Wechselmodell/Doppelresidenz Prof. Dr. jur. Hildegund Sünderhauf

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Transkript:

Wechselmodell/Doppelresidenz Prof. Dr. jur. Hildegund Sünderhauf Evangelische Hochschule Nürnberg 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 1

Wer ich bin Prof. Dr. jur. Hildegund Sünderhauf Studium und Referendariat in Konstanz Rechtsanwältin Familienrecht seit 1997 Seit 2000 Professorin für Familienrecht und Kinder- und Jugendhilferecht an der Ev. Hochschule Nürnberg Seit 2010 Forschung zum Wechselmodell Wechselmodell: Psychologie Recht Praxis 08/2013, Springer VS, Wiesbaden. 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 2

Wovon ich rede. Im WM teilen sich die Eltern eines Kindes die rechtliche und pädagogische Verantwortung Verantwortung Zeit Im WM verbringen Kinder mögl. gleich viel Zeit mit beiden Eltern, mind. 30:70 % (Alltag und Freizeit). Zuhausesein Im WM sind Kinder bei beiden Eltern zuhause, nicht nur zu Besuch. 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 3

Die Scheidungsfolgenforschung weiß seit langem Stressoren 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf Meta-Analysen: Amato & Gilbreth 1991 Amato & Keith 1991 Amato 1993; 2001 4 Bauserman 2002; 2012

Die Scheidungsfolgenforschung weiß außerdem Stressoren Verlust eines Elternteils Überlastung Alleinerziehende Ökonomische Probleme Ressourcen Ausreichend Zeit mit beiden Eltern Geteilte elterl. Verantwortung Ökonomische Unterstützung Elterlicher Konflikt Konfliktdeeskalation Kinder nach Trennung / Scheidung 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 5

Forschungs-Status Es liegen von 1977 bis 2012 rund 45 internationale qualitative und quantitative empirische Studien zu den Auswirkungen des Wechselmodells auf Eltern und Kinder vor. Die ganz überwiegende Mehrheit kommt zu deutlich positiven Ergebnissen. Die meisten Studien sind aus den USA, viele aus Australien und einige aus europäischen Ländern. 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 6

Eltern-Kind-Bindung Mehr Zeit mit dem Vater bei Betreuung im Wechselmodell führt zu einer stärkeren emotionalen Eltern-Kind-Bindung als im Residenzmodell. Abarbanel 1979; Steinman 1981; Luepnitz 1986; Fabricius & Luecken 2007; Aquilino 2010 Kinder im Wechselmodell zeigen eine gleich enge Eltern-Kind- Bindung wie Kinder in intakten Familien. Spruit & Duindam 2010; Bergström 2012 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 7

Eltern-Kind-Beziehung Kinder in Wechselmodell-Familien haben eine engere Beziehung zu ihrem Vater als Kinder in intakten Familien Health Behaviour in School-Aged Children Study (HBSC) WHO/ Bjarnason & Arnarsson 2011 Die bessere Beziehung zum Vater geht nicht zulasten der Mutter im Gegenteil: Kinder im Wechselmodell haben auch eine engere Mutter-Bindung als Kinder in mütterlicher Alleinsorge Maccoby, Buchanan, Mnookin & Dornbusch 1993; Fabricius 2003; Bjarnason & Arnarsson 2011 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 8

Psychische Anpassung Kinder im Wechselmodell zeigen gute psychische Anpassungswerte Abarbanel 1979; Steinman 1981; Luepnitz 1984; McKinnon & Wallerstein 1986; Pearson & Thoennes 1990; Spruijt & Duindam 2010... ebenso gut oder besser als Kinder im Residenzmodell. Underwood 1989; Bauserman 2002; Breivik & Olweus 2006; Kaspiew et al. 2009 Kinder im Wechselmodell zeigen eine bessere sozio-emotionale und kognitive Entwicklung (gemessen an ihrer Sprachentwicklung) als Kinder im Residenzmodell. Cashmore et al. 2010 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 9

Emotionale Stabilität Emotionale Stabilität ist keine geografische, sondern eine psychologische Größe, die durch Beziehungskontinuität gefördert wird, auch und gerade in der abwechselnden Betreuung: An einem Ort zu leben (geografische Stabilität) vermittelt nur eine Form von Stabilität. Stabilität wird für Babys (und größere Kinder) auch durch vorhersehbares Kommen und Gehen beider Eltern, regelmäßige Mahlzeiten und Schlafzeiten, konsistente und angemessene Fürsorge und Affektion und Akzeptanz erzeugt. Kelly & Lamb 2000, S. 305 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 10

Physische Gesundheit Wechselmodell-Kinder sind auch physisch gesünder als Kinder im Residenzmodell. Melli & Brown 2008; Fabricius et al. 2012 Bei Residenzmodell-Kindern wurde eine signifikant häufigere Diagnose der Hyperaktivität festgestellt, verglichen mit Kindern im Wechselmodell oder in zusammen lebenden Familien. Neoh & Mellor 2010 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 11

Zufriedenheit der Kinder (1) Kinder im WM sind sehr zufrieden mit ihrer familiären Situation (Kontakt mit Eltern und Unterstützung) - deutlich zufriedener als Kinder im RM. Abarbanel 1979; Steinman 1981; Underwood 1989; Luepnitz 1986; Neugebauer 1989; Smart et al. 2001; Melli & Brown 2008; Haugen 2010; Luftensteiner 2010 Kinder im WM zeigen eine höhere allgemeine Lebenszufriedenheit als Kinder im RM. Health Behaviour in School-Aged Children Study (HBSC) WHO/Bjarnason et al. 2012 Kinder im WM zeigen eine höhere Zufriedenheit mit ihrer schulischen Situation als Kinder im RM und sind signifikant seltener Mobbing-Opfer vergleichbar häufig wie Kinder in intakten Familien. Bergström 2012 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 12

Zufriedenheit der Kinder (2) 93 % der Wechselmodell-Kinder gaben als junge Erwachsene rückblickend an, das WM sei die denkbar beste Betreuungslösung für sie gewesen. Luecken 2003 Umgekehrt berichtet die Mehrzahl junger Erwachsener, die im Residenzmodell betreut wurden, sie hätten als Kind ihren Vater sehr vermisst. Lauman Billings & Emery 2000; Fabricius & Hall 2000 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 13

Zufriedenheit der Eltern (1) Wechselmodell-Eltern (Mütter und Väter!) sind zufriedener als RM-Eltern Pearson & Thoennes 1991, Irving & Benjamin 1991; Kaspiew et al. 2009; Czerny 2011 Australische Evaluationsstudie > 10.000 Eltern: 70-80 % im WM geben an, dass - sie sehr zufrieden sind - das WM für alle Beteiligten gut funktioniere - das WM auch den Kindern gut täte Kaspiew et al. 2009 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 14

Zufriedenheit der Eltern (2) Zufriedenheitsgründe für Eltern Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familienleben Freie Zeit für Privatleben Enge Bindung/Kontakt zum Kind für beide Eltern. Pearson & Thoennes 1991, Irving & Benjamin 199; Kaspiew et al. 2009; Czerny 2011 Kinder profitieren unmittelbar von der größeren Zufriedenheit der Eltern, die zu mehr Kooperation führt und Konflikte reduzieren kann. 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 15

Fazit aus der Forschung Aus Sicht der Entwicklungspsychologie kann die empirische Befundlage dahingehend zusammengefasst werden, dass die `Doppelresidenz das nach einer Scheidung bzw. Trennung der Eltern im Regelfall für das Kindeswohl wohl günstigste Rahmenmodell darstellt. Prof. Dr. Harald Wernick, Entwicklungspsychologe, Univ. Wien, 2009 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 16

Grundrechtsschutz im Sorgerecht These 3. 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 17

WM und Grundrechtsschutz Artikel 8 EMRK Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (1)Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privatund Familienlebens, (...). Artikel 14 EMRK Diskriminierungsverbot Der Genuß der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, ( ) oder eines sonstigen Status zu gewährleisten. Es ist zu erwarten, dass der EGMR in der deutschen Gesetzeslage ebenso einen Verstoß gegen die o.g. Vorschriften sieht, wie im Falle des Zustimmungserfordernisses der Mutter zur gemeinsamen elterlichen Sorge bei nichtehelicher Geburt. 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 18

Alleinerziehende sind überwiegend Frauen / Mütter (in Deutschland > 90 %). häufig arm. Sie beziehen überdurchschnittlich oft Sozialleistungen, vor allem wenn die Kinder noch jung sind. häufig überlastet durch Dreifachbelastung durch Kinderbetreuung, Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit. 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 19

Verlust eines Elternteils > 40 % der Kinder in Deutschland verlieren den Kontakt zum nichtsorgerberechtigten Nicht-Residenz- Elternteil 2 Jahre nach der Trennung/ Scheidung. Proksch 2002; vergleichbare Ergebnisse für Österreich bei Tazi-Preve 2007 < 10 % der Kinder verlieren den Kontakt zum Nichtresidenzelternteil bei gemeinsamer elterlicher Sorge. Proksch 2002, 141 f. 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 20

Wechselmodell in Italien Es liegen keine belastbaren statistischen Daten über die Verbreitung der Wechselmodell-Praxis in Italien vor. Wie überall in Europa gibt es auch in Italien einen zunehmenden Wechselmodell-Boom. Es gibt unter Eltern und Fachleuten verbreitet Fehlvorstellungen und Vorurteile über Voraussetzungen und Folgen des Wechselmodells, die auf mangelndem Wissen über die Wechselmodell-Forschung basieren. Sünderhauf FamRB 09/10, 2013 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 21

Vorurteil 1. Belastungen durch Wechsel Es gibt keine empirische Evidenz, dass die Wechsel zwischen den Elternhäusern für Kinder belastend wären. In Interviews berichten Kinder es sei zwar anstrengend, aber es lohne sich zugunsten des besseren Kontakts zu beiden Eltern. Neugehbauer 1989; Smart et al. 2001; Haugen 2010 Auch Kinder im Residenzmodell wechseln zwischen den Elternhäusern, häufig ebenso oft oder öfter, als im Wechselmodell. 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 22

A. Betreuungsplan Residenzmodell: 14-tägig Wochenend-Besuch Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 23

B. Betreuungsplan Residenzmodell: 14-tägig Wochenend-Besuch und 1 Nachmittag/Woche Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 24

C. Betreuungsplan Wechselmodell: Wöchentliche Wechsel Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 25

D. Betreuungsplan Wechselmodell: 14-tägige Wechsel Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 26

Vorurteil 2. Kein WM bei hohem Konfliktniveau zwischen den Eltern Die Metaanalyse von Bauserman (2002) weist einen Zusammenhang zwischen Konfliktbelastung und Wechselfrequenz nach: Das niedrigste Konfliktniveau wird bei sehr hoher bis paritätischer Kontaktfrequenz angetroffen (-> Wechselmodell) und bei völligem Kontaktausschluss. Die höchste Konfliktbelastung haben Familien mit mittlerer Besuchsfrequenz (-> Residenzmodell) => Der in Deutschland übliche Betreuungsnormalfall weist die höchste Konfliktbelastung auf! 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 27

Konflikte zwischen den Eltern: Empirische Befunde (1) Kinder leiden unter Konflikten der Eltern mehr als unter deren Trennung Amato & Keith 1991; Maccoby et al. 1993 und zwar unabhängig vom Betreuungsmodell Fabricius et al. 2012; Spruit & Duindam 2010; Kaspiew et al. 2009 Kinder kommen in parität. Doppelresidenz nicht mehr mit elterlichen Konflikten in Berührung als im Residenzmodell mit Umgangskontakten Fabricius et al. 2012; Spruit & Duindam 2010 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 28

Konflikte zwischen den Eltern: Empirische Befunde (2) Auch Eltern mit stark konfliktgeprägter Beziehung können ihre Kinder zu deren Vorteil im Wechselmodell betreuen Hahn 2006; Sobolewski & King 2005; Franbuch-Grembeck 2004; Buchanan, Maccoby & Dornbusch 1996; Sandler, Miles, Cookston & Braver 2008 es ist nur schwieriger Smart, Neale & Wade 2001]. Das Wechselmodell wirkt deeskalierend Fabricius & Lueken 2007; Luepnitz 1986/1991; Irving et al. 1991; Pearson & Thoennes 1991; Ilfeld, Ilfeld & Alexander 1982/1984 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 29

Konflikte zwischen den Eltern: Empirische Befunde (3) Studien von McIntosh (2010 u.a.) haben bei Kindern in Wechselmodell in Hochkonfliktfamilien schlechte psychische Anpassungswerte nachgewiesen. Sie lehnt das WM daher in solchen Fällen ab. Die Studien besagen jedoch weder etwas darüber aus, ob die Kinder aufgrund der hochstrittigen Situation oder aufgrund des Betreuungsmodells belastet waren, noch darüber, wie es ihnen im RM ergangen wäre. In sog. Hochkonfliktfamilien kann der positive Effekt des Kontakts zum Nichtresidenz-ET die negativen Effekte der Konfliktbelastung teilweise kompensieren Fabricius & Lueken 2007; Underwood 2000; Healy, Malley & Stewart 1990; Kurdek 1986 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 30

Konflikte zwischen den Eltern: Empfehlungen für strittige Fälle 1. Detaillierter Betreuungsplan => keine Diskussionen 2. Lange Frequenzen => Weniger Wechsel Bender 1994 Fabricius et al. 2010 3. Paritätische Zeitverteilung => Eltern auf Augenhöhe Melli, Brown & Cancian 1997 4. Genaue Regelung der Entscheidungsbefugnisse für besonders strittige Themen 5. Neutrale Übergabe der Kinder 6. Hilfe durch Beratung Bender 1994 Kelly & Lamb 2000 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 31

Vorurteil 3. Zustimmungserfordernis Die Zustimmungspflicht beider Eltern stellt deren Wünsche und Bedürfnisse über die der Kinder. Das Kindeswohl ist aber der gesetzlich geforderte alleinige Maßstab der Umgangsrechtsentscheidung. Auch das Umgangsrecht im Residenzmodell und die gemeins. rechtliche elterliche Sorge müssen ohne Zustimmung beider Eltern funktionieren -> Trennung von Paar- und Elternebene Es verstößt gegen das Elternrecht aus Art. 6 GG, wenn es vom Veto des anderen Elternteils abhängt, ob und wie ein Elternteil seine Beziehung zum Kind fortsetzt. Rixe 2013 Die Zustimmungspflicht beider Eltern gibt den Müttern quasi die Alleinentscheidung -> Verstoß gegen Art. 3 GG 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf Rixe 2013 32

Zustimmungserfordernis: Ablehnungsgründe prüfen Konkrete, ggf. nachgewiesene, kindeswohlbezogene Gründe -> kritisch zu würdigen Allgemeine kindeswohlbezogene Gründe (Belastung etc.) -> kritisch zu würdigen - i.d.r. keine Frage des Betreuungsmodells Unterhaltsrechtliche u.a. finanzielle Gründe -> zurückweisen zu Gunsten des Kindeswohls Abneigung gegen den anderen Elternteil -> überwinden oder kontrollieren Bedenken gegen praktische Durchführbarkeit -> Lösungsmöglichkeiten durch den Betreuungsplan prüfen 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 33

Zustimmungserfordernis: Empirische Befundlage Viele erfolgreiche WM-Eltern wollten zunächst ein anderes Betreuungsmodell; anfängliche Skepsis schadet nicht Maccoby & Mnookin 1992; Irving & Benjamin 1991; Pearson & Thoennes 1990; Luepnitz 1991; Lakin 1994 im Gegenteil! Brotsky, Steinman & Zemmelman 1888/1991 Eine Probezeit kann vereinbart oder angeordnet werden, z.b. für ein Jahr. Irving & Benjamin 1991 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 34

Internationale Verbreitung USA ca. 25-30 % Skandinavien ca. 1/3 aller Trennungskinder werden im Wechselmodell (50:50) betreut Schweden: Über 50 % der Kinder zwischen 6 u. 11 Jahren In den meisten europäischen Rechtsordnungen ist das WM eine gesetzlich vorgesehene Alternative zum RM In Australien und Belgien räumt das Familienrecht einer Betreuung im Wechselmodell Priorität ein 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 35

Das WM in Australien 30 25 20 15 10 20,3 25,7 20,2 5 7,5 10,8 0 0-2 Jahre 3-4 Jahre 5-11 Jahre 12-14 Jahre 15-17 Jahre [Kaspiew et al. 2009] 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 36

Statist. Entwicklung in Belgien (1.) Jahr/Ereignis Vor 1995/ Einführung gemeins. elterliche Sorge bis 2006/ Einführung WM Ab 2006 bis heute Wechselmodell insges. (0-18 J.) 6,8 % 21,1 % 27,1 % [Mortelmans et al., 2011] 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 37

Statist. Entwicklung in Belgien (2.) Betreuungsmodell insges. in Belgien 0-12 Jahre 13-18 Jahre Wechselmodell 27,1 % 36,1 % 23,1 % RM-Mutter k. A. 34,6 % 30,0 % [Mortelmans et al., 2011] 2013 Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf 38