Systemische Aspekte der Sucht in der Paarbeziehung. Dr. Wibke Voigt Fachklinik Kamillushaus Essen TagesReha Frankfurt,

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Transkript:

Systemische Aspekte der Sucht in der Paarbeziehung Dr. Wibke Voigt Fachklinik Kamillushaus Essen TagesReha Frankfurt, 10.05.2017

Verlieben Definition der Beziehungen zu den UF Heirat Entwicklungsstand und developemental tasks Geschwistersystem Geburt des 2. Kindes Weitere Öffnung; neue Rollendefinition Schule Organisation der nahen Beziehung Geburt des 1. Kindes Erstellung des Parentalen Systems / Grenzen / Arbeitsteilung Zusammenziehen Kindergarten Öffnung; Interaktion mit päd. Sekundärinstanzen Ablösung Rückkehr zum Ehesystem

Basiskriterien zur Einschätzung von (Familien)Systemen Besetzung und Funktionalität der (Sub-)Systeme Grenzen Beziehungen Hierarchie Entwicklungsstand

Familie als System / Subsysteme der Familie Eheliches Subsystem Elterliches Subsystem / administrative Funktion + Wärmeregulation Geschwisterliches Subsystem Ursprungs- Familie Institutionen Kiga, Schule Nachbarschaft Familie Freundeskreis

Funktionalität der Systeme Drei funktionale Familiensysteme: Ehesystem Elternsystem Geschwistersystem

Grenzen Regeln des Informationsaustauschs zwischen Familien - Subsystemen diffus starr = ungefiltert = minimal

Starre Grenzen bei Sucht Der Informationsfluss zu anderen/ nach außen ist minimal, um das Paar-/Familiengeheimnis zu bewahren und die Suchtmittelabhängigkeit zu vertuschen Innerhalb von Familiensystemen können die Grenzen starr sein ( Du siehst nicht, was Du siehst ) oder diffus ( Papa/Mama hat wieder getrunken, aber wehe, Du erzählst es jemandem! )

Hierarchie funktional Kompetente Familienmitglieder treffen Entscheidungen und setzen sie durch dysfunktional Inkompetente Familienmitglieder geraten in one-up - Position 8

Die Hierarchie ist bei Sucht verändert Wenn einer der Partner suchtmittelabhängig ist oder wird, ist eine gleichberechtigte Partnerschaft auf Augenhöhe gefährdet oder nicht mehr möglich In der Regel gerät einer der beiden Partner in die untere Position

Perverse Dreiecke nach Minuchin u.a. V M V M Triangulation : Feind meines Freundes ist mein Freund V IP M Eltern-Kind-Koalition : Feind meines Freundes ist mein Feind V IP M IP IP Konfliktumleitung Konfliktumleitung fürsorglich: administrativ: Freund meines Freundes ist mein Feind meines Freundes ist mein Freund Feind

Funktion von Suchtmitteln in Paarbeziehungen Um unterlegene Position nicht zu spüren, wenn Partner oder Partnerin die Hosen anhat und alles entscheidet P+S P S Eltern-Kind-Koalition : Feind meines Freundes ist mein Feind

Funktion von Suchtmitteln in Paarbeziehungen Um den Mut zu haben, die eigene Meinung zu äußern (was im nüchternen Zustand nicht möglich ist aus Unsicherheit, Angst etc.) P+S P S Eltern-Kind-Koalition : Feind meines Freundes ist mein Feind

Funktion von Suchtmitteln in Paarbeziehungen Um sich selbst zum Schweigen zu bringen, um Konflikte wegzutrinken und um die eigene Meinung nicht zu äußern P+S P S Konfliktumleitung fürsorglich: Freund meines Freundes ist mein Freund

Funktion von Suchtmitteln in Paarbeziehungen Um vorhandene und ungeklärte Konflikte wegzutrinken (beide) und um notwendige Entscheidungen nicht zu treffen (beide) P+S P+S S Konfliktumleitung fürsorglich: Freund meines Freundes ist mein Freund

Interpersonelle Gewalt Violence against women: an EU-wide survey (N=42.000) Gewalterlebnisse ab dem 15.Lebensjahr: 11% erlitten sexuelle Gewalt 31% erlitten körperliche Gewalt European Union Agency for Fundamental Rights 2014

World Mental Health Survey WHO Familiäre Dysfunktion (v.a. Gewalt, Vernachlässigung) ist stärkster Prädiktor für psychische Störungen Und zwar für alle Diagnosen: Depression, Angststörung, Suchterkrankungen, PTBS... Etwa ein Drittel (29,8%) aller psychischen Erkrankungen stehen damit in Verbindung Die Stärke der Zusammenhänge steigt mit der Anzahl der Belastungen Kessler et al. 2010

Es steht mittlerweile außer Frage, dass Missbrauch bzw. Abhängigkeit von psychotropen Substanzen zu den wichtigsten Folgestörungen nach Traumatisierungen gehören. Dr.med. Luise Reddemann Zeitschrift für Psychotraumatologie und Psychchologische Medizin 2005 Heft 3

Sucht und Trauma Die Lebensgeschichten von Menschen mit Suchterkrankungen sind häufig durch Traumatisierungen im Kindesalter wie sexuellen Missbrauch, körperliche und emotionale Misshandlung geprägt und Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen sind auch in späteren Lebensabschnitten weitaus häufiger als die Allgemeinbevölkerung traumatischen Erfahrungen ausgesetzt. Reddemann 2005

Suchterkrankte Menschen: wie hoch ist die Traumatisierungsrate in der Kindheit? Simpson und Miller 2002, Auswertung von 53 Studien (32 F, 16 M/F, 5 M): - 27% bis 67% der abhängigen Frauen wurden sex. missbraucht, 33% körperlich misshandelt - 9% bis 29% der abhängigen Männer sex. missbraucht, 24% bis 53% körperlich misshandelt

Review Simpson und Miller 2002 Bei Alkoholabhängigkeit: 50% der Frauen 30 % der Männer Bei Drogenabhängigkeit: 80 % der Frauen 50% der Männer hatten mind. 1 Form früher (körperlicher oder sexueller) Gewalt erlitten wibke.voigt@sucht-fachkliniken.de

Zusammenhänge zwischen Traumafolgesymptomen und Sucht PTBS Wiedererleben Vermeidung Veg. Übererregung Selbstmedikation Suchterkrankung Selbstwertdefizite Vermeidendes Copingverhalten Probleme Affekte zu regulieren

Besonderheiten bei traumatisierten Suchtpatienten -Jüngeres Alter bei Beginn der Abhängigkeit z.b.hussey & Singer 1993, Krausz und Briken 2002 - Mehr gesundheitliche, soziale und berufliche Probleme z.b. Ouimette et al. 2000, Kang et al. 2002, Schäfer 2009 - Hohe Raten komorbider psychischer Störungen z.b. Brown et al. 1995, Brady et al. 1994, Najavits et al. 1998 - Häufiger suizidale Krisen z.b. Roy 2003, Windle et al. 1996 - Schwierigere Therapieverläufe und häufigere Rückfälle z.b. Schäfer et al. 2004

Geschlechtsspezifische Traumabewältigung Frauen Trauma Männer Internale, expressive Bewältigungsstrategien Dissoziative Reaktionen auf traumatischen Stress Externale, instrumentelle Bewältigungsstrategien Hyperarousal-Reaktionen auf traumatischen Stress Sucht und dissoziative Störungen, Somatoforme Störungen, PTBS, BPS, Essstörungen Angst/Depression Sucht und aggressive Verhaltensweisen, Antisoziale Persönlichkeitsstörungen (Vgl. Olff et al., 2007; Gahleitner, 2008; Langeland & van den Brink, 2006)

PTBS bei Personen in Suchtbehandlung Frühe Gewalt Jede 4. Frau Jeder 7. Mann 50% 30% Jede 2. Frau Jeder 4. Mann 80% 50% (Schäfer & Najavits (2007) Curr Opin Psychiatry20: 614-618

Funktion von Suchtmitteln in Paarbeziehungen Um Ekel, Scham, Angst, Flashbacks und Erstarrung zu betäuben (auch Aggression, Wut, Gereiztheit), damit Sexualität möglich wird und zu ertragen ist P P+S PTBS S Konfliktumleitung fürsorglich: Freund meines Freundes ist mein Freund

Ich danke Für Ihre Aufmerksamkeit!