Atherosklerose, sondern Indikator für gleichsinnige Veränderungen an den Koronar- und/oder den hirnversorgenden Gefäßen [4]. > Häufig ist die PAVK Indikator für Veränderungen an den Koronar- und/oder hirnversorgenden Gefäßen Bei Patienten mit Diabetes mellitus treten neben den Veränderungen an den großen Gefäßen auch Mikrozirkulationsstörungen auf, die sich aber nur ausnahmsweise im Sinne einer okklusiven Mikroangiopathie manifestieren. Die Schweregrade der PAVK werden klassischer Weise nach Fontaine (. Tab. 1) eingeteilt. Bei Patienten mit Diabetes mellitus, die häufig (ca. 70%) eine sensible symmetrische periphere Neuropathie aufweisen, sind häufig die Stadien II und III nicht zu erheben. Die Patienten nehmen durch ihre diabetische Knöchel-Arm-Index (ABI) Farbkodierte Duplexsonographie Befund aussagekräftig US CE-MRA oder (US) DSA Pulse: o. B. ABI > 0.9 Stadium I-II Neuropathie den ischämischen Schmerz nicht wahr, die Claudicatio-Symtomatik wird verschleiert und bleibt stumm. Entsprechende Patienten werden als subjektiv symptomfrei dem Stadium I zugeordnet, obwohl sie mehrfach täglich unter Belastung stille Ischämien erleiden. Daher stellen sich Patienten mit Diabetes mellitus meistens auch nicht mit einer PAVK im Stadium II oder III ihren Ärzten vor, sondern erst im Stadium IV mit einem dia betischen Fußsyndrom (DFS). Die ebenfalls empfohlene Stadieteilung nach Rutherford ist der nach Fontaine sehr ähnlich, unterteilt aber die Stadien noch stärker nach Claudicatio-Beschwerden und ist daher gerade für Patienten mit Diabetes mellitus aus den genannten Gründen nicht hilfreich. Bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom hat sich die Einteilung nach Wagner-Armstrong [2, 10] bewährt. Sie wird mit den Kriterien Ausmaß der Fußläsion (0 5), Infektion (B, D) und Ischämie (C, D) vorgenommen. Mit dieser Einteilung lassen sich das Amputationsrisiko abschätzen und Schnittstellen in der Versorgung definieren. Kurzstr. Stenose/ Verschluß Langstr. Stenose/ Verschluß Keine rel. pavk Gefäßchirurgie ABI normal + flache Kurve oder ABI > 1.3 = Mediasklerose möglich Keine Therapie Interventionelle Angio Intervention erfolgreich? Gefäßchirurgie TASC-Einstufung PTA/Stent Abb. 1 8 Gefäßdiagnostik und Therapie bei Patienten mit Diabetes nach der nationalen Versorgungsleitlinie ([6]; o.b.: ohne pathologischen Befund, pavk: periphere arterielle Verschlusskrankheit, ABI: Ancle-Brachial-Index, US: Befunde im Unterschenkelbereich, CE-MRA: kontrastmittelverstärkte Magnetresonanzangiographie, DSA: digitale Subtraktionsangiographie, PTA: perkutane transluminale Angioplastie) Der Internist 5 2011 533

Tab. 1 Klassifikation der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit nach den Fontaine-Stadien Stadium I IIa IIb III IV Diagnostik Klinisches Bild Asymptomatisch Gehstrecke >200 m Gehstrecke <200 m Ischämischer Ruheschmerz Ulkus, Gangrän Die Anamnese ist bei PAVK-Patienten mit Diabetes mellitus häufig, wie oben dargestellt, wegen der begleitenden peripheren Neuropathie, nicht eindeutig. E Ischämiesymptome werden oft nicht wahrgenommen und damit auch nicht berichtet. Deshalb ist bei diesen Patienten die gezielte körperliche Untersuchung besonders wichtig(. Abb. 1). Können die Fußpulse (A. dorsalis pedis und A. tiabialis posterior) beidseits getastet werden, ist eine PAVK ausgeschlossen. Ein Verschluss der Fußarterien distal der Taststellen kann nur im Rahmen von ausgedehnten Entzündungen oder Phlegmonen auftreten, in der Regel nicht aber an Füßen ohne jede Läsion. Tab. 2 Beurteilung des Ancle-Brachial- Index (ABI; adaptiert nach [4]) ABI-Werte Beurteilung >1,3 Falsch hoher Wert, Verdacht auf Mediasklerose 0,9 1,3 Normalbefund 0,75 0,9 Leichte PAVK 0,50 0,75 Mittelschwere PAVK <0,5 Schwere PAVK, kritische Ischämie PAVK: periphere arterielle Verschlusskrankheit. Tab. 3 Zuordnung der femoropoplitealen Läsionen zu Typ-A- bis -D-Läsionen entsprechend TASC II (Trans Atlantic Inter-Society Consensus; adaptiert nach [8]) Typ-A-Läsionen Singuläre Stenosen 10 cm lang Singuläre Okklusionen 5 cm lang Typ-B-Läsionen Multiple Läsionen (Stenosen oder Okklusionen) von jeweils 5 cm Singuläre Stenose oder Okklusion 15 cm ohne Einbeziehung des infragenikulären Abschnitts der A. poplitea Singuläre oder multiple Läsionen ohne durchgängige tibiale Gefäße zur Verbesserung des Einstroms in einem distalen Bypass Stark verkalkte Okklusionen 5 cm lang Singuläre Poplitealstenosen Typ-C-Läsionen Multiple Stenosen oder Okklusionen von insgesamt >15 cm Länge mit oder ohne starke Verkalkung Behandlungsbedürftige Rezidivstenosen oder -okklusionen nach 2 endovaskulären Interventionen Typ-D-Läsionen Chronische Okklusionen der kompletten A. femoralis communis oder A. femoralis superficialis (>20 cm, unter Beteiligung der A. politea) Chronische Okklusionen der kompletten A. poplitea und der proximalen Trifurkationsgefäße Apparative Diagnostik Bei den apparativen Untersuchungsmethoden stehen die ultraschallgestützten Verfahren am Anfang jeder weitergehenden Diagnostik. Der Knöchel-Arm-Index (im englischen Ancle-Brachial-Index, ABI) kann in der Diagnostik aber auch als Screeningverfahren eingesetzt werden. Dazu sollte der Patient nach mindestens 10 min ruhigem Liegen in eben dieser Position untersucht werden. Dann werden jeweils 2 systolische Blutdruckmessungen durchgeführt, zunächst an der A. brachialis. Hierbei wird jeweils der 2. Messwert an beiden Armen notiert und der Mittelwert dieser beiden Messungen verwendet, solange der Druckunterschied nicht >10 mmhg ist. Ist der Blutdruckunterschied >10 mmhg zwischen beiden Armen, so wird der höhere der beiden Drücke verwendet. Dann wird nacheinander an beiden Unterschenkeln mit einer 11 12 cm breiten Blutdruckmanschette der systolische Druck in den Aa. tibialis posterior und anterior gemessen. Der höhere dieser beiden Messwerte wird durch den Brachialarteriendruck geteilt und ergibt für jedes Bein den ABI. Dieses Verfahren empfiehlt die Versorgungsleitlinie Typ-2-Diabetes-Fußkomplikationen [6]. Die Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) der Deutschen Gesellschaft für Angiologie und Gesellschaft für Gefäßmedizin empfiehlt hingegen den niedrigeren der beiden Beinarteriendrücke für die ABI-Bestimmung zu verwenden [3]. Durch die Verwendung des niedrigeren Fußarteriendrucks steigt die Sensitivität dieser Methode, eine signifikante PAVK nachzuweisen, von 68 auf 93%. Dieser ABI ist daher für die Diagnosestellung maßgebend. Der ABI mit dem höheren Beinarteriendruck ist jedoch das bessere Maß für die arterielle Durchblutung und für das weitere diagnostische und auch therapeutische Vorgehen, denn für die Erhaltung eines Fußes und die Abheilung von Wunden reicht in der Regel eine suffiziente Eingefäßversorgung durch die A. tibialis anterior oder posterior aus. Die Beurteilung der ABI-Werte ergibt sich aus. Tab. 2. Die exakte Bestimmung des ABI setzt die physiologische Komprimierbarkeit der Unterschenkelarterien voraus. Gerade bei Patienten mit langjährigem Diabetes findet sich häufig eine erhöhte Steifigkeit oder sogar eine Mediasklerose, die die Komprimierbarkeit der Gefäße erschwert oder sogar vollständig aufhebt und dazu führt, dass ABI-Werte falsch hoch (z. T. >1,3) gemessen werden. Diese Probleme lassen sich umgehen, indem man die Methode modifiziert oder ergänzende Verfahren einsetzt: Pole-Test Bei diesem klinischen Test wird das Dopplersignal aufgenommen und dabei der Fuß passiv angehoben. Die Höhe des Dopplerkopfes über dem Herzen, bei der das Dopplersignal verschwindet, entspricht dem Druck gemessen in cm Blutsäule (. Abb. 2). Die Division durch 1,3 ergibt den Blutdruck in mmhg [8, 9]. Zehendruckmessung Die Mediasklerose betrifft überwiegen die mittelgroßen Arterien, weniger die klei- 534 Der Internist 5 2011

Höhe in cm 60 50 40 30 20 schen Verfahren. Es ist nicht invasiv, daher risikolos und beliebig wiederholbar. Steht diese Methode nicht zur Verfügung oder sind die Befunde nicht eindeutig, kommen die anderen angiographischen Methoden zum Einsatz: Die intraarterielle digitale Subtraktionsangiographie ist der Goldstandard und folgt der farbkodierten Dopplersonographie bei eher kurzstreckigen Stenosen bzw. Verschlüssen direkt in Verbindung mit einer Intervention (perkutane transluminale Angioplastie, PTA; Stent). Die Magnetresonanzangiographie erreicht heute mit einer medianen Sensitivität von 95% und Spezifität von 97% fast das Niveau der digitalen Subtraktionsangiographie und ist im Vergleich zur computertomographischen Angiographie risikoärmer. Diese erreicht eine Sensitivität und Spezifität von jeweils 91% und sollte auch wegen des höheren Risikos nur eingesetzt werden, wenn kein Magnetresonanzgerät zur Verfügung steht. Die Morphologie der PAVK ist bei Patienten mit langjährigem Diabetes mellitus häufiger im Vergleich zu Patienten ohne Diabetes mellitus durch langstreckigere, diffuse und weiter peripher gelegene Veränderungen charakterisiert. Die vielleicht charakteristischste Situation ist der Unterschenkelquerschnittverschluss mit Verschluss der 3 Unterschenkelarterien distal der Trifurkation, bis zum Knöchel reichend. Um hier eine ausreichende Auflösung und Darstellung der Gefäße an Unterschenkeln und Füßen zu erreichen, bedarf es besonderer Gerätespezifikationen bei der Magnetresonanzangiographie, manchmal ist letztlich dann doch der Einsatz der intraarteriellen digitalen Subtraktionsangiographie erforderlich. Mikrozirkulation bei Diabetes mellitus 10 0 Abb. 2 8 Pole-Test. Das zu untersuchende Bein wird passiv angehoben, bis der Doppler gerade keine Strömung mehr messen kann. Dann entspricht die Höhe des Schallkopfes über Herzhöhe dem Perfusionsdruck an der (in diesem Fall) rechten A. dorsalis pedis gemessen in cm Blutsäule (cm Blutsäule/1,3= mmhg; in diesem Beispiel 54 cm /1,3=42 mmhg) nen Arterien im Zehenbereich. Die Messung des Zehendrucks mithilfe einer kleinen Zehenmanschette gibt bei Werten <30 mmhg zusätzlich Hinweise auf das Vorliegen einer kritischen Ischämie. Generell liegt der Zehendruck ca. 30 mmhg unter dem systemischen Knöcheldruck und der pathologische Zehen-Arm-Index beträgt 0,7 oder weniger. Dopplerpulskurve Wenn man über ein Dopplermessgerät verfügt, das die Dopplerpulskurven aufzeichnet, so lässt sich diese qualitativ zuverlässig auswerten. Ein normaler ABI mit abgeflachter Dopplerpulskurve (Reduktion der Pulsatilität) mit reduzierten systolischen und erhöhten diastolischen Amplituden weist auf das Vorliegen einer Mediasklerose hin. Transkutane Sauerstoffdruckmessung Diese Methode hat nur eine mäßige Sensibilität und Spezifität. Bei bekannter PAVK lässt sich mit dieser Methode die Sicherheit für das Erkennen einer kritischen Ischämie steigern. Bildgebende Verfahren Nach der Basisdiagnostik mit ABI-Messung sollte bei Auffälligkeiten die farbkodierte Duplex-Doppler-Sonographie (FKDS) der Beinarterien angestrebt werden. Dieses Verfahren bildet die zentrale Weichenstellung für die weiteren diagnostischen Methoden und therapeuti- Bei Patienten mit Diabetes mellitus tritt nach 20-jähriger Krankheitsdauer bei ca. 40 70% eine bedeutsame Polyneuropathie auf. Dabei werden überwiegend und anfangs die sensiblen, später die motorischen Fasern, aber auch das autonome Nervensystem geschädigt. Letzteres entspricht funktionell einer (Auto-)Sympathektomie. Dadurch werden die peripheren Gefäße, insbesondere die Kapillaren und Shuntgefäße weit gestellt. Diese neuropathischen Füße werden hyperperfundiert, sind überwärmt und gerötet. Damit spielt die häufigste diabetestypische Störung der Mikrozirkulation keine Rolle im Sinne einer Verstärkung oder Verschlimmerung der PAVK. Kommt es jedoch zu einer ausgedehnten Infektion im Zehen- oder Vorfußbereich, kann es zu einer phlegmonösen Durchwanderung der kleinen Blutgefäße mit septischen Thrombosen und Verschlüssen kommen. Diese scheinbar widersprüchliche Situation mit tastbaren Fußpulsen einerseits und akralen Nekrosen andererseits darf nicht zu der Fehlinterpretation führen, dass hier eine eigenständige Mikroangiopathie vorliegen würde. Es handelt sich um eine Infektion mit sekundären septischen Thrombosen! Ob eine ausgeprägte und weit in die Peripherie reichende Mediasklerose den Sauerstoffaustausch mit dem Gewebe behindert, ist derzeit noch unklar. Therapie Die Basis der Therapie der PAVK stellen auch bei Patienten mit Diabetes mellitus Gehtraining und Basistherapie dar. Bei gleichzeitig bestehender diabetischer Neuropathie muss bedacht werden, dass der Patient exakte Angaben zum Training benötigt, da er eine Ischämiesymptomatik möglicherweise nicht wahrnehmen kann. Zudem sollten die Füße keine Läsionen 536 Der Internist 5 2011

Zusammenfassung Abstract oder Druckstellen aufweisen, hier könnte das Gehtraining fatale Folgen haben. Zur Basistherapie gehören genau wie in der Primärprävention: F Nikotinverzicht. F Antihypertensive Therapie: Der Zielblutdruck von <140 systolisch und <90 mmhg diastolisch sollte erreicht werden. Niedrigere Blutdruckzielwerte wurden kürzlich in den Leitlinien wieder aufgegeben. F Cholesterinsenkende Therapie: Der LDL-Wert sollte unter 100 mg/ dl liegen. Statine sind Medikamente der Wahl. F Blutglukosesenkende Therapie: In der Primärprävention und damit in der Regel in den ersten 10 Diabeteshren können niedrige HbA 1c - Werte (<6,5%) angestrebt werden. Bei Patienten mit manifester PAVK oder Diabetesdauer >10 Jahren sollten HbA 1c -Werte <7,5% angestrebt werden. F Thrombozytenaggregationshemmer: Diese Substanzklasse hat in der Primärprävention keinen Nutzen. In der Sekundärprävention, also nach Gefäßintervention muss diese Substanzklasse obligat eingesetzt werden. Konservative Therapie Es stehen verschiedene vasoaktive Medikamente (Cilostazol und Naftidrofuryl) zur Verfügung, deren Einsatz auf Patienten mit eingeschränkter Gehstrecke (<200 m) beschränkt ist, die kein Gehtraining durchführen können. Interventionelle Therapien Internist 2011 52:533 538 Springer-Verlag 2011 DOI 10.1007/s00108-010-2734-y Periphere arterielle Verschlusskrankheit und Mikrozirkulationsstörungen bei Patienten mit Diabetes mellitus Zusammenfassung Mit der Zunahme des Diabetes mellitus in der Bevölkerung und der wachsenden Lebenserwartung wird auch die Prävalenz der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) weiter stark zunehmen. Patienten mit langjährigem Diabetes und PAVK weisen sehr häufig, zu ca. 70%, ebenfalls eine sensible periphere Neuropathie auf. Dadurch bleiben diese PAVK-Patienten, auch wenn sie mehrfach täglich Ischämien erleiden (Stadium II und III nach Fontaine), fast vollständig beschwerdefrei und werden dann fälschlich dem Stadium I zugeordnet oder die Diagnose wird wegen der fehlenden Symptomatik überhaupt nicht gestellt. Deshalb gehört das routinemäßige Tasten der Fußpulse mindestens einmal jährlich zur Routineuntersuchung bei Patienten mit Diabetes. Bei fehlenden Fußpulsen sollte in die Stufendiagnostik Peripheral artery disease and disorders of microcirculation in patients with diabetes mellitus Abstract The increase in prevalence of diabetes mellitus and in life expectancy cause the growing number of diabetic patients with peri pheral artery disease (PAD). Patients with long standing diabetes suffer frequently (about 70%) from peripheral sensory neuropathy. Therefore these patients miss the symptoms of claudication. Patients with silent ischemia will be classified to Stadium I (Fontaine) instead to stadium II or III or their diagnosis will be missed at all. The clinical investigation of the food pulses should be done at least once per year in all patients with diabetes mellitus. When one or more pulses are not detectable the further diagnostic procedures should eingestiegen werden. Diese beginnt immer mit dem ABI (Ancle-Brachial-Index). Dieses Verfahren kann aber bei Patienten mit Mediasklerose versagen. Bei früher Diagnose kann mit einer konservativen Therapie für Patienten vieles erreicht werden. Bei später Diagnose im Stadium IV nach Fontaine sollte immer und zwingend vor jeder Überlegung zur Amputation nach entsprechender Diagnostik die Revaskularisation angestrebt werden. Dabei sollten die Differenzialindikationen für kathetergestützten Verfahren und für gefäßchirurgische Verfahren, wie in den Leitlinien dargestellt, berücksichtigt werden. Schlüsselwörter PAVK Diabetes mellitus Fontaine-Klassifikation Revaskularisierung Mikroangiopathie start with the measurement of the ABI (Ancle Brachial Index). In patients with mediasclerosis the measurement will give false high numbers. After early diagnosis conventional treatment may be effective. With late diagnosis in the stadium IV (Fontaine) always and especially before any amputation revascularisation should be done. Guidelines give the right choise of katheter-based or open vascular-surgical procedures. Keywords PAD Diabetes mellitus Fontaine classification Revascularisation Microangiopathy Hier konkurrieren die perkutane transluminale Angioplastie (PTA), ggf. mit Stent und die offenen gefäßchirurgischen Interventionen. In den Leitlinien wird eine Differenzialtherapie entsprechend den TASC-II-Kriterien (Trans Atlantic Inter- Society Consensus; [7]) aus dem Jahre 2007 empfohlen. Danach werden die Gefäßläsionen in 4 Gruppen eingeteilt: F A-Läsionen: Gefäßläsionen, die endovaskulär sehr gut behandelt werden können, Der Internist 5 2011 537

Fazit für die Praxis Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) zeigt bei Patienten mit Diabetes mellitus Besonderheiten: 77Morphologisch fällt das multifokale, langstreckige und weiter peripher gelegene Auftreten ins Auge. 77Symptomatik: Bis zu 70% der Patienten mit Diabetes und PAVK weisen auch eine periphere Neuropathie auf. Dadurch kann eine Claudicatio-Symptomatik verschleiert werden. Entsprechend werden dann Patienten im Stadium II und III nach Fontaine fälschlicherweise dem Stadium I zugeordnet. 77Diagnostik: Das anamnestische Fehlen einer Claudicatio-Symptomatik schließt eine PAVK nicht aus, entsprechend kommt der körperlichen Untersuchung eine entscheidende Bedeutung zu. Durch die häufige Mediasklerose können ABI-Werte >1,3 bestimmt werden, dann ist das Vorhandensein der Mediasklerose augenfällig, es sind aber auch falsch normale Messwerte möglich. Deshalb sollte zusätzlich ein weiteres Verfahren eingesetzt werden, z. B. der Pole-Test oder eine Analyse der Dopplerpulskurve. 77Mikroangiopathie: Die mikroangiopathischen Veränderungen bei Patienten mit Diabetes mellitus führen in der Regel zu einer Hyperperfusion und nicht zu einer Verstärkung der Durchblutungsstörung. Okklusive Mikroangiopathien treten nur in Form von septischen Thrombosen bei phlegmonösen Durchwanderungen der kleinen Blutgefäße auf. 77Therapie: Patienten mit Diabetes mellitus profitieren von Thrombozytenaggregationshemmern nur postinterventionell in der Sekundärprävention. Aufgrund des weiter peripher gelegenen und langstreckigeren Befalls der Gefäße kommen häufiger gefäßchirurgische Interventionen auch mit pedaler Rekonstruktion zum Einsatz. 3. Deutsche Gesellschaft für Angiologie und Gesellschaft für Gefäßmedizin (2009) Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK). AWMF-Register Nr. 065/003 www.awmf-online.de 4. Duvall WL, Vorchheimer DA (2004) Multi-bed vascular disease and atherothrombosis: scope of the problem. J Thromb Thrombolysis 17:51 61 5. Hirsch AT, Haskal Z, Hertzer N et al (2006) ACC/AHA guidelines for the management of patients with peripheral arterial disease (lower extremity, renal, mesenteric, and abdominal aortic). Circulation 113:463 654 6. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes (2010) Präventions- und Behandlungsstrategien für Fußkomplikationen. www.versorgungsleitlinien.de 7. Norgren L, Hiatt W, Dormandy J et al (2007) Intersociety consensus for the management of peripheral arterial disease (TASC II). Eur J Vasc Endovasc Surg 33 (Suppl 1):S1 S75 8. Paraskevas N, Ayari R, Malikov S et al (2006) Pole test measurements in critical leg ischaemia. Eur J Vasc Endovasc Surg 31:253 9. Smith FC, Shearman CP, Simms MH, Gwynn BR (1994) Falsely elevated ankle pressures in severe leg ischaemia: the Pole test an alternative approach. Eur J Vasc Surg 8:408 412 10. Wagner WF (1981) The dysvascular foot: A system for diagnosis and treatment. Foot Ankle Clin 2:64 122 F B-Läsionen: Gefäßläsionen, die endovaskulär gut behandelt werden können, F C-Läsionen: ausreichende Langzeitergebnisse bei operativen Verfahren, nur bei hohem Risiko für operative Therapie endovaskuläre Behandlung, F D-Läsionen: keine befriedigenden Ergebnisse durch endovaskuläre Verfahren. Dabei sind die A-Läsionen eher singulär und kurzstreckig, die D-Läsionen eher diffus, multifokal und langstreckig. B- und C-Läsionen bilden die Zwischenstadien, wie es in. Tab. 3 beispielhaft für die femoropoplitealen Läsionen dargestellt ist. Bei den Typ-D-Läsionen sollten primär gefäßchirurgische Interventionen erfolgen, bei den Typ-C-Läsionen sollten sie bevorzugt werden. Von diesen Empfehlungen wird zunehmend zugunsten der PTA (ggf. mit Stent) abgewichenen. Hier ist zu fordern, dass sich zur Planung op- tionaler Prozeduren an den Gefäßen der Gefäßchirurg, der interventionelle Behandler und der Radiologe im Rahmen einer multidisziplinären Besprechung regelmäßig treffen sollten. Korrespondenzadresse Prof. Dr. Zentrum für innere Medizin, Asklepios Westklinikum Hamburg Suurheid 20, 22559 Hamburg manfred.dreyer@asklepios.com Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1. American Diabetes Association (2003) Peripheral arterial disease in people with diabetes. Diabetes Care 26:3333 3341 2. Armstrong DG, Lavery LA, Harkless LB (1998) Validation of a diabetic wound classification system. The contribution of depth, infection, and ischemia to risk of amputation. Diabetes Care 21:855 859 538 Der Internist 5 2011