M A K R O A U S B L I C K O S T E U R O P A 06. M ä r z 2 0 1 5 Die Währungen Osteuropas entwickelten sich seit Februar 2014 also kurz vor dem Beginn der russischen Annexion der Krim sehr unterschiedlich. Daran dürfte sich mittelfristig wenig ändern. Der russische Rubel büßte unter Moskaus Ukraine-Politik Vertrauen ein. Außerdem spiegelt er nun, nach der Freigabe des Rubelkurses im November durch die Zentralbank, die Strukturschwäche der russischen Volkswirtschaft voll wider. Der Rubel hat sich nun seinem neuen Gleichgewichtskurs genähert; bis zum Sommer erwarten wir eine Seitwärtsbewegung unter erhöhten Schwankungen. Die türkische Lira profitierte zunächst von kurzfristiger politischer Ruhe, fällt nun aber wieder genau wegen politischen Drucks auf die Währungshüter. Erst nach den Wahlen im Sommer dürfte sie sich wieder etwas stabilisieren. Polens und Ungarns Währungen profitierten von der aktuellen Euro-Schwäche, erlitten jedoch den Franken-Schock im Januar, als die Schweiz den Franken freigab. Beide Länder haben relativ hohe Schulden in Franken. In beiden Ländern ist gerade aber auch die Inflation negativ. Die polnische Zentralbank senkte diese Woche ihren Zins, was jedoch den Zloty kaum berührte. Er dürfte sich über die nächsten Monate seitwärts oder sogar leicht aufwärts bewegen. Ungarn steht unserer Erwartung nach noch ein Zinsschnitt bevor: Der Forint dürfte folglich bis zur Jahresmitte leicht nachgeben. Darüber hinaus Russland: Die wirtschaftliche Lage stabilisiert sich ein wenig auf niedrigem Niveau. Hohes politisches Risiko geht weiter von der Regierung und ihrer Rolle im Krieg in der Ukraine aus. Türkei: Billiges Öl lässt die Inflation fallen. Doch der politische Druck auf die Zentralbank erreicht selbst für ein Schwellenland neue Dimensionen. Je mehr die Zentralbank der Regierung nachgibt, desto instabiler dürfte die volkswirtschaftliche Lage werden trotz billigem Öl. Polen: Die Notenbank senkt den Zins, um die Inflationsrate wieder in normale Höhen zu bringen. Wir erwarten, dass die momentan deflationäre Preisentwicklung bald vorüber ist. Osteuropas wichtigste Währungen 75 In Punkten gegenüber jeweiligen Haupthandelswährungen, Index = am 01.02.2014. Quelle: Bloomberg. BIP- Russland -4,0-1,5 0,0 Türkei 3,6 3,8 3,9 Polen 3,3 3,3 3,6 Ungarn 2,8 2,4 2,2 In %. Quelle: Berenberg Inhaltsverzeichnis Rubel in US-Dollar Lira in US-Dollar Zloty in Euro Zloty in Franken Forint in Euro Forint in Franken Russland Leichte Stabilisation Seite 2 Türkei Notenbank unter Druck Seite 3 Polen Kampf gegen die Deflation Seite 4 1/5 MAKROAUSBLICK OSTEUROPA 06. März 2015
RUSSLAND Die Lage stabilisiert sich auf niedrigem Niveau Geldpolitik wirkt Die Zinssenkung auf 15% Ende Januar wirkt. Der russische Interbankenmarkt, auf dem sich Banken untereinander Geld leihen und der so wichtig für die Wirkung der Geldpolitik ist, hat sich beruhigt. Vor wenigen Wochen noch waren die Zinsen hier prohibitiv hoch, nachdem die Zentralbank den Zins in einer Notmaßnahme von 9,5 % auf 17 % anhob. Daraufhin trauten sich die russischen Banken untereinander nicht mehr (obere Abbildung). Der um 200 Basispunkte gesenkte Leitzins war also ein wichtiges Signal: Die Zentralbank lässt die Banken nicht im Stich. Der Interbankenzins normalisiert sich. Auch der Rubel stabilisierte sich zuletzt, bleibt aber schwach: 1) Die weiterhin vorhandene Strukturschwäche der russischen Volkswirtschaft sowie mangelnder politischer Wille, daran etwas zu ändern. 2) Der Kurswechsel der russischen Zentralbank von einem Wechselkurs- zu einem Inflationsziel. 3) Die geopolitische Unsicherheit in Verbindung mit dem Krieg. Der Rubel hat also ein neues Gleichgewichtslevel erreicht, welches er in den nächsten Jahren nicht großartig verlassen dürfte. Dazu schrumpft das BIP weiter. Wachstum durch den schwächeren Rubel (also nun wettbewerbsfähigere Exporte) oder die heimische Produktion von Gütern, die vor den Sanktionen importiert wurden, halten wir für vernachlässigbar. Konjunktur-stützen werden wegen der schlechten Haushaltslage auch nur limitiert eingesetzt werden. Nun wird sich die Zentralbank der Inflation (aktuell 16,7 %) widmen. Die Preissteigerungsrate hat mittlerweile nämlich den Leitzins von 15 % überschossen. Lebensmittelpreise steigen noch stärker (siehe untere Abbildung). Wir sehen eine /30 Chance, dass sie die Zinsen im März konstant hält. Geopolitisches Risiko weiter hoch Die letzten Schlagzeilen über eine etwaige Entspannung in der Ostukraine übertünchen ein immer noch großes Risiko: Trotz des Minsker Waffenstillstands ist mittlerweile denkbar, dass die von Russland unterstützen Separatisten die Großstadt Mariupol einnehmen. Geschieht dies, erwarten wir weitere westliche Sanktionen. Doch diese werden Moskau vermutlich kaum zum Einlenken bringen. Denn solange es der ukrainischen Bevölkerung noch schlechter geht als der russischen, dürften Putins Umfragewerte stabil bleiben. Die Ostukraine entwickelt sich immer mehr zu einem dauerhaften Krisenherd. Interbankenzinsen der letzten Wochen über versch. Fristen 26 22 18 14 1T 1W 1M 2M 3M 6M 1Y Leitzins Heute vor 1 Woche vor 2 Wochen vor 4 Wochen vor 8 Wochen In %. Quelle: Bloomberg. Inflationsraten und Leitzins 23 20 17 14 11 8 5 Jan 14 Apr 14 Jul 14 Okt 14 Jan 15 Leitzins Inflation Kerninflation Lebensmittelinflation In %. Quelle: Bloomberg. BIP -4,0-1,5 0,0 Inflation 13,0 9,0 8,0 Arbeitslosigkeit 7,0 8,0 9,0 Haushalt -3,0-2,8-1,9 Leistungsbilanz 2,2 1,8-5,2 2/5 MAKROAUSBLICK OSTEUROPA 06. März 2015
TÜRKEI Immer wieder die Zentralbank Die Regierung kritisiert Zentralbank immer lauter Immer wieder die Zentralbank: In kaum einen anderen Land Osteuropas ist die Notenbank so stark Fokus der politischen Diskussion wie in der Türkei. Leitzins, Inflation und Ölpreis 11 Im Sommer sind Parlamentswahlen und die Regierung will niedrigere Zinsen; billiger Kredit ist ihre Stimmengarantie. So wird die Regierung gegenüber der Zentralbank immer herrischer. Das entspricht einem breiteren Trend: Die Macht konzentriert sich gefährlich stark um Präsident Erdogan. Für die Zeit nach Erdogan steigt damit die Gefahr von erhöhter politischer Instabilität. Der politische Druck wird aktuell jedoch durch den fallenden Ölpreises in den Hintergrund gedrängt: Der Ölpreisverfall kehrte den Inflationstrend um Energie und energieintensive Güter wurden billiger. Offiziell ist die Zentralbank deshalb auf Expansionskurs: Letzte Woche senkte sie Leitzins und die Obergrenze ihres Zinskorridors (obere Abbildung). Wir sehen die lockere Geldpolitik trotz trendmäßig fallender Inflation jedoch kritisch: 1) Die Kerninflation (ohne Lebensmittel und Energie) fällt langsamer als erwartet; die Inflation stieg zuletzt sogar wieder. Beide Raten sind noch weit von dem Zentralbankziel von 5 % entfernt. 2) Die nun gesenkte Obergrenze des Zinskorridors bedeutet zum einen, dass nun Verbraucherkredite günstiger werden. Mehr Geld wird also in nicht-investive Zwecke fließen und das zu einer Zeit, in der die Türkei eigentlich kein Problem mit dem Konsum, schon eher aber mit den Investitionen hat. Zum anderen ist die Zentralbank nun unflexibler bei der Reaktion auf Schwankungen im Währungsmarkt. Lira wird weiter geschwächt Die Lira wird entsprechend schwächer und volatiler. Das entspricht der langfristigen Entwicklung: In den letzten fünf Jahren verlor die Lira rund 40 % an Wert gegenüber dem US-Dollar. Hintergrund ist vor allem die zunehmende geldpolitische Straffung der US-Notenbank und das wachsende politische Risiko ausgehend von der türkischen Regierung. So leidet auch die Glaubwürdigkeit der Zentralbank weiter und wir rechnen nicht nur mit wachsenden politischen Druck auf die Zentralbank, sondern erwarten auch weitere Zinssenkungen: bis zum Sommer sind bis zu weiteren 75 Basispunkten möglich. 9 7 5 Leitzins Zinsobergrenze Inflation Kerninflation Ölpreis (Brent; rechte Achse) In % bzw. in US-Dollar (Ölpreis). Quelle: Bloomberg. Langfristige Lira-Entwicklung 80 60 Jan 10 Jan 11 Jan 12 Jan 13 Jan 14 Jan 15 Lira in US-Dollar Lira in Euro In Punkten, Index = am 01.01.2010. Quelle: Bloomberg. BIP 3,6 3,8 3,9 Inflation 6,8 7,0 7,1 Arbeitslosigkeit 9,4 9,3 9,2 Haushalt -2,0-1,8-1,9 Leistungsbilanz -5,4-5,0-5,2 3/5 MAKROAUSBLICK OSTEUROPA 06. März 2015
POLEN Die Zentralbank kämpft gegen die Deflation Inflation weiter unter Null In Polen fallen die Preise, insbesondere für Lebensmittel und Energie. Entsprechend steht die Inflationsrate in Polen bereits seit Monaten unter null; im Februar fiel sie auf -1,3 %. Die Kernrate der Inflation, also die Preisentwicklung ohne Energie- und Lebensmittelpreise, liegt jedoch weiter im positiven Bereich hier steigen die Preise weiter leicht. Nichtsdestotrotz droht in einer solchen Gemengelage die volkswirtschaftliche Gefahr der Deflation. Deflation ist vor allem deshalb gefährlich, weil sie die Last von Schuldnern gegenüber ihren Gläubigern erhöht und so schnell die Verbraucherstimmung eintrüben kann. Hinzu kommt, dass Verbraucher bei langfristig fallenden Preisen ihre Kaufentscheidungen verschieben und damit den polnischen Binnenmarkt einschläfern könnten. Um dieser Falle zu entkommen, senkte die polnische Zentralbank diese Woche den Leitzins auf 1,5 %. Unter der Annahme, dass die Energiepreise nicht weiter fallen (der Ölpreis stabilisierte sich zuletzt) erwarten wir, dass die Preise bald wieder steigen (siehe gestrichelte Linien, obere Abbildung). Folglich rechnen wir vorerst auch mit keiner weiteren Zinssenkung. Der Zloty bleibt stabil Über die letzten fünf Jahre betrachtet hat der Zloty gegenüber dem Euro leicht nachgegeben, aber er hält sich auf einem stabilen Niveau. Aus der Euro-Perspektive gibt es sogar Aufwertungsdruck für den Zloty: Das Quantitative Easing der EZB macht den Euro auch gegenüber der polnischen Währung billiger und übertüncht damit die heimische Zinssenkung. Gegenüber dem Franken hat die polnische Währung hingegen deutlich verloren. Vor dem Lehman-Kollaps haben viele Osteuropäer, darunter die Polen und Ungarn am eifrigsten, in der Schweiz Kredite aufgenommen; damals waren die Zinsen niedriger als in ihren Heimatländern. Die Finanzkrise änderte das. Anleger brachten ihr Geld in die Schweiz in Sicherheit und ließen den Franken und damit die Schulden der polnischen Haushalte aufwerten. Die Schweizer deckelten die Franken-Aufwertung bis Mitte Januar 2015 dann kam es zu einem erneuten Schock: Der Franken wurde freigegeben, die Schulden der polnischen Haushatel werteten ebenso auf und Polens Währungen litten. Sollte wie von uns gegenwärtig erwartet kein weiterer Zinsschnitt kommen, dürfte sich der Zloty gegenüber dem Euro weiter stabilisieren und ggf. sogar leicht zulegen. Auch gegenüber dem Franken sollte das Schlimmste vorüber sein. Insgesamt dürfte sich der Zloty bis weit in das Jahr hinein also seitwärts oder gar leicht aufwärts bewegen. Leitzins und Inflation 3 2 1 0-1 -2 Leitzins Inflation Kerninflation In %. Gestrichelte Linie: Prognose. Quelle: Bloomberg, Berenberg. Langfristige Zloty-Entwicklung 80 60 Jan 10 Jan 11 Jan 12 Jan 13 Jan 14 Jan 15 Zloty in Euro Zloty in Schweizer Franken In Punkten, Index = am 01.01.2010. Quelle: Bloomberg. BIP 3,3 3,3 3,6 Inflation 0,0-0,1 1,3 Arbeitslosigkeit 8,9 11,0 11,5 Haushalt -3,3-2,9-2,9 Leistungsbilanz -1,1-1,6-1,8 4/5 MAKROAUSBLICK OSTEUROPA 06. März 2015
IMPRESSUM Autor Wolf-Fabian Hungerland Economist +49 (0)40 35 0 60-8165 wolf-fabian.hungerland@berenberg.com Wichtige Hinweise: Dieses Dokument stellt keine Finanzanalyse im Sinne des 34b WpHG, keine Anlageberatung, Anlageempfehlung oder Aufforderung zum Kauf von Finanzinstrumenten dar. Es ersetzt keine rechtliche, steuerliche und finanzielle Beratung. Die in diesem Dokument enthaltenen Aussagen basieren auf allgemein zugänglichen Quellen und berücksichtigen den Stand bis zum Tag vor der Veröffentlichung. Nachträglich eintretende Änderungen können nicht berücksichtigt werden. 5/5 MAKROAUSBLICK OSTEUROPA 06. März 2015 Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG Neuer Jungfernstieg 20 20354 Hamburg Telefon +49 40 3 60-0 www.berenberg.de info@berenberg.de