Berücksichtigung von sozioökonomischen Kriterien in morbiditätsorientierten Versichertenklassifikationssystemen

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Transkript:

Berücksichtigung von sozioökonomischen Kriterien in morbiditätsorientierten Versichertenklassifikationssystemen T. Czihal, Dr. D. von Stillfried, Y. Dong / 9. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung am 01. Oktober 2010 in Bonn Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland

Hintergrund USA: Entwicklung von periodenbezogenen Klassifikationsmodellen zur Berechnung von Versichertenpauschalen für HMOs durch Medicare. Deutschland: (1) Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs auf Basis von 80 Krankheiten für Mittelzuweisungen des Gesundheitsfonds an die gesetzlichen Krankenkassen. (2) Einführung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung in der vertragsärztlichen Versorgung: Veränderung der Morbiditätsstruktur ist wesentlicher Anpassungsfaktor der Mengenkomponente der Vergütung. 2

Hintergrund Probleme: (a) Historische Unterschiede im Vergütungsniveau; (b) nach Standardisierung der Morbidität verbleiben unerklärte regionale Unterschiede in der Versorgungsintensität notwendige oder zufällige Unterschiede? Handlungsdruck: Gesetzentwurf des GKV FinG sieht vor, dass Bewertungsausschuss dem BMG / Bundestag im April 2011 ein Konzept für die Konvergenz der Vergütungen vorlegt. Ziel: Ziel: bedarfsgerechte Mittelallokation (zur (zur Versorgung gleichartiger Patienten soll soll überall überall in in Deutschland der der gleiche Betrag Betrag zur zur Verfügung stehen) 3

Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen Verhaltensmodell nach Andersen Andersen (1995) 4

Einflussfaktoren auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen Empirische Ergebnisse (Studien) Einkommen, soziale Schicht und Berufsstand sind Determinanten für Gesundheitsausgaben (Hoffmeister et al. 1992) Der Familienstand hat unabhängig von Alter, Geschlecht und Morbidität Einfluss auf die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems. (Joung et al. 1995) Lebensform hat einen eigenen Einfluss auf die Inanspruchnahme: Alleinlebende weisen eine signifikant höhere Inanspruchnahme auf als Vergleichsgruppen (Cafferata 1987) Inanspruchnahme ist abhängig vom Wohnort: Stadt Land und Ost - West Unterschiede in Deutschland (Thode et al. 2004) Überprüfung anhand von Routinedaten durch das ZI 5

Sozioökonomische Merkmale und Inanspruchnahme vertragsärztlicher Versorgung Pearson Korrelationskoeffizient auf Kreisebene Arztdichte je 100.0000 Einwohner: 0,38 (p< 0,01) Arbeitslosenquote: 0,13 (p< 0,05) Anteil Singlehaushalte: 0,41 (p< 0,01) Pflegebedürftige je 10.000 Einwohner: 0,18 (p< 0,01) 6

Exkurs Datengrundlage Abrechnungsdaten sind Bewegungsdaten ohne eineindeutigen Bezug zu Versichertenstammdaten Patientenbildung erfolgt über die Kombination aus Pseudonym der Versichertennummer, Geburtsdatum und IK der Krankenkasse Bei Wechsel der Versichertennummer oder fehlerhaftem Eintrag des Geburtsdatums, entsteht fälschlicherweise ein neuer Patient Patientenüberschuss im Vergleich zur KM6-Statistik (2008) 7

Weiterentwicklung der Klassifikationsmodelle. Morbidität Klassifikationsmodell zur Berechnung der morbiditätsbedingten Veränderungsrate 2009/2010 mit 32 Alters- und Geschlechtsgruppen und 60 diagnosebezogenen Morbiditätsgruppen. Morbidität + Anzahl Abrechnungskontakte Morbidität ergänzt um die Anzahl der Abrechnungskontakte je Patient. Morbidität + Anzahl aufgesuchter Praxen Morbidität ergänzt um die Anzahl der aufgesuchten Praxen je Patient. 8

Modellvergleich auf KV-Ebene Aussagekraft beeinträchtigt Unterschiede zwischen den Erwartungswerten deuten auf regionale Unterschiede der Versorgungsintensität je aufgesuchter Praxis Vertragsärztliche Abrechnungsdaten 2008; brutto Leistungsbedarf in der MGV - Abgrenzung) 9

Risikostrukturausgleich in Belgien und den Niederlanden Regionale Komponente in den Niederlanden: Bündelung von Postleitzahlgebieten erfolgt auf der Basis von: Urbanität, dem Anteil an nicht-westlichen Ausländern, dem Durchschnittseinkommen, dem Anteil Alleinstehender, der standardisierten Sterbewahrscheinlichkeit, der Erreichbarkeit von Krankenhäusern und Hausärzten sowie der Anzahl der Pflegebetten. Es werden zehn Postleitzahlencluster unterschieden. 10 Das niederländische Ministerium für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport( 2008) Pairmain (2007)

Regionale Komponente Basismodell (Alter, Geschlecht, Morbidität) wird um eine regionale Komponente in Anlehnung an den RSA der Niederlande ergänzt Hierfür wurden mittels Clusteranalyse 10 möglichst homogene Regionstypen hinsichtlich Anteil der Singlehaushalte, Anteil der Pflegebedürftigen, Arbeitslosenquote und durchschnittliches Haushaltseinkommen gebildet. Jeder Patient wird in Abhängigkeit seines Wohnorts einem Regionstyp zugeordnet. Je Regionstyp ergibt sich ein wohnortbezogener Risikozuschlag. Datengrundlage: InkAR Indikatoren des BBR 11

Modellvergleich auf KV-Ebene Aussagekraft beeinträchtigt Wesentlich präzisere Schätzungen auf KV- Ebene unter Einbeziehung der regionalen Komponente Umverteilungsvolumen zwischen den Regionen reduziert sich um ca. 40% Vertragsärztliche Abrechnungsdaten 2008; brutto Leistungsbedarf in der MGV - Abgrenzung), InkAR Indikatoren BBR 12

Fazit Neben Alter, Geschlecht und Morbidität sind sozioökonomische Indikatoren wichtige Determinanten der Inanspruchnahme Berücksichtigung einer regionalen Komponente in den Niederlanden bereits vor Morbiditätsbezug etabliert - auch in Deutschland möglich Datenlage auf individueller Ebene stark begrenzt Mehrebenenmodelle Berücksichtigung der regionalen Komponente verbessert Schätzgenauigkeit auf KV-Ebene und reduziert das notwendige Umverteilungsvolumen, da Inanspruchnahmeunterschiede teilweise durch sozioökonomische Indikatoren erklärbar ggf. weitere Berücksichtigung der Angebotsstruktur im Kontext der vertragsärztlichen Gesamtvergütungen notwendig (z.b. spezialisierte ambulante Versorgung) 13